Protokoll der Sitzung vom 03.05.2007

Kollege Al-Wazir, ich habe Verständnis: Sie sind etwas deprimiert. Ich habe Sie am Sonntag am Bieberer Berg gesehen, als Sie nach dem Spiel herausgegangen sind. In dem Punkt sind wir Freunde im Geiste für den Verein. Aber auch nur in dem Punkt.

Versuchen wir, uns auf einige Dinge zu einigen. Erster Punkt. Die Energieversorgung in Hessen muss sicherlich auch für die Zukunft gesichert werden. Da werden wir übereinstimmen.

Zweitens. Das haben Sie schon gesagt, das ist Fakt: Am Standort Staudinger in Großkrotzenburg, ein wichtiger Erzeugungsschwerpunkt, der heute etwa fünf Millionen Menschen mit Energie versorgt, sollen vom Betreiber E.ON drei alte kohlebefeuerte Kraftwerksblöcke mit einem durchschnittlichen Wirkungsgrad von 38 % bis zum Jahre 2012 stillgelegt und durch ein Steinkohlekraftwerk mit einer Feuerungsleistung von 2.400 MW und einem Wirkungsgrad von 46 % ersetzt werden.

Drittens. Ich glaube, auch da sind wir uns einig: Die Region am östlichen Untermain ist bereits heute durch eine Vielzahl von Anlagen und Projekten ökologisch belastet. Hier ist sicherlich eine Grenze erreicht, die bei jeder neuen Planung besonders kritisch zu bewerten ist.

Viertens. Es liegt noch kein Genehmigungsantrag des Unternehmens vor.

(Norbert Schmitt (SPD): Nur eine verbindliche Zusage!)

Derzeit werden in den betroffenen Städten und Gemeinden sowie Landkreisen die Art und der Umfang eines späteren Genehmigungsverfahrens diskutiert.Es geht im Wesentlichen um die Frage: Raumordnungsverfahren oder immissionsschutzrechtliches Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung?

Fünftens. Das Kraftwerk Staudinger wird heute und sicherlich auch in der Zukunft durch den Schadstoffausstoß länderübergreifende Wirkung entfalten.Die Behörden im benachbarten Unterfranken befassen sich ebenfalls intensiv mit dieser Angelegenheit.

Sechstens – meine Damen und Herren, auch das ist sehr interessant –: Die politische Gemengelage ist zum Teil recht unübersichtlich. In der Standortgemeinde Großkrotzenburg gibt es in den kommunalen Gremien eine klare Mehrheit: SPD, CDU und FDP befürworten den Ausbau. In der im Kreis Offenbach liegenden, vom Kraftwerk nur durch den Main getrennten Gemeinde Hainburg gibt es eine einstimmige Ablehnung der E.ON-Pläne in den gemeindlichen Gremien. Die Stadt Seligenstadt in naher Nachbarschaft hat einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen ins parlamentarische Verfahren gebracht, der den Ausbau nur ablehnt, wenn damit nicht nachweislich eine Reduzierung des Schadstoffausstoßes in der Gesamtheit verbunden ist. Das Unternehmen wird in der Antragsformulierung aufgefordert, im späteren Genehmigungsverfahren eigene Beiträge zu erbringen, die im Ergebnis zu einer Verbesserung der ökologischen Situation der Region führen.

Der Kreistag Main-Kinzig – SPD, CDU und FDP sind für den Ausbau – spricht sich für ein Raumordnungsverfahren aus. Der Kreistag des Kreises Offenbach unterstützt die Forderung nach einem länderübergreifenden Raumordnungsverfahren und spricht sich dafür aus, die Auswirkungen der weiter in der Region geplanten Projekte – Kohlekraftwerk Ingelheimer Aue, Gaskraftwerk in Frankfurt-Griesheim, Mainova-Kraftwerk und Müllverbrennungsanlage der Firma Infraserv ebenfalls zu bewerten. Die Regierung von Unterfranken, der Kreis Aschaffenburg und der Rat der Stadt Alzenau haben ebenfalls Beschlüsse bzw. Empfehlungen in dieser Richtung gefasst. Die Gremien der Stadt Hanau – hier ist insbesondere der Stadtteil Großauheim betroffen – lehnen den Ausbau in der heute von E.ON geplanten Form ab; die FDP ist dafür. Das Bayerische Landesamt für Umwelt hält ein immissionsschutzrechtliches Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung für ausreichend.

(Martin Häusling (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was meinen denn eigentlich Sie dazu?)

