Protokoll der Sitzung vom 05.07.2007

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Ministerpräsident hat erklärt, dass die Hessische Landesregierung in das Gespräch mit dem DGB geht, dass die Landesregierung, solange diese Erwartungen auch an die Bundespolitik – Stichwort Entsendegesetz und Allgemeinverbindlichkeitserklärung – nicht umgesetzt werden können, auch im Sinne von Angebotsgerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit, vor allem auch im Hinblick auf die sozialpolitischen Wirkungen für die Arbeitnehmer in dieses Gespräch eintritt. Diese Gespräche sind seit einigen Wochen im Gange.

Mein Haus, das Wirtschaftsministerium, und auch das Sozialministerium führen diese Gespräche. Ich darf Ihnen heute zumindest so viel sagen, dass wir vor einiger Zeit dem DGB einen konkreten Gesetzentwurf zugesandt haben. Der DGB hat uns neben den Gesprächen in dieser Woche noch eine schriftliche dezidierte und präzise Antwort auf die einzelnen Punkte gegeben.Der DGB hat beispielsweise das Thema der Konnexität, was ich in Kritik auf Ihren Gesetzentwurf herausheben möchte, etwas anders beleuchtet,als wir das gesehen haben.– Sie sehen,wir sind in einem fruchtbaren Dialog.

Meine Damen und Herren, eines ist aber klar: Dieses Angebot der Landesregierung in Form eines Entwurfs unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von Ihrem Entwurf, aber nicht in der Grundsubstanz. Denn es geht bei uns genau auch um die Vergabe und die Ausführung von entgeltlichen Bauaufträgen, um Dienstleistungsaufträge, Gebäudereinigungshandwerk, Sicherheit, Bewachung usw. All diese Dinge sind Kernbestand. Das gilt auch für Ihren Entwurf.

Herr Minister, ein freundlicher Hinweis: Die vereinbarte Redezeit für die Fraktionen ist abgelaufen.

Dann muss ich mich beeilen. Aber Sie wollten ja wissen, was die Landesregierung dazu sagt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unbedingt!)

Aber Ihr Entwurf geht aus verschiedenen Gründen zu weit, weil er dezidiert gegen Verfassungs- und Europarecht verstößt. Das betrifft das Konnexitätsprinzip und beispielsweise auch die Einbeziehung von anderen Unternehmen aus den Mitgliedstaaten. Das EU-Recht muss beachtet werden. All diese Themen können Sie im Einzelnen nachlesen. Ich mache Ihnen meine Rede zugänglich.

Insbesondere müssen wir aber natürlich auch Aufwand und Nutzen sehen – insbesondere nicht nur die Bereiche der Landesbetriebe, sondern auch die der Kommunen und der Anstalten des öffentlichen Rechts sowie vor allem auch der Privatunternehmen,für die eine ganz andere Rechtsgrundlage gilt. Ich gebe Ihnen diese Rede dann im Protokoll schriftlich zur Kenntnis.

(siehe Anlage 1)

Sie sehen – und damit möchte ich schließen –:Wir sind in einem konstruktiven Gespräch mit den Landesregierungen. Herr Al-Wazir hat beispielhaft den bayrischen Entwurf hervorgehoben.Wir sind sehr dicht an diesem bayrischen Entwurf dran. Wenn Sie den bayrischen Entwurf gelobt haben, dann bin ich sicher, dass Sie auch den Entwurf der Landesregierung loben werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Rhiel. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit hat die erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Hessisches Tariftreuegesetz, Drucks. 16/7503, stattgefunden. Es wird vorgeschlagen, dieses Gesetz zur Vorbereitung der zweiten Lesung an den Wirtschaftsausschuss zu überweisen. – Ich sehe keinen Widerspruch.Also verfahren wir so.

Eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Klimaschutz verstärkt in Hochschulen verankern, Drucks. 16/7549. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 89 und kann dann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit dem Tagesordnungspunkt 41 zu diesem Thema aufgerufen werden. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann machen wir das so.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 64:

Bericht der Enquetekommission „Demografischer Wandel – Herausforderung an die Landespolitik“ – Drucks. 16/7500 zu Drucks. 16/305 –

Entgegen der Tagesordnung hat sich die Enquetekommission „Demografischer Wandel“ geeinigt, den Vorsitzenden der Kommission, Herrn Kollegen Dr. Müller, als Berichterstatter sprechen zu lassen.

Bevor ich ihm das Wort erteile, möchte ich noch auf der Besuchertribüne einige Sachverständige der Enquetekommission „Demografischer Wandel“ persönlich begrüßen. Das sind Prof. Frank Fichert von der Hochschule

Heilbronn, Prof. Alexander Eichenlaub von der Universität Kassel, Thomas Pristl von AKP Stadtplanung und Regionalentwicklung und Eckhardt Hohmann, Präsident des Statistischen Landesamtes. Ich begrüße Sie herzlich und freue mich, dass Sie an unserer Beratung interessiert sind.

