Protokoll der Sitzung vom 28.03.2007

Verehrter Herr Boddenberg, wenn ich die Lobeshymnen der Großen Koalition im Moment höre,dann habe ich fast den Eindruck,als herrsche Vollbeschäftigung.Aber das ist bei Weitem nicht der Fall.

(Beifall bei der FDP – Michael Boddenberg (CDU): Sie können uns nicht in Mithaftung nehmen! Das waren wir nicht!)

Meine Damen und Herren, ich versuche nur einmal, die Arbeitsmarktsituation in Hessen darzustellen. Im Februar 2006 lag die Arbeitslosenquote bei 10,2 %, im Februar 2007 bei 8,4 %. Aber wir müssen uns auch mit anderen Ländern vergleichen.

(Norbert Schmitt (SPD): Genau!)

In Bayern ist es eine Veränderung von 8,5 auf 6,5 % und in Rheinland-Pfalz von 9,1 auf 7,4 %.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Deswegen kann man im Hinblick auf den Arbeitsmarkt beim besten Willen nicht sagen, dass das Wirtschaftswachstum in Hessen in der gleichen Weise feststellbar sei.

Meine Damen und Herren,es ist schön,wenn Sie in Ihrem Antrag sagen, der Landtag stellt fest, dass Hessen im Jahre 2006 beim Bruttoinlandsprodukt auf Platz 1 lag. Fest steht, dass wir in Hessen eine Sondersituation haben, dass eine positive Auswirkung auf den Arbeitsmarkt nicht in der Weise stattfindet, wie das in anderen Bundesländern der Fall ist. Ich sage auch das, ohne damit etwas schlechtreden zu wollen.Wenn Sie die Arbeitsmarktsituation in Nordhessen sehen, dann stellen Sie fest, dass es nach wie vor Realität ist: Im Januar 2007 betrug die Arbeitslosenquote in Kassel 14,6 % und im Werra-MeißnerKreis 10,2 %. Das sind nicht willkürlich herausgegriffene Zahlen, sondern Beispiele, bei denen wir in der Vergangenheit auch immer akzeptieren mussten, dass wir negative Erfahrungen gemacht haben.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es! Es ist gut, dass auch Sie das jetzt erkennen!)

In der „HNA“ stand letztens: „Die Region rutscht ins Chancen-Minus“. Das Prognos-Institut sagt, der PrognosZukunftsatlas bewertet weite Teile Nordhessens und Südniedersachsens schlechter als 2004. Der Landkreis Hersfeld-Rotenburg – bei diesem Landkreis haben wir uns ein

mal gemeinsam darüber gefreut, dass wir dort etwas im Bereich der Logistik tun – rutscht auf dieser Skala ab. Das Gleiche gilt für den Landkreis Waldeck-Frankenberg.

Auch aus diesen Beispielen wird deutlich: Selbst ein relativ positives Bruttoinlandsprodukt schlägt in Hessen nicht in der Weise auf die Arbeitsmarktsituation durch. Ich glaube, das kann man beim besten Willen nicht wegdiskutieren. Mit diesen Zahlen haben wir es zu tun.

Ich unterstelle einmal: Selbst wenn das Wirtschaftswachstum anhält, stellt sich die Frage, wie wir darauf reagieren. Nach Auffassung der FDP-Fraktion darf die Reformpolitik angesichts steigender Steuereinnahmen nicht eingestellt werden. Vielmehr muss sie konsequenter denn je eingeleitet werden.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb spielen in dem Teil unseres Antrags, der sich mit bundespolitischen Initiativen beschäftigt, vier Punkte eine Rolle: die Änderung des Kündigungsschutzrechts nach dänischem Vorbild, die Reform des Steuersystems, eine nachhaltige Reform des Rentensystems und ein prinzipielles Verbot der Neuverschuldung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrter Herr Minister Rhiel,Sie hielten es vorhin für notwendig,im Zusammenhang mit der Diskussion über die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs uns vorzuhalten, wir würden uns für ein völliges Neuverschuldungsverbot aussprechen. Ich bitte Sie – ich sage das nur im Hinblick auf das, was Sie vorhin gesagt haben –, zur Kenntnis zu nehmen, was in unserem Antrag steht. Unter A.3 fordern wir:

