Protokoll der Sitzung vom 05.09.2007

Jetzt kommen wir zur Regierungserklärung zurück.Ich zitiere:

... es ist erfreulicherweise... zu einer guten und bewährten Tradition geworden, dass wir aus allen Landesteilen zum Schuljahresbeginn positive Rückmeldungen über die Lehrerversorgung lesen und hören können.

Dazu muss ich Ihnen sagen: Das mag so sein, aber eine gute Tradition ist es sicherlich nicht, wenn Schulleiter nicht mehr wagen, die Presse öffentlich zu benachrichtigen und sich überhaupt öffentlich zu äußern.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn selbst die kleinsten Regionalzeitungen werden nachgelesen. Die Schulleiter, die sich in irgendeiner Form negativ äußern, werden einbestellt. Das ist meiner Meinung nach aber überhaupt keine gute Tradition.

(Beifall bei der FDP)

Seit 2003 gibt es Reformen im Eiltempo auf der einen Seite und Prestigeobjekte auf der anderen Seite. Das Superprestigeobjekt und das Superthema war natürlich die Unterrichtsgarantie plus. Sie kostet viel Geld und, wie in der Regierungserklärung gesagt, sie betrifft nur 2,4 % des Unterrichts. Dennoch macht sie in Hessen einen Wirbel und bringt die Schulen durcheinander,sodass man sich fragen sollte, ob sich das für die 2,4 % wirklich gelohnt hat.

(Beifall bei der FDP – Mark Weinmeister (CDU): Es lohnt sich für jede Stunde!)

Es war eine gute Idee, geboren aus dem Angebot an die Schulen, in Verantwortung den Eltern eine verlässliche Schulzeit bieten zu können. Die Umsetzung wurde mit einem Bürokratieaufwand betrieben, bei dem sich Eltern, Lehrer und Kinder verschaukelt gefühlt haben. Hinzu kam noch, dass man die Lehrer in ihrer beruflichen Ehre schwer gekränkt hat, weil man ihnen vermittelt hat: Unterricht kann jeder erteilen,er braucht dafür keine vernünftige Ausbildung.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ich finde, das ist das Schlimmste!)

Verkauft wurde das natürlich mit einem riesigen PR-Aufgebot, mit einer riesigen Plakatierung: Wieder einmal keine Stunde ausgefallen.

Die FDP hätte den Schulen die Verantwortung für die Mittel übertragen, und wir hätten ihnen die Freiheit gegeben, die Umsetzung zu einer verlässlichen Schule in Eigenverantwortung zu regeln.

(Beifall bei der FDP)

Auch bei der Einrichtung der Ganztagsangebote, die wir gemeinsam und auf unser Drängen hin begonnen haben, wurde bis heute viel gemacht.Aber auch da gibt man den Schulen nicht die Freiheit, ihre eigene Konzeption zu finden. Warum müssen alle Schulen über das Konzept der

pädagogischen Mittagsbetreuung einsteigen? Warum können sie nicht einzelne Klassen in gebundener Form führen und die anderen Klassen im kompletten Halbtagsbetrieb?

(Beifall bei der FDP)

Sie argumentieren mit den Zahlen aus Rheinland-Pfalz und sagen, dort kämen nur 10 % in den Genuss der Ganztagsschule. Es ist aber die Frage, wie viel Zeit diese 10 % in der Ganztagsschule verbringen und wie viel Zeit unsere Kinder in der Schule mit Mittagsbetreuung verbringen. Ich denke, man sollte den Schulleitern vertrauen und ihnen die Freiheit geben, sich ihren Betrieb, ganztags, halbtags oder gebunden, selbst zu organisieren; denn sie kennen die Probleme der Eltern und wissen, wie es vor Ort aussieht.

Vor Ort ist sowieso sehr viel entscheidender; denn Eltern sind unterschiedlich, und Regionen sind unterschiedlich. Die Einführung von G 8 hat in Bad Homburg zu einer großen Verärgerung der Eltern geführt – aus dem einfachen Grund, dass ihre Kinder nicht mehr die Zeit haben, die vielfältigen Angebote am Nachmittag wahrzunehmen, die die Eltern in Bad Homburg ihren Kindern bieten wollen. Im ländlichen Raum in Nordhessen führt G 8 zu anderen Problemen, weil die Kinder aufgrund der langen Fahrtzeiten so spät nach Hause kommen, dass sie nicht einmal mehr in den Fußballverein gehen können, weil es abends dafür schon zu spät geworden ist.

