Protokoll der Sitzung vom 15.10.2003

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lebhafte Zu- rufe von der CDU)

Herr Hahn, mit solchen Reden schaden Sie dem Ausbau des Frankfurter Flughafens mehr, als es die von Ihnen angesprochenen Voten kommunaler Ebenen tun. Sie sollten sich angesichts der Debatte, die wir heute Morgen über die Föderalismusreform geführt haben, für das schämen, was Sie hier und heute ausgeführt haben.

(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

An Ihrer Rede hat mich erschreckt, dass Sie die Vorstellung haben, dass es eine Landespartei und eine Landtagsfraktion gibt, die klare Beschlüsse gefasst haben, und dass es eine kommunale Ebene gibt, die anders lautende Beschlüsse gefasst hat. Sie meinen, dass die Landesebene den Mandatsträgern auf kommunaler Ebene vorschreiben solle, was diese vor Ort zu entscheiden haben.

(Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP)

Sie haben die Vorstellung, dass wir den Leuten vor Ort vorschreiben sollen, was sie für richtig zu halten haben.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Sie haben heute Morgen in Ihrer Rede gesagt, man solle nicht nur die Interessen der Parteien im Blick haben, sondern auch die Interessen des Bundes und der Länder. Sie sagten, die Länderinteressen sollten stärker wahrgenommen werden, und wir brauchten mehr Selbständigkeit. Diese Rede haben Sie mit Ihren jetzigen Ausführungen – ich will gar nicht von einer Rede sprechen – ad absurdum geführt. Sie haben gezeigt, dass Sie genau in die andere Richtung denken und dass Sie einen zentralistischen Ansatz verfolgen.

Es gibt einen Grund, warum die Kolleginnen und Kollegen der CDU – –

(Fortgesetzte Zurufe der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Frau Wagner, Sie verstehen überhaupt nicht, über was wir hier reden. Seien Sie doch ruhig.

Frau Wagner, ich darf Sie bitten, die Lautstärke Ihrer Zwischenrufe ein wenig zu dämpfen. – Herr Walter, Herr Hahn möchte eine Zwischenfrage stellen.

Jetzt keine Zwischenfragen. – Warum die Kolleginnen und Kollegen von der CDU bei Ihren Ausführungen etwas vorsichtig mit dem Beifall waren,

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

hängt damit zusammen, dass auch der eine oder andere Kollege von der Union, der in der Region kommunale Verantwortung hat, die Sache etwas differenzierter sieht. Sie haben die Klage der Stadt Frankfurt – der „linken Mehrheit“, haben Sie gesagt – gegen den Ausbau angesprochen. Vielleicht wissen Sie nicht, dass es auch in dem Landkreis des Ministerpräsidenten exakt den gleichen Klageauftrag gibt.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das wissen wir alle! – Gerhard Bökel (SPD): Mit der FDP!)

„Mit der FDP“, ruft Herr Bökel, der zu dieser Zeit seinen Wahlkreis dort hatte. Der Ministerpräsident war Fraktionsvorsitzender in diesem Wahlkreis.

Wie Sie wissen, halte ich diese Position für falsch.Aber es ist nicht an mir, den Menschen in der Region vorzuschreiben, wie sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen sollen.

(Beifall bei der SPD)

Ich könnte das beliebig ausführen. Es handelt sich nicht nur um den Main-Taunus-Kreis. Ich habe das einmal aufgeschrieben: Mörfelden-Walldorf in einem Klageverband mit der Stadt Flörsheim – auch nicht unbedingt ein Schwerpunkt der SPD. Die Stadt Neu-Isenburg, in der Sie regieren, hat den gleichen Klageauftrag gegen den Ausbau des Flughafens Frankfurt auf den Weg gebracht. Es gibt mehrere dieser Klageaufträge, die auch von der Union mitgetragen werden.