Ein grundsätzliches Verbot der Neuverschuldung. Mit einem verbindlichen Stufenplan müssen auf allen staatlichen Ebenen ausgeglichene Haushalte erreicht werden.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das ist etwas anderes.Wir wissen selbstverständlich angesichts der Verschuldung von 33 Milliarden c in Hessen, dass man dies nicht von heute auf morgen auf null stellen kann. Wenn Sie schon zitieren, dann bitte richtig. Wir haben in diesem Zusammenhang gesagt, dass wir einen Stufenplan wollen.Wir wissen, dass so etwas nicht auf diese Art und Weise erreicht werden kann. – Das nur zur Korrektur, weil ich das nicht so im Raum stehen lassen will.

Meine Damen und Herren, ich habe es gesagt:Wir haben 33 Milliarden c Schulden. Wir haben in der Tat die geringste Nettoneuverschuldung seit dem Jahr 1990. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir einen ausgeglichenen Haushalt hätten.Von dem sind wir noch weit entfernt.

Deswegen komme ich zu den weiteren Vorschlägen, die wir unterbreiten. Ich möchte auf das kommen, was nicht nur wir gesagt haben, sondern was der Ministerpräsident lauthals verkündet hat.

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Na, na, na!)

Er hat gesagt,man könne sich beim Kündigungsschutz am Vorbild Dänemarks orientieren, wo das Arbeitslosengeld bis zu 90 % des Lohns beträgt, wo es aber nicht die Kündigungsschutzvorschriften gibt,die wir in Deutschland haben. In der „Wirtschaftswoche“ hat der Ministerpräsident vor Kurzem auf die Frage verkündet, welche Reformen er meine: z. B. die Flexibilisierung des Arbeitsrechts.

Recht hat er. Herr Boddenberg, Sie nicken zustimmend. Ich sage Ihnen aber: Wir werden der Union als Koalitionspartner in Berlin diese Art der Doppelstrategie nicht durchgehen lassen. Als Ministerpräsident oder Landesvorsitzender spricht er von der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

(Beifall bei der FDP)

Aber wenn er im Präsidium der CDU sitzt, dann ist er als Schoßhund tätig.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Dann ist es mit der Realisierung eines Kündigungsschutzrechts à la Dänemark nicht mehr weit her.

Herr Ministerpräsident, ich sage das deswegen an die Koalitionäre in Berlin: Diese Art und Weise, in Form einer Doppelstrategie Politik zu betreiben, halten wir vom Grundsatz her für problematisch,weil Sie in einer Art Opposition in der Koalition über vier Jahre lang den Bürgern weiszumachen versuchen, auf dem Arbeitsmarkt würde sich etwas ändern.Aber das,was Sie in Berlin beschließen, was im Bundesgesetzblatt steht, hat mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts überhaupt nichts zu tun, sondern genau mit dem Gegenteil.

(Beifall bei der FDP)

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Sie erwecken den Eindruck, marktwirtschaftliche Reformen zu realisieren. Aber in der tatsächlichen Gesetzgebungsarbeit findet das keinen Niederschlag.

Erlauben Sie mir, bevor ich zu dem hessischen Teil unseres Antrags komme,etwas zur Unternehmensteuerreform zu sagen, die allgemein noch nicht so richtig wahrgenommen worden ist von der Öffentlichkeit, aber sehr positiv kommentiert worden ist. In dieser Unternehmensteuerreform fügen Sie einen neuen Begriff ein, der „Zinsschranke“ heißt. Unter Zinsschranke verstehe ich normalerweise, dass etwas begrenzt wird, dass die Zinszahlung korrigiert wird, also weniger Zinsen zu zahlen sind.

(Michael Boddenberg (CDU):Das haben Sie falsch verstanden!)

Meine Damen und Herren, dieser Begriff ist im höchsten Maße irreführend. Bisher war es gut und richtig, dass ein Unternehmen Zinsen von Schulden absetzen konnte, die es aufgenommen hatte, um eine Investition zu realisieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Diese Zinsen dürfen nicht mehr in voller Höhe abgesetzt werden, sondern nur noch in Höhe von 30 % des Jahresgewinns.

