Protokoll der Sitzung vom 05.10.2006

Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen.

(Zurufe von allen Seiten: Guten Morgen, Herr Prä- sident!)

Guten Morgen.– Das sind die pawlowschen Reflexe früherer Schüler. Das ist so in Ordnung.

Wir haben heute die 113. Plenarsitzung, die ich hiermit eröffne. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest. – Dem wird nicht widersprochen.

Zur Tagesordnung teile ich Ihnen mit, dass die Punkte 1, 2 a, b und c, 3, 6, 10 und 17 abgehandelt sind.

Noch eingegangen ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Moratorium für Gentechnik in der Landwirtschaft, Drucks. 16/6107. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag zum Tagesordnungspunkt 58 erhoben.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und gemeinsam mit Tagesordnungspunkt 30 aufgerufen!)

Er wird gemeinsam mit Tagesordnungspunkt 30 aufgerufen. – Kein Widerspruch, somit beschlossen.

Wir tagen heute bis 19 Uhr und machen nur eine Stunde Mittagspause. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 36, dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Thema Bildung, Drucks. 16/6070. Dabei nehmen wir Tagesordnungspunkt 56 mit. Danach folgt die dritte Lesung des Studienbeitragsgesetzes, zusammen mit Tagesordnungspunkt 15.

Herr Staatsminister Hoff ist für heute Vormittag entschuldigt.

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen zwei Mitteilungen machen. Die eine haben Sie der Presse entnommen, ich will es hier erwähnen.

Ich möchte herzlich gratulieren, Frau Kollegin Wagner, nicht mit der Überschrift der dpa-Meldung. – Herr Kollege Wagner, würden Sie mir vielleicht einmal den Blick zu Frau Wagner freimachen? Der ist momentan angenehmer als der Ihrige. – Sehr geehrte Frau Wagner, ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses zur Verleihung des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland durch Herrn Bundespräsidenten Köhler ganz herzlich.

(Allgemeiner Beifall)

Das ist eine große Auszeichnung für Sie.Ein bisschen wollen wir uns dadurch mit geehrt fühlen.

Sie haben es gemeinsam mit vier anderen verliehen bekommen, jedenfalls laut dpa-Meldung: Beckenbauer, Scholl-Latour, Hänsch und Wim Wenders.Wer immer das ausgesucht hat, der muss Sie gut gekannt haben: Beckenbauer – Libero, Spielgestalter, das passt. Hänsch – Physik, immer in Hochspannung. Scholl-Latour – mit Adleraugen alles beobachtend und kommentierend. Und Wim Wenders – Frau Wagner, Sie sind halt immer im Film. Herzlichen Glückwunsch zu dieser hohen Auszeichnung.

(Allgemeiner Beifall – Der Präsident gratuliert Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) und überreicht ihr einen Blumenstrauß.)

Meine Damen und Herren, gestern Abend endete die Fußballsaison für die Landtagsmannschaft. Wir freuen uns immer. Ich will Ihnen ernsthaft sagen, unsere Mannschaft hat eine tolle Saison gespielt, Gratulation auch zum Sieg gestern Abend.

(Allgemeiner Beifall)

Fußball is coming home. Diese Saison war erfolgreicher als die andere. Wir haben 4 : 3 gewonnen. Dies ist ein gutes Ergebnis. Ich bedanke mich bei Lothar Quanz, dem Teammanager,und auch den guten Gästen,die wir hatten, vom Unterhaus über die Wunder-von-Bern-Elf bis zu den amerikanischen Streitkräften. Gestern Abend haben wir noch eine Klinik versenkt – ich meine: fußballerisch, mit 4 : 3, eine tolle Truppe. Gratulation allen, die mitgewirkt haben, aus Landtag, Regierung und Mitarbeitern.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Bildung für alle – Drucks. 16/6070 –

zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 56:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Hessen schafft gute Bildung für alle – Drucks. 16/6098 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Ich erteile Frau Abg. Habermann für die Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In seiner Berliner Rede hat Bundespräsident Köhler verdeutlicht, dass die Zukunftsfähigkeit unseres Landes davon abhängt, dass es uns gelingt, die Bildungspotenziale der Jugend zukünftig besser auszuschöpfen.

Dabei hat ein Ziel Priorität: das Ziel einer Entkoppelung von Herkunft und Bildungserwerb.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren,es ist beschämend,dass immer noch der Status einer Familie darüber entscheidet, welche Schulbildung ein Kind bekommt und welche Schulform es besucht.

