Protokoll der Sitzung vom 01.02.2007

(Zurufe von der CDU)

Es besteht schon Sorge auf der rechten Seite dieses Hauses.

Frau Präsidentin,meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD-Fraktion befürwortet die Dringlichkeit, und zwar aus folgenden Gründen. Wir haben es hier zunächst einmal mit einem parlamentarischen Vorgang zu tun gehabt.Auf Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde vorgestern zu einer Sondersitzung des Unterausschusses Justizvollzug eingeladen. Wir müssen heute aus der Presse erfahren – das ist der Unterschied zu sonst, wenn etwas in der Presse steht –, dass die Informationen, die uns als Parlament vorgestern von Regierungsseite vorgelegt wurden, falsch waren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Axel Wintermeyer (CDU):Wer sagt denn, dass der Pressebericht richtig ist?)

Dies bedarf der unverzüglichen Aufklärung. Meine Damen und Herren von der rechten Seite dieses Hauses, gerade Sie müssten ein Interesse daran haben,

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

dass Ihr Justizminister vor diesem Hause die Widersprüche aufklären kann. Deswegen verstehe ich in keiner Weise, warum gerade Sie die Dringlichkeit ablehnen und der Justizminister heute nicht erklären kann, dass das, was in der Presse steht, offensichtlich nicht dem entspricht, was er gesagt hat und dass das falsch ist.

Es müsste doch gerade Ihre Fraktion sein, die ein Interesse daran hat, dass heute die Dringlichkeit bejaht wird, sodass der Justizminister heute vor dem Parlament die Vorwürfe ausräumen kann. Ansonsten tut es uns leid. Da bestehen die Zweifel weiterhin bei uns, und wir glauben dann, dass etwas an dem ist, was heute in der Presse gestanden hat. – Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, vielen Dank für die Geschäftsordnungsreden. – Wir kommen damit zur Abstimmung über die Dringlichkeit, diesen Antrag in der heutigen Plenarsitzung zu beraten. Ich frage deshalb: Wird die Dringlichkeit des Antrags Drucks. 16/6860 bejaht? Ich bitte um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme?

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, damit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU bei Enthaltung der FDP gegen die

Stimmen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 37 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem 34.Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten (Drucks. 16/5359); hierzu: Stellungnahme der Landesregierung betreffend den 34. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten (Drucks. 16/5891) und Vorlage der Landesregierung betreffend den 19. Bericht der Landesregierung über die Tätigkeit der für den Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich in Hessen zuständigen Aufsichtsbehörden (Drucks. 16/5892) – Drucks. 16/6076 zu Drucks. 16/5359, zu Drucks. 16/5891 und zu Drucks. 16/5892 –

Berichterstatterin ist Frau Abg. Ravensburg, die ich um ihren Bericht bitte. – Zunächst darf ich aber ganz herzlich unseren Datenschutzbeauftragten, Herrn Prof. Ronellenfitsch, zu diesem Tagesordnungspunkt begrüßen.

(Allgemeiner Beifall)

Frau Kollegin Ravensburg, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Der Innenausschuss empfiehlt dem Plenum, den Tätigkeitsbericht zur Kenntnis zu nehmen und darüber eine Aussprache zu führen.

Der 34. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten war dem Innenausschuss am 15. März 2006 vom Präsidenten überwiesen worden.

Der Innenausschuss hat den 34. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten in seiner Sitzung am 27. September 2006 behandelt und einstimmig die eben genannte Beschlussempfehlung gefasst. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Ravensburg. – Wir treten nun in die Diskussion ein. Sie haben später je zehn Minuten Redezeit. Aber zunächst darf ich Herrn Ronellenfitsch das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dreiecksverhältnisse sind stets delikat. Das gilt auch für das Verhältnis des Hessischen Datenschutzbeauftragten zur Hessischen Landesregierung und zu diesem Landtag.