(Beifall bei der FDP – Michael Boddenberg (CDU): Das nennt man Schranke, Herr Kollege!)

Herr Boddenberg, Sie werden nicht müde, zu sagen, dass der Mittelstand das Rückgrat unserer Wirtschaft ist.Aber genau die Einführung dieser Zinsschranke führt dazu, dass die Liquidität mittelständischer Unternehmen gemindert wird.Wir wissen, dass mangelnde Liquidität häufig zu Insolvenz und zu Schwierigkeiten kleinerer Unternehmen führt. Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Diese Zinsschranke dient nicht der Förderung mittelständischer Unternehmen, sondern sie wird mittelständische Unternehmen zusätzlich belasten und in Probleme bringen.

(Beifall bei der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Es gibt allerdings einen gewissen Freibetrag! Das sollte man nicht vergessen!)

Die Einführung einer Zinsschranke, mit der die steuerliche Berücksichtigung gezahlter Zinsen massiv eingeschränkt werden soll, ist ausschließlich fiskalisch motiviert. Sie verkompliziert das Steuerrecht. Herr Ministerpräsident, Sie geben damit ein Prinzip auf, das bisher im Steuerrecht Gültigkeit hatte, nämlich die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zu berücksichtigen. Dieses Prinzip wird zum Nachteil mittelständischer Unternehmen aufgegeben.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das führt sogar dazu, dass gewährte Skonti künftig nicht mehr berücksichtigt werden. Mittelständische Unternehmen, die Skonti gewähren, machen das, um die Zahlungsmoral zu befördern. Wenn sie das aber in Zukunft machen, kann genau das, was sie als Skonti gewähren, bei der Steuer nicht mehr berücksichtigt werden. Das ist ein kleines Beispiel, das aber deutlich macht, dass hier nicht an mittelständische Unternehmen gedacht wird, sondern in erster Linie an größere Konzerne.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich kenne die Motivation, den Ausgangspunkt dieser Steuerreformüberlegung. Auf jeden Fall steht fest, dass mittelständische Unternehmen nicht unterstützt werden.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, unser Antrag geht darauf hinaus, in diesen vier Feldern initiativ zu werden, damit der Reformmotor in Deutschland nicht ins Stottern kommt, sondern die Reformen weiterbetrieben werden.

Lassen Sie mich zu ein paar Punkten kommen,die sich auf die Landesebene beziehen, wo wir in originärer Zuständigkeit etwas machen können. Wir schlagen Ihnen vor, nach dem Standardkostenmodell – in den Niederlanden ist es bereits bewährt, und auf Bundesebene wird dies getan – einen Normenkontrollrat auch in Hessen zu installieren, und zwar unter Einbeziehung der Gesetze, die die Landesregierung dem Parlament zuführt, sowie der Gesetzentwürfe, die aus dem Parlament selbst kommen.

Ich glaube, dass es wichtig ist, zu überprüfen, welche Mitwirkungs- und Informationspflichten aufgrund der Landesgesetze auf die Wirtschaft zukommen. Ich bin auch der Auffassung, dass die Kritik, die im Zusammenhang mit dem Normenkontrollrat in Berlin geäußert worden ist, berechtigt ist. Man braucht eine Vorgabe, wie das in Holland der Fall ist, um beispielsweise die Bürokratiekosten bei Gesetzentwürfen von vorneherein daraufhin zu überprüfen, dass sie um 25 % reduziert werden können.

(Hildegard Pfaff (SPD): Wir haben einen solchen Antrag eingebracht!)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in der Koalition von 1999 bis 2003 die Befristung von Gesetzen eingeführt. Wir haben auch die Überprüfung von befristeten Gesetzen und die Abschaffung von Verwaltungsvorschriften eingeführt, doch all das reicht nicht aus, um den Bürokratieabbau zu beschleunigen. Es sind weiterge

hende Maßnahmen notwendig, um das Thema Bürokratie in den Griff zu bekommen.

Herr Kollege Posch, denken Sie an die Redezeit. Bitte, ich habe Sie zweimal auf die Redezeit hingewiesen. Sind Sie nun fertig?