Protokoll der Sitzung vom 06.10.2006

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Der Redner versucht, das Pult in der Höhe zu ver- ändern. Das Pult quietscht. – Frank-Peter Kauf- mann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt macht er schon wieder das Rednerpult kaputt!)

Das Pult machen andere kaputt. Herr Kollege Kaufmann, ich versuche nur, es zu bedienen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir diskutieren heute über eine Frage, die den Hessischen Landtag seit über zweieinhalb Jahren beschäftigt. Dabei geht es um die Bleiberechtsregelung, also um die Frage, wie man mit Menschen in diesem Land umgeht, die schon seit langer Zeit hier sind.

Vorab will ich sagen, dass wir Liberale gemeinsam mit der CDU im Jahr 2004 eine Entscheidung getroffen haben, die die Ausländerpolitik in unserem Bundesland ganz deutlich nach vorne gebracht hat. Mit der Einrichtung der Härtefallkommission haben wir es geschafft – die Vorrednerin und Vorredner haben es schon gesagt –,über 30 Personen im Einzelfall zu einem Bleiberecht zu verhelfen. Diese Personen können in Hessen bleiben. Das zeigt, dass die Konstruktion, die wir gewählt haben, Früchte trägt, dass sie funktioniert, obwohl sie von Anfang an relativ stark kritisiert wurde.Die Kritik wurde aber durch die Arbeit der Kommission widerlegt.

Frau Kollegin Waschke, ich möchte ganz konkret auf das eingehen, was Sie gerade gesagt haben. Ich bin relativ verwundert, dass Sie die schon im Jahre 2004 geübte Kritik immer gebetsmühlenartig wiederholen, obwohl Sie doch einmal pro Monat mitbekommen müssten, dass in der Härtefallkommission gut und konstruktiv zusammengearbeitet wird und dass das auch Früchte trägt. Ich weiß nicht, was Sie während der letzten Sitzungen dieser Kommission gemacht haben. Sie scheinen nicht teilgenommen zu haben.Vielleicht waren Sie körperlich anwesend.

(Sabine Waschke (SPD): Herr Kollege, Entschuldigung, Sie sollten sich einmal die Ergebnisse anschauen!)

Frau Kollegin Waschke, eines ist doch klar: Die Härtefallkommission wurde unter politisch schwierigen Voraussetzungen instruiert, eine Aufgabe zu übernehmen. Sie soll sich mit dem Schicksal einzelner Personen auseinandersetzen. Das macht sie Monat für Monat. Sie kümmert sich darum. Sie kümmert sich um den Einzelfall.

Sie argumentieren immer wieder nach dem Motto, in der Kommission müssten eigentlich Experten von außen sitzen. Das lässt doch nur den Rückschluss zu, dass Sie sich nicht als Expertin auf diesem Gebiet verstehen. Frau Kollegin Waschke, das mag bei Ihnen zutreffen.Aber das gilt nicht für alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses.Ich halte mich schon für jemanden, der mit Fachkenntnis an diese Fälle herangeht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie das für sich nicht so empfinden, sollten Sie überlegen, ob Sie weiterhin an den Sitzungen der Härtefallkommission teilnehmen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU – Sabine Waschke (SPD): Das ist eine Unverschämtheit!)

Das ist keine Unverschämtheit. Ich muss sagen: Mir reicht es langsam. – Sie behaupten immer wieder, wir kämen in der Kommission nicht vorwärts. Das ist doch falsch. Die Zahlen, die Sie selbst vorgetragen haben, belegen doch das Gegenteil. Natürlich kommen wir vorwärts. Wir entscheiden über Einzelfälle.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Das ist eine ganz arrogante Haltung!)

Dass wir uns die Arbeit nicht einfach machen, zeigt sich auch an dem, was Herr Kollege Bellino gerade gesagt hat. Sehr oft ringen wir sehr lange mit solchen Fällen.Wir diskutieren das dann hin und her.Wir diskutieren diese Fälle auch über die Parteigrenzen hinweg. Wenn Sie das nicht anerkennen, dann scheinen Sie die Arbeit der Härtefallkommission nicht angemessen zu verfolgen.

(Sabine Waschke (SPD): Ich finde, das ist eine Unverschämtheit!)

Meine Damen und Herren, das können Sie gerne als Unverschämtheit abtun. Das ist mir egal.

Ich sage Ihnen: Wir werden diese Arbeit fortsetzen. Wir werden diese Arbeit auch erfolgreich fortführen. Das zeigt auch, dass es nicht darum geht, wer diese Arbeit macht oder dass man einer bestimmten Interessengruppe in eine solche Institution hineinhelfen muss. Vielmehr kann man auch so die Arbeit ordentlich machen. Das nehme ich jedenfalls für die FDP-Fraktion hinsichtlich der Arbeit dieser Kommission in Anspruch.

