Protokoll der Sitzung vom 26.09.2007

Meine Damen und Herren, damit das niemand falsch versteht: Es geht dem Finanzminister nicht etwa darum, weniger Schulden haben zu wollen; es geht ihm um weitere Schulden, die er auf den bestehenden Berg zusätzlich obendrauf packt. Er ist nur so gnädig, dass etwas weniger draufgepackt werden soll, nämlich 17,5 Millionen c weniger, als für das laufende Jahr geplant ist.

Doch diese Aussage darf man bezweifeln.Wenn nicht weitere neue Rechentricks angewandt werden, wird – davon sind wir überzeugt – die Neuverschuldung 2007 noch sinken können, sodass der Haushaltsplan 2008 am Ende doch wieder eine Steigerung der Neuverschuldung im Vergleich zum Vorjahr mit sich bringt.

Im Vergleich zum vergangenen Vorjahr, also zu 2006, ist das nämlich schon genauso gewesen. Hier haben wir eine Steigerung der Neuverschuldung im Vergleich zum der

zeit gültigen Haushaltsplan, und zwar eine Steigerung von über 40 %. Selbst wenn der Nachtrag 2007 die Kreditaufnahme nochmals reduziert, bekommen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Treppe steigender Neuverschuldung. Das ist eine Beschleunigung des Absturzes in die Schuldenfalle und damit das exakte Gegenteil dessen,was man Konsolidieren nennen könnte –

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

wahrlich das genaue Gegenteil eines Kurses der Haushaltskonsolidierung. Ich wiederhole: Die für 2008 geplante Nettoneuverschuldung bewegt sich mit 681,5 Millionen c auf einem viel zu hohen Niveau.Wenn selbst in einem Haushaltsjahr mit einem ungeahnt hohen wirtschaftlichen Wachstum, einer Einnahmesteigerung von über 8 % im Landeshaushalt und einer Steigerung der Steuereinnahmen nach Abzug des Länderfinanzausgleichs von 10,4 % kein Haushaltsausgleich möglich ist, ja wann eigentlich dann?

Ich will noch anmerken, dass die Nettoneuverschuldung rechnerisch nur deshalb derzeit im Vergleich zum Jahre 2007 gesenkt werden kann, da sich die Entnahmen aus Rücklagen auf über 300 Millionen c belaufen. Hätte der Finanzminister nicht vorsorglich mit Blick auf den Wahltermin zu diesem Buchungstrick gegriffen, so hätte er schon jetzt eine höhere Neuverschuldung gegenüber dem Haushaltsgesetz 2007 ausweisen müssen.

Meine Damen und Herren, was sagt man eigentlich dazu – Herr Milde, Sie werden es noch tun –: Sprudelnde Steuereinnahmen und zugleich faktisch steigende Neuverschuldung? Das charakterisiert die weimarsche Finanzpolitik. Und dann feiert er sich hier und behauptet auch noch, dass bessere andere Zahlen gar nicht möglich seien. Dazu – ich habe es im letzten Jahr schon getan – greife ich noch einmal zu Seneca. Sie kennen das Zitat:

Nolle in causa est, non posse praetenditur.

Für diejenigen unter Ihnen, die keine hessische Gesamtschulbildung genossen haben,

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Lachen bei der CDU)

übersetze ich es gerne: Nicht wollen ist der wahre Grund, nicht können nur der Vorwand.

Meine Damen und Herren, jetzt muss man vielleicht noch die Frage beantworten, um wessen Nichtwollen es geht. Vielleicht tue ich dem Finanzminister bitter unrecht.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Genau!)

Also analysieren wir einmal. Das Nichtwollen liegt auf jeden Fall beim Regierungschef, denn er hat die Richtlinienkompetenz. Wahrscheinlich liegt es bei der gesamten Regierung, die – getrieben von Ressortegoismus und Profilierungssucht – im Geldausgeben die entscheidende Werbung für ihre ansonsten unverkäufliche Politik sieht. Aber wenn dem so ist, ist der Finanzminister zumindest unfähig,seine Verantwortung ordentlich wahrzunehmen – wenn schon nicht im Kabinett, dann wenigstens hier vor dem Landtag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wir haben es alle gerade erlebt, er hat den Regierungsentwurf hörbar nicht nur verteidigt. Er hat ihn geradezu emphatisch empfohlen. Er gehört doch offensichtlich im Sinne Senecas ebenfalls zu den Unwilligen. Wir wissen

auch von Herrn Koch, dass er ihn nicht zuletzt deshalb einen „prima Finanzminister“ nennt,

(Minister Karlheinz Weimar: Hut ab! – Heiterkeit des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

weil Weimar sich eben nicht sträubt, Schulden zu machen, und dann, wenn es so weit gekommen ist, immer verniedlichend von dem Delta babbelt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dennoch tut mir Karlheinz Weimar leid.

