Protokoll der Sitzung vom 30.05.2007

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Dr.Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist für mich auch nach wie vor von entscheidender Bedeutung, die Zeit der Jugendhaft zu nutzen, um maximal auf die Jugendlichen einwirken zu können. Deswegen wende ich mich so energisch – das hat nichts mit liberal oder illiberal zu tun – gegen diese „Weicheiidee“ mit dem offenen Vollzug. Dabei handelt es sich um Flucht vor der Verantwortung. Wie soll der offene Vollzug denn aussehen? Das konnten wir nachlesen. Unter der Woche sollen die Jugendlichen sich in dem Milieu bewegen können, in

dem sie in die Straftatsituation geraten sind.Wo findet der offene Vollzug denn statt? Abends gehen sie ins Gefängnis, und Freitag bis Sonntag – das ist der größte Irrsinn – sollen sie dann noch einmal in diese Situation.

(Nancy Faeser (SPD): Das ist jetzt Polemik! – Hannelore Eckhardt (SPD): Die Unterschiede kennen Sie genau! Das ist unlauter! – Nancy Faeser (SPD): Schade, es hat sehr gut angefangen!)

Sie kommen nur von Montag bis Freitag in die Justizvollzugsanstalt. Damit können wir doch nicht auf die jungen Menschen einwirken. Es ist ein falsches Konzept. Es ist ein Konzept, das die Chance verschenkt, auf junge Menschen intensiv einzuwirken. Es geht nicht um eine dauerhafte und ewige Jugendstrafe, sondern es geht darum, in diesen kurzen Zeiträumen, die ich eben aufgeführt habe, die Chance zu nutzen, maximal auf die Jugendlichen einzuwirken. Dabei will ich jede Stunde nutzen. Im Jugendlichenvollzug flutschen die Jugendlichen weg. Sie weichen Ihnen aus.

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Mir kommt es an der Stelle mit großer Ernsthaftigkeit darauf an, Jugendlichen, die in Haft geraten – in Deutschland wird nicht so schnell Haftstrafe verhängt, die Jugendlichen haben dann schon einiges auf dem Kerbholz –, eine letzte Chance zu geben. Man muss ihnen sagen: Jetzt ist Schluss mit lustig. Es gibt dann keine Geschichten mit offenem Vollzug. Jetzt müsst ihr euch mit eurer Situation auseinandersetzen. Wir werden euch dazu zwingen, dass ihr euch mit eurer Situation beschäftigt.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man sich die Pressekonferenzen und Presseerklärungen genauer anschaut, erkennt man, dass wir so weit nicht entfernt sind. Es steht auch immer in der Anmerkung: soweit sie dafür geeignet sind.

(Hannelore Eckhardt (SPD): Selbstverständlich!)

Das ist der entscheidende Punkt. Sie haben zunächst einmal eine Haftstrafe bekommen. Das ist eine Entscheidung eines Richters. Die kann nicht gleich konterkariert werden, indem gesagt wird: Wir machen das in Form des offenen Vollzugs.

Das eindeutige Ziel des Erziehungsimperativs lautet: Überall dort, wo es für einen jungen Menschen sinnvoll ist, in seiner Erziehungsentwicklung, in seiner Resozialisierung, ihn in vollzugsöffnende Maßnahmen hineinzulassen, werden wir es auch betreiben. Dies wird aber nicht generell und als Grundsatz der Fall sein. Generell und als Grundsatz werden wir die kurze Zeit der Jugendhaft richtig nutzen. Die geringen Erfolge des Jugendstrafvollzugs hängen auch mit der kurzen Zeit der Einwirkung zusammen.Wir wollen die Zeit optimal nutzen und uns intensiv mit den jungen Menschen auseinandersetzen.

Natürlich ist einer der wichtigsten Aspekte – das gilt übrigens auch für den Erwachsenenstrafvollzug, diese letzte Phase; wir können es Entlassungsmanagement nennen –, die Vorbereitung des durchstrukturierten Vollzugsalltags hin zu den großen Chancen, aber auch Gefahren der Freiheit so zu organisieren, dass die Jugendlichen nicht selbst in die Falle der Freiheit geraten. Dabei besteht die Gefahr, dass sie das, was sie erarbeitet und erkämpft haben, schnell wieder verlieren, weil sich die Gelegenheit bietet. Das sagt schon das deutsche Sprichwort: Gelegenheit macht Diebe. – Aus Verantwortung gegenüber den jungen

Menschen ist die Konzeption falsch, an dieser Stelle als generelle Vollzugsform auf den offenen Vollzug zu setzen.