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute erblickt – um im Bild unseres Themas zu bleiben – der Abschlussbericht der Enquetekommission „Demografischer Wandel“ das Licht der Welt. Ich will als Vorsitzender der Kommission eines der schönsten Worte, das die deutsche Sprache hat, zunächst voranstellen. Ich möchte ein herzliches Dankeschön sagen. Es gilt allen ordentlichen und stellvertretenden Mitgliedern der Kommission, unseren wissenschaftlichen Experten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen aus dem Statistischen Landesamt und allen anderen, wie der Hessen-Agentur, die daran mitgewirkt haben, dass wir heute diesen Bericht präsentieren können. Das sage ich mit einigem Stolz.

(Allgemeiner Beifall)

Wir haben nach 37 Sitzungen, davon neun ganztägigen Anhörungen, heute die Möglichkeit, diesen Bericht dem Hessischen Landtag in die Hände zu geben.Ich hoffe,dass dieser Bericht, nachdem zunächst die Arbeit der Kommission beendet ist, nicht mit seiner attraktiven Drucksachennummer 16/7500 im Archiv verschwindet, sondern dass er Stoff für die weitere Arbeit des Landtags, der Landesregierung, vor allen Dingen auch der Kommunalpolitik und im Prinzip auch Stoff für die Diskussion und das Handeln aller gesellschaftlichen Gruppen bietet. Denn dies ist sicher auch ein Ergebnis: Es gibt niemanden – keinen Einzelnen und keinen Lebensbereich –, der von dem demografischen Wandel nicht persönlich betroffen ist.

Dieser Bericht ist aber neben seinem lesenswerten konkreten Inhalt auch ein Dokument dafür, dass sich dieser Hessische Landtag – übrigens als erstes Landesparlament in der Bundesrepublik Deutschland – sehr ernsthaft und ohne Theatralik einem der prägendsten Merkmale unseres Jahrhunderts angenommen hat, und das – das sage ich als Vorsitzender einfach – mit Sachverstand, mit großem Engagement und mit Herzblut.

Er ist darüber hinaus auch das Dokument des – wie ich finde – erfolgreichen Versuchs, dass die vier Fraktionen dieses Landtags auch im Zeichen eines heraufdämmernden Wahlkampfs sehr verantwortungsvoll und zuweilen sehr undogmatisch mit einem Thema umgegangen sind, das in seiner Wirkung weit in die nächsten Jahrzehnte hineinreichen wird.

Und es ist drittens auch ein Dokument dafür, dass auch die Mitglieder dieser Kommission im Verlauf der sehr intensiven Beratung zu diesem Thema persönlich sehr viel gelernt und mit Sicherheit an Weisheit, so das bei dem einen oder anderen noch ging, hinzugewonnen haben.

Eigentlich ist das mit dem demografischen Wandel ganz einfach. Man kann es so formulieren: Eine alte Gesellschaft – und wir sind auf dem Weg zu einer alten Gesellschaft – ist wie eine junge Gesellschaft, nur eben etwas älter. Aber so plausibel das auch klingt, es ist schon etwas komplexer und komplizierter. Ich glaube, wir alle haben in dieser Kommission – und ich hoffe, das trifft auch auf

diejenigen zu, die diesen Bericht lesen werden – einen Eindruck davon gewonnen, welches signifikante Problem dieser demografische Wandel in seinen Facetten, dass wir weniger, älter, bunter und, wenn ich hinter mir das Präsidium ansehe, kann ich den vierten Punkt gleich hinzufügen, weiblicher werden, für uns bereithält.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer schöner! – Allgemeine Heiterkeit)

Na gut,den Kollegen Klee muss man nicht über den gleichen grünen loben. Er ist ja ein Gesamtkunstwerk. Von daher passt er sehr gut dazu.

(Allgemeine Heiterkeit und Beifall bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es war unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu den Fraktionen eine Grundüberzeugung aller Mitglieder dieser Enquetekommission, dass wir uns einig waren, dass dieser demografische Wandel eben keine Naturkatastrophe, keine Horrorvision und auch keine Bedrohung, sondern – das ist schon formuliert worden – in der Tat eine große Herausforderung an die Landespolitik, aber auch an unsere Gesellschaft darstellt. Dieser Grundüberzeugung sind wir in unseren Tagungen auch immer gefolgt.

Wenn wir nicht der Auffassung gewesen wären, dass sich dieser demografische Wandel mit einiger Anstrengung und Willen und Mut zu Veränderung auch gestalten ließe, dann wären wir in dieser Kommission fehl am Platz gewesen.

Zum Schluss will ich Folgendes sagen. Es spricht sehr für das Klima in der Enquetekommission,dass dieser Bericht, den wir Ihnen heute vorlegen, mit einigen wenigen Sondervoten am Ende einstimmig und von allen Fraktionen getragen und verabschiedet worden ist. Wir geben ihn, wie gesagt, heute in die Hand des Landtags. Er ist ein Mosaikstein in dem Bild, von dem wir glauben, dass dieses Land Hessen zukünftig so aussehen könnte, und er zeigt,wie man die Bevölkerungsentwicklung und ihre Folgen verantwortungsvoll gestalten kann.