Gleiche Bildungschancen und höhere Bildungsbeteiligung auch im Prozess des lebenslangen Lernens sind Voraussetzung für ein erfolgreiches Bildungssystem, das weniger junge Menschen zu Bildungsverlierern stempelt und ohne ausreichende Qualifizierung in eine unbefriedigende berufliche Perspektive entlässt.Auf eine kurze Formel gebracht: Wir brauchen weniger Schulversager und mehr Abiturienten,

(Beifall bei der SPD)

nicht nur im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern ebenso im Interesse jedes einzelnen Kindes.

Meine Damen und Herren, um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es großer zusätzlicher Anstrengungen in der Bil

dung. Man kann nicht nur mehr Qualität verkünden, man muss auch ihre Entwicklung zulassen und sie finanzieren.

Dabei stehen alle Angebote und Strukturen im Bildungssystem auf dem Prüfstand. Ideologische Tabus und veraltete Begabungstheorien verhindern es,unser Bildungssystem so zu verändern, dass die Kinder mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen,Talenten und Anforderungen im Mittelpunkt der Bildungspolitik stehen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn wir über veraltete Ausleseideologien statt individueller Förderkonzepte reden, dann reden wir über die hessische Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Immer wieder attestieren uns internationale und nationale Vergleichsstudien schlechte Ergebnisse im hessischen Bildungssystem. Immer wieder verschließen die Regierungspartei und die Kultusministerin davor die Augen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Jedes schlechte Ergebnis wird gebetsmühlenartig damit kommentiert, Hessen befinde sich auf dem Weg zum Bildungsland Nummer eins.

(Norbert Schmitt (SPD): Da lachen ja die Hühner, und der Hahn auch!)

Meine Damen und Herren, so wird die notwendige Debatte über den Weg zu gerechten Bildungschancen in Hessen verweigert.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU, solange Sie nur schöne Etiketten kleben, statt Veränderungen einzuleiten – wie beim Stichwort Ganztagsschule oder bei der frühkindlichen Bildung –, bleibt die Bildungspolitik der CDU das, was sie ist: schlecht, rückwärtsgewandt und selektiv.

(Beifall bei der SPD)

Bis heute haben Sie keine konzeptionelle Perspektive entwickelt, um den Schlüssel für die skandalöse Schieflage beim Zugang zu Bildungschancen zu finden.

Meine Damen und Herren, die Forderung nach einer verstärkten Durchlässigkeit unseres Schulsystems wird inzwischen breit getragen, gefordert von der Fachwissenschaft, von Arbeitgeber- und Wirtschaftsvereinigungen, von Lehrkräften und Eltern: mehr individuelle Chancen statt starr gegeneinander abgegrenzter Schulformen. Auch ohne Schulformdebatte ist dieses Strukturmerkmal in der Bildungspolitik der Länder angekommen. Lehrpläne verlieren die starke Orientierung an Schulformen und werden zu Kernaussagen über alters- und stufenorientierte Kompetenzen und Fähigkeiten. Schulformwechsel wird in Ländergesetzen vereinfacht, Schulformen werden aufgelöst; denn es gilt nicht, Schulformen zu stärken, sondern die Schülerinnen und Schüler, die dort unterrichtet werden.

(Beifall bei der SPD)

Dabei gehen die einzelnen Bundesländer durchaus unterschiedliche Wege. Schleswig-Holstein und MecklenburgVorpommern setzen mit ihren Großen Koalitionen auf die Gemeinschaftsschule. Hamburg löst die Hauptschule auf. Sachsen setzt auf das zweigliedrige System, und Nordrhein-Westfalen gibt den Schulen durch den Verzicht auf umfängliche Schulformen, bildungsgangbezogene Lehrpläne und weitgehende Selbstverantwortung die

Möglichkeit, selbst eine höhere Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen aufzubauen.

Doch in Hessen gehen die Uhren anders. Der Grundsatz der Durchlässigkeit zwischen den Schulformen wurde aus dem Hessischen Schulgesetz gestrichen. Konsequent wurde die Abschottung zwischen den Bildungsgängen erhöht und durch erweiterte Abstufungsinstrumente wie die Querversetzung abgesichert. Nur noch ein paar ewiggestrige Bildungsminister in Deutschland verbreiten noch die alten ideologischen Begabungstheorien, die davon ausgehen, man könne Kinder in drei Begabungsniveaus einteilen und werde so der Vielfalt von Talenten und persönlichen Interessen und Schwerpunkten gerecht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Die Schöpfungslehre à la CDU!)