Protokoll der Sitzung vom 30.01.2007

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Aloys Lenz und Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Mithilfe des Euro konnten wir Probleme auf dem Weltmarkt und auf den Währungsmärkten der Welt überstehen,die wir ansonsten nicht so gut hätten überstehen können. Das wäre mit der Deutschen Mark so nicht gelaufen. Das muss man anerkennen.

Das Problem besteht aber darin, dass der Euro-Stabilitätspakt von Hans Eichel – Sie erinnern sich, das war früher unser Bundesfinanzminister –, leider nicht gebremst durch Jean-Claude Juncker – er hätte es besser wissen müssen –, aufgrund vordergründiger Interessen aufgeweicht wurde.

Hinzu kommt, dass die wohlfeile Forderung erhoben wird, man solle mehr Konsultationen zwischen der Europäischen Zentralbank und der Politik durchführen. Hinter der Forderung verbirgt sich der Wunsch, die Europäische Zentralbank zu demontieren. Ihr sollen andere Ziele als das primäre Ziel der Währungsstabilität oktroyiert werden. Dazu sage ich ganz klar: Mit den Liberalen wird das nicht passieren.

(Beifall bei der FDP)

Für uns ist die Europäische Zentralbank die Hüterin der Stabilität des Geldwerts. Das hat sie zu gewährleisten. Sie muss gewährleisten, dass diese Rahmenbedingung für die Wirtschaft Europas eingehalten wird. Die Europäische Zentralbank kann und darf keine Konjunkturpolitik machen.

Ich bin sehr froh darüber, dass sich der jetzige Bundesfinanzminister, Herr Steinbrück, davon distanziert hat. Er sagt, es solle nicht zu mehr Konsultationen kommen, vielmehr müsse die Europäische Zentralbank unabhängig bleiben. Sie muss so unabhängig bleiben, wie es die Deutsche Bundesbank seit ihrer Gründung bis zum Ende der Deutschen Mark gewesen ist. Das ist eine ganz wichtige Herausforderung. Daran müssen wir arbeiten.

Ich komme zum dritten Punkt.Am 25. März 1957, also vor fast 50 Jahren, wurden die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft unterzeichnet. Übrigens besteht die Europäische Atomgemeinschaft, rechtlich gesehen, immer noch. Das ist ein Kuriosum, das auch im Rahmen der neuen Verfassung noch bestehen würde.

Diese beiden Gemeinschaften und die bereits 1951 gegründete Montanunion, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, bilden den Kern des europäischen Einigungswerks. Sie haben uns viel gebracht. Das wurde von allen Vorrednern dankenswerterweise erwähnt. Ich will das aber auch für die FDP noch einmal sagen. Das führte zu einer Friedensperiode, die es zuvor in der gesamten europäischen Geschichte in dieser Länge nicht gegeben hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Selbst wenn die europäische Integration nicht mehr als dieses bewirkt hätte, hätte sie sich bereits gelohnt. Sie ist wirklich auch einen viel höheren Preis wert.

Das Problem der europäischen Integration kann leicht charakterisiert werden. 1957 hatte man es mit sechs natio

nalen Egoismen zu tun. Heute hat man es mit 27 zu tun. Eine Vertiefung der Integrationspolitik, an der 27 Staaten in der gleichen Richtung und in dem gleichen Umfang beteiligt sind, ist schlechterdings undenkbar. Da dürfen wir uns nichts vormachen. Es gibt einen Konflikt zwischen Vertiefung und Erweiterung, den wir nicht wegdiskutieren können. Entweder bekennen wir uns dazu, dass wir weiterhin eine Vertiefung des Zusammenhalts betreiben – ich denke,das ist auf sehr vielen Gebieten erforderlich;ich werde einige davon nennen –, oder aber wir legen die Priorität auf die Erweiterung.

Wenn wir beides haben wollen, gibt es nur eine Möglichkeit. Das kann man als eine Europäische Union der zwei Geschwindigkeiten bezeichnen. Man kann es auch Flexibilität nennen. So wird es im Vertrag genannt. Man kann es auch irgendwie anders nennen.Aber es muss dazu führen, dass es eine europäische Avantgarde gibt, bei der einige Staaten innerhalb der Europäischen Union schneller als die anderen voranmarschieren. Diese Staaten müssen sich schneller als die anderen einigen und ein Beispiel für die anderen sein. Diese Staatenavantgarde muss aber offen für alle anderen sein, die mitmachen wollen.

Wir haben dieses Prinzip schon im Fall des Schengener Abkommens gehabt. Hätten wir auf Großbritannien gewartet, hätten wir noch heute Grenzkontrollen zwischen Deutschland und den Niederlanden. Wir haben das nicht getan. Die Engländer können dem Abkommen beitreten, wann immer sie wollen.

Wir haben die Europäische Währungsunion. Hätten wir auf die Zustimmung aller Staaten gewartet, hätten wir heute den Euro nicht.