(Beifall bei der FDP)

Ich sehe, dem stimmen weitere Kollegen zu. Herr Kollege Frömmrich hat eben genickt. Er sieht das auch so. Es freut mich, dass wir da über Parteigrenzen hinweg doch relativ viel Einigkeit haben.

Das wollte ich als Vorbemerkung und zur Rede der Frau Kollegin Waschke sagen.

Ich möchte Ihnen sagen, dass die seit eineinhalb Jahren andauernde Arbeit der Härtefallkommission meines Erachtens sehr klar gezeigt hat, dass es immer wieder Fälle gibt, die man nicht in bestimmte Muster hineinpressen kann. Die Arbeit der Härtefallkommission zeigt auch: Es geht um Schicksale. Es geht um Menschen, die schon seit langer Zeit in unserem Bundesland verweilen.– Aufgrund ihrer Sozialisierung in unserem Bundesland haben diese Menschen meines Erachtens ein Anrecht darauf, in unserem Bundesland zu bleiben. Dieses Anrecht haben aber nicht alle, sondern nur ein Teil dieser Menschen.

Ich will Ihnen das sagen, weil ich glaube, dass eine Bleiberechtsregelung natürlich der richtige Schritt wäre, um den Aufenthalt einer großen Zahl dieser Menschen in unserem Land zu legalisieren. Sie haben von 15.000 Menschen gesprochen. Wenn in unserem Bundesland die Bleiberechtsregelung eingeführt werden sollte, werden davon natürlich nicht alle 15.000 profitieren. Das ist es, was Sie vergessen. Das vergisst auch Herr Kollege Frömmrich immer in der Diskussion zu sagen. Mit Ihren Anträgen suggerieren Sie, dass die 15.000 Menschen nach der Bleiberechtregelung in Hessen bleiben könnten.

(Sabine Waschke (SPD): Das ist doch Quatsch!)

Das wird aber nicht der Fall sein. Denn von den Kriterien, die Sie gerade eben selbst genannt haben – –

(Sabine Waschke (SPD): Das ist doch Quatsch!)

Frau Kollegin Waschke, Sie können sich doch zu einer Kurzintervention zu Wort melden und dann nachher von hier vorne aus reden. Diese dauernden Zwischenrufe nerven wirklich.

(Zurufe von der SPD)

Sie nerven. Frau Kollegin Waschke, ich gebe es Ihnen offen zu: Das nervt mich nicht nur hier. Das nervt mich auch während der Ausschusssitzungen.Das muss ich Ihnen ehrlich sagen.

(Lachen des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das können wir dort noch einmal diskutieren. Diese Zwischenrufe werden auf jeden Fall in der Sache wenig weiterführen.

15.000 Menschen mit Duldungen könnten von einer Bleiberechtsregelung in Hessen betroffen sein. Aber 15.000 Menschen werden nicht hierbleiben können.

Die Kriterien, die Herr Kollege Frömmrich gerade in seiner Kurzintervention genannt hat, sind welche, die auch von den Innenministern in Deutschland immer wieder vorgetragen werden. Es wird gesagt, dass es sich um Menschen handele, die auch Familien hätten und die ohne Sozialhilfe in Deutschland leben könnten. Es wird gesagt, es seien Menschen, die sich hier integriert hätten. Darauf kommt es an. Herr Kollege Frömmrich, das trifft aber nicht auf alle der 15.000 Menschen zu. Meines Erachtens wird noch nicht einmal ein Drittel der Personen davon betroffen sein.

Immerhin war es ein liberaler Innenminister, der diese Diskussion angestoßen hat. Das war Herr Kollege Wolf aus Nordrhein-Westfalen. Er hat relativ frühzeitig, nämlich im Jahr 2005, gesagt: Wir brauchen eine konstruktive Bleiberechtsregelung, damit wir den Aufenthalt eines Großteils der Menschen, über die wir diskutieren, legalisieren können. Denn nicht über alle kann in der Härtefallkommission entschieden werden.

Er hat aber auch gesagt, dass nicht alle, die zurzeit hier leben, von dieser Bleiberechtsregelung, der Härtefallregelung,werden profitieren können.Ich will das ganz konkret sagen. Innenminister Wolf hat damals einen sehr restriktiven Vorschlag gemacht. Er hat nämlich gesagt, er möchte das Bleiberecht daran knüpfen, dass diese Menschen hier Arbeit haben. Die sozialen Sicherungssysteme Deutschlands sollten von diesen Menschen entlastet werden.

Es ist sinnvoll, dass nur die Leute bleiben können, die sich auch selbst ernähren. Dazu steht die FDP. Wir können über diese Frage diskutieren. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, wenn wir ein Bleiberecht aus humanitären Gründen beschließen sollten, dass sich die Menschen, die bleiben, dann auch selbst ernähren können. Es ist nicht sinnvoll, eine Regelung auf Kosten der Sozialkassen der Bundesrepublik Deutschland zu treffen. Die Kommunen müssten das dann letzten Endes ausführen.

