Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass mit den Füßen abgestimmt wird. Es ist doch eine Tatsche, dass die Hauptschule trotz aller christdemokratischen Stärkungsversuche in den letzten Jahren immer schwächer geworden ist. Das liegt daran, dass alle Kinder, wo es irgendwie geht oder wo die Eltern ein Stück weit die Motivation mitbringen, versuchen, mindestens in die Realschule zu kommen.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Das ist eine ganz zentrale Frage, auf die Sie bislang noch keine Antwort gegeben haben. Die eine Möglichkeit ist, wir geben dem Elternwillen nach. Sie sagen, der Elternwille ist das Zentrale. Dann kommt ein für die Hauptschule empfohlenes Kind in die Realschule, weil die Eltern das wollen. Oder Sie bleiben bei dem verbindlichen Übergangsprofil in die fünfte Klasse.Dann müssen Sie dieses Kind entgegen dem Elternwillen in die Hauptschule zwingen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, beides geht nicht. Ich sage Ihnen: Sie müssen diese Fragen beantworten; diese Fragen werden in Ihrem System aber überhaupt nicht beantwortbar sein. Es gibt nämlich in Ihrer bildungspolitischen Ideologie auf diese Fragen überhaupt keine Antworten. Liebe Kolleginnen und Kollegen,die Zukunft der Bildung liegt nicht in der Dreigliedrigkeit. Das zentrale Element einer zukünftigen Bildung und einer zukünftigen Schulform ist die Durchlässigkeit in alle Richtungen und bei allen Fächern.
Ich habe vorhin gesagt, dass ich in der Fachdidaktik nicht besonders bewandert bin. Deshalb nenne ich ein weiteres Argument gegen die Dreigliedrigkeit,Herr Ministerpräsident, und zwar die Demographie. Sie sagen zu Recht, schon in wenigen Jahren wird es für die eine oder andere Firma schwierig sein, einen Auszubildenden zu finden, weil es weniger junge Menschen gibt. Sie beschreiben die Situation richtig. Hinzu kommt, dass die Anforderungen,
auch die formalen Anforderungen, an die jungen Menschen immer weiter steigen werden. Nach Schätzungen der Bund-Länder-Kommission, der auch Hessen angehört, wird die Anzahl der Hochschulabsolventen, die von der Industrie und der Wirtschaft nachgefragt wird, mittelfristig größer sein als die Anzahl derjenigen, die eine duale Ausbildung absolviert haben.Wenn wir also zum einen wissen, dass es immer weniger junge Menschen gibt, zum anderen die Anforderungen, die die Wirtschaft stellt, immer größer werden, dann ist es auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft und nicht nur der Chancengleichheit,
dass wir möglichst alle möglichst weit mitnehmen und nicht, Frau Kultusministerin, nach der vierten Klasse einen ganzen Teil einfach liegen lassen. Das können wir uns auf Dauer auch ökonomisch in diesem Land nicht mehr leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung, auch in Ihrem Regierungsprogramm, sehr viele wohlklingende Titel. Man hat den Eindruck, es ist eine ganze lyrische Abteilung in der Staatskanzlei gegründet worden. Es geht um das Erfolgsland Hessen, das Sicherheitsland Hessen, das Bildungsland Hessen. Es wird über das Land der Tagesmütter geschrieben, bei einer Betreuungsquote von, ich glaube, 3,9 % momentan in Hessen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident, all das mag in CDU-Wahlkampfveranstaltungen an der einen oder anderen Stelle für Beifall genügen.Im Hessischen Landtag – ich denke auch,was die Kontrolle Ihrer Politik angeht,das ureigenste Aufgabenfeld der Opposition – werden Ihnen diese Begriffe nicht wirklich etwas nützen.
Wir werden Sie nach Folgendem beurteilen: Wie sieht es aus mit dem Flughafen im Jahre 2006? Haben wir eine weitere Bahn? Haben wir zusätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze? Haben wir das Nachtflugverbot? Wie sieht es allgemein in den nächsten Jahren mit Ausbildungsplätzen aus? Wie entwickelt sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger in unserem Land? Wie entwickelt sich das wirtschaftliche Wachstum? Herr Wirtschaftsminister, schaffen Sie es, unser Land wieder an die Spitze in Deutschland zu bringen,wo es hingehört,oder müssen wir im Mittelfeld verharren? Wie sieht es mit den Schulden aus? Wie sieht es mit diesen vier Wörtern, die ich nun drei Mal genannt habe, aus? Wie sieht es mit Personalausgaben aus,mit Versorgungslasten,mit Schulden und mit Zinsen? Denn diese vier Lasten wirken sich nicht in einem Jahr aus.
