Protokoll der Sitzung vom 25.09.2007

heit behandelt wird – Kindergesundheit ist mehr als Impfschutz und die Pflicht zur Vorsorge, es ist viel, viel mehr –, wenn man betrachtet, in welchem Umfang gesundheitliche Auswirkungen heute Lebenschancen von Kindern betreffen und wie stark unterschiedliche Lebenschancen bereits in den sozialen Ausgangslagen und ihren gesundheitlichen Konsequenzen angelegt sind, dass Kinder, die aus armen Verhältnissen kommen, mehr als doppelt so häufig eine unzureichende Entwicklung der Sinnesfunktionen haben, dass sie viermal so häufig eine unzureichende Sprachentwicklung haben, wenn sie in die Schule kommen – das ist ganz klar eine Frage sozialer Herkunft –, dann wird ganz klar, dass man, wenn man Kindergesundheit ernst nimmt,gerade den Aspekt des Umgangs mit Armuts-Settingansätzen im öffentlichen Gesundheitsdienst hätte angehen müssen.An dieser Stelle hat die Landesregierung die Aufgabe verfehlt, und auch das wurde in der Anhörung sehr deutlich.

Meine Damen und Herren, wenn man denn Impfen für den einzigen Teil des öffentlichen Gesundheitsschutzes in Bezug auf Kinder hält, dann wäre es schön, wenn man wenigstens das machen würde und damit ganz deutlich den Ort zu Hilfe nehmen würde, an dem wir alle Kinder finden, nämlich die Schule. Aber auch da, in Bezug auf eine zeitgemäße,konsequente schulärztliche Versorgung:Fehlanzeige.

Die Herausforderungen der Zeit sind eben nicht mehr nur die Infektionskrankheiten, wie das vor 50 oder 100 Jahren der Fall war. Aber wenn wir über chronische Erkrankungen reden, wenn wir über Herz-Kreislauf-Erkrankungen reden, wenn wir über Fehlernährung reden, wenn wir über chronisch-degenerative Erkrankungen reden, die das Leben nicht verkürzen, aber außerordentliche Belastungen und volkswirtschaftliche Schäden nach sich ziehen, wenn wir über bösartige Erkrankungen reden – in all diesen Fragen, in denen der öffentliche Gesundheitsdienst über die Prävention, über Aufklärung, aber auch über umweltmedizinische Maßnahmen eine zentrale Rolle spielen könnte: Fehlanzeige.

Das Thema demografischer Wandel kommt nicht vor. Wenn wir über die Steuerungsfunktion des öffentlichen Gesundheitsdienstes reden – auch den sieht man in diesem Gesetz überhaupt nicht.

Tatsächlich ist der öffentliche Gesundheitsdienst nicht nur Moderator. Er kann auch nicht nur Moderator sein in einem Feld, in dem es sich strukturell nicht lohnen kann, aktiv zu werden. Präventive Medizin lohnt sich für den Betroffenen nur sehr mittelbar. Deshalb ist sie immer dem Problem ausgesetzt, dass in ihrer Breitenwirkung das Marktversagen prädestiniert ist. Sie bietet Leistungen an, die man im Grunde gar nicht haben will. Man will keine Behandlung haben, man möchte nämlich die Krankheit, die dazu führt, gar nicht erst bekommen.

An dieser Stelle liegt ein grundsätzlicher Irrtum, der die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen betrifft. Wenn wir noch in dieser Legislaturperiode des Bundestages ein Bundespräventionsgesetz bekommen,was wir alle hoffen, und wenn es denn einigermaßen gelingt, dieses so umzusetzen, dass Lebenswelt-Setting-bezogene Ansätze umgesetzt werden können, was doch alle wollen und worüber es eigentlich keinen Streit gibt, dann muss doch irgendjemand lokal, kommunal in der Pflicht sein, sich darum zu kümmern.

Die Steuerungsaufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes kommt in diesem Gesetz auch bei der regionalen

Organisation und bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen nicht vor. Nein, meine Damen und Herren, der öffentliche Gesundheitsdienst müsste Motor für die präventive Versorgung der Menschen in Hessen sein. Diese Aufgabe wird mit diesem Gesetz beileibe nicht erfüllt.

Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen und nächstes Jahr einen ordentlichen machen, damit die Entwicklung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Hessen in die richtige Richtung vorangebracht werden kann.

(Ministerin Silke Lautenschläger: Keine Sorge!)

