Protokoll der Sitzung vom 27.09.2007

Ich will nur einige wenige Punkte ansprechen.In Finnland gibt es eine differenzierte Lehrerausbildung. In Finnland gibt es differenzierte, individuelle Lehrpläne. In Finnland gibt es das Zentralabitur. In Finnland gibt es G 8, und in Finnland gibt es extrem kleine Schulen. – All das wollen Sie nicht. Deswegen fordere ich Sie auf: Kommen Sie hier vorne hin, und erklären Sie, was Sie von dem finnischen Modell wirklich übernehmen wollen. Bei Ihnen bleibt doch nur die Worthülse „längeres gemeinsames Lernen“. Mehr können Sie nicht. Aber wie das inhaltlich zu füllen ist, das verschweigen Sie.

Das, was ich Ihnen gerade vorgetragen habe, die Grundlage für den schulischen Erfolg in Finnland, wollen Sie in Hessen nicht, bzw. Sie wollen das abschaffen, was wir eingeführt haben. Stellen Sie sich also freundlicherweise hier vorne hin,und erklären Sie der Öffentlichkeit,was Sie von Finnland übernehmen wollen.

Frau Kollegin Henzler hat eben völlig zu Recht gesagt,Sie höhlen das Gymnasium von innen her aus, indem Sie die Eignungsempfehlungen abschaffen, die Querversetzungen und in letzter Konsequenz das Sitzenbleiben. Ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Kollegen Dinges aus dem „Darmstädter Echo“ vom 22. September 2007 zitieren:

Was die hessische SPD beschließen wird, hieße für die Gymnasien in letzter Konsequenz, dass sie alle Schüler aufnehmen müssen, deren Eltern das wünschen. Eine Empfehlung der Grundschule für eine bestimmte Schulform soll es nämlich auch nicht mehr geben. Und haben Schulen die Kinder einmal aufgenommen, dürfen sie keines mehr abschieben. Das ist dann doch Gesamtschule, und zwar von oben verordnet. Da bedarf es keiner Beschlüsse von Eltern und Lehrern mehr. Von Wahrheit und Klarheit, die Politiker so gern vom Gegner einfordern, ist da nichts zu spüren. Da wird eher verschleiert, was man verändern will.

(Beifall des Abg. Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

Diesem Zitat von Herrn Dinges ist inhaltlich nichts hinzuzufügen. Es trifft genau den Kern.

Der Zynismus in Ihrer Argumentation besteht auch darin, dass Sie das kalt lächelnd machen wollen und auf der anderen Seite zugleich die Schulen, die in die neue Schulform gehen wollen, wie immer diese heißt, privilegieren wollen. Die sollen mehr Mittel bekommen, die sollen mehr Lehrer bekommen. Aber das geht zulasten der anderen.

(Gernot Grumbach (SPD): Sie sind ein solcher Märchenonkel!)

Mit welchem Recht benachteiligen Sie zwei Drittel der Schüler,um ein Drittel zu bevorzugen? Alle Kinder haben das gleiche Recht auf Bildung, das gleiche Recht auf individuelle und optimale Förderung.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Warum machen Sie das dann nicht? – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber genau das machen Sie nicht.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wagner, das ist die Widersprüchlichkeit in Ihrer Argumentation: Sie haben eben darauf hingewiesen oder kritisiert, dass sich in einigen Bereichen bei uns 60 % im Gymnasium anmelden. Das sei im Grunde zu viel, das sei im Grunde die Einheitsschule. Im gleichen Atemzug nehmen Sie den OECD-Bericht für sich als Beleg dafür,dass wir in Hessen scheitern, weil wir zu wenige hätten. – Sie müssen sich schon überlegen, was Sie in letzter Konsequenz wollen.

Ein letzter Satz, an die eigene Verantwortung appellierend: Lieber Herr Wagner, es ist immer sehr leicht,

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Kollege Wagner war nie Kultusminister!)

von anderen etwas zu fordern, was man selbst nicht in die Tat umgesetzt hat.

(Gernot Grumbach (SPD): Das tun Sie gerade!)

Ich möchte aus einer Zeitung der GRÜNEN zitieren, die immerhin acht Jahre, von 1991 bis 1999, in diesem Land in der Regierungsverantwortung waren, vorher auch schon einmal. Sie kritisieren heute das „Plus“. Selbstverantwortung plus usw. würde alles zu lange dauern. Sie haben als Regierungspartei im Dezember 1991 in einer GRÜNENZeitung,herausgegeben von der Landtagsfraktion,öffentlich verkündet:

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Kalte Krieg ist seit den Neunzigerjahren vorbei!)

Wir freuen uns. Einen großen Durchbruch für die GRÜNEN stellen die Passagen zur Öffnung der Schulen mit der Möglichkeit der Schulen dar, eigene Verträge mit freien Trägern abzuschließen und einen eigenen Haushalt zu verwalten.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie:Was haben Sie in diesen acht Jahren eigentlich gemacht? Nichts davon haben Sie auch nur ansatzweise umgesetzt.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In welchem Jahrhundert bewegen Sie sich denn?)

