Protokoll der Sitzung vom 29.03.2007

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich stand die Große Anfrage der SPD zum Thema Gender-Mainstreaming am Weltfrauentag schon auf dem Programm. Sie werden sich vielleicht an das kleine Kärtchen von uns erinnern, worin wir uns damals bemüht haben, Ihnen und den Pressevertretern diesen sperrigen Begriff etwas zu versüßen. Darauf haben wir eine Definition stehen, von der ich überzeugt bin, wenn ich heute herumfrage, ist es ein bisschen schwierig, sie wiederzugeben. Ich gebe zu, das Thema ist ein schwieriges. Das hat sich auch bei den Vorrednerinnen gezeigt.

Die Frage, wie breit man Gender-Mainstreaming diskutieren und anwenden kann, ist mir oft zu eng. Frau Ravensburg,gerade bei Ihnen habe ich das Gefühl,Sie haben leider nur einen Tunnelblick auf das Thema, der das Thema Frauen und Kinder betrifft, dabei geht es wesentlich weiter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als ein Bild für Gender-Mainstreaming – man hat sich bereits mit Übersetzungen und allem möglichen geplagt – sehe ich eine geschlechtergerechte Brille an. Mehr ist es eigentlich nicht. Diese Brille hat zwei Gläser, durch die man schauen kann. Das heißt, man kann sowohl auf die Belange von Männern als auch auf die Belange von Frauen schauen. Leider entspricht es der seit langem gepflegten Tradition, dass man die eine Seite eher zuklebt und daher viele Dinge nur aus der männlichen Sicht betrachtet. Wie es bei Brillen nun einmal so ist, sieht man zwar etwas, aber der Fokus lässt sich nicht scharf stellen. Zielgenau arbeiten kann ich auch nicht, und ein Teil der Wirklichkeit entgeht mir. Das ist das Problem bei dieser Betrachtungsweise.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man könnte einmal folgendes Experiment ausprobieren. Wenn ich fünf Minuten lang über die Problematik der Arbeitslosigkeit von über 50-Jährigen sprechen und Sie danach kurz bitten würde, innezuhalten, und Sie fragen würde, wen Sie vor Ihrem geistigen Auge gesehen haben, dann bin ich sehr sicher, dass über 85 % von Ihnen einen über 50-jährigen Facharbeiter, einen über 50-jährigen Arbeiter oder einen über 50-jährigen Akademiker vor sich sehen würden. Das wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Wie Sie alle wissen,gibt es in diesem Bereich eine genauso große Anzahl arbeitsloser Frauen.Wenn wir uns als Parlament zu Themen Gedanken machen, müssen wir bedenken, wie die unterschiedliche Betrachtungsweise zu diesen Themen aussieht.

Wenn wir uns mit dem Thema der über 50-Jährigen befassen, müssen wir überlegen, welche Anzahl Männer arbeitslos ist und welche Qualifikationen und Berufswege sie mitbringen. Wir müssen aber auch überlegen, in welcher Zahl dieses Problem Frauen betrifft und welche Qualifikationen und Berufswege sie mitbringen.Mit einer geschlechtergerechten Brille werden Sie feststellen, dass die Maßnahmen zielgerichteter und in der Breite wirksamer sein könnten.

Zu diesem Thema saß ich irgendwann einmal auf einem Podium mit lauter Männern, wie es mir im Wirtschaftsbereich sehr oft passiert.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Auch nicht mehr lange!)

Inzwischen geben sich die Männer Mühe, so zu tun, als ob sie das Thema verstanden hätten. In dieser Situation reagieren Männer reflexhaft. Genau diesen Reflex möchte ich Ihnen schildern. In dieser Diskussion habe ich appelliert,dass es doch wichtig sei,auch die Aspekte der Frauen zu berücksichtigen. Daraufhin setzte genau der Reflex ein, der auch immer wieder bei der Frau Sozialministerin und Frau Ravensburg einsetzt, nämlich der Reflex nach dem Motto: Wir machen doch etwas hinsichtlich der Kinderbetreuung. Deshalb denken wir doch für die Frauen mit. – Hierzu kann ich nur sagen: Frauen über 50 haben durchaus andere Probleme als Kinderbetreuung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein schönes Beispiel dafür, was es heißt, eine geschlechtergerechte Brille aufzusetzen.