Erlauben Sie mir an der Stelle noch eine Bemerkung zu den zwei Änderungsanträgen, die uns heute auf den Tisch geflattert sind. Das nehme ich nun schon mit Interesse zur Kenntnis.Es ist gar nicht so ganz falsch,was man beim ersten Überfliegen darin sieht. Aber wer sich der Frage der Strukturierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes ernsthaft stellen will und uns eine komplette Neufassung des Gesetzes vorlegt, die binnen 48 Stunden zu beschließen ist, der kann das nicht ernst gemeint haben. Der kann nicht ernst gemeint haben, dass wir eine so komplexe Materie, wie sie sich aus den beiden Änderungsanträgen ergibt, so einmal nebenbei in diesem Hause beschließen sollen. Nein, meine Damen und Herren, dazu wäre doch zumindest eine neue Anhörung erforderlich. Dazu wäre doch eine sehr differenzierte Prüfung der Auswirkungen erforderlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Initiative mehr ist als ein bisschen Showfeuer. Das hat der öffentliche Gesundheitsdienst an dieser Stelle nicht verdient.

Angemessen gewesen wäre: Wir schicken dieses Gesetz so, wie es ist, zurück an die Landesregierung und machen nächstes Jahr in Ruhe, gründlich und ordentlich ein Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Hessen, das dem öffentlichen Gesundheitsdienst in Hessen Ruhm beschert und nicht peinlich ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Ich darf Frau Oppermann für die CDU-Fraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf hat in der Anhörung eine breite Zustimmung gefunden – entgegen dem, was Sie hier gerade vorgetragen haben, Herr Kollege Spies.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wie bitte? Haben Sie verstopfte Ohren gehabt?)

Nein, Herr Kollege Kaufmann, ich habe ausgesprochen gute Ohren.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Warum machen Sie sie nicht auf?)

Der Entwurf ist nicht kleinmütig,er ist äußerst präzise.Ich komme gleich im Einzelnen darauf zu sprechen.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Er ist doch in der Luft zerrissen worden!)

Meine Damen und Herren, der Schutz der hessischen Bevölkerung hat absolute Priorität. Erstmals werden die

zentralen Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes in einem einzigen Gesetz zusammengefasst.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie legen gerade ein Kindergesundheitsschutzgesetz vor!)

So können acht Gesetze bzw. Rechtsverordnungen mit mehr als 140 Paragrafen aufgehoben werden. Also haben wir mehr Transparenz und mehr Übersichtlichkeit im Gesundheitswesen.

Es werden aber auch angesichts der weltweit veränderten Gefahrenlage im Gesundheitswesen Strukturen klar definiert. Mit diesem Gesetz werden Rahmenbedingungen geschaffen, um über zentral gesteuerte Einsatzstrukturen mögliche Krisen bekämpfen zu können. Schnelle Interventionsmöglichkeiten und kurze Entscheidungswege können Leben retten.

Mit diesem Gesetz sind wir in Hessen auf potenzielle Gefahren im Gesundheitsbereich vorbereitet und im öffentlichen Gesundheitsdienst gut aufgestellt. Aufsichtsbehörden werden gestärkt und ihre Kompetenzen erweitert.

Ich möchte Ihnen nicht alle Paragrafen im Einzelnen vortragen, nur § 4, der sich mit der Abwehr erheblicher gesundheitlicher Gefahren beschäftigt. Meine Damen und Herren, nur Hessen hat diese Regelung

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und trägt damit der weltweit veränderten Gefahrenlage Rechnung. Selbst Niedersachsen, dessen Gesetz in der Anhörung immer so angepriesen wurde, hat in seinem 2006 verabschiedeten Gesetz keine vergleichbare Regelung. Dasselbe gilt im Übrigen für Berlin, das im Mai 2006 ein sehr umfangreiches, aber – wenn ich das anmerken darf – ein sehr unübersichtliches Gesundheitsdienstgesetz verabschiedet hat.

Herr Kollege Spies, selbst die Kritiker des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst haben im Rahmen der Anhörung die im besagten § 4 vorgesehene Lösung positiv hervorgehoben. Ich darf hier Herrn Altgeld zitieren: „Sollte die Vogelgrippe tatsächlich mutieren und ausbrechen, sind Sie in Hessen mit diesem Gesetzentwurf sehr gut vorbereitet.“ So viel zu diesem Thema.

(Dr.Thomas Spies (SPD): Das ist aber das Einzige, Frau Oppermann!)

Nun beruhigt euch doch. Heute in drei Monaten ist der 1.Weihnachtstag. Nun seid einmal schön ruhig.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und in vier Monaten sind Sie weg von hier!)

Ziel des Gesetzentwurfs sind Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, die hygienische Überwachung von Einrichtungen, der Schutz und die Förderung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sowie die Prävention.