Aber angesichts des demographischen Wandels haben wir – Herr Ministerpräsident, rein rhetorisch bestreiten Sie das nicht – hier und jetzt die Verantwortung, dass unsere Generation die Probleme dieser Generation auch innerhalb dieser Generation löst und nicht auf die zukünftigen Generationen verschiebt. Danach werden wir Sie beurteilen. Herr Ministerpräsident, die zukünftigen Generationen haben schon jetzt genügend Backsteine im Rucksack. Wir dürfen ihnen nicht noch mehr Backsteine in den Rucksack legen. Deshalb ist eine der großen zentralen Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Politik in unserem Land: Steuern Sie um, was die Finanzpolitik angeht. Die angekündigte Politik dieser Landesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht unser Land nicht stärker. Sie macht unser Land schwächer.Wir werden mit
Ihnen, Herr Ministerpräsident, im Interesse der Menschen in unserem Lande über die besseren Konzepte streiten, als harte aber faire Opposition, mit dem Ziel, diese Landesregierung in fünf Jahren abzulösen.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, darf ich auf der Gästetribüne als Einzigen unserer ehemaligen Kollegen Herrn Heinrich Haupt sehr herzlich begrüßen. Seien Sie willkommen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst eine Vorbemerkung zu Ihnen, Herr Kollege Walter, machen. Ich will zunächst das aufnehmen,was Sie positiv unterstützend zur Regierungserklärung gesagt haben, beispielsweise zu dem Frankfurter Flughafen, was ich ausdrücklich begrüße. Ich möchte aber auch festhalten, dass ich ansonsten entsprechende Alternativen der Opposition im Rahmen Ihres Redebeitrages vermisst habe.Wir haben die Regierungserklärung mit dem Titel überschrieben: „Verantwortung für heute – Visionen für morgen“.Wenn ich die Position der HessenSPD sehe,komme ich zu dem Schluss:„Verantwortung für gestern – Stillstand für heute“. Das ist die konkrete Konsequenz der Ausführungen, die ich von der SPD hier entgegennehme.
Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen. Herr Kollege Walter, Sie haben die Frage des finanziellen Rahmens angesprochen. Wir debattieren hier heute keinen Haushalt, sondern eine Regierungserklärung. Ich will trotzdem eine Bemerkung machen. Ich glaube, man darf Ursache und Wirkung in dem Zusammenhang nicht verkennen. Es war diese Landesregierung und damals noch ich in Person, die am 14. Juli 2000 gegen die verheerende Steuerreform der Bundesregierung gestimmt hat.Wir hatten im Jahre 2000 noch Einnahmen von 2,8 Milliarden € Körperschaftsteuer für das Land Hessen, also auf Deutsch 2.800 Millionen € Einnahmen. Das Ergebnis 2002 dieser Steuerreform war, dass wir 1,6 Milliarden € zurückgezahlt haben, also 1.600 Millionen €. Das ist eine Divergenz von 4,4 Milliarden €, und zwar nur durch falsche Entscheidungen der Bundesregierung und der SPDregierten Länder, ohne eine einzige Maßnahme dieses Landes.
Wenn ich schon über finanzielle Fragen rede, gehört Folgendes zur Wahrheit dazu. Diese Entscheidung war zum Schaden für dieses Land. An die Adresse des Bundesfinanzministers sage ich im Zusammenhang mit der Diskussion zum Stabilitätspakt, wenn er über die Verursachung spricht: Ich bin sehr wohl dafür, dann wollen wir aber sehr konkret über die Ursache sprechen. Eine entscheidende Ursache für die finanzielle Situation der Länder war diese falsche Entscheidung.
Lassen Sie mich einen zweiten Satz sagen. Wir liegen in der Entwicklung der Nettoneuverschuldung im Vergleich der Flächenländer wesentlich günstiger, insbesondere auf die alten Bundesländer bezogen. Wir haben im Hinblick auf die Pro-Kopf-Verschuldung im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen und zu Niedersachsen 1.000 € pro Kopf weniger.
Wir wissen um die finanzielle Situation, und wir werden alle Anstrengungen unternehmen, ihr im Rahmen des Haushalts auch gerecht zu werden.
Aber wir debattieren heute über die Regierungserklärung, d. h. über die Themen, die wir in den nächsten fünf Jahren gemeinsam nach vorne bringen wollen. Deshalb möchte ich mich, angesichts unserer Verantwortung für die Finanzpolitik, jetzt diesen Fragen zuwenden.
Meine Damen und Herren, ich will zunächst meine Freude zum Ausdruck bringen, dass ich hier die Gelegenheit habe, für die größte Fraktion, die es im Hessischen Landtag je gegeben hat, zur Regierungserklärung Stellung zu nehmen.
Liebe Kollegin Hinz, ich sage das auch aus sehr persönlichen Gründen. Wer wie ich in einer Zeit, als die CDU 26 % der Wählerstimmen hatte und als es in Hessen noch andere absolute Mehrheiten gab, in die Junge Union eingetreten ist,wer dies alles miterlebt und teilweise auch mit durchlitten hat und dann am 2. Februar 2003 den Wählerauftrag bekommen hat, im Hessischen Landtag eine Partei zu repräsentieren, die die absolute Mehrheit erhalten hat, und die Verantwortung für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wahrzunehmen, der, glaube ich, kann mit einer Portion Freude und einer Portion Stolz an die Arbeit gehen. So verstehen wir auch unsere Regierungserklärung, über die wir heute gemeinsam debattieren.