Meine Damen und Herren, so ist es. Kollege Schmitt, ich kann es ja nicht ändern.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die spannende Frage ist:Was will Frank Lortz?)

Herr Kollege Al-Wazir, beruhigen Sie sich wieder etwas. – Ich habe persönlich mehrfach und auch öffentlich erklärt, dass kein vernünftiger Mensch für einen Ausbau von Staudinger sein kann,

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der SPD)

wenn dadurch der Schadstoffausstoß vergrößert und die ökologische Situation verschlechtert wird.

(Ursula Hammann und Tarek Al-Wazir (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Die muss verbessert werden!)

Diese klare Äußerung von mir kennen Sie.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie wollen Sie sie denn verbessern?)

Herr Kollege Schmitt, Sie kennen diese klare Aussage von mir. Diese stimmt, ob Sie laut oder leise sind, was mich im Übrigen in diesem Punkt auch nicht interessiert.

Meine Damen und Herren, da insbesondere über die Frage des Genehmigungsverfahrens seit Wochen zwischen allen Beteiligten, Zuständigen, Interessierten und Unberufenen diskutiert wird – es geht wieder um die Frage Raumordnungsverfahren oder immissionsschutzrechtliches Verfahren –, habe ich mit Schreiben vom 30. März an den Hessischen Ministerpräsidenten angeregt, eine öffentliche Regierungsanhörung in der Region vor der Entscheidung über das Genehmigungsverfahren anzuordnen. Der Ministerpräsident hat mir am 10. April mitgeteilt, dass er nach intensiver Prüfung der von mir vorgetragenen Argumente die Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung sowie für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz gebeten habe, noch vor der Sommerpause diese Regierungsanhörung in der Region durchzuführen. Als Termin wurde inzwischen der 6. Juli 2007 festgelegt.

Meine Damen und Herren, Ziel dieser Anhörung wird es unter anderem sein, eine belastbare Einschätzung zu der Frage zu erhalten, ob sich im Zusammenhang mit einem zukünftigen Genehmigungsantrag des Steinkohleblocks – Block 6 – relevante Faktoren herausstellen, die nur in einem Raumordnungsverfahren zu berücksichtigen wären und nicht auch im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz gleiche inhaltliche Beachtung und öffentliche Erörterung erfahren werden.

Die große Mehrzahl der Beteiligten – meine Damen und Herren, ich kann es auch nicht ändern – über Parteigrenzen hinweg, vom Landrat des Kreises Offenbach, Peter Walter, CDU, bis zum Oberbürgermeister der Stadt Hanau, Claus Kaminsky, SPD, haben diese Regierungsanhörung begrüßt und als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet. Der Kollege des Vorstands der E.ON AG – Kollege Al-Wazir hat dies hier erwähnt – hat in einem Schreiben vom 10.April – dieses Schreiben habe ich sowohl den kommunalen Gebietskörperschaften wie auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt – verbindlich zugesagt, dass – –

(Norbert Schmitt (SPD): Verbindlich? Was heißt denn das? Das heißt doch überhaupt nichts!)

Herr Kollege Schmitt, nehmen Sie ihn doch beim Wort.

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): So verbindlich wie die Zusagen der Automobilindustrie!)

Er hat verbindlich zugesagt, dass sich mit der Stilllegung der alten Blöcke und der Inbetriebnahme des neuen Blocks trotz höherer Leistungen und höherer jährlicher Betriebszeit keine zusätzlichen ökologischen Belastungen

für die Region ergeben werden. Ich zitiere nur das, was Herr Bernotat geschrieben hat. Ich habe es gar nicht bewertet. Ich kann nur allen am Verfahren Beteiligten sehr eindringlich empfehlen, in einem späteren Genehmigungsverfahren diese sicherlich belastbare Zusicherung einzubringen und auf sie abzustellen.

Meine Damen und Herren, einigen Sozialdemokraten in der Region, die sich in besonders scheinheiliger Pose aufgestellt haben, kann ich den Hinweis – –

(Norbert Schmitt (SPD): Polemik ist Ihnen ja völlig wesensfremd, haben Sie eingangs gesagt!)

Sie gehören doch gar nicht zu dieser Elite, Sie wohnen doch gar nicht in der Region, Kollege Schmitt.

(Norbert Schmitt (SPD): Ich wollte Sie nur an Ihr Vorhaben erinnern, mit dem Sie in die Rede eingestiegen sind! Sie wollten sachlich vortragen! – Gegenruf von der CDU: Das ist doch ein sachlicher Vortrag!)