Ein weiteres Beispiel stammt aus dem Bereich der Medizin. Auch in diesem Haus dürfte es zu den unbestrittenen Tatsachen gehören, dass die Hormonkreisläufe von Männern und Frauen durchaus unterschiedlich sind. Es liegt die Erkenntnis auf der Hand, dass Medikamente deshalb unterschiedlich sein müssten. Die Medikamentenforschung berücksichtigt seit ca. 50 Jahren die Belange der Männer. Die Medikamente werden an Männern ausprobiert. Deshalb wundert es nicht, wenn am Schluss dabei herauskommt, dass das Medikament eine andere Wirkung, eine falsche oder gar keine Wirkung bei Frauen hat.

Auch in diesem Punkt fehlt es an der geschlechtergerechten Brille.Dann merken Sie,dass es bei diesem Thema um viel mehr geht als nur um Kinderbetreuung. Es geht um Sichtweisen und Blickwinkel. Es geht nicht darum – diese Angst ist immer sehr groß –, Männer und Frauen gleichzumachen. Ich fände es außerordentlich bedauerlich, wenn es so wäre.Unterschiedlichkeit ist meines Erachtens etwas sehr Schönes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nicola Beer (FDP))

Es geht darum, die unterschiedlichen Auswirkungen zu sehen, Schlüsse zu ziehen und Maßnahmen zielgerichtet zu ergreifen. Das ist unser Job in der Politik.

Ich möchte ein letztes Beispiel nennen.Wir haben gestern die Frage der Gewalterfahrung von Frauen in diesem Hause thematisiert. Bei allen Fraktionen ist unbestritten, dass ca.90 % der Opfer Frauen sind.Das sieht man diesen Frauen nicht an. Das führt aber dazu, dass in vielen dunklen unbeleuchteten Räumen Frauen allen Anlass haben, sich unwohl zu fühlen sowie ängstlich und unsicher zu sein.

Jetzt erkläre ich auch Herrn Rentsch,was das mit GenderMainstreaming zu tun hat. Das hat nämlich etwas mit Gender-Mainstreaming im Bauwesen zu tun. Wenn Sie das nächste Mal in einer Tiefgarage sind und auf dem Frauenparkplatz parken wollen, weil Sie es eilig haben oder weil Sie Frauenparkplätze doof finden, dann denken Sie doch bitte einmal daran, dass es gute Gründe dafür gibt, dass es Frauenparkplätze gibt.

(Florian Rentsch (FDP): Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal auf dem Männerparkplatz waren!)

Herr Rentsch hat das offensichtlich immer noch nicht verstanden.Es geht darum,dass Frauen in einem dunklen unbeleuchteten Parkhaus andere Bedürfnisse als Männer haben. Außerdem sind sie anderen Gefahrenquellen als Männer ausgesetzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die FDP spricht immer von gleichen Chancen.Dann müssen aber auch gleiche Voraussetzungen gegeben sein. Für Frauen ist das an diesem Punkt aber nicht gegeben. Herr Rentsch will das nicht verstehen. Die Haltung der FDP zu diesem Punkt kennen wir bereits.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch der Abg. Nicola Beer (FDP))

Ich wollte mit meinen Beispielen deutlich machen, dass Gender-Mainstreaming ein Querschnittsthema ist, das in dieser Breite in alle Politikbereiche gehört. Dies gilt für das Bauwesen, für die Kinderbetreuung und für medizinische Fragen. Das gehört in alle Bereiche hinein und sollte in allen Bereichen mitbedacht werden. Das bedeutet schlicht und ergreifend, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein gleichmäßig und regelmäßig zu berücksichtigen; denn es gibt keine geschlechtsneutralen Wirklichkeiten.