Gerade wenn wir den jungen Menschen eine letzte Chance geben, müssen wir uns intensiv mit ihnen beschäftigen, sie in kleine Gruppen bringen. Sie müssen sich in der Gemeinschaft bewähren, sie dürfen nicht wegtauchen können. In einer größeren Gruppe kann man auch einmal verschwinden. Unter acht Jugendlichen fällt es sofort auf, wenn einer nicht mitwirkt. Sie müssen sich jeden Tag, einschließlich Samstag und Sonntag, mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigen. Sie dürfen nicht die Gelegenheit haben, zu sagen: Dienstag bis Donnerstag bin ich tagsüber nicht hier, und dann könnt ihr mich alle, dann bin ich in der Schule oder mache sonst etwas. – Die Jugendlichen bewegen sich genau in den Gefährdungen, an denen sie vorher gescheitert sind. Es ist verantwortlicher, den jungen Menschen die Chance zu geben, dass sie vor sich selbst geschützt werden.

Herr Minister,die Redezeit,die die Fraktionen vereinbart haben, ist überschritten.

Das hilft auch nichts,denn zu dem Thema könnte ich stundenlang reden. Insofern ist die Redezeit eine gute Beschränkung.

Zum Schluss will ich Ihnen noch eines sagen und Sie bitten, darüber nachzudenken. Wir haben uns die Zeit genommen, in eine Jugendhaftanstalt zu gehen, und mit jugendlichen Strafgefangenen – das machen Justizminister nicht so oft – über dieses neue Gesetz diskutiert. Dabei hat es sich um Jugendliche gehandelt, die unter den 7,8 % zu finden sind. Es war ein intensives, zeitweilig auch sehr hartes Gespräch.Was mich sehr beeindruckt hat, war ihre Antwort auf die Frage, was sie davon hielten, wenn man den Jugendstrafvollzug im offenen Vollzug durchführen würde. Die jungen Menschen haben gedacht, ich wolle sie verkohlen. Sie haben zweimal zurückgefragt, ob ich es ernst meine. Sie haben gesagt, das könne man überhaupt nicht machen. „Selbstverständlich wären wir abgehauen“, sagten sie.

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Da sehen Sie einmal, was wir mit unseren Resozialisierungsmaßnahmen an Einsicht schon erreichen können.

(Nancy Faeser (SPD):Was genau, Herr Minister?)

Das ist mir sehr wichtig gewesen. Ich habe mit jungen Menschen gesprochen, die schlimme Taten auf dem Kerbholz hatten, und habe dieses intensive Bemühen gespürt, nach dem Aufenthalt in der Strafanstalt ein besseres Leben zu führen.Ich habe auch deren Probleme gespürt,und wie niedrig oft die Schwelle des Ertragens von Frustrationen war. Aber ich habe auch klar gespürt, dass sie diese Hilfestellung des Strafvollzugs brauchen und als solche auch als positiv empfinden.

Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Frage beantworten?

(Minister Jürgen Banzer: Jetzt kommt es ohnehin nicht mehr darauf an!)

Den Eindruck habe ich auch. – Frau Faeser, Sie haben das Wort.

Herr Minister, ich danke Ihnen. Ich habe eine Frage zu dem,was Sie gerade in den Raum geworfen haben.Sie haben gerade gesagt, die Jugendlichen im Gefängnis wollten eine Einrichtung des offenen Vollzugs gar nicht, und das sei der Erfolg der Resozialisierung.

Meine Frage ist: Was verstehen Sie unter Resozialisierung? Worin soll der Erfolg liegen, wenn jugendliche Gefangene sagen, sie fühlten sich im Gefängnis wohl?

Nein, Frau Faeser, jetzt müssen wir seriös bleiben. Selbstverständlich haben wir in unseren beiden Jugendstrafanstalten keine demoskopische Umfrage durchgeführt, sondern ich habe die Jugendlichen in dieser Gesprächsrunde gefragt, mit welchen Maßnahmen sie das Gefühl hatten, ihre Chancen nach der Haft zu verbessern. Sie haben gesagt: „Wenn wir am Anfang offenen Vollzug gehabt hätten, wäre das schiefgegangen.“ Da sage ich: Das halte ich für eine erfreuliche Einsicht. Sie wollen es besser als vorher machen. Das empfinde ich als ein wichtiges Ziel von Resozialisierung.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Es war die Einsicht da, dass sie großen Mist gebaut haben und dass sie Hilfe brauchen. Das wurde ganz klar gesagt.

