Ich will noch einen Satz zur Frage der – wie nannten Sie das vorhin so schön? – Zwangsvorschule sagen. Bei Ihnen ist im Moment alles sehr zwanghaft. Soweit ich mich erinnere,ist ein verbindliches Vorschuljahr auch ein Beschluss Ihrer CDU-Bundespartei. Vielleicht sollten Sie sich einmal damit auseinandersetzen, bevor Sie hier so einen Unsinn reden.
(Beifall bei der SPD – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Es gibt einen Unterschied zwischen Pflicht und Zwang!)
Danke, Frau Habermann. – Dann darf ich in der Reihenfolge der Redner fortfahren. Frau Henzler, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eines ist nun eindeutig festzustellen: Der Wahlkampf für das nächste Jahr hat begonnen, und er entzündet sich wie immer am Thema Schule, wie immer in Hessen.
(Michael Siebel (SPD): Herr Irmer erwidert noch nicht einmal auf die Kurzinterventionen! Was ist denn das für einer?)
Die vier schulpolitischen Sprecher hatten letzte Woche schon die Ehre, auf einer Podiumsdiskussion bei den Schulaufsichtsbeamten zu sitzen. Eine der großen Forderungen dieser Gruppierung war: Kann es denn in Hessen nicht einmal so sein, dass nicht jedes Mal, wenn ein Regierungswechsel eventuell bevorsteht, die Schulpolitik wieder in eine völlig andere Richtung geht und alles wieder komplett neu gemacht wird? – Genau so weit sind wir,
genau so sieht es schon wieder aus. Es wird alles umgekrempelt, alles rückgängig gemacht und alles neu gemacht.
auch mit dem Titel Ihres Antrags, in dem Sie so schön schreiben: „Konzepte für die Schule von morgen statt Fortsetzung des Schulkampfs von gestern“. – Natürlich setzen Sie den Schulkampf von gestern fort. Sie beleben ihn wieder komplett neu, als hätten Sie in den letzten Jahrzehnten überhaupt nichts dazugelernt. Der Schulkampf in Hessen hat insbesondere Ihnen gar nichts gebracht. Er hat 1999 die CDU und die FDP an die Regierung geführt; das war auch in Niedersachsen so, und das war auch in NRW so. Daraus sollten Sie lernen und sich die Konzepte der anderen etwas genauer ansehen.
(Beifall bei der FDP – Zurufe der Abg. Mathias Wagner (Taunus) und Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))
Daran ändern auch die Aussagen des UN-Inspektors überhaupt nichts. Hören Sie doch einmal dem Präsidenten der KMK zu. SPD Bildungssenator Jürgen Zöllner kommt anlässlich der Kritik am deutschen Bildungssystem durch den UN-Menschenrechtsinspektor zu der Erkenntnis, dass eine Schulform- und eine Schulsystemdebatte Deutschland überhaupt nicht weiterbringen. Er fordert hingegen eine Konzentration auf die Verbesserung des Unterrichts.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie machen schon wieder Kuschelopposition!)
Herr Al-Wazir, auch Sie können hier zuhören. Wir vertreten hier unsere Positionen. Die stehen besonders bei der Schulpolitik in vielen Fällen viel näher an der CDU als an ihren Blütenträumen.
Herr Zöllner fordert eine Konzentration auf die Verbesserung des Unterrichts und auf die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes. Dem stimmt die FDP voll und ganz zu.
Wenn ich dieses Ziel erreichen will, dann muss ich Folgendes machen. Ich muss die Lehrerausbildung weiter verändern. Damit haben wir in unserer gemeinsamen Koalition schon begonnen. Das reicht aber nicht aus, das muss weiter gehen. Lehrer müssen mehr Diagnosefähigkeiten entwickeln können, um wirklich die Talente der einzelnen Kinder zu erkennen, sie einzuschätzen und dann ganz genau und individuell zu fördern.Das heißt,Sie müssen die Stärken der Starken fördern und die Schwächen der Schwachen ausgleichen.
Auch da möchte ich Ihnen einmal etwas sagen: Diese individuelle Förderung funktioniert am besten bei den Schulen, die sich mit den Hochbegabten befassen. Die Gütesiegelschulen für Hochbegabte haben gemerkt, wenn man Hochbegabte sehr individuell fördert, be
kommt damit auch die schwächeren Schüler ganz anders in den Blick, und sie werden ganz anders individuell gefördert.Hochbegabte gab es zu rot-grüner Zeit überhaupt nicht an hessischen Schulen.
Die Lehrerausbildung muss sich insofern verbessern, als die Lehrer mehr eine Mentorenfunktion übernehmen. In unseren Ländern, in Deutschland insbesondere, reden die Lehrer immer noch zu viel selbst im Unterricht. Die Schüler müssen sehr viel mehr selbstständiges Arbeiten lernen. In der heutigen Informationsgesellschaft ist es wichtig, wie man lernen lernt und wo man sich Informationen besorgt, und nicht unbedingt, was man auswendig lernt.
Zweiter Punkt, um dieses Ziel zu erreichen: Die Schulen brauchen sehr viel mehr Eigenverantwortung bei der Auswahl ihres Personals. Sie müssen Sozialpädagogen einstellen können, sie müssen Psychologen einstellen können. Sie müssen selbst entscheiden können, wie viele ausgebildete Lehrer sie benötigen oder ob sie Schulassistenten benötigen.
Um dieses Ziel zu erreichen,muss ich den Schulen die Gestaltung ihres Unterrichts freistellen. Schulen müssen entscheiden können, ob sie sehr viel mehr Projektunterricht machen. Sie müssen entscheiden können, ob sie fächerübergreifend oder sogar jahrgangsübergreifend unterrichten.