(Beifall bei der FDP – Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr richtig!)

Also hätte man auch da sehr viel vorsichtiger an die Umsetzung gehen müssen und diese Dinge bedenken müssen und nicht von vornherein sagen dürfen: In zwei Tranchen müssen alle Schulen unbedingt umstellen.

Desgleichen wäre es besser gewesen, wenn man den kooperativen Gesamtschulen die Wahlfreiheit gelassen hätte. Wir haben damals versucht, das mit einem Plenarantrag durchzusetzen. Das ist uns nicht genehmigt worden. Jetzt ist es so, dass fast alle Förderstufen weg sind. Die KGS haben Eingangsklassen, und es kommen der große Andrang und die Frage nach Umstellung in eine integrierte Gesamtschule, weil das Alternativangebot zu G 8 nur noch die integrierte Gesamtschule ist und weil viele Eltern dieses Angebot annehmen wollen.

Ich bin mir ganz sicher, der Run auf das Gymnasium ist jetzt zwar sehr groß. Aber ich glaube, die Eltern werden mit der Zeit merken, welche Leistung sie ihren Kindern da abverlangen. Dann wird die Alternative der integrierten Gesamtschulen, wie bereits in Großstädten wie Wiesbaden, auch in ländlichen Regionen attraktiver werden.

(Beifall bei der FDP)

Das nächste Kapitel der Regierungserklärung betraf den Bildungs- und Erziehungsplan.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Die Ministerin hört nicht zu! Sie spielt am Computer! – Gegenruf der Ministerin Karin Wolff: Keine Sorge!)

Sie haben Herrn Prof. Fthenakis zitiert:

Man kann heute mit Fug und Recht behaupten, dass der hessische Bildungs- und Erziehungsplan der innovativste unter allen Bildungsplänen ist und dass er Vorreiter einer Entwicklung ist, der andere Bundesländer bald folgen werden.

In einem haben Sie völlig Recht: Er ist sehr innovativ, und er ist sehr gut. Aber auch bei dem Bildungs- und Erziehungsplan gilt der Spruch: Ohne Moos nichts los. Wenn wir ihn überall einführen wollen, dann geht es nicht ohne finanzielle Unterstützung, dann geht es nicht ohne personelle Unterstützung.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben aber in der Regierungserklärung kein einziges Wort dazu verloren, wie das umgesetzt werden soll und wie Sie die Schulen und die Kindergärten dabei unterstützen.

(Florian Rentsch (FDP): Im Stich gelassen!)

Zum Thema Hauptschule. Im Hauptschulbereich fehlen eine umfassende Konzeption und eine umfassende Reform.Auch da gibt es prestigeträchtige Einzelprojekte,besonders die SchuB-Klassen und bei der Einzelförderung auch die Osterferiencamps. Die SchuB-Klassen sind nützlich, aber sie richten sich an die Kinder, die in der regulären Hauptschule bereits gescheitert sind oder in der Hauptschule am Ende scheitern werden. Denn nur die Kinder, bei denen man von vornherein absieht, dass sie den Abschluss nicht schaffen, werden in die SchuB-Klassen gehen. Aber das kann doch nicht unser Petitum sein. Unser Petitum muss doch sein, dass alle Kinder ab der Klasse 5 in der Hauptschule so gefördert werden, dass sie die SchuB-Klassen hinterher eigentlich gar nicht brauchen.

(Beifall bei der FDP)

Ich sage klipp und klar, auch dazu habe ich in der Regierungserklärung ein Konzept vermisst. Dazu wurde nichts gesagt. Dort heißt es nur, die SchuB-Klassen werden auf alle Hauptschulen ausgedehnt. Im Grunde genommen heißt das, wir geben die Hauptschule zwischen der 5. und der 8. Klasse gleich auf, weil wir sie hinterher alle in den SchuB-Klassen auffangen.

Der durchschnittliche Hauptschüler, der natürlich auch Probleme bei der Berufsfindung hat, bleibt dabei letztendlich auf der Strecke. Es wurde auch kein Wort zur Verbindung zwischen Haupt- und Berufsschule gesagt, wie wichtig es wäre, dass bestimmte Unterrichtseinheiten der Hauptschule in den Berufsschulen stattfinden, damit die Kinder früher praxisorientiert arbeiten können, damit die Werkstatträume der beruflichen Schulen besser genutzt werden können, auch von den Hauptschülern.

