Protokoll der Sitzung vom 31.01.2007

Meine Damen und Herren,man kann sich nicht irgendwie ein Etikett mit Familienpolitik aufkleben. Die Menschen im Lande, die Frauen und Männer, die Kinder haben, schauen sehr genau, ob das Etikett dem entspricht, was drin ist.Wir kommen zu anderen Ergebnissen.

(Beifall bei der SPD)

Die Familien in Hessen schauen sehr genau: Was sind die Versprechen, was sind die Vorstellungen der verschiedenen Parteien? Sie prüfen am realen Leben ab, ob das, was gemacht wird, auch wirklich hilft. Ich glaube, dass die Familien in Hessen zu ganz anderen Ergebnissen kommen, als Sie sich das wünschen.

(Nicola Beer (FDP): Das sehen wir dann bei den Wahlen!)

Genau, das werden wir bei der Wahl sehen. Darauf freuen wir uns natürlich alle.

Meine Damen und Herren, das Etikett Familienfreundlichkeit muss man sich verdienen, das kriegt man nicht einfach so geschenkt. Deshalb können wir Ihnen sagen, dass wir Ihnen das Etikettenkleben nicht durchgehen lassen.

Die CDU hat sehr vielversprechend angefangen. In den Jahren 2001 und 2002 hat sie sich einen hochkarätigen Sozialwissenschaftler,Herrn Dr.Borchert,in die Staatskanzlei geholt und ihn ausarbeiten lassen, was eine gute Politik für Familien wäre. Ich glaube, irgendwie ist das alles in der Versenkung verschwunden. Es gab eine Erklärung. Wir haben in der Großen Anfrage abgefragt, welche der Beschlüsse, die damals gefasst worden sind, derzeit in Beratung oder Umsetzung sind. Die Antwort der Landesregierung war:

Die im „Wiesbadener Entwurf“ diskutierten Vorschläge beziehen sich in erster Linie auf einen generellen Paradigmenwechsel in der Ausgestaltung der deutschen Familienpolitik.

Dabei haben wir noch nicht ganz begriffen, wo bei Ihnen der Paradigmenwechsel ist. – Es geht weiter:

Die Familie wird in das Zentrum der gesamten Politikgestaltung gestellt. Jede politische Maßnahme wird in ihren Wirkungen auf Familien hin untersucht und künftig familiengerecht ausgestaltet.

Meine Damen und Herren, davon merken wir nichts.

(Beifall bei der SPD)

Schauen wir uns einmal an, wie diese familiengerechte Ausgestaltung aussieht. Eine Maßnahme war, dass Sie die Arbeitszeiten der hessischen Beamtinnen und Beamten auf 42 Stunden erhöht haben.Das halten wir nicht für eine familiengerechte Ausgestaltung von Arbeitszeit.

(Beifall bei der SPD)

Zugegeben, das haben auch andere Bundesländer gemacht.Aber in anderen Bundesländern hat man zunächst einmal nicht das Maximum von 42 Stunden ausgeschöpft. Außerdem gab es besondere Regelungen für Familien,die Kinder unter zwölf Jahren erziehen. Man konnte mindestens um eine Stunde abweichen. Hessen hat es voll ausgeschöpft. Fragen Sie einmal Ihre Beamtinnen und Beamten, was sie von dieser Familienregelung halten.

Als zweite Maßnahme, die „familiengerecht“ ausgestaltet wurde, nehmen wir einmal die Ladenschlusszeiten, die Sie bis 24 Uhr verlängert haben. Wer sitzt denn an den Kassen? Wer füllt die Regale auf? Das sind Mütter, die zu Hause Kinder haben.Auch das ist keine familiengerechte Ausgestaltung in Hessen.

(Beifall bei der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das sind auch Schüler und Studenten, also bitte!)