Ich halte das für falsch. Ich nehme an, die meisten Kolleginnen und Kollegen von der Union, die hier im Landtag sitzen, halten das auch für falsch. Aber ich würde es mir niemals anmaßen – die Arroganz, die Sie hier zeigen, bekomme ich sowieso nicht hin –, von diesem Pult aus den Kolleginnen und Kollegen der Union zu sagen: Diszipliniert doch einmal eure Kommunalpolitiker vor Ort. Zieht den Klageauftrag im Main-Taunus-Kreis und in Neu-Isenburg zurück. – Dass der Ministerpräsident, der in Eschborn wohnt, mit Herrn Gall redet und sagt „Das machen wir jetzt nicht“, ergibt eine ganz andere Linie.

(Gerhard Bökel (SPD): Offenbach!)

Nein, es ist richtig, dass die kommunalen Ebenen ihre eigenen Entscheidungen treffen. Herr Kollege Hahn, wer wie Sie der zentralistischen Auffassung ist, dass wir die untergeordneten Ebenen disziplinieren müssen, sollte in Zukunft zum Thema Föderalismusreform schweigen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Walter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Boddenberg?

Herr Boddenberg, lassen Sie mich mit meinen Ausführungen zum Ende kommen. Das war jetzt der emotionale Teil. Jetzt versuchen wir, das Ganze abzuarbeiten. Dann kommen die Fragen an die Reihe.

Eigentlich wollte ich diese Rede relativ unemotional beginnen und sagen, dass ich diese Debatte im Hessischen Landtag für unnötig halte,und zwar nicht etwa,weil es um ein unwichtiges Thema geht. Im Gegenteil, es geht um das zentrale wirtschaftspolitische Thema, mit dem wir uns in Hessen zu befassen haben.Aber was die weitere Entwicklung angeht, gibt es im Moment nichts zu entscheiden. Ich bin der Auffassung, dass dieses Thema viel zu wichtig ist, um es als Spielfeld für parteipolitische Positionierungen zu betrachten.

Ihre Rede hat mich dazu bewogen, Ihnen doch die entsprechende Antwort zu geben. Am Anfang meiner Rede wollte ich die Position der SPD – auch die der SPD-Fraktion im Landtag – bekräftigen. Das ist eine Wiederholung. Ich könnte im Prinzip auf die Protokolle verweisen, sowohl was meine Ausführungen als auch die der Kollegen Bökel und Riege in der letzten Legislaturperiode angeht.

Meine Fraktion im Hessischen Landtag vertritt genau die Auffassung, die auf dem SPD-Landesparteitag beschlossen wurde. Soweit ich das sehe, ist das die gleiche Position, die die Landesregierung vertritt.

Wir stehen hinter allen Punkten des Mediationspakets. Wir stehen hinter allen Ergebnissen, die das Mediationsverfahren erbracht hat.Wir sind für den Ausbau,wenn alle diese Kriterien erfüllt sind. Das sind im Wesentlichen das Nachtflugverbot, die vereinbarte Lärmreduzierung und die Einrichtung und Arbeit des Regionalen Dialogforums.An dieser Stelle hat sich nichts geändert.

Jetzt bin ich aber doch etwas verwundert – damit komme ich wieder zu den Freunden von der CDU – über die Formulierungen im letzten Absatz des CDU-Antrags:

Bedauerlicherweise gab es unter der Regierung von Hans Eichel zwar Überlegungen zur Entwicklung des Flugverkehrs am Frankfurter Flughafen und zur Lösung der Kapazitätsprobleme, deren Umsetzung allerdings vom grünen Koalitionspartner permanent torpediert wurde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, ich wusste ja, dass es nicht unbedingt in Ihrem Interesse lag, als Hans Eichel das Mediationsverfahren eingeleitet hat. Aber wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben uns alle gefreut, als sich der Ministerpräsident in der ersten Regierungserklärung, die er hier gehalten hat, ausdrücklich zu dem Mediationsverfahren bekannt und gesagt hat – das war 1999 –:

Ich möchte, dass das Mediationsverfahren ordnungsgemäß zu Ende geführt wird. Wir erwarten uns gute Ergebnisse von dem Mediationsverfahren. Wir erwarten insbesondere, dass wir die Grundlagen für eine Entscheidung bekommen.