(Michael Boddenberg (CDU): Das hat er nicht verdient! – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Nein, nein!)

Bald neun Jahre musste und muss er noch – wie Hajo Schumacher in Kochs Biografie schreibt – auf dem undankbaren Posten des Finanzministers ausharren,

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Oh!)

wo er doch viel lieber das Leben genießen, mit der Harley durch den Taunus cruisen und locker deutlich mehr Geld als Anwalt und Notar verdienen würde. Jetzt wird ihm auch noch sein Abgang als Minister vermasselt. Dieser Haushaltsentwurf ist zwangsläufig so etwas wie das weimarsche finanzwirtschaftliche Vermächtnis. Eine weitere Chance hat er nicht.

In einer solchen Situation möchte eigentlich jeder ein bisschen erfolgreich dastehen. Ich nehme an, das gilt auch für Karlheinz Weimar. Nur, ein so mieses Werk wie dieser Haushaltsentwurf ist überhaupt kein Erfolgsausweis, sondern ein finanzpolitisches Armutszeugnis in jedweder Hinsicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Minister Karlheinz Weimar: Okay, dann mache ich halt weiter!)

Der im Kabinett beschlossene Regierungsentwurf ist die größte politische Beschädigung, die man einem Finanzminister zuteil werden lassen kann. Den Haushaltsausgleich kann er erst für ganz ferne Zukunft versprechen. Von Nachhaltigkeit findet man keine Spur. Die Haushaltsvorlage trägt eher die Handschrift von Ressortegoismen – ich sagte es bereits – und von der Angst vor dem Wahltag, denn eines steht fest: Der Finanzminister konnte sich mit seinen Vorstellungen von einem zukunftsfähigen Haushalt, sofern er sie je ernsthaft gehabt hat, auf jeden Fall nicht durchsetzen.

Stattdessen ist Ihre Haushaltsvorlage ein reiner Wahlkampfhaushalt. Wenn es der aktuelle Haushaltsentwurf für Weimar und für sein finanzpolitisches Vermächtnis nicht bringt, ist vielleicht seine Finanzplanung deutlich besser geraten. Schauen wir uns also diese Finanzplanung genauer an.

Laut Finanzplanung soll der Haushaltsausgleich im Sinne einer Nettoneuverschuldung von null erst im Jahre 2011 erreicht werden. Ziemlich auffällig ist dabei, dass die Landesregierung plant,die bereinigten Gesamtausgaben nach Abzug des Kommunalen Finanzausgleichs und des Länderfinanzausgleichs ab dem übernächsten Jahr nur noch um 0,5 % im Jahre 2009, um 0,8 % im Jahre 2010 und nur noch um 0,3 % im Jahre 2011 steigen zu lassen.

Wir erinnern uns: Im Jahre 2008 mit dem Haushalt, über den wir jetzt reden, sind es 5,1 % mehr. Wissen Sie übrigens, der entsprechende Wert für 2007 war minus 0,9 %? Ich kann nur sagen: Herr Finanzminister, ertappt. – Braucht es wirklich mehr Argumente, um den Wahlkampfcharakter dieses Haushaltsentwurfs deutlich zu erkennen?

Die Singularität in der Ausgabensteigerung ist doch frappierend. Für den Haushalt 2008 wird eine deutliche Ausgabensteigerung von mehr als 5 % geplant. Davor und danach soll es sehr viel bescheidener zugehen. Diese Regierungsvorlage steht ganz offensichtlich unter dem Eindruck der kommenden Landtagswahl am 27. Januar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Die massiv steigenden Ausgaben sind ein sicherer Ausweis dafür, dass die Landesregierung aus Nervosität vor dem Wahltermin für jede gesellschaftliche Gruppe ein kleines Geschenk bereithält. Meine Damen und Herren von der CDU, Herr Milde, wissen Sie denn nicht, Geldgeschenke sind fantasielos, vor allem kleine?

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): So ist es!)

Das sagt der Aphoristiker Werner Mitsch. Sie sollten mehr von ihm lesen; das könnte Ihrer Politik nur positiv nützen.