Sie wissen sehr genau, dass es in Familien auch ein Zeitproblem gibt. Ich schlage auch vor, dass sich das Kabinett einmal untereinander abspricht. Da sitzt die Kultusministerin und beklagt sehr oft, dass die Familien ihrem Erziehungsauftrag nicht mehr gerecht werden.Aber dann werden die Arbeitszeiten auf 42 Stunden erhöht, und man glaubt, Ladenöffnungszeiten rund um die Uhr wären angemessen. Meine Damen und Herren, da können die Familien in der Tat ihrem Erziehungsauftrag nicht mehr gerecht werden.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Sie haben auch Kinder. Herr Milde, Sie wissen genau, wovon ich rede. Aber wahrscheinlich haben Sie die Arbeitsteilung zu Hause etwas anders geregelt.

Die nächste Maßnahme ist die „Operation düstere Zukunft“ mit dem Abbau der sozialen Dienste in Hessen.Sie haben bei der Erziehungsberatung gekürzt. Bei den Familienbildungsstätten, bei der Beratung der ausländischen Familien haben Sie den letzten Cent gekürzt. Das ist ein unrühmliches Beispiel, und das zeigt Ihre Familienfeindlichkeit und nicht Ihre Familienfreundlichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben dem Projekt gegen Kindesmisshandlung Landesmittel entzogen. Aber immer, wenn ein schwerer Vorwurf auftaucht, schreien Sie nach Vorsorgeuntersuchungen und nach Zwang zur Vorsorgeuntersuchung.Wir wollen auch, dass die Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen werden. Aber wer die Prävention verhindert, darf hinterher nicht „Haltet den Dieb“ schreien.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Was familienpolitisch auch reinhaut, ist, dass Sie die Studiengebühren in Hessen einführen wollen. Nehmen Sie eine Durchschnittsfamilie, die zwei oder drei Kinder hat. Das trifft genau die Familien, die mit ihren Kindern überlegen:Willst du wirklich studieren? Wir können dich nicht wirklich unterstützen.Willst du wirklich ein Darlehen aufnehmen, um hinterher mit großen Schulden in das Berufsleben zu gehen? – Meine Damen und Herren, auch diese Maßnahme ist absolut familienfeindlich.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

500 c pro Semester, das ist nicht nur familienfeindlich, das ist auch zukunftsfeindlich;denn Sie wissen genau,dass wir mehr Studienanfänger brauchen.Aber genau das werden Sie mit diesem Gesetz verhindern. – Wir werden verhindern, dass es nächstes Jahr noch existiert.

(Beifall bei der SPD)

Eine andere Maßnahme – es studieren nicht alle Kinder – bezieht sich auf die Ausbildung. Sie haben einen Ausbildungspakt geschlossen. Aber die Landesregierung hat sich an diesem Ausbildungspakt nicht wirklich beteiligt. Ich finde es prima, dass der Ministerpräsident gestern Abend noch einmal das Handwerk gelobt hat. Das haben wir auch. Das Handwerk ist zusätzlich noch einmal in die Ausbildungsvermittlung hineingegangen. Es hat mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen als im letzten Jahr. Das kann man alles loben. Aber eigentlich hätten wir erwartet, dass diese Landesregierung sich auch am Pakt beteiligt und z. B. unsere Forderung aufgreift, die Zahl der Ausbildungsplätze auf 10 % zu erhöhen. Das haben Sie abgelehnt, also auch eine familienfeindliche Maßnahme.

(Beifall bei der SPD)

Sie wissen, Kinder, die keine Ausbildung haben, bleiben länger zu Hause.Sie müssen zu Hause von Mutter und Vater länger ernährt werden und haben keine Chance, eine eigene Familie zu gründen.

Im Rahmen der Ausbildungsmisere, wie ich es nenne, haben Sie dem Fass die Krone aufgesetzt. Statt an Ihre eigene Nase zu fassen, haben Sie noch gefordert, dass die Ausbildungsvergütung gesenkt wird. Wer legt denn den Rest drauf? Das sind doch wieder nur die Familien.

(Beifall bei der SPD)

Hinzu kommt die unrühmliche Debatte, die wir im Zuge von Hartz IV geführt haben, als die Sozialministerin noch gefordert hat, ein Rückgriffsrecht auf den Verdienst von Kindern einzuführen. Das war doppelt unfair für Familien.