Wenn ich interaktive Reden halten dürfte, würde ich jetzt von Minister zu Minister bzw. von Ministerin zu Ministerin gehen und fragen, was in dem entsprechenden Ministerium in Bezug auf Gender-Mainstreaming läuft. Dann hätten wir sehr schnell einen wesentlich besseren Überblick darüber, wie es im hessischen Kabinett um das Thema Gender-Mainstreaming bestellt ist, als mit der Großen Anfrage.

Diese Große Anfrage ist so etwas wie eine theoretische Prüfung, die die SPD-Fraktion mit der Landesregierung veranstaltet hat. Sie hat Fragen gestellt, die man mit entsprechendem theoretischen Wissen beantworten kann. Das hat die Landesregierung – ich nehme an mit diebischer Freude – getan. Das könnte man hinnehmen und mit der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage herumwedeln und beklagen, dass sie nicht tut, was sie theoretisch weiß.

Nicht ohne Grund gibt es bei der Führerscheinprüfung nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Prüfung.Wer keine Ahnung von der Praxis hat, darf nicht Auto fahren. Die Hessische Landesregierung hat zwar theoretische Kenntnisse des Gender-Mainstreamings. Das haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Beweis gestellt. Sie belässt es aber dabei; denn praktisch umsetzen will sie dieses Wissen nicht.

Die Politik der Hessischen Landesregierung orientiert sich nach wie vor lieber an männlichen Bildern. Wir GRÜNE hingegen sind mehr für Vielfalt und für die Berücksichtigung von Vielfalt. Wir wissen, dass dies aber keine Stärke der Hessischen Landesregierung ist. Deshalb werden sicherheitshalber keine nach Geschlechtern getrennten Zahlen erhoben; denn dann könnte man ins Nachdenken oder zu Nachfragen kommen.

Wenn ich mir die Ministerien anschaue, dann stelle ich fest, dass man sich beispielsweise im landwirtschaftlichen Bereich durchaus Gedanken über Gender-Mainstreaming gemacht hat. Ich weiß nicht, ob dies die originäre Absicht von Herrn Dietzel war, der derzeit nicht anwesend ist. Im Landwirtschaftsbereich hat man sich beispielsweise überlegt,wie man die Höfe retten kann.Dabei hat man nicht nur über die Landwirte, sondern auch über die Landwirtinnen nachgedacht. Danach sind eigene Programme mit sehr gutem Erfolg aufgelegt worden,die neue Existenzgrundlagen für die Landwirtschaft im ländlichen Raum geschaffen haben.

Der Hessische Ministerpräsident verfügt durchaus über die Fähigkeit, geschlechtergerechte Sichtweisen anzuwenden. Er wendet sie aber leider eher gegen das weibliche Geschlecht an. Man kann die Wirkung so oder so auslegen. Aber bei den Kürzungen im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ hat er seine Geschlechtersichtweise ganz gezielt gegen die Frauen gewandt.

(Axel Wintermeyer (CDU):Ach du grüne Neune!)

Das entspricht nicht dem, was wir unter Gender-Mainstreaming verstehen. Das beweist aber, dass Sie über die Fähigkeit verfügen, die unterschiedlichen Relevanzen zu sehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist bereits angesprochen worden, dass Gender-Mainstreaming ein sichtbares Engagement auf höchster Führungsebene erfordert; denn wenn man Sichtweisen verändern will, dann sollte das auch an der Spitze selbstverständlich sein. Das ist bei dieser Landesregierung leider nicht der Fall. In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage sagen Sie einerseits, dies sei Sache der Führungsebene, und andererseits, die Ministerien sollten selbst darüber entscheiden. Es wird klar, dass unterschiedliche Abteilungen über Unterschiedliches gesprochen haben, und in der Landesregierung keiner weiß, worum es geht.

Das würde den Einsatz von Gender-Budgeting, nämlich die geschlechtergerechte Verteilung von Finanzmitteln, erfordern. Zu diesem Aspekt ist in der Anfrage nichts zu finden. Das würde erfordern, dass man sich einmal anschaut, wie es funktioniert, wenn Sie sich denn schon rühmen, Sie würden Gender-Mainstreaming anwenden.

Sie müssen zum Ende kommen.

