Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Damit ist diese Aktuelle Stunde abgehalten.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 50:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Sofortprogramm für Ausbildungsplätze – Drucks. 16/5967 –

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 35:

Antrag der Abg. Fuhrmann, Schäfer-Gümbel, Eckhardt, Habermann, Dr. Pauly-Bender, Dr. Spies (SPD) und Fraktion betreffend Sofortprogramm für Ausbildung – Drucks. 16/5908 –

dazu Tagesordnungspunkt 66:

Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU betreffend berufliche Ausbildungsförderung – Drucks. 16/5998 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Als erster Rednerin erteile ich Frau Margaretha Hölldobler-Heumüller für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Während der Vorbereitung auf diese Rede habe ich mir überlegt, ob ich an dieser Stelle den Hessischen

Ministerpräsidenten für die Unterstützung des DGB-Vorschlags, was die Lehrstellen betrifft, loben soll.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU)

Herr Boddenberg, ich habe es mir überlegt. Es ist schön, dass Sie schon meine bloße Überlegung beklatschen.

Ich habe mir überlegt, ob damit ein Kurswechsel in der Ausbildungspolitik der Hessischen Landesregierung eingeleitet werden soll. Ich werde ihn loben, wenn seinen Worten auch Taten folgen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Nicht wieder entschuldigen!)

Seit ich die wirtschaftspolitische Sprecherin meiner Fraktion bin, habe ich immer wieder gehofft, dass die Hessische Landesregierung endlich erkennt, dass wir ein riesengroßes Problem auf dem Ausbildungsmarkt haben. Ein später – vonseiten der Landesregierung wieder einmal zu spät vorgelegter – Ausbildungspakt ist keine Maßnahme, um dieses Problem zu lösen, ebenso wenig wie die vorhandenen Maßnahmen, die deutlich nicht ausreichen.

Die Ausbildungsquote in Hessen liegt fast 20 % unter dem Bundesschnitt. Der Bundesschnitt beträgt 6,4 %. In Hessen sind wir bei 5,4 %. Diese Zahlen machen deutlich, dass es ein hessisches Problem gibt, nicht nur ein gesamtwirtschaftliches.

Ich erspare es mir, die Lobhudeleien aus den Plenardebatten des letzten Jahres zu zitieren. Ich habe die Hoffnung, dass Sie, wenn Ministerpräsident Roland Koch das Thema Ausbildung als Chefsache an Land zieht, wirklich ernsthafte Anstrengungen unternehmen und neue Wege gehen wollen, um die sogenannte Bugwelle am Ausbildungsmarkt abzubauen.

Die Anstrengungen der hessischen Betriebe habe ich schon im letzten Jahr von dieser Stelle aus gelobt. Ich mache das in diesem Jahr ausdrücklich noch einmal. Die IHKs und die Handwerkskammern sehen in diesem Jahr ein weiteres Plus bei den Ausbildungsverträgen: bei den IHKs 4,7 %, bei den Handwerkskammern in ähnlicher Höhe.Das sind noch nicht einmal die endgültigen Zahlen. Dort werden wirklich große Anstrengungen unternommen.

Aber das reicht einfach nicht aus;denn das Problem ist die Bugwelle. Die Bugwelle – das sind die Jugendlichen, die sich vergeblich um einen Ausbildungsplatz beworben haben. Die Bugwelle – das sind die Jugendlichen, die in sogenannten Warteschleifen geparkt werden. Die Bugwelle – das sind Jugendliche, die oft über 100 Bewerbungen geschrieben haben. Die Bugwelle – das sind auch die Jugendlichen, die völlig resigniert haben und sich schon im Vorfeld hängen lassen, weil sie oft genug gehört haben, dass sie sowieso keine Chance mehr haben.

Kurzum, es sind die Jugendlichen, denen wir als Gesellschaft signalisieren: Wir brauchen euch nicht, in dieser Gesellschaft haben wir keinen Bedarf für eure Fähigkeiten, ihr liegt dem Staat nur auf der Tasche. – Das sind bittere, demotivierende Erkenntnisse für junge Menschen, die auch lieber hoffnungsfroh in ihre Zukunft schauen würden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach den Erkenntnissen des DGB ist inzwischen jeder zweite Ausbildungsplatzsuchende ein Altbewerber. Das heißt, jeder Zweite kam im Vorjahr oder bereits im Vor

vorjahr nicht zum Zug.13 % eines Jahrgangs bleiben ohne Ausbildung. Das können und dürfen wir uns nicht mehr leisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Dann kam der Vorschlag des DGB, überschüssige Gelder der Bundesagentur zur Schaffung von 50.000 Lehrstellen in außerbetrieblichen Einrichtungen zu verwenden – eine Einmalmaßnahme, ein Befreiungsschlag, um der Bugwelle Herr zu werden. Er sieht ein externes Lehrstellenmanagement zur Unterstützung ausbildungswilliger kleiner und mittlerer Betriebe vor; die Förderung von Verbundausbildung; ein Übergangsmanagement von Schule zu Ausbildung, um die mit 25 % viel zu hohe Abbrecherquote zu senken; die Verbesserung der Förderung der Betriebe, die Schwerbehinderte ausbilden; sowie einen Experimentiertopf, um neue Ideen im Ausbildungsbereich zu fördern. Das sind die Kernpunkte des DGB-Programms. Das unterstützt der Hessische Ministerpräsident. Wenn er das mit Taten tut, dann stehen wir da auch hinter ihm.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die CDU offensichtlich nicht! – Gegenruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU): Doch!)