Deshalb bin ich verwundert, dass Sie jetzt offensichtlich beginnen, das Mediationsverfahren zu kritisieren, obwohl Sie während der letzten vier Jahre das Mediationsverfahren und insbesondere seine Ergebnisse immer hochgehalten haben.

Nein, es war richtig, dass Rot-Grün – übrigens gemeinsam – das Mediationsverfahren unter der Regierung von Hans Eichel eingeleitet hat. Das Mediationsverfahren hat

in der Tat die Grundlagen für die Entscheidungen gelegt und die Gesprächs- und Konsensbereitschaft in der Region gestärkt. Deshalb stehen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nachdrücklich zu den Ergebnissen des Mediationsverfahrens.

(Beifall bei der SPD – Dr. Franz Josef Jung (Rhein- gau) (CDU):Wir auch! Daran gibt es keinen Zweifel! – Michael Denzin (FDP): In allen Punkten auf jeder Ebene!)

Jetzt sind wir wieder bei der Geschichte mit den Ebenen. Herr Kollege Jung, ich glaube, es ist unstrittig, was ich eben gesagt habe, nämlich dass auch bei Ihnen kommunale Vertreter, Bürgermeister und Landräte, an diesem Punkte andere Auffassungen haben.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Aber nicht hier im Land!)

Auf der Landesebene vertreten wir die gleiche Position. Es gibt auch Landräte der SPD,die gegen den Ausbau klagen; das ist völlig unstrittig.Wir beide wissen, dass man in dieser Frage mit Disziplinierungsversuchen nicht weit kommt. Deshalb liegen unsere Auffassungen gar nicht weit auseinander.

Aber Herr Hahn hat in diese Debatte erstmals – ansonsten reden wir ja viel über Vertrauen – einen völlig neuen Zungenschlag hineingebracht. Der Kollege aus Mörfelden-Walldorf, der hier sitzt, weiß, wie das mit der Disziplinierung der Kolleginnen und Kollegen vor Ort geht. Die Ansätze, die Herr Hahn uns hier als Rezept empfohlen hat, können nicht funktionieren. Im Gegenteil, es würde dazu führen, dass die Emotionen vor Ort wieder hochkochen. Es würde dazu führen, dass das Misstrauen in der Region gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens wächst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,wir haben nur diese eine Chance. Sie ist in dem von uns immer wieder formulierten Grundsatz enthalten, dass das Fundament einer weiteren Landebahn nicht aus Beton, sondern aus Vertrauen besteht. Unsere Chance besteht nur darin, um Vertrauen zu werben. Wenn Herr Hahn sagt, wir sollten nicht um Vertrauen werben, sondern die Parteimitglieder vor Ort disziplinieren, geht er exakt den falschen Weg.

(Beifall bei der SPD)

Das wird nicht dazu führen, dass der Ausbau erleichtert wird, sondern diese Art von Politik wird geradewegs dazu führen, dass der Ausbau verhindert wird, lieber Kollege Hahn.

Zu den anderen vorliegenden Anträge, die wir alle ablehnen werden, mit Ausnahme des FDP-Antrags, in dem es heißt:

Der Landtag bekräftigt nochmals seine Auffassung, dass das Ergebnis des Mediationsverfahrens in allen fünf Punkten umgesetzt werden muss. Dazu gehört das Nachtflugverbot ebenso wie der Bau einer neuen Landebahn.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Abstimmung werden wir uns nicht beteiligen; denn wir halten sie für reinen Politklamauk. Die Positionen im Hessischen Landtag sind klar. Die Sozialdemokraten lassen sich nicht von einer kleinen Fraktion,die versucht,uns hier vorzuführen, ins Bockshorn jagen. Unsere Positionen sind klar, Herr Hahn.

(Norbert Kartmann (CDU): Wie war das mit der Arroganz?)

Mit solchen Anträgen, in denen Sie auf polemische Weise formulieren, dass wir gegen den Ausbau des Flughafens seien, schaden Sie der Sache.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))