Es wurde auch kein Wort zu einer übergreifenden Zusammenarbeit zwischen beruflichen Schulen, Hauptschulen, anderen Schulen und Volkshochschulen im HessenCampus gesagt. Der Hessen-Campus spielt für die Hauptschulen und die beruflichen Schulen eine große Rolle, weil Angebote im Hessen-Campus gemeinsam genutzt werden können, weil es modulare Unterrichtseinheiten geben kann, die für den Hauptschüler woanders angeboten werden. Dazu stand kein Wort in der Regierungserklärung.

Einen absoluten Stillstand gibt es bei der eigenverantwortlichen Schule. Das Projekt SV+ hat einen wirklich sehr traurigen Weg genommen.Wir haben im Jahr 2003 einen einstimmigen Beschluss gefasst.

(Petra Fuhrmann (SPD): Es ist inzwischen wohl üblich, dass die betroffenen Kabinettsmitglieder nicht mehr zuhören, sondern schwätzen!)

Dann wurde viel gearbeitet, in allen Schulen, in allen Gremien, in allen Kreisen. Jetzt haben wir den September 2007. Das Rechtsgutachten liegt vor, aber die Landesregierung macht keine Anstalten, auf der Grundlage dieses Rechtsgutachtens endlich Dinge anzustoßen, endlich Ziele vorzugeben und endlich in die Puschen zu kommen. Ich habe versucht, in der letzten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses einen Antrag auf den Weg zu bringen, dass die Landesregierung noch in dieser Legislaturperiode den Auftrag bekommt, das Schulgesetz dahin gehend zu ändern, dass die Rechtsfähigkeit der Schulen eingearbeitet wird. Nicht einmal das war möglich. Das heißt, die Legislaturperiode geht zu Ende, und es hat sich an der Rechtsform der Schule gar nichts geändert.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Mathias Wag- ner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das heißt, wir haben den Schulen fünf Jahre lang Arbeit verordnet. Wir haben ihnen fünf Jahre lang Hoffnungen gemacht, und sie haben fünf Jahre lang an die Handlungsfähigkeit der Politik geglaubt. Jetzt sind sie schwer davon enttäuscht.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht von der Politik im Allgemeinen!)

Vielleicht nicht von der Politik im Allgemeinen, aber von der Umsetzung der Politik. – Was ist jetzt? Gar nichts. Sie sind allesamt maßlos enttäuscht worden.

Es gibt auch eine Diskrepanz bei dem Projekt HessenCampus. Das ist ein weiterer Leuchtturm des Ministerpräsidenten, den er überall und sehr überzeugend verkündet. Das Projekt scheitert aber an der schleppenden Umsetzung durch das Ministerium. Auch nach der Vorlage des Rechtsgutachtens tut sich nichts. Schließlich ist eines der Kernprobleme des Hessen-Campus die Rechtsstellung der daran beteiligten Schule und die Rechtsstellung des Hessen-Campus insgesamt. Die Schulen können mit ihren Vertragspartnern nicht auf Augenhöhe verhandeln, weil die anderen eine Rechtsstellung haben. Die Schulen haben keine, und der Hessen-Campus selbst hat als Ganzes überhaupt keine Rechtsform oder keine Rechtsstellung und kann daher nicht richtig mit dem Arbeiten beginnen. Das war also das SV-plus-Projekt – ein völliger Reinfall.

Die Situation an den Schulen wird aber auch dadurch sehr belastet, dass die Rahmenbedingungen, die Hilfswerkzeuge, die die Schulen bekommen, nicht funktionieren. Die neue LUSD ist eine Katastrophe. Das Ausstellen der Zeugnisse funktioniert nicht. Die Fehltage sind nicht drin, obwohl die Betriebe, bei denen die Oberstufenschüler sich bewerben, darauf achten. Ich darf zitieren:

„Frust mit der LUSD“.. Vor allem für die Schulsekretärinnen sei die Belastung durch die Pannensoftware nicht mehr zumutbar.In den Sekretariaten spielten sich bisweilen „tumultartige Szenen ab“... Schülern könnten dringend benötigte Bescheinigungen für ihre Lehrbetriebe wegen der nicht funktionierenden Software nicht ausgestellt werden.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

„Ich habe 1.000 neue Schüler zu erfassen, konnte bis heute aber nur vier Namen eingeben“... Ständig gibt es Systemabstürze.

Meine Damen und Herren, so kann ich mit Schulen nicht umgehen. Ich sage klipp und klar: Das liegt nicht nur an der Softwarefirma, die daran arbeitet.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das ist wahr!)

Eine Softwarefirma programmiert das, was man in Auftrag gibt.