Besonders bizarr ist die von mir bereits angesprochene geplante Ausgabenentwicklung über das Jahr 2008 hinaus laut der vorgelegten Finanzplanung. Die brauchen wir jetzt allerdings nicht mehr so genau anzuschauen, weil wir sie nicht ernst nehmen müssen. Bis dahin gibt es keine Chance mehr für Weimar, darauf Einfluss zu nehmen.

Nicht nur mir kommt ein Déjà-vu mit der „Operation düstere Zukunft“ in den Sinn. Die Wählerinnen und Wähler werden sich nämlich noch gut daran erinnern, dass die Landesregierung bei der Vorlage des Haushaltentwurfs 2003 – das war vor der letzten Wahl – viele vollmundige Versprechen gemacht hat und damit allen Menschen in Hessen ungeachtet der tatsächlichen finanziellen Situation des Landes viel Sand in die Augen gestreut hat.

Vor allem werden sich die Bürgerinnen und Bürger daran erinnern, dass diese Versprechen nur von sehr kurzer Lebensdauer waren. Sie werden gewiss nicht vergessen haben, dass die „Operation düstere Zukunft“ noch im Jahre 2003 tiefe Einschnitte gebracht hat, die von der Landesregierung – natürlich vorab bewusst – verschwiegen worden sind.

Meine Damen und Herren,Kollege Williges lächelt schon. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, zu erwarten, dass es all den Zusagen des Haushaltsentwurfs 2008 so ergehen wird. Deshalb erkennen die hessischen Wählerinnen und Wähler längst Schillers Mahnung aus der Glocke: Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Frank Williges (CDU))

Meine Damen und Herren, die Menschen werden nicht mehr an kochsche Versprechen glauben.Sie sind zu oft getäuscht worden. Der Volksmund weiß: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. – Ich ergänze: Wer so oft lügt wie diese Landesregierung, dem glaubt niemand mehr, selbst wenn sie noch schnell vor der Wahl die „Wahrheit plus“ erfindet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Um einen bildlichen Vergleich zu nehmen: Die Landesregierung verhält sich wie ein Trinker, der, die Schnapsflasche in der Hand haltend, verspricht: Morgen höre ich mit dem Saufen auf. – Nicht wahr, Herr Weimar, morgen hören Sie mit dem Schuldenmachen auf. Aber heute soll es noch einmal ein kräftiger Schluck aus der Kreditpulle sein.

Die ewigen Erklärungen und Vertröstungen, der Konsolidierungskurs sei eingeleitet und werde nun fortgesetzt, eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 0 c komme – aber erst Morgen, aber erst 2011, also erst in einer ferneren Zukunft –, sind nicht nur völlig unbefriedigend, sondern sogar unwahr und verlogen. Wer davon spricht, dass ein ausgeglichener Haushalt in drei Jahren eventuell Wirklichkeit werden solle, obwohl die Möglichkeit besteht, dies deutlich früher zu realisieren, rechtfertigt das Bild eines Trinkers, eines Drogenabhängigen, der nicht von seiner Ausgabensucht lassen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Weimar, ist es Ihnen eigentlich nicht hoch peinlich, dass Länder, die Sie oft und gern als „finanzwirtschaftliche Nieten“ und „Geldverbrenner“ beschimpfen, Finanzplanungen vorgelegt haben,wonach sie deutlich früher als Sie zu ausgeglichenen Haushalten kommen? Sie reden immer nur von einem Haushaltsausgleich. Sie versprechen ihn für eine ferne Zukunft. Aber ich bin sicher, mit Ihnen werden wir ihn überhaupt nicht erleben.

Das hat etwas Schlechtes und auch etwas Gutes. Das Schlechte ist, dass dieser Finanzminister einen ausgeglichenen Haushalt gar nicht ernsthaft haben will. Das Gute aber ist, dass die Bürgerinnen und Bürger Hessens Sie Ihre desaströse Haushaltspolitik nach der Wahl nicht werden fortsetzen lassen.

Die Landesregierung spricht in ihrem Finanzplan tatsächlich von – ich zitiere – „in der Vergangenheit erreichten Konsolidierungserfolgen“. Auf Seite 24 können Sie das nachlesen.An derselben Stelle heißt es:

Es ist daher zentrales Ziel der Landesregierung, so früh wie möglich, spätestens jedoch 2011..., wieder einen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung vorzulegen.