(Nancy Faeser (SPD): Richtig!)

Es wurde gesagt, dass die Hilfe in strukturierter Form erfolgen muss. Für mich war nach diesem Gespräch klar, dass ich die Interessen dieser Jugendlichen verrate, wenn ich in der Frage des offenen oder geschlossenen Vollzugs weich werde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das sage ich mit großer Ernsthaftigkeit.Ich bitte Sie:Führen Sie diese Gespräche. Gehen Sie den Fragen auf den Grund. Fragen Sie: „Wie können wir euch helfen, damit ihr euch diesen Aufgaben stellt?“ Dann, denke ich, werden auch Sie zu dem Ergebnis kommen, dass dieses Gesetz auch in dieser Bestimmung verantwortlich ist und eine großartige Verbesserung der Chancen dieser jungen Menschen darstellen wird.

Ich will nicht in zu großen Optimismus verfallen. Es wird ein Kampf um jeden Einzelnen sein,und wir werden meistens scheitern. Aber ich glaube, dass es sich trotzdem lohnt,sich einzusetzen und zu engagieren.Ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass es gelungen ist, in dieser Landesregierung die Unterstützung dafür zu bekommen,dass die dafür notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Dieses Gesetz wird Konsequenzen haben und im hessischen Jugendstrafvollzug zu Veränderungen zum noch Besseren führen.

Ich freue mich auf eine engagierte Diskussion mit Ihnen, weil ich weiß, dass es eigentlich darum geht, wie wir Jahr für Jahr für 500 Jugendliche in Hessen die Chancen ver

bessern und damit letztlich die Sicherheit für alle in Hessen erhöhen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. Sie haben sich eine engagierte Diskussion gewünscht, trotzdem hat jeder nur zehn Minuten Redezeit. – Ich rufe Frau Faeser auf. Sie haben als Erste das Wort. Wir machen das so, wie es der Geschäftsordnung entspricht. Wir können natürlich für die Fraktionen – –

(Zuruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Aber ja. Man wird doch einmal etwas sagen dürfen.

(Weiterer Zuruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Lieber Herr Kahl, auch das machen wir ganz transparent: 20 Minuten, danach haben Sie 15 Minuten.

(Erneuter Zuruf des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin, ich werde mir Mühe geben, einen ähnlich engagierten Eindruck zu hinterlassen wie der Minister.

(Beifall bei der SPD,der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich glaube, das fällt mir bei diesem Thema ebenso wenig schwer wie Ihnen, Herr Minister. Denn es ist ein sehr wichtiges Thema,das uns alle persönlich berührt.Wie kann man junge Menschen wieder in die Gesellschaft eingliedern? Wir ringen um den besten Weg dafür.

Herr Justizminister, Ihre Eingangsbemerkungen, die sehr philosophisch waren, teile ich ausdrücklich. Es geht darum, junge Menschen, die auf die schiefe Bahn gelangt sind, wieder in die Gesellschaft zurückzuführen. Meine Damen und Herren, darum müssen wir alle ringen.

Wir reden heute über Ihren Entwurf, den Sie bereits im März angekündigt hatten.Wir werden in den nächsten Tagen – Herr Kollege Hahn, hören Sie zu – einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ich höre immer zu, wenn Sie sprechen!)

Herr Minister, in unserem Entwurf werden wir allerdings die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts etwas umfassender und präziser umsetzen, als Sie das in Ihrem Entwurf getan haben. Das Bundesverfassungsgericht hat am 31.05.2006 entschieden,dass der Gesetzgeber gehalten ist, ein eigenes Gesetz zur Regelung des Jugendstrafvollzugs zu schaffen. Dabei gibt es sehr genaue Vorgaben. Bereits unmittelbar nach der Vorstellung Ihres Gesetzentwurfs im März – auch das wissen Sie – haben wir Sie in der Presse ausdrücklich gelobt. Ich bitte auch die rechte Seite dieses Hauses, dies zur Kenntnis zu nehmen.