Außerdem sollte man einen Bericht nicht nur dem Kabinett, sondern auch dem Parlament vorlegen.

Gender-Mainstreaming ist ein Projekt, das ohne Zweifel zunächst einmal die Gleichstellung von Frauen befördern könnte. Ich kann mir vorstellen, dass Zeiten kommen, in denen auch Männer froh sind, wenn man sich einer geschlechtergerechten Brille – mit einem klaren Durchblick versehen – bedient. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Rentsch das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist wichtig, dass auch einmal ein Mann zu diesem Thema spricht.

(Beifall bei der CDU)

Gender-Mainstreaming hat auch etwas mit Männern zu tun. Das muss ich den Kolleginnen ankreiden. Es geht nämlich um die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und Männern. Frau Kollegin Hölldobler-Heumüller, nach Ihrer weltspartagpolitischen Rede, die Sie vor zwei Tagen zum Thema der Sparkassen gehalten haben, haben Sie sich heute über Frauenparkplätze ausgelassen. Es wäre schön, wenn Sie irgendwann einmal eigene Konzepte in diesem Bereich vorstellen würden.Diese mussten wir leider aber auch heute wieder vermissen.

(Margaretha Hölldobler-Heumüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wenn Sie sonst nichts zu sagen haben! – Norbert Schmitt (SPD): Du bekommst einen Frauenparkplatz!)

In diesem Duktus der Unfehlbarkeit, den Sie als GRÜNE immer wieder hervorheben, haben Sie heute Morgen leider vergessen, einen Redebeitrag abzugeben. Vielleicht sollte man sich einmal überlegen, weshalb das der Fall war. In Ihrer Rede haben Sie einzig und allein diese Anfrage abgehandelt, haben aber überhaupt nichts dazu gesagt,was die GRÜNEN in diesem Bereich letztlich anders machen wollen. Ich bin einmal gespannt, wie Sie es umsetzen würden, wenn Rot-Grün hier regieren würde. Das wäre eine sehr interessante experimentelle Phase für dieses Land.

(Beifall bei der FDP)

Frau Kollegin Pauly-Bender, ich habe selten so viel Engagement von Ihnen gesehen wie bei diesem Thema. Bei diesem Thema sind Sie sicherlich mit am engagiertesten. Sie haben Herzblut bei der Debatte. Das ist auch in Ordnung. Ich glaube aber, dass Sie von einem anderen Frauenbild als von dem heute vorherrschenden ausgehen. Über dieses Thema spreche ich beispielsweise auch mit Frauen aus meinem Freundeskreis, mit meiner eigenen Frau oder mit meinen drei Schwestern.

Da stellt man fest, dass Frauen heutzutage nicht mehr die alte Form der Frauenförderung wollen, die es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gab und die sicherlich viel bewirkt hat, das will ich nicht bestreiten. Ich glaube,

wir würden heute nicht hier in einer Gesellschaft leben, in der Gleichberechtigung kein Füllwort ist,sondern mittlerweile gelebt wird. Aber ich habe häufig das Gefühl, dass die SPD und gerade Sie, Frau Pauly-Bender, sehr stark dieser tradierten Form der Frauenförderung verhaftet sind.

Das kann man auch daran sehen, dass Sie in der vergangenen Woche – die immerhin von Sky-Radio aufgegriffen worden ist – versucht haben, mit Ihrer 30-%-Forderung wieder das alte Thema Quoten und Pläne zu Frauenförderung zu propagieren. Frau Pauly-Bender, es ist interessant,dass das komplett dem widerspricht,was Sie mit dem Thema Gender-Mainstreaming eigentlich verbinden wollen. Sie erzählen überall, Gender-Mainstreaming sei das Prinzip, das berücksichtigt werden müsste. Aber in der Realität ist es für Sie die alte Frauenförderung, die eigentlich am liebsten mit einem Frauenförderplan und festgelegten Quoten agieren soll.

Meine Damen und Herren, Gott sei Dank sind wir weit davon entfernt, dass wir in Hessen mit alten Frauenförderplänen Frauenpolitik machen müssen.