Deshalb sage ich Ihnen sehr deutlich:Wir haben sehr viele Anstöße gegeben,vieles gemacht,was in diesem Punkt sogar in Ihre Richtung geht. Sie können das heute kritisieren, aber gemacht haben Sie nichts. Wir sind dabei, das in die Tat umzusetzen. Deshalb sage ich Ihnen sehr deutlich, wir sind auf einem hervorragenden Weg in Hessen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Nun hat sich Herr Kollege Wagner zu einer Kurzintervention zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Herr Kollege Irmer, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Sie meiner Fraktion einige Positionen unterstellt haben, die wir nicht vertreten. Das möchte ich richtigstellen.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Haus will keine Zwangsganztagsschulen,sondern,wie Sie in unserem Programm nachlesen können, wollen wir ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsschulen, worüber die Schulen im Dialog mit allen an Schule Beteiligten entscheiden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben gesagt,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wolle die Gymnasien, die Real- und die Hauptschulen abschaffen. Diese Feststellung ist schlicht und ergreifend unzutreffend, Herr Kollege Irmer. Meine Fraktion ist für Wahlfreiheit, dass Eltern sich entscheiden können, auf welche Schulform ihre Kinder gehen. Zu dieser Wahlfreiheit gehört auch, dass wir in Hessen endlich das Angebot von Schulen nach finnischem Vorbild haben – neben und nicht anstelle der anderen Schulformen. Nehmen Sie das bitte endlich zur Kenntnis, Herr Kollege Irmer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag möchte die Querversetzung und das Sitzenbleiben nicht generell abschaffen, sondern nur im Rahmen des pädagogischen Konzepts der neuen Schulen und nur bei den neuen Schulen aufheben, sodass auch dort Eltern sich frei entscheiden können, welches pädagogische Konzept sie für ihre Kinder wollen. Nehmen Sie das bitte endlich zur Kenntnis, Herr Kollege Irmer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Irmer, nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass wir heute schon unterschiedliche Klassengrößen in unserem Bildungssystem haben – unter Ihrer und nicht unter unserer Verantwortung. Deshalb werfen Sie unserem Konzept der neuen Schule nicht vor, da würde etwas privilegiert werden. Sie wissen ganz genau, dass es unterschiedliche pädagogische Notwendigkeiten gibt.

Im Übrigen lassen wir uns von Ihnen, Herr Kollege Irmer, die Sie Klassengrößen von 33 und mehr Schülerinnen und Schülern in diesem Land verantworten, nicht vorwerfen, dass wir die Klassengröße auf 25 Schüler senken wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Das Wort hat Frau Kollegin Habermann für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Irmer, Sie haben einen einzigen richtigen Satz in Ihrer Rede gesagt. Ich will ihn wiederholen: Jedes Kind hat das gleiche Recht auf Bildung.

Sehen Sie, genau weil das so ist, frage ich mich, was Hessen in den letzten Jahren in der Schulpolitik gemacht hat, damit Sie dieses gleiche Recht auch umsetzen; denn das haben Sie nicht getan. Da haben Sie auf ganzer Linie versagt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie von uns Erklärungen dazu haben wollen, was wir in der nächsten Legislaturperiode umsetzen wollen, und sagen, wir sollten es der Öffentlichkeit erklären, sage ich Ihnen: Wir erklären das im Moment der Öffentlich

keit, und wir stoßen dort auf sehr viel mehr Verständnis, als wir das natürlich von Ihrer Seite aus haben.

Ich werde Ihnen hier nur noch partiell erklären, Herr Irmer, was unsere Positionen sind, nämlich entsprechend Ihrer Aufnahme- und Wahrnehmungsfähigkeit. Es macht keinen Sinn, ständig zu wiederholen, wie Sie das tun, immer die gleichen Sätze herzuplappern. Denn das führt uns in dieser Diskussion nicht weiter.Sie wissen auch nur,dass Sie damit von dem ablenken wollen,was Sie in Hessen angerichtet haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Axel Wintermeyer (CDU): Was machen Sie denn? – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wir reden lieber von der Bildungspolitik plus, wie das – so habe ich heute verstanden – künftig in Hessen heißt. Bildungspolitik plus ist wohl etwas Ähnliches wie die Unterrichtsgarantie plus, und über deren Folgen und deren Akzeptanz bei Eltern, Lehrern und Schülern müssen wir eigentlich nicht mehr viele Worte verlieren. Die Unterrichtsgarantie plus ist schon bei der Namensgebung verunglückt. Deswegen wäre ich mit weiteren Pluszeichen sehr vorsichtig, Herr Irmer. Sie sorgen weiterhin für Verdruss bei Eltern und Lehrerkollegien.

Sie sind letztlich daran gescheitert – wie in manchen anderen Fällen –, dass Sie den Mund zu voll genommen haben und Ihr Versprechen gebrochen haben, es werde keine Unterrichtsstunde mehr ausfallen. Sie müssen auf der anderen Seite den Menschen klarmachen, was denn noch Unterricht ist, wenn Menschen darin sind, die alle möglichen Qualifikationen haben – die streitet ihnen niemand ab –, aber nicht die Ausbildung zu einem Lehramt, nicht die Qualifikation, Kinder zu unterrichten.

(Michael Boddenberg (CDU): Wie bitte? Sie streiten allen anderen Berufsständen die Kompetenz ab! Das machen Sie seit Monaten! Sie diskreditieren alle anderen Berufsstände, die dort vertreten sind!)

Herr Boddenberg, ich würde einer Lehrkraft auch keinen Vertretungsauftrag für das Führen eines Flugzeugs erteilen. Damit werte ich in keiner Weise ihre Qualifikation ab.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Nein, Herr Boddenberg, dort, wo Unterricht draufsteht, dort gehören Lehrer hinein und niemand anderes.

(Fortgesetzte Zurufe des Abg.Michael Boddenberg (CDU) – Glockenzeichen der Präsidentin)

Die Schulen werden in Zukunft die Möglichkeit erhalten, mit einer ausreichenden Zahl von Lehrkräften verlässliche Schule zu organisieren, aber auch mit Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen und die nicht daran gebunden sind, dass die Statistiken der Kultusministerin ihre Ordnung behalten müssen.

Ich habe im Wahlprogramm der hessischen CDU gestöbert. Dort gibt es ein Kapitel: „Hessen – Vorreiter beim E-Government“.