(Beifall des Abg. Klaus Dietz (CDU))

Hatte ich bisher bedauert, meine jährlichen Tätigkeitsberichte dem Landtag nur mit erheblicher Zeitverzögerung präsentieren zu können, und hierfür der Landesregierung den Schwarzen Peter zugespielt, so muss ich dieses Mal die Landesregierung für ihre zügige Stellungnahme zum 34.Tätigkeitsbericht ausdrücklich loben.

(Beifall bei der CDU)

Am 2. März 2006 wurde der Tätigkeitsbericht an die Landesregierung versandt. Deren Stellungnahme ging mir bereits im Juli über den Hessischen Innenminister und im

August offiziell zu. Ich konnte mich hierzu noch im vergangenen Jahr vor dem Innenausschuss des Landtags äußern. Das Plenum war demgegenüber so sehr mit dem Fristablauf von Gesetzen beschäftigt, dass der Tätigkeitsbericht hier erst heute behandelt werden kann.

Dafür mache ich niemandem einen Vorwurf. Das ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie man durch ein im Ansatz berechtigtes, aber unflexibel ausgestaltetes Anliegen in eine Zeitfalle gerät. Aber die Fast-Food-Gesetzgebung ist nicht mein Thema, sondern der Datenschutz.

(Heiterkeit und allgemeiner Beifall)

Der Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten im Hessischen Landtag soll nicht eine Bilanzierung von Datenschutzverstößen oder sonstigen datenschutzrechtlich relevanten Vorgängen sein oder gar eine Dichterlesung aus dem schriftlichen Bericht. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, waren so leichtsinnig, einen hauptamtlichen Hochschullehrer für Staats- und Verwaltungsrecht zum Hessischen Datenschutzbeauftragten zu wählen und müssen gewissermaßen als politische Zweckveranlasser ertragen, dass ich mich wie alle Hochschullehrer etwas grundsätzlicher äußere.

Danach befindet sich der Datenschutz in einer prekären Situation. Manche Datenschützer sehen sich deshalb schon als politisches Prekariat, wenn man die ständigen Kassandrarufe zum gläsernen Bürger zur Kenntnis nimmt. Im Ernst: Ganz offensichtlich hat die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr den öffentlichen Stellenwert, der ihr zu Zeiten des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts zukam. Das hängt zum einen mit dem Gewöhnungsprozess an die Vorteile der globalisierten Informationsgesellschaft zusammen, deren Nachteile und Gefahren in den Hintergrund gedrängt werden. Zum anderen ist gerade diese Gesellschaft verwundbar und reagiert auf Bedrohungen wie etwa durch den Terrorismus fast schon hysterisch. – Damit soll die Bedrohungslage nicht banalisiert werden.

Jetzt wird es hoch kultiviert: Der alte Rechtsgrundsatz „subjectio trahit protectionem“, womit gemeint ist, dass aus der Staatsangehörigkeit staatliche Schutzansprüche erwachsen, taucht etwa im „Bouvier’s Law Dictionary“ aus dem Jahr 1856 – das kann also nicht von Ihnen sein, Herr Innenminister –

(Heiterkeit)

in umgekehrter Form auf: „protectio trahit subjectionem“. Damit ist gemeint, dass aus der staatlichen Schutzpflicht die Verpflichtung folgt, die mit diesem Schutz verbundenen Einschränkungen zu dulden.

Deswegen sage ich: Unter den vermeintlich dringenden Staatsaufgaben, namentlich der Sicherheitsgewährleistungen von Leib und Leben und der Daseinsvor- und -fürsorge gerät der Datenschutz leicht ins Hintertreffen.

Das ist allerdings ein sehr pauschaler Befund. Die im Staat Verantwortlichen – jedenfalls in Hessen –,die sich in der Regierungsverantwortung wie in der Opposition befinden, sind nach wie vor hinsichtlich des defensiven Datenschutzes sensibilisiert und bemüht, Datenschutz und Datensicherheit zu gewährleisten. Dass ich dabei den Landesbehörden gelegentlich etwas auf die Sprünge helfen muss, liegt in der Natur der Sache und ergibt sich aus dem wechselseitigen Rollenverständnis.