In der Europäischen Union sollte also ein Kern an Ländern gebildet werden, die bereit und in der Lage sind, schneller voranzumarschieren. Sie können dann als Beispiel dienen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Denn über all dem Streit über die Mitgliedsbeiträge, die Ordnung des Zuckermarkts – Heinrich Heidel ist gerade nicht da –, die Tabakwerbung und den Weinmarkt – das wurde vorhin angesprochen –

(Christel Hoffmann (SPD): Das ist alles sehr wichtig!)

darf das eigentliche politische Ziel, das Adenauer, Schuman und de Gasperi mit der europäischen Integration stets verbanden, nie in Vergessenheit geraten. Dieses Ziel ist hochpolitisch.Adenauer wollte keine Freihandelszone. Adenauer wollte mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft haben. Adenauer wollte eine europäische politische Union. Das war die Vision, an der er arbeitete.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie mich noch ein paar Worte dazu sagen, wie wir als Liberale uns diese Europäische Union vorstellen. Ich sage das jetzt einmal schlagwortartig. Wir wollen mehr und nicht weniger Europäische Union. Das heißt nicht, dass wir jede Verästelung der Regelungsfantasie auf der Ebene der Europäischen Union mitmachen würden.Aber wir wollen mehr Europäische Union, mehr Integration und mehr und nicht weniger Gemeinschaft.

Wir wollen ein föderales Europa.Die Europäische Union, die wir jetzt haben, ist auf vielen Gebieten schon faktisch eine Föderation.Es handelt sich um ein Gebilde,um einen

Staatenverbund. Das sagt das Bundesverfassungsgericht. Es handelt sich um ein Gebilde, das es ansonsten in dieser Form nicht gibt.

Auf einigen Gebieten ist die Europäische Union bereits föderal. Auf anderen Gebieten ist sie so etwas wie ein Staatenbund. Wiederum auf anderen Gebieten ähnelt sie mehr einem losen Verein.Wir möchten, dass der föderale Teil stärker ausgebaut wird.

Verzeihen Sie mir, dass ich als finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion auch ein paar Bemerkungen zu den Finanzen machen will. Wir möchten nicht, dass es zu einer Steuer der Europäischen Union kommt. Da gibt es bei uns ein ganz klares Votum.

(Beifall bei der FDP)

Wir wissen: Die Lebenserfahrung spricht dafür, dass, wenn es eine Steuer der Europäischen Union gibt, diese von Zeit zu Zeit erhöht wird. Die Lebenserfahrung spricht dafür, dass dann irgendwann gesagt wird, das Aufkommen aus der Steuer reiche nicht mehr aus, die Europäische Union müsse nunmehr Schulden aufnehmen. Die Europäische Union nimmt keine Schulden auf und soll auch keine Schulden aufnehmen können.

(Beifall bei der FDP)

Wir möchten eine Europäische Union mit einem klaren Finanzierungssystem.Dabei soll ganz einfach an das Bruttoinlandsprodukt der Mitgliedstaaten angeknüpft werden. Da kann man eine ganz einfache Regelung treffen. Hinzu kommen die Eigenmittel, die die Europäische Union hat, die aber sicherlich nicht steigen werden.

Wir wollen eine Europäische Union mit Transparenz. Transparenz bedeutet auch eine Transparenz hinsichtlich der Empfänger.Wer nicht zu stolz ist, Geld von der Europäischen Union zu nehmen, der darf auch nicht zu stolz dafür sein, dass sein Name veröffentlicht wird.

(Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Christel Hoffmann (SPD))

Wir Liberale verlangen, dass verdeutlicht wird, wer Geld erhält. Das muss auch für die Projekte gelten. In Portugal und Spanien kann man sehen, dass dort überall mit großen Schildern darauf hingewiesen wird, dass die Europäische Union die Finanzierung übernommen hat. Natürlich organisieren die Mitgliedstaaten das Projekt selbst. Aber das Geld stammt von der Europäischen Union. In Deutschland verschweigen wir das immer ganz gerne.

Lassen Sie mich zu dem vierten Punkt kommen. Das macht die Europäische Union in diesem Jahr besonders interessant. Es geht dabei um die Präsidentschaft im Europäischen Rat. Deutschland hat sie sechs Monate lang inne. Davon sind jetzt, faktisch, noch fünf Monate übrig. Diese Tatsache macht deutlich, dass das ganze System so nicht bleiben kann. Denn zu erwarten, dass bei einem halbjährlichen Wechsel immer eine tolle Politik gemacht werden kann, die nicht nur erdacht und überzeugend vorgetragen werden muss, sondern die auch noch exekutiert werden muss, ist natürlich absoluter Unsinn. Die Politik im Europäischen Rat kann sich nur auf Schwerpunkte beschränken. Es können nur hier und da Schwerpunkte gesetzt werden. Mehr kann nicht erreicht werden. Aber wir werden von dem Unsinn vermutlich erst wegkommen, wenn die Europäische Verfassung in Kraft gesetzt sein wird.

