Protokoll der Sitzung vom 14.12.2006

Das war in der Vergangenheit nicht so, das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht so,und das wird auch in Zukunft nicht so sein. Ich würde aber auch von keinem Minister, der beispielsweise einer GRÜNEN-Fraktion angehört, verlangen,kritiklos das zu übernehmen,was in Berlin passiert. Das kann nicht die Aufgabe eines Ministers sein. Sie haben zwar sehr angenehm gesprochen, aber zur Sache wenig beigetragen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung hätte sich weitreichendere Konsequenzen seitens der Europäischen Union gewünscht, als dies erfolgt ist.

(Beifall bei der CDU)

Das haben wir – der Ministerpräsident und ich – an verschiedenen Stellen erklärt. Davon gibt es nichts zurückzunehmen, weil wir der Auffassung sind, dass es geboten ist, weitergehende Konsequenzen zu ziehen, als dies die EUAußenminister gemacht haben, wenn jemand in Verhandlungen über einen Beitritt steht und bestimmte vertraglich vereinbarte Meilensteine nicht erfüllt.Das möchte ich vor die Klammer ziehen.

(Beifall bei der CDU)

Gleichwohl haben die EU-Außenminister am Montag vereinbart, wie sie in dieser Situation vorgehen. Hierzu möchte ich gern etwas sagen. Es ist nicht nur eine Frage der hessischen CDU, sondern es gibt eine Reihe von Außenministern von Mitgliedstaaten der Europäischen Union – ich nenne z. B. Holland, Griechenland, Zypern und Österreich –,die ebenfalls der Auffassung waren,dass die Konsequenzen, die in dieser Angelegenheit zu ziehen sind, umfangreicher sein sollten, als dies am vergangenen Montag der Fall war.

Meine Damen und Herren,zu den Konsequenzen,die von den EU-Außenministern am vergangenen Montag gezogen worden sind, ist aus unserer Sicht Folgendes festzuhalten: Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden; denn diese Konsequenzen machen deutlich, dass letztlich ergebnisoffene Verhandlungen geführt werden. Ich persönlich bin der Auffassung, dass es – wer auch immer aussteigen wird – keinen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union geben wird.

Wir sollten uns frühzeitig damit beschäftigen, welche Konsequenzen das in Deutschland zur Folge hat. Das ist eine Frage, die das Parlament und die Hessische Landesregierung tangiert; denn die Bundesrepublik Deutschland ist das Land in Europa mit den meisten Menschen mit einem türkischen Pass oder mit türkischen Wurzeln.Das bedeutet, dass wir an dem Tag, an dem klar wird, dass ein Beitritt – aus welchen Gründen auch immer – nicht zustande kommt,uns darum bemühen müssen,die dann ent

stehende Enttäuschung zu kanalisieren und damit politisch umzugehen.

(Beifall bei der CDU)

Das wird eine Aufgabe sein, um die wir uns sehr frühzeitig kümmern müssen. Mit dem Beschluss der EU-Außenminister vom vergangenen Montag ist jedoch deutlich geworden, dass ergebnisoffen diskutiert wird.

Zudem gibt es ein Monitoring, das in der Diskussion oft unterschlagen wird. Die EU-Außenminister haben nicht nur beschlossen, dass über acht Kapitel zunächst nicht weiterverhandelt werden kann, bis die Türkei die Vorgaben des Ankara-Protokolls erfüllt hat. Sondern darüber hinaus wurde vereinbart, dass in den Jahren 2007, 2008 und 2009 die Fortschritte innerhalb der Türkei stärker überprüft werden und es zu weiteren Konsequenzen in den Verhandlungen führt, wenn die Fortschritte weiter so langsam wie bisher vonstatten gehen.

Meine Damen und Herren, daher sind wir mit dem Beschluss der EU-Außenminister vom vergangenen Montag auf einem Weg, dass der Türkei gezeigt wird, dass sie erstens die vertraglichen Vereinbarungen in vollem Umfang erfüllen muss und zweitens das Tempo des Umbaus, insbesondere in Fragen des Rechtssystems, der Menschenrechte und in vielen anderen Bereichen, deutlich beschleunigen muss, wenn sie ernsthaft an einem Beitritt zur Europäischen Union interessiert ist. Diese Position hält die Hessische Landesregierung für sehr sinnvoll. Wir möchten gern diesen Druck aufbauen, damit wir am Ende zu Ergebnissen kommen.