Dieser defensive Datenschutz im ursprünglichen Sinne ist nur die eine Seite der Medaille. Ebenso bedeutsam ist der

offensive Datenzugangsschutz. Hierüber habe ich schon im letzten Jahr von dieser Stelle aus gesprochen.

Totalitäre Systeme neigen nicht nur zum Bespitzeln der ihrer Gewalt Unterworfenen. Gestapo und Stasi haben das bis zur Perfektion getrieben.Totalitäre Systeme beanspruchen vielmehr auch ein Informations- und Meinungsmonopol.

Das Fundament einer freiheitlichen Demokratie ist daher die Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger.Die Informationen sind der Rohstoff der Macht. Dementsprechend ist nicht nur die informationelle Gewaltenteilung zwischen den Staatsgewalten erforderlich, sondern auch eine informationelle Balance zwischen Staatsgewalt und Staatsvolk.

Nicht ganz ohne Pathos bleibe ich bei dem, was ich schon öfters gesagt habe, nämlich dass die Legitimation der Politik mit dem Informationsgrad der Bevölkerung wächst. Konkret ist daraus abzuleiten, dass das Internet eine allgemein zugängliche Quelle bleiben muss, deren sich der Staat möglichst neutral bedienen sollte. E-Government und Datenzugangsrecht sind Geschwister, die man nicht trennen sollte.

Jetzt werden Sie sich zu Recht fragen, wie sich das mit der Datenpanne verträgt, zu der es jüngst in Darmstadt kam. Bekanntlich gelangten dabei personenbezogene Daten nicht in das Intranet, sondern in das Internet. Genau um solche Fallkonstellationen ging es mir, als ich vorschlug, mir die Funktion eines Umweltinformationsbeauftragten und Informationszugangsbeauftragten zu übertragen.

Ein völlig freies behördliches Ermessen, was in das Internet eingestellt werden soll und was nicht, erscheint, ganz unabhängig von der Fehleranfälligkeit solcher Entscheidungen, rechtlich bedenklich. Das Internet dient dazu, Informationen zu erhalten, und nicht der behördlichen Selbstdarstellung.

Vor allem aber kollidieren Informationszugangsrechte und Datenschutzrechte. Sie sind in einen Ausgleich zu bringen. Der Ausgleich dürfte am ehesten von einer obersten Landesbehörde vorbereitet werden, bei der der rechtliche und technische Sachverstand gebündelt sind. Ich erneuere noch einmal mein Angebot, zu diesem Ausgleich institutionell beizutragen, auch wenn das Angebot bei der Umsetzung der Umweltinformationsrichtlinie im Land Hessen ausgeschlagen wurde.

Unter direkter Anwendung dieser Richtlinie gestand der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Einwendern beim Planfeststellungsverfahren für den Frankfurter Flughafen im Januar 2006 den Zugriff auf alle Akten mit Umweltdaten zu, soweit nicht Einwendungen anderer Privater eingesehen werden konnten. Ob Letzteres der Fall ist, dürfte häufig streitig sein. Im Interesse der Effizienz der Verfahren wäre es sinnvoll, den Hessischen Datenschutzbeauftragten in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Damit könnte man einen Puffer vor der gerichtlichen Auseinandersetzung schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um da nicht missverstanden zu werden: Ich will mich nicht aufdrängen. Ich beanspruche auch nicht die Zuständigkeit für den privaten Bereich, obwohl in Niedersachsen die Trennung zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich mit Wirkung zum 1. Februar 2007, also mit dem heutigen Tag, wieder aufgehoben wurde.

Zu dem öffentlichen Bereich muss dann aber das hinzugezählt werden, was, materiell gesehen, dort hingehört. Das betrifft also die Erledigung öffentlicher Aufgaben in der Form des Privatrechts.

Die Flucht in das Privatrecht befreit nicht von öffentlichrechtlichen Bindungen, hebt die unmittelbare Geltung der Grundrechte nicht auf und bringt meine Zuständigkeit hinsichtlich der Kontrolle nicht zum Erlöschen.