Ich wiederhole es gerne, wenn Sie es wünschen, Herr Kollege Schmitt: Einigen Sozialdemokraten in der Region, die sich in besonders scheinheiliger Pose aufgestellt haben, kann ich den Hinweis allerdings nicht ersparen, meine Damen und Herren, dass es – unbestritten von allen Fachleuten – die rot-grüne Entscheidung zum Ausstieg und zum Abschalten der sichersten Kernkraftwerke der Welt in Deutschland war,

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Uh! – Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Träumen Sie weiter! – Norbert Schmitt (SPD): Das sieht man gerade in Biblis, wie sicher die sind!)

die jetzt in der Konsequenz dazu führt, dass der von der SPD gestellte Bundesumweltminister Gabriel auf den massiven Ausbau bzw. Neubau von Braunkohle- bzw. Steinkohlekraftwerken setzen muss, um die Energieversorgung für die Zukunft sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU – Michael Boddenberg (CDU):Aha!)

Auch hier, Herr Kollege Schmitt, können Sie das Gesicht in der Ihnen eigenen Art verziehen. Das war ein Zitat Ihres Bundesministers. Was diskutieren Sie denn mit mir? Gehen Sie doch zu ihm. Sagen Sie es doch ihm.

(Norbert Schmitt (SPD): Nein, das war kein Zitat! Belegen Sie das! Belegstelle!)

Sie kriegen von mir alles belegt.

Meine Damen und Herren, die GRÜNEN und die Sozialdemokraten in Hessen stehen ziemlich allein und auch einsam im Wald mit ihrer Position, mit erneuerbaren Energieformen ohne Kernkraft und ohne Kohle könne der Energiebedarf der kommenden Jahre und Jahrzehnte in unserer Industrienation gedeckt werden.

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): So ist es! Das geht!)

Meine Damen und Herren, wenn der SPD-Bundesumweltminister Gabriel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 19. April 2007 erklärt – zum Beleg für Sie, Herr Schmitt –, „dass bis zum Jahr 2020 erneuerbare Energien höchstens 27 % des Stroms erzeugen können“,

(Norbert Schmitt (SPD): Deswegen müssen wir ja in Hessen mindestens auf 60 % gehen!)

und – Kollege Schmitt, weiter Zitat Gabriel – „so viel Gas werde es gar nicht geben,um auf Kohle verzichten zu können“,

(Michael Boddenberg (CDU):Trotz Schröder!)

und – hören Sie genau zu, wieder Zitat – „die Debatte über den Verzicht auf Kohle ist illusorisch“ – so Ihr Minister –, dann sagt dies alles aus über die Glaubwürdigkeit und die Seriosität der hessischen GRÜNEN und der Position der SPD.

(Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wieso der GRÜNEN?)

Meine Damen und Herren, ich sage hier auch sehr deutlich: Ohne den ohne jede Not verfügten Verzicht auf die Kernkraft wäre eine Debatte über eine Staudinger-Erweiterung in diesem Ausmaß vielleicht heute überflüssig.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 40 Steinkohlekraftwerke deutschlandweit, und das alles mit zwei abgeschalteten AKWs! Das glaubt ihr doch selbst nicht!)

Meine Damen und Herren, ich werde, unbeschadet von Ihren Zwischenrufen und von den Wünschen des Bundesumweltministers, weiter dafür eintreten, dass durch den und bei dem geplanten Ausbau des Blocks 6 des Kraftwerks Staudinger eine Reduzierung des Schadstoffausstoßes in der Gesamtheit in der Region erreicht wird, dass E.ON angehalten wird, eigene, freiwillige Beiträge zur Verbesserung der ökologischen Situation zu erbringen, dass ein sauberes, transparentes und allen Kriterien einer wirksamen Öffentlichkeitsbeteiligung entsprechendes Genehmigungsverfahren durchgeführt wird, dass die Immissionen des von E.ON geplanten Bauvorhabens zusammen mit den anderen in der Region geplanten Kraftwerksvorhaben dargestellt und bewertet werden und dass eine öffentliche Regierungsanhörung am 6. Juli stattfindet, bei der vor allem die Vertreter der betroffenen Kommunen und Landkreise länderübergreifend ihre Positionen einbringen können.

Meine Damen und Herren, dies alles bringt den Menschen in der Region weit mehr als Polemik, als Aufwiegelung und energiepolitische Fantasterei. – Herzlichen Dank.