Kommen wir zu den finanziellen Transfers. Die CDU sagt, dass wir neben dem Ehegattensplitting auch noch ein Kindersplitting einführen sollen. Meine Damen und Herren, ich habe nichts dagegen, über Transferleistungen nachzudenken.Aber wenn wir über Transferleistungen nachdenken, müssen wir schauen, dass nicht wieder die Familien bevorzugt werden, die sowieso über ein hohes Einkommen verfügen.Aber genau das würde passieren, wenn wir Ihre Art von Familiensplitting machen würden.

Ich denke schon, dass wir über Transferleistungen reden müssen;denn wir wissen,dass es Transferleistungen im Familienbereich in Milliardenhöhe gibt. Wir wissen aber auch,dass das Geld in vielen Fällen nicht dann bei den Familien ankommt, wenn sie es am meisten brauchen.

(Ministerin Silke Lautenschläger: Sie wollen das Kindergeld kürzen!)

Ich habe nichts dagegen, das Familiensplitting abzuschaffen; aber wir setzen darauf, dass neben den Transferleistungen sehr viel mehr in die Infrastruktur investiert wird, damit Familien eine verlässliche Betreuung für ihre Kinder haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Maßnahmen, die Sie wirklich zur Betreuung ergriffen haben, da Sie merken, dass Sie an dieser Stelle sonst untergehen, haben Sie nicht auf Ihre Kosten gemacht. Sie haben sie auf Kosten der Kommunen gemacht.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Wir haben das BAMBINI-Programm. Wer bezahlt das? Das bezahlen die Kommunen. Das haben die gemerkt, und die Kommunen finden das von ihrer Seite aus überhaupt nicht familienfreundlich.

(Beifall bei der SPD)

Sie setzen bei der Kinderbetreuung auf das Tagesmüttermodell,und ich sage Ihnen auch:Ich bin dafür,dass wir Tagesmütter haben;wir brauchen sie aber dann,wenn die Institutionen Lücken lassen und nicht die ganze Betreuung gewährleisten. Sie setzen aber auf das Tagesmütterprogramm, weil es billig ist.

Meine Damen und Herren, das ist falsch.Wir brauchen in der Kinderbetreuung Qualität, und wenn es keine Qualität gibt, die wir von Tagesmüttern in diesem Maße auch nicht abfordern können, dann brauchen wir Institutionen, die die Betreuung der Kinder qualitativ sicherstellen.

(Beifall bei der SPD)

Leider vermitteln Sie in der Antwort auf die Große Anfrage auch ganz offen, dass Sie über die Situation und Perspektiven von Familien in Hessen herzlich wenig wissen. Sie verfügen weder über statistische Angaben – z. B. über Familien mit Kindern unter 14 Jahren, wo beide Elternteile berufstätig sind –, noch wissen Sie daher, das finde ich sehr interessant, wie groß hier die Nachfrage nach Betreuungsangeboten ist.Wenn man das aber nicht weiß und das auch nicht erfahren will, wie will man dann in Hessen die Zukunft in der Kinderbetreuung regeln?

Meine Damen und Herren, Sie haben einen vagen Hinweis dazu gegeben, dass es eine demografische Entwicklung hin zur Ein-Kind-Familie gibt. Aber Sie haben nicht bewiesen, dass Sie eigentlich über Familien in Hessen mehr wissen wollen. Sie offenbaren auch sehr deutlich, dass Sie den Geldhahn zugedreht haben. Es gibt aus originären Landesmitteln keine Zuwendungen mehr für Erziehungsberatung, Schuldnerberatung und Familienbildungsstätten. Es gibt eine kleine Zuwendung zum LWV: 10.000 c jährlich für die Autismus-Institute in Kassel und Langen.Ich will den Zuschuss nicht kleinreden.Aber meinen Sie nicht, dass dieses Engagement seitens der Landesregierung arg gering ist?

(Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin, 10.000 c – ich glaube, da haben Sie mehr in Ihrem Verfügungsfonds.

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist schon richtig!)