Ich hoffe, unsere Arbeit hat sich gelohnt. Ich glaube, man kann sagen, dass sie uns weitestgehend Spaß gemacht hat. Wir sind bereit für weitere Aufgaben. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Herzlichen Dank, Herr Dr. Müller. – Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Spies für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vielleicht darf ich mich den Danksagungen des Vorsitzenden, Herrn Dr. Müller, an dieser Stelle anschließen und sie um eine ergänzen, die man selbst nun einmal nicht aussprechen kann. Ich glaube, ich kann das im Namen aller Mitglieder der Enquetekommission tun. Ich möchte auch Ihnen, lieber Herr Dr. Müller, für die Art und den Stil, mit dem Sie diese Enquetekommission über einen so langen Zeitraum geleitet haben, ganz herzlich danken.

(Allgemeiner Beifall)

Sie haben es nämlich verstanden, an Punkten, die keineswegs unstrittig waren und manchmal durchaus lebhaft dis

kutiert wurden, immer dafür Sorge zu tragen, dass es zu Deeskalation und zu einer außerordentlich konstruktiven Zusammenarbeit kam. Ich glaube, es gibt wenige, die das so souverän und erfolgreich zustande gebracht hätten. Deshalb glaube ich, dass wir Ihnen zu ganz besonderem Dank verpflichtet sind. Dass wir dieses umfassende Produkt zustande gebracht haben, hat ganz sicherlich auch mit der Person des Vorsitzenden zu tun.

(Allgemeiner Beifall)

Demografischer Wandel findet in Generationen, also in langen Zeiträumen, statt. Einer der besonderen Reize, die diese Arbeit in der Enquetekommission mit sich gebracht hat, war für mich gerade die Beschäftigung mit Kategorien, die wir im Tagesgeschäft nicht immer so deutlich vor Augen haben, nämlich nicht in Legislaturperioden, sondern in Generationen zu denken und dabei das Zusammenwirken nahezu aller Bereiche – der Landes- und der Kommunalpolitik – in einer Einheit zu sehen.

Der Ausblick in die längerfristige Zukunft und die Auswirkungen einer sich ändernden Bevölkerungsstruktur in der längerfristigen Zukunft verlangt einen umfassenden und einen durchaus interdisziplinären Blick auf die Landespolitik. Ich für meinen Teil habe dabei sehr viel über die Bereiche gelernt, mit denen man sich sonst vielleicht nicht so viel beschäftigt.

Es gibt, wenn man in Kategorien langer Zeiträume denkt, einen Aspekt, den ich als Schlussfolgerung voranstellen möchte. Der demografische Wandel macht uns deutlich, welche Verantwortung Landespolitik besitzt und dass sie gerade die Kategorien, die ihre Wirkung über Generationen entfalten, immer im Blick haben muss.Wir haben einmal die Frage diskutiert: Braucht nicht jede landes-, aber auch jede kommunalpolitische Entscheidung einen Demografiecheck? Ich glaube, das braucht sie.

Wenn wir über Verantwortung reden, geht es doch eigentlich um den gerechten Umgang der Generationen miteinander, also den verantwortungsvollen Blick in die Zukunft. Der Bremer Philosoph Nullmeier hat dazu zwei Kriterien entwickelt, von denen ich glaube, dass sie sehr hilfreich sind.

Das erste ist: Gerechter Umgang der Generationen miteinander bedeutet, das weiterzugeben, was man selbst bekommen hat, und möglichst noch ein bisschen mehr.

Die zweite Regel lautet, allen nachfolgenden Generationen größtmögliche Entscheidungsspielräume zu hinterlassen. Weil wir nicht wissen, was kommt, müssen wir dafür eintreten, der jeweils nächsten Generation möglichst viele eigene Entscheidungen zu ermöglichen. Unter diesen zwei Leitsätzen will ich noch einmal einen Blick auf die Ergebnisse der Enquete werfen.

Meine Damen und Herren, zuallererst hat das, auch wenn der Begriff der Generationengerechtigkeit vorrangig in der Frage des pekuniären Austauschs zwischen Generationen gebraucht wurde, sehr wenig mit Geld zu tun. Er hat mit Substanz und Struktur zu tun, nicht so viel mit einem relativen Maßstab, wie es Geld in seinem Wert ist. Er hat etwas damit zu tun, ob Substanzen erhalten bleiben, also natürliche Ressourcen,Bodenschätze – die Dinge,die unwiederbringlich sind und die, wenn wir sie verbraucht haben, für zukünftige Generationen nicht mehr da sind.

Er hat damit zu tun, ob wir das, was uns übergeben wurde, in einem so ordentlichen Zustand weitergeben, wie man es angemessenerweise von uns erwarten kann. Er hat damit zu tun, ob wir lebendige, funktionstüchtige, gewach

sene Strukturen erhalten, denn nur lebendige, langsam entwickelte und erhaltene Strukturen sind in sich stark.

Ich will deshalb im Folgenden nicht im Detail auf den Text eingehen, sondern einige Punkte ansprechen, die zwischen den Fraktionen in der Beurteilung durchaus unterschiedlich waren. Ich glaube, das sollte man hier tun.