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung begrüßt ausdrücklich diese Aktuelle Stunde.

Sie werden natürlich überall auf die Frage des Türkei-Beitritts angesprochen, insbesondere in der jetzigen Situation, in der alle Zeitungen über die damit verbundenen Probleme berichten. Es wäre ein schwerwiegender Fehler der Politik, wenn sie auf diese Diskussion nicht im Rahmen einer Aktuellen Stunde des Hessischen Landtags reagieren würde. Deshalb ist es richtig, dass wir diese Debatte führen. Wir werden uns als Hessische Landesregierung wie in der Vergangenheit konstruktiv und sachlich an der Diskussion beteiligen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, damit ist diese Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 37 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Lotteriestaatsvertrag stoppen – Drucks. 16/6555 –

Es ist eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion vereinbart worden. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Sportwettenmonopol ist beendet. Sportwettenmonopol ade. Die Ministerpräsidenten haben gestern ein Suchtbekämpfungsmonopol auf die Schiene gelegt. Mit

dem neuen Suchtbekämpfungsmonopol, das die Ministerpräsidenten gestern angelegt haben, verspielen sie die Einnahmen sowohl für den Sport als auch für den Denkmalschutz und die politische Jugendarbeit. Somit wird Geld, das der Gesellschaft zur Verfügung zu stehen hat, schlicht verzockt.

(Beifall bei der FDP)

Leider weist in der öffentlichen Diskussion – heute vielleicht ein bisschen beginnend in der Zeitung „Die Welt“ – niemand auf die Probleme hin, mit denen wir uns tatsächlich auseinanderzusetzen haben. Es scheint – ich verwende bewusst den Begriff „scheint“ –, als würde eine Prolongierung des Sportwettenmonopols sicherstellen, dass die Einnahmen – allein in Hessen bewegen sie sich im zweistelligen Millionenbereich – für das Ehrenamt, für Sport, für Denkmalschutz und Kultur sowie für politische Jugendarbeit gerettet werden könnten. Mitnichten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai dieses Jahres ist das Sportwettenmonopol beerdigt worden. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf es kein Sportwettenmonopol mehr geben.

(Beifall bei der FDP – Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch gar nicht!)

Bitte lesen Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das sehen selbst die Ministerpräsidenten so. Aus diesem Grunde haben sie einen Strohhalm genutzt, der in dem Urteil enthalten ist.

Die Ministerpräsidenten haben zum Ausdruck gebracht, dass sie das Sportwettenmonopol retten wollen,da sie nun nämlich beabsichtigten, die Sucht zu bekämpfen. Ein Monopol darf man aber nur dann erhalten – so die Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts –, wenn es einen inhaltlich wichtigen Grund hierfür gibt. Dieser hätte z. B. die Bekämpfung der Sucht sein können, schreiben die Bundesverfassungsrichter. Nach diesem Strohhalm haben die Ministerpräsidenten bzw. die Minister, die für die Aufsicht über die Veranstaltungen des Glücksspiels und der Sportwetten zuständig sind, gegriffen.

Jetzt möchte ich Ihnen einmal schildern, was Dr. Theo Zwanziger vor wenigen Wochen auf einer Konferenz der FDP-Fraktionsvorsitzenden des Bundes und der Länder uns am Frankfurter Flughafen vorgetragen hat:Wenn der neue Vertrag in geltendes Recht umgesetzt wird, dann werden wir für das Produkt Sportwetten keine Werbung mehr machen dürfen. Das hat zur Folge, dass sich weniger Menschen mit den Sportwetten auseinandersetzen oder dort kaufen und einzahlen.

Zum Zweiten muss es eine Einschränkung der Verkaufsstellen geben. Es ist im Übrigen unstreitig – das sagen auch die jeweiligen Lottochefs der Länder –, dass sie mit der jetzigen Zahl der Verkaufsstellen gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoßen. Denn es ist klar: Je mehr Verkaufsstellen, desto mehr kann man der Sucht frönen. Wir machen dies ja gerade, um die Sucht zu bekämpfen.Also müssen es weniger Verkaufsstellen werden. Das geht nicht von heute auf morgen, weil Verträge einzuhalten sind. Das geht aber relativ flott. Innerhalb von zwei Jahren können sie die Zahl in Hessen auf jeden Fall um ein Drittel reduzieren, mit der Folge, dass weniger ODDSET spielen, weil sie gar nicht mehr die Möglichkeit haben, das zu tun. Im Übrigen wird

eine weitere Folge sein, dass gerade viele der TanteEmma-Läden

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

ich nehme das Wort bewusst mit Gänsefüßchen vorne und hinten –, die auf dem flachen Land teilweise nur noch deshalb leben, weil sie Verkaufsstellen von LOTTO und ODDSET sind, ebenfalls schließen müssen.