Meine Damen und Herren, nun haben einige Anzuhörende bei der Anhörung gesagt – Herr Kollege Spies hat eben auch darauf hingewiesen –, dass ihnen der Kindergesundheitsschutz in diesem Gesetzentwurf zu kurz komme.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tut er doch auch! Deshalb machen Sie ein Extragesetz, weil er Ihnen zu kurz kommt!)

Hören Sie zu, Herr Kaufmann. – Die Landesregierung trägt dem Gesundheitsschutz von Kindern besondere Rechnung, indem sie nämlich ein eigenes Kindergesundheitsschutzgesetz vorlegt, das morgen von der Frau Sozialministerin hier im Landtag in erster Lesung eingebracht wird.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Da geht es doch nur um die U 1 bis U 9!)

Meine Damen und Herren, ein weiterer Kritikpunkt – insofern will ich aufgreifen, was Herr Kollege Spies hier eben gesagt hat – war, dass der demografischen Entwicklung nicht Rechnung getragen werde. Hier sagt der Gesetzentwurf ganz eindeutig, dass die Gesundheitsämter zusammen mit anderen Stellen zur Weiterentwicklung einer vernetzten ambulanten und stationären, medizinischen und pflegerischen Versorgungsstruktur insbesondere für ältere Menschen beitragen.

Meine Damen und Herren, erstmals werden ältere Menschen ausdrücklich erwähnt. Hier davon zu sprechen, dass der demografischen Entwicklung in Deutschland nicht Rechnung getragen werde, ist mehr als befremdlich.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Was ist denn das für ein Quatsch?)

Auch hier hilft wieder ein Vergleich mit den Gesundheitsdienstgesetzen in anderen Ländern. Hier hat Hessen weit mehr geregelt, als das andere Bundesländer getan haben. Auch dieser Punkt war Teil der Anhörung. Die geäußerte Kritik geht hier am Gesetzentwurf eindeutig vorbei.

Die nächste Kritik war, dass der umweltbezogene Gesundheitsschutz in diesem Gesetz nicht abgebildet sei. Auch dies ist nicht nachzuvollziehen, weil die Gesundheitsämter mit diesem Gesetzentwurf einen eindeutigen Auftrag haben. Das Gleiche gilt – um darauf einzugehen, was Sie,Herr Kollege Spies,hier gerade gesagt haben – für psychische Krankheiten.Wir haben Menschen mit psychischen Krankheiten und Abhängigkeiten durch Bezugname auf § 59 SGB XII explizit berücksichtigt. Das wurde auch in der Anhörung ausführlich dargestellt. Außerdem wurde dargestellt, welche Einsatzmöglichkeiten sich hier bieten.

Nehmen wir den Bereich der Zahnpflege.Auch hier ist ein Blick in die Gesundheitsdienstgesetze anderer Bundesländer äußerst hilfreich und aufschlussreich.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Allerdings!)

Ja, allerdings. Frau Kollegin Schulz-Asche, ich weiß nicht, ob Sie es unterlassen haben, einen Blick hineinzuwerfen. – Hessen hat eine eigene Vorschrift und trägt damit dem besonderen Stellenwert, der der Zahnpflege bei Kindern zuerkannt wird, Rechnung. Hieran gab es in der Anhörung im Übrigen auch keine Kritik. Niedersachsen und Rheinland-Pfalz treffen zur Zahngesundheit keine Aussage. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Meine Damen und Herren, das hessische Gesundheitsdienstgesetz ist im Gegensatz zu demjenigen manchen anderen Bundeslandes äußerst präzise. Heute haben wir die Änderungsanträge der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN bekommen und werden gleich im Sozialpolitischen Ausschuss darüber reden.Nur zur Information an die Kolleginnen und Kollegen, die nicht im Sozialpolitischen Ausschuss sind: Herr Dr. Spies, die SPD hat nicht einen einzigen Änderungsvorschlag eingereicht. Das

finde ich sehr beachtlich. Das zeigt auch, welchen Stellenwert der öffentliche Gesundheitsdienst bei der SPD hat.

(Zuruf des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Meine Damen und Herren, angesichts der weltweit veränderten Gefahrenlage im Gesundheitswesen brauchen wir klar definierte Strukturen, die sich in möglichen Krisensituationen wie z. B. einer Influenzapandemie bewähren können.Krisenintervention und -bekämpfung werden vereinfacht und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger effizienter gestaltet. Wir sind mit diesem Gesetzentwurf über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Hessen sehr gut aufgestellt. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)