Meine Damen und Herren, ich will auch für die Fraktion einen Dank an den Ministerpräsidenten und an die Landesregierung dafür aussprechen,
dass sie das im Wesentlichen von der Fraktion erarbeitete Regierungsprogramm, das wir in sehr ausführlichen Diskussionen gemeinsam beraten und dann einstimmig beschlossen haben, zur entscheidenden Grundlage der Regierungserklärung und der Arbeit für die nächsten fünf Jahre gemacht haben und dass es gelungen ist, einen neuen Weg der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Eine große Zahl der Bürgerinnen und Bürger ist nämlich unserer Einladung gefolgt, sich an der Diskussion dieses Regierungsprogramms zu beteiligen – teilweise haben sie heute an der Debatte teilgenommen –, und es haben viele Anregungen in dieses Regierungsprogramm für die nächsten fünf Jahre Eingang gefunden. Ich finde, das ist ein guter Beginn der Kooperation und Kommunikation zwischen Bürgern und Politik. Das wollen wir in Zukunft auch so fortsetzen.
Wenn ich gesagt habe, dass wir am 2. Februar von den Bürgerinnen und Bürger einen großen Vertrauensbeweis erhalten haben, meine ich damit auch, dass es unsere Auf
gabe und zugleich unsere Verpflichtung ist, diesem Auftrag gerecht zu werden. Dies wurde in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten deutlich.
Ich will aber noch einmal unterstreichen,dass wir die Aussagen, die wir vor der Wahl gemacht haben, im Rahmen des Regierungsprogramms jetzt Punkt für Punkt umsetzen. Das war, auch in der Wahlauseinandersetzung, der große Unterschied zur Bundespolitik. „Versprochen und gehalten“ – das galt und gilt für diese Landesregierung und für uns.Das,was wir vor der Wahl versprochen haben, werden wir nach der Wahl auch umsetzen. Das hat etwas mit der Glaubwürdigkeit der Politik und dem Vertrauen in die Politik zu tun.
Wir werden die zentralen Bereiche, wie die Bildungspolitik, die Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung, die innere Sicherheit, die Familienpolitik, die Bewahrung der Schöpfung und die Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land, aufnehmen und so fortentwickeln, wie wir es dargelegt haben.
Meine Damen und Herren, das, was wir tun, beruht auf unseren politischen Grundüberzeugungen und unserer Wertorientierung in der Politik. Wir machen Politik auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes. Unsere Wertorientierung umfasst drei Grundelemente: das christlich-soziale Element, das liberale Element und das konservative Element. Auf diesen Pfeilern beruht auch diese Regierungserklärung. Ich glaube, dass wir in Zukunft über die Wertorientierung in Politik und Gesellschaft wieder offensiver diskutieren sollten, weil wir nur, wenn wir auf dieser Grundlage handeln,zu einer positiven Entwicklung in unserer Gesellschaft – in unserem Land – kommen.
Aber man kann nicht bestreiten,dass wir ohne einen Rahmen, den teilweise auch die Bundespolitik setzt, z. B. bei der Arbeitsplatzentwicklung nicht erfolgreich sein werden. Ich will ein konkretes Beispiel nennen. Hessen hat, was die bundesweite Entwicklung angeht, den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was? Der Wahlkampf ist vorbei, holen Sie neue Statistiken heraus!)
Beispiel Jugendarbeitslosigkeit: In den anderen alten Bundesländern liegt sie bei 8 %; bei uns dagegen liegt sie bei 7 %. Aber das alles kann uns nicht zufrieden stellen, weil die Weichen für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung im Wesentlichen von der Bundespolitik gestellt werden. Deswegen gilt auch nach der Wahl der Satz, den wir schon vor der Wahl gesagt haben: Rot-Grün braucht Kontrolle.
Wir brauchen eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, damit in unserem Land Impulse für Wachstum und Beschäftigung gegeben werden können. Die Wahrheit ist: Rot-Grün löst kein Problem in Deutschland, sondern Rot-Grün ist das Problem.
Deshalb wäre eine neue Bundesregierung das beste Konjunkturprogramm, damit es in unserem Land die entsprechenden Impulse für Wachstum und Beschäftigung gibt.
Der Kollege Walter hat zwar nicht darauf hingewiesen, aber manchmal hat man den Eindruck, dass die hessische SPD stärker gegen den derzeitigen Bundeskanzler als gegen den Ministerpräsidenten kämpft. Wenn ich mir anhöre, wie sich der eine oder andere zu bestimmten Positionen äußert: Sie haben von notwendigen Veränderungen gesprochen;da stimme ich Ihnen zu.Aber es war doch wohl der Bundeskanzler, der gesagt hat: Die „Ypsilantis“ können nicht die Politik bestimmen.