Die FDP spricht sich für ein Bleiberecht aus. Sie spricht sich für eine humanitäre Lösung aus. Sie spricht sich aber auch dafür aus, dass sich die Menschen, die bleiben, selbst ernähren können müssen.

Diese Menschen müssen deshalb eine Arbeitserlaubnis haben. Wir kommen damit zum nächsten Problem. Nicht ohne Grund habe ich im Petitionsausschuss angeregt,dass wir über diese Frage einmal mit Vertretern der Bundes

agentur für Arbeit diskutieren. Das, was wir zurzeit in Deutschland machen, ist ein Unding. Wir schieben diese Menschen hin und her. Dabei geht es um die Aufenthaltserlaubnis und die Arbeitserlaubnis. Das kann nicht Ziel der Ausländerpolitik der Bundesrepublik Deutschland sein.

Menschen, die keine Aufenthaltserlaubnis haben, bekommen keine Arbeitserlaubnis.Menschen,die keine Arbeitserlaubnis haben, bekommen keine Aufenthaltserlaubnis. Darin besteht die Perversität in dieser Diskussion. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wir können die Menschen nicht zwischen zwei öffentlichen Verwaltungen hin- und herschieben. Wir brauchen hier eine klare Regelung. Wir Liberale sprechen uns dafür aus, dass das geklärt wird.

(Beifall bei der FDP)

Ich hoffe, dass uns ein Gespräch mit dem Leiter der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit, Herrn Forell, weiterbringt. Ich glaube, dass wir für diesen Bereich andere Regelungen brauchen. Ich traue dem Innenminister des Landes Hessen zu, dass er in der Lage ist, solche Regelungen für das Land Hessen auszuhandeln. Er hat ein Interesse daran, dass wir zu einer Lösung kommen.

(Minister Volker Bouffier: Ich bin heute Morgen in einer völlig ungewohnten Rolle!)

Das stimmt. Sie werden heute so gelobt, wie es noch nie der Fall war. Das kommt auch mir merkwürdig vor.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Herr Innenminister, das zeigt, dass auch die CDU unseres Bundeslandes eine Veränderung hinsichtlich ihrer Ausländerpolitik vorgenommen hat.Dass wir heute mit Ihnen über die Frage diskutieren, ob wir in Deutschland eine Bleiberechtsregelung brauchen, hätte ich mir vor zwei Jahren, als wir die Härtefallkommission eingerichtet haben, noch nicht vorstellen können. Das sage ich ganz ehrlich.

Ich glaube, innerhalb der hessischen Union hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden.Auch Sie haben erkannt, dass es nicht sinnvoll ist, Menschen in Länder zurückzuführen, die sie nicht mehr kennen. Die Kinder wissen überhaupt nicht, woher sie kommen. Die Heimat dieser Kinder ist in vielen Fällen die Bundesrepublik Deutschland.

Herr Kollege Frömmrich, ich will auf etwas eingehen, was Sie eben gesagt haben. Sie haben vorhin gesagt, dass wir die Menschen und deren Kinder hier ausbilden. Wir investieren in sie. Dann führen wir sie in Länder zurück, die sie als Heimat gar nicht mehr kennen. Ich teile diese Ansicht. Ich glaube, dass wir damit in vielen Fällen, volkswirtschaftlich gesehen, nicht richtig handeln.

Genauso richtig ist auch etwas anderes. Das haben die Mitglieder des Petitionsausschusses auf ihrer Fahrt in den Kosovo selbst erfahren können. In vielen Ländern wird erwartet, dass die Bürgerkriegsflüchtlinge zurückgeführt werden.Denn irgendjemand muss in diesen Ländern auch die Aufbauarbeit leisten. Es kann doch nicht sein, dass dort nur die Alten und Kranken zurückgeblieben sind – so war es zu einem großen Teil im Kosovo –,während sich die jungen Menschen mittlerweile in Westeuropa aufhalten. Wer leistet in diesen Ländern die Aufbauarbeit?

Während dieser Fahrt konnten wir erleben, dass uns Leute gesagt haben: Schickt uns bitte unsere Menschen zurück, denn wir können den Aufbau nicht alleine schaf

fen. – Das gehört genauso zur Wahrheit dazu wie die Tatsache, dass wir einen Teil der Menschen aus humanitären Gründen hierbleiben lassen müssen.

(Beifall des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP) und bei Abgeordneten der CDU)

Wir müssen also einen Teil der Menschen zurückführen. Als Beispiel können wir die Bundesrepublik Deutschland nehmen. Dieses Land wäre nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut worden, wenn sich damals die jungen und kräftigen Menschen aus diesem Land verabschiedet hätten. Diese Länder brauchen die kräftigen jungen und geistig potenten Menschen, damit dort die Aufbauarbeit geleistet wird.