Diese Ziele, die Verbesserung der Konzentration auf den Unterricht und die individuelle Förderung jedes Kindes, erreiche ich auf keinen Fall, wenn ich alle Kinder auf eine einzige Schule schicke, die dann noch nicht einmal einen Namen hat. Herr Irmer hat es schon gesagt.
Auf die Frage an Frau Ypsilanti, wie ihre Schule überhaupt heißt, antwortete sie, diese Schule brauche keinen Namen, weil es um ein Prinzip des Lernens gehe.
Natürlich braucht diese Schule einen Namen.Eltern und Kinder wollen sehr genau wissen, was auf einer Schule draufsteht und was sich in einer Schule befindet, bevor sie sich für diese Schule entscheiden.
Diese Erkenntnis scheint bei Ihnen noch nicht angekommen zu sein. Sie haben aus den Erfahrungen der Zwangsförderstufe von 1987 – da hat schon einmal die Regierung gewechselt – nichts gelernt.Sie versuchen,den Eltern wieder vorzusetzen, dass alle Kinder auf eine einzige Schule gehen.
Sie propagieren die Einheitsschule für alle Kinder. Interessant ist aber Folgendes: Den Begriff der Gesamtschule nehmen Sie überhaupt nicht mehr in den Mund, weil er angeblich ideologisch abgewertet worden ist. Doch genau das verbirgt sich dahinter, allerdings sehr verschwommen. Sie haben nämlich nicht sehr konkret gesagt, wie es in dieser Schule vor sich gehen soll.
Die bekannten Forderungen, die die GRÜNEN in ihrem Antrag bringen und die Frau Ypsilanti in ihrem Interview verkündet hat, geben auch nicht genau darüber Auskunft, wie es denn in dieser einen Schule für alle Kinder aussehen soll. Sie fordern beide gemeinsames Lernen bis einschließlich Klasse 10. Das ist an einer integrierten Ge
samtschule ganz normal. Allerdings – und dazu sagen Sie nichts – differenziert die integrierte Gesamtschule nach dem ersten Halbjahr bereits in zwei Hauptfächern und in der zweiten Klasse bereits in der ersten Fremdsprache. Die integrierte Gesamtschule hat einen sehr differenzierten Förderunterricht für einzelne Kinder. Da geht es auch sehr leistungsstark zu.
Herr Wagner, mich müssen Sie nicht von einer integrierten Gesamtschule überzeugen. Meine Kinder waren nämlich auf einer integrierten Gesamtschule, im Gegensatz zu den meisten anderen.
Die integrierte Gesamtschule ist eine sehr leistungsorientierte Schule, weil es nicht nur am Ende eines Schuljahres ums Sitzenbleiben geht – das gibt es da zwar nicht,es kann aber durchaus im Halbjahr in einzelnen Kursen nach unten abgestuft werden. Es wird leider auch dort meistens nach unten abgestuft. Aber ob Sie das in Ihrer Einheitsschule wollen, sagen Sie nicht.
Zweitens. Alle Schulen sollen alle Abschlüsse anbieten, einschließlich der Oberstufe. Wissen Sie eigentlich, was für große Schulen Sie bekommen, wenn Sie in einer Schule immer alle Abschlüsse anbieten wollen? Das sind Mammutschulen.
In den Mammutschulen werden die starken Schüler gewinnen. Sie können sie in jedes Schulsystem stecken, sie werden immer gut sein. Aber die schwachen Schüler, die Zuwendung brauchen, können Sie in solchen Mammutschulen nicht fördern.
Dann zur Forderung der SPD, alle Schüler sollten mindestens die mittlere Reife erlangen, der Hauptschüler solle abgeschafft werden. Sagen Sie, was haben Sie eigentlich für ein Menschenbild? Was verkennen Sie an jungen Menschen, an Schülerinnen und Schülern, an Kindern, die Fähigkeiten haben, die sich eher auf praktisches Lernen beziehen? Sie können sie doch nicht zu einem Realschulabschluss zwingen, den sie nicht oder nur mit Nachhilfe von zu Hause schaffen, weil sie überfordert sind.
Es gibt nun einmal bei Kindern verschiedene Begabungen. Man kann versuchen, sie in hohem Maße und am Anfang zu fördern. Aber dann muss man auch die Schule nach ihnen ausrichten, insbesondere den Hauptschüler so fördern, wie es ihm am besten bekommt, nämlich projektund berufsorientiert.
Querversetzen und Sitzenbleiben schaffen Sie komplett ab. Die Konsequenz ist: Sie schaffen die Noten ab. Das heißt, Sie nivellieren die Leistungen. Wolfgang Gerhardt hat schon gesagt: „Leistung ist keine Körperverletzung.“ Im Gegenteil: Schülerinnen und Schüler leisten gerne etwas und wollen für diese Leistung auch belohnt werden.
Ich habe gesagt, ich bin ein Anhänger der Gesamtschule. Sie vermeiden den Begriff Gesamtschule und diskreditieren damit die erfolgreiche Arbeit einer Schulform, die in rot-grünen Kreisen augenscheinlich wieder out ist. Vermutlich sind Ihnen die Prinzipien der jetzigen Gesamtschule zu leistungsorientiert. Die kooperative Gesamtschule war übrigens in den Siebzigerjahren ein Erfolgs
modell von FDP und SPD. Sie hat vielen Kindern in ländlichen Regionen zu besseren Abschlüssen verholfen, als sie sie sonst erlangt hätten.