(Beifall bei der FDP)

Mit der Umsetzung des neuen Vertrages ist also eine regionalpolitische Herkulestat verbunden.

Zusammenfassend ist festzustellen: Es wird weniger eingenommen werden können, weil nicht mehr geworben wird. Und es wird weniger eingenommen werden können, weil es weniger Verkaufsstellen gibt.

Zu dem dritten Thema Internet will ich jetzt nicht Stellung nehmen, weil keiner weiß, was eigentlich Absicht der Sportwettenveranstalter ist. Auf der einen Seite nehmen sie es heraus – es gibt zurzeit keine Möglichkeit der Internetnutzung.Auf der anderen Seite verabreden sie sich offensichtlich doch, dass es bundesweit gemacht werden soll.Letzteres halte ich für vernünftig,weiß aber nicht,wie es sich bis Januar endgültig entwickelt haben wird.Wir haben also weniger Einnahmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann kommen wir zu den Ausgaben. Bisher ist das Geld ungefiltert zum Beispiel zum Landessportbund, an den Ring politischer Jugend oder an die Stiftung Denkmalschutz geflossen. Das darf jetzt nicht mehr sein. Bitte bedenken Sie:Wir haben kein Sportwettenmonopol mehr, sondern wir haben ein Suchtbekämpfungsmonopol.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Quatsch!)

Was heißt denn „Quatsch“? Herr Kollege Frömmrich, haben Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht verstanden, nicht gelesen oder wollen Sie sie ignorieren? Wir wollen sie nicht ignorieren.

(Beifall bei der FDP)

Wir wissen, dass dann ein Teil des Geldes zur aktiven Bekämpfung von Suchtproblematiken ausgegeben werden muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen. Die Ministerpräsidenten haben gestern gesagt, sie wollen das Geld für die Gesellschaft retten.Meine sehr verehrten Damen und Herren,verzocken Sie das Geld für die Gesellschaft nicht.

(Beifall bei der FDP)

Denn das Geld kommt gar nicht mehr über ODDSET und andere staatliche Sportwettenveranstalter in den Sack hinein.Wenn es ausgegeben werden muss, muss mindestens eine Teilmenge von über 30 % – so sehen es die Richter in Karlsruhe – zusätzlich zur Suchtbekämpfung ausgegeben werden.

Das alles macht deutlich, wie absurd es ist, dass die Ministerpräsidenten und die zuständigen Minister meinen, sie müssten etwas verteidigen und retten, was es nicht mehr gibt. Herr Innenminister, das Sportwettenmonopol alter Zeiten gibt es nicht mehr – wir, eine gemeinsame Koalition, haben Hand in Hand dafür gekämpft, dass das noch verlängert worden ist –, sondern es gibt jetzt ein anderes Monopol mit verheerenden Folgen für die Einnahme

seite, insbesondere für die Sportbünde, den Denkmalschutz und die politische Jugendarbeit.

Weitere Bemerkung. All das, was in diesem Vertragsentwurf steht, ist rechtlich höchst streitig. Ich kann mich daran erinnern – der Justizminister ist gerade nicht da –,

(Nicola Beer (FDP): Er weiß, warum!)

dass der Justizminister vor einigen Monaten, als Frau Beer und ich den Gesetzentwurf zum Jugendstrafvollzug vorgestellt haben,gesagt hat,es sei ein Schnellschuss.Man müsse in aller Ruhe einmal überlegen, wie die Problemlagen seien. Ich will Ihnen nur sagen, damit wir auch wissen, worüber wir reden – objektiver Bericht –: Beide Male hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, es müsse ein Gesetz gemacht werden oder ein Vertrag abgeschlossen werden. Beide Male hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Er muss am 31.12.2007 stehen.