Es ist ein hoch ambitioniertes Programm. Wenn es zum Tragen kommt, muss allerdings sichergestellt sein, dass das Geld dann auch in die Reihen der kleinen und mittleren Unternehmen fließt, die ihren Ausbildungsverpflichtungen nachkommen, und dass es nicht in die Großbetriebe geht, die erst einmal ihre Hausaufgaben machen müssen.

Bei den zehn größten hessischen Unternehmen haben wir einmal nachgefragt, wie dort die Ausbildungsquoten aussehen.

Die durchschnittliche Ausbildungsquote eines Betriebes mit bis zu 50 Beschäftigten beträgt 7,5 %. Die Ausbildungsquote der Lufthansa beträgt 3,2 %, die Ausbildungsquote der Deutschen Bahn 4,4 %, die von VW 4,7 %, die von Fraport 1,9 %,

(Heinrich Heidel (FDP): Die des DGB?)

die der Adam Opel AG 2,7 %. – Ich glaube nicht, dass das ein Anlass ist, an dieser Stelle merkwürdige Zwischenfragen zu stellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Dies ist vielmehr ein Anlass, an dieser Stelle zu sagen: Da muss endlich etwas passieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Axel Winter- meyer (CDU): Bleiben Sie doch objektiv!)

Leider ist Herr Koch nicht anwesend.Aber ich fordere ihn auf, an dieser Stelle seine guten Kontakte zur Wirtschaft, derer er sich immer rühmt, zu nutzen, um bei den Großbetrieben für die Einrichtung von Ausbildungsstellen zu werben. Bevor Steuergelder ausgegeben werden, bevor subventioniert wird, sind die Großbetriebe in diesem Land dran, die sonst letztendlich als die Schmarotzer der kleinen und mittleren Unternehmen – –

(Michael Boddenberg (CDU): Machen Sie einmal halblang!)

Sie gehören doch selbst zu den mittelständischen Unternehmen, und Sie wissen: Von den gut ausgebildeten Leuten des Mittelstandes profitieren die Großunternehmen, die ihren Ausbildungsverpflichtungen nicht selbst nachkommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zurück zum Vorschlag des DGB. Zum allseitigen Erstaunen stellte sich der Ministerpräsident mit der größtmöglichen Öffentlichkeitswirksamkeit auf dem Geburtstag des hessischen DGB hinter dieses Programm und an die Seite des DGB. Ausgerechnet Roland Koch, der in den letzten Jahren eher auf sein Profil als Vollstrecker von sozialen Grausamkeiten gesetzt hat.Aber auch er weiß, dass wir in den nächsten Jahren einen eklatanten Fachkräftemangel und einen Mangel an Führungskräften bekommen werden. Auch er weiß, dass wir uns sozialen Sprengstoff dauerhaft nicht werden leisten können.

Wenn sich beim Herrn Ministerpräsidenten die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass wir hier ein Problem haben, wenn Sie wissen, wer die Lösung bezahlt, und wenn sich die Erkenntnis auch dahin durchsetzt, dass Sie auch als Land stärker in die Verantwortung gehen – nicht nur, wenn es um Bundesgelder bzw. um Gelder der Bundesagentur geht –, dann ist für die Sache der Jugendlichen viel gewonnen.

Aber die Unterstützung des DGB-Vorschlags traf bei den Parteifreunden in Berlin, gelinde gesagt, auf wenig Gegenliebe,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorsichtig ausgedrückt! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sehr vorsichtig!)

um nicht zu sagen: Für Ihre Unterstützung wurden Sie aus Berlin regelrecht abgewatscht.Als Erste erklärte nämlich die Bundeskanzlerin: Über das Maß hinaus, das die Bundesagentur jetzt macht, sehe ich da keine Spielräume; ich finde diesen Vorschlag nicht so gut.

Als Nächster erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende Kauder: Für millionen- oder gar milliardenschwere Ausgabenprogramme, etwa für junge Arbeitslose, gibt es keinen Spielraum. – Kauder bezog sich mit seinen Aussagen ausdrücklich auch auf die Forderungen seines Parteifreundes Roland Koch.

Das heißt,in Berlin hat man Roland Koch mit seinem Vorschlag einmal deftig gegen die Wand laufen lassen. Offenbar war dieser Vorschlag nicht abgesprochen, und er scheint keinerlei Aussicht auf Realisierung zu haben.

Das heißt, der Versuch des Roland Koch, sich als Anwalt derer, die am Rande stehen, zu präsentieren, wurde von der CDU-Bundesspitze in ihrer kompromisslosen Art abgeschmettert.

(Petra Fuhrmann (SPD):Wahrscheinlich haben die gedacht, der soll erst mal zu Hause seine Hausaufgaben erledigen! – Gegenrufe von der CDU – Frank Gotthardt (CDU): Das war schon eine Zwischenrede!)

Die Art, wie dies geschehen ist, lässt nichts Gutes über die Einflussmöglichkeiten von Roland Koch in Berlin ahnen.

Das Interessanteste daran finde ich die Tatsache, dass ihn nicht nur Berlin hat vor die Wand laufen lassen.Wenn Sie den Antrag der hessischen CDU-Fraktion sehen, dann stellen wir fest: Berlin lässt Roland Koch gegen die Wand

laufen – und wenn er sich umdreht, steht nicht einmal mehr die hessische CDU-Fraktion hinter ihm.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Das müsste ich wissen!)