Protokoll der Sitzung vom 16.10.2003

Meine Damen und Herren, das Verbot soll nach unserer Auffassung für jede Person im öffentlichen Dienst gelten. Aus meiner Sicht hat Alice Schwarzer Recht – –

(Lebhafte Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Alice Schwarzer hat aus meiner Sicht Recht, wenn sie sagt, das islamische Kopftuch als politisches Symbol fundamentalistischer Gottesstaatler, die uns unmenschliche Gottesgesetze aufzwingen wollen, ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Meine Damen und Herren, es geht auch um die Frage der Trennung von Kirche und Staat. Das ist eine Errungenschaft der Aufklärung, die es ebenfalls zu verteidigen gilt.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Das hat nichts mit Toleranz zu tun, sondern es ist Pseudotoleranz, wenn hier nicht klar und deutlich Nein zu einer derartigen politischen Demonstration gesagt wird, die nicht mit dem Geist unserer Verfassung im Einklang steht.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der Muslim Namo Aziz schreibt in der „Zeit“ Folgendes:

Wer in Deutschland das Kopftuch in Schulen und Universitäten toleriert, der sollte auch die Einführung der von der Scharia vorgesehenen Strafen wie Auspeitschung, Amputation und Steinigung in Betracht ziehen.

Ich denke, daran wird deutlich, dass es dringender denn je geboten ist,hier eine klare gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass eine derartige politische Symbolik, eine derartige Demonstration, die mit dem Geist unserer Verfassung nicht vereinbar ist, in Hessen nicht stattfinden kann.

Meine Damen und Herren, das ist jetzt geboten. Aus all den Gründen, die ich gerade dargelegt habe, werden wir dem Landtag ein Gesetz vorlegen, das das Tragen des islamischen Kopftuchs in den Schulen und öffentlichen Einrichtungen in Hessen untersagt. – Besten Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Jung. – Das Wort hat Frau Abg. Hinz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Meine Damen und Herren, die Union scheint tatsächlich wenig Interesse zu haben, zu einem schwierigen Thema eine differenzierte Debatte zu führen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sonst hätten Sie nicht eine Aktuelle Stunde zu einem solchen Thema beantragt, in der man in fünf Minuten in der Regel zu einem Schlagabtausch kommt, nicht aber zu differenzierten Stellungnahmen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Fass dich kurz, drück dich aus!)

Im Übrigen haben wir eben auch gehört,was die CDU mit dieser Aktuellen Stunde eigentlich will: eine Religion unter Generalverdacht stellen und ebenso diejenigen, die sich zu dieser Religion bekennen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das habe ich gerade nicht gesagt! – Weitere Zurufe von der CDU)

Ich halte diese Art und Weise des Umgangs mit diesem Thema und mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für völlig daneben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Irmer, dass gerade Sie sich jetzt melden, das wundert mich überhaupt nicht. Sie haben sich in der letzten Woche sogar dazu verstiegen, überprüfen zu wollen, ob nicht auch Schülerinnen das Kopftuchtragen verboten werden soll.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen! Was wollen Sie eigentlich?)

Das ist wirklich unglaublich. Sie sind derjenige, der sonst immer nicht nur das Erziehungsrecht, sondern auch die Erziehungspflicht der Eltern hochhält. Jetzt wollen Sie auch noch das Kopftuchtragen für Schülerinnen verbieten. Das ist wirklich unglaublich und hat mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren,das Bundesverfassungsgericht hat uns zu Recht die Aufgabe gestellt, eine gesellschaftliche Diskussion zu führen und dann eine politische Entscheidung zu treffen, wie viel Religionsbezug wir im Unterricht zulassen. Das aber – lieber Dr. Jung – gilt für alle Religionen. Auch die katholische Kirche ist – wenn ich das hier einmal so sagen darf – kein Hort der Gleichberechtigung von Mann und Frau. An dieser Stelle muss ich das einmal sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP – Hans-Jürgen Ir- mer (CDU): Diese Gleichstellung ist eine Unverschämtheit!)

Dass wir von Ihnen heute Alice Schwarzer zitiert bekommen, ist eine Blüte am Rande. Ich finde das Klasse, dass ich das in diesem Landtag noch erleben darf,

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

aber es zeigt einfach, welche Blüten diese Debatte inzwischen treibt.

Also: Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben,

(Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

für alle Religionen eine Regelung zu treffen – wenn wir sie denn treffen wollen. Da bewegen wir uns in einem Spannungsfeld mit den Eckpunkten positive Glaubensfreiheit,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Viel geredet und nichts gesagt!)

Neutralitätsgebot des Staates, Erziehungsrecht der Eltern und negative Religionsfreiheit von Schülerinnen und Schülern.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was wollen Sie denn? Sind Sie dafür oder nicht?)

Da gibt es zwei Wege. Der erste Weg ist:Wir wollen in der Schule Toleranz einüben, und deswegen lassen wir Bezugnahmen auf religiöse Symbole zu. Das gilt dann gleichermaßen für alle.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Mein Gott,Mädchen!)

Der zweite Weg ist: Wir sagen, es gibt inzwischen so viele unterschiedliche Religionszugehörigkeiten wie auch bekenntnislose Schülerinnen und Schüler, dass eine strikte Neutralität im Sinne des Zurückdrängens der Symbole zulässig ist und dann auch gesetzlich festgelegt werden muss.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Es geht doch nicht um Glaubenssymbole!)

Auch dies gilt für alle Religionen, lieber Dr. Jung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Dies gilt für alle.

(Dr.Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):Hier geht es um politische Symbole, nicht um Glaubenssymbole!)

Bei den GRÜNEN gibt es dazu unterschiedliche Meinungen, wie sicherlich auch in anderen Fraktionen. Wichtig scheint mir zu sein, dass wir in eine wirkliche Debatte eintreten,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

ob wir wollen, dass sämtliche Symbole aus den Schulen entfernt werden – ob wir das wirklich ertragen, ob auch die CDU es erträgt,dass das z.B.für alle christlichen Symbole gilt.

Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, dass sich z. B. die Justizministerin von Baden-Württemberg, die der FDP angehört,gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“ so geäußert hat:

„Ein Landesgesetz, das Lehrer beim äußeren Erscheinungsbild zu politischer und religiöser Neutralität verpflichten würde, träfe die Christen womöglich mehr als die Muslime“ sagte sie den „Stuttgarter Nachrichten“. „Man kann nicht das Kopftuch verbieten und das Kreuz am Hals erlauben“, erklärte die FDP-Politikerin.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Noch sind wir im christlichen Abendland, nicht im Orient! – Weitere Zurufe von der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr habt alle das Urteil nicht richtig gelesen!)

Meine Damen und Herren, ich bitte doch, die Rednerin ausreden zu lassen.

Ich verstehe ja Ihre Aufregung. Aber das ist gerade der schwierige Abwägungsprozess, in den wir eintreten müssen.