Aus unserer Sicht ist eine der ganz entscheidenden Aufgaben der Präsidentschaft Deutschlands, dafür zu sorgen,

dass die Europäische Verfassung mehr und mehr Anhänger findet. Sie wurde schon jetzt von zahlreichen Staaten ratifiziert.Zwei Staaten haben sie aber ganz bewusst nicht ratifiziert. Diese beiden blockieren das Ganze.

Wir hätten sehr viel mehr Sympathie für eine Lösung gehabt, der zufolge in allen Staaten Europas, die damals zur Europäischen Union gehörten, gemeinsam ein Referendum durchgeführt worden wäre. Damit hätte die Mehrheit der Bürger der Europäischen Union für oder gegen die Annahme der Verfassung entschieden. Dann hätte die Verfassung mit doppelter Mehrheit, nämlich mit der Mehrheit bei den Ländern und mit der Mehrheit bei den Bürgern, angenommen werden können. Dazu ist es nicht gekommen. Mit den Folgen müssen wir uns jetzt herumschlagen.

Eines muss auch klar sein, und zwar trotz allen Respekts vor Herrn Prof. Herzog und seiner Leistung, die Grundrechtscharta zusammenzustellen. Das geschah in dem Konvent unter seinem Vorsitz. Das war eine einmalige Leistung, die dazu geführt hat, dass das Vorhandensein dieser Werte in der Europäischen Union klar herausgestellt wurde. Daran kann jetzt nicht mehr vorbeigegangen werden. Bei allem Respekt vor Herrn Herzog folgen wir ihm doch nicht bei seiner Beurteilung, die Europäische Verfassung sei nichts wert, und deswegen solle sie nicht eingeführt werden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Gerade diejenigen, die auf der Ebene der Europäischen Union ein Defizit an Demokratie beklagen – es ist unleugbar, dass dieses vorhanden ist –, müssen doch dafür sein, dass dort Handlungsfähigkeit hineinkommt. Das betrifft allein schon die Präsidentschaft, dass also die Leitenden für längere Zeit im Amt bleiben.

Es muss mehr Handlungsfähigkeit geben. Das Europäische Parlament muss in der Mehrzahl der Fälle im Entscheidungsverfahren mit dabei sein.Das sollte für ein Parlament eigentlich selbstverständlich sein.

Wer für Länderrechte ist, der muss auch dafür sein, dass die Subsidiarität Verfassungsrang erhält und einklagbar wird. Daraus würden sich ganz entscheidende Vorteile ergeben.

Auch wir hätten uns vorstellen können, dass eine andere Verfassung entwickelt wird. Aber sie wurde auf einem Konvent auf der Grundlage weit divergierender Vorstellungen entwickelt. Man hat sich im Einvernehmen geeinigt.

Ich warne jeden, der meint, eine bessere Verfassung herbeiführen zu können, davor, diese jetzt nicht zu akzeptieren. Das Aufschnüren der Bestimmungen des Entwurfs der Verfassung würde ins Chaos und dazu führen, dass es auf Jahrzehnte nicht zu einer Verfassung kommt. Dann müsste mit der jetzigen Vielzahl der Verträge weitergearbeitet werden. Dann müsste mit den Beschlüssen, die im Vertrag von Nizza niedergelegt wurden, weitergearbeitet werden,die für eine Erweiterung oder eine Vertiefung der Europäischen Union völlig unzureichend sind.

Das kann es also nicht sein. Insofern erlauben wir uns, eine von dem würdigen Herrn Prof. Herzog abweichende Meinung zu haben.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Frank Lortz (CDU) und Christel Hoffmann (SPD))

Worin besteht das Problem? Manche Europäer erinnern sich nur ungern an den Inhalt der Verträge. Sie klagen die Kommission dafür an, dass sie ihren Job wahrnimmt. Der Job der Kommission ist es, die Verträge zu exekutieren. Die Verträge wurden zwischen allen geschlossen. Sie sind für alle verbindlich.

Es wird häufig Angst vor dem europäischen Binnenmarkt geschürt. Ich sage ganz deutlich: Die Diskussion, die hinsichtlich der Dienstleistungsrichtlinie geführt wurde, war in weiten Teilen ein Ergebnis dieser Angst.Wenn ich einen Binnenmarkt haben will, darf ich ihn nicht auf Sachgüter beschränken. Er muss auch Dienstleistungen und die Finanzen umfassen.Dort müssen die vier Freiheiten der Europäischen Union zum Tragen kommen.

Das kann ich nicht in jedem einzelnen Fall für negativ halten und diskutieren. Wettbewerb, offene Märkte und Offenheit gegenüber der restlichen Welt sichern den europäischen und deutschen Wohlstand – nicht Protektionismus, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)