Sie hat sich von der Hälfte der Bevölkerung abgewandt, die an den aktuellen Wandlungen zu zerbrechen droht. Dieser Abschied personalisiert sich in Angela Merkel und den Zitaten, man brauche die Überwindung der mentalen Hürden und des traditionellen sozialstaatlichen Denkens,
oder noch deutlicher und klarer: „Der Sozialstaat stellt sich damit nicht in erster Linie in den Dienst der Gleichheitsfürsorge, sondern der Freiheitsfürsorge.“
die nur deswegen bisher wenig öffentliches Interesse erweckt haben, weil Sie im Bund nicht an der Regierung sind – ich hoffe, dass dies auch so bleibt – und weil Sie die Folgen dieser Politik bisher nicht verantworten müssen.
Darum äußern sich auch Mitglieder Ihrer eigenen Partei, insbesondere Herr Geißler – Sie kennen die anderen Namen –,zu dem,was im Moment bei Ihnen passiert.Ich darf Herrn Geißler zitieren:
Dass in unserem Wertesystem die Dinge durcheinander gehen, kann man auch leicht an der Bewertung der drei Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Solidarität erkennen.
Heute sagt Herr Geißler, es sei nicht mehr die Freiheit gefährdet, auch nicht die Gleichheit vor dem Gesetz, gefährdet sei heute die Solidarität.
Die Solidarität zwischen West und Ost, Männern und Frauen, Deutschen und Ausländern, den Menschen und der Schöpfung und leider, muss man hinzufügen, zwischen Arzt und Patient, Zahnärzten und Patienten, ja sogar zwischen Krankenkassen und den bei ihnen versicherten Menschen...
Die Ursache für diese Verletzung der Menschenwürde ist die zunehmende Macht des Geldes, des internationalen Kapitals. Sozialbeziehungen werden monetarisiert. Die Folgen für den Menschen sind verheerend.
So weit Heiner Geißler. – Tatsächlich führt die Auseinandersprengung der Begriffe Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu absurden Formulierungen. So schreibt Angela Merkel in ihrem Buch „Ende der Solidarität?“, das im Übrigen sehr empfehlenswert ist:
Freiheit bedeutet selbstverantwortliche Lebensführung.Bevor man die Hilfen anderer beansprucht,ist man gehalten, das eigene Leistungspotenzial auszuschöpfen. Dazu gehört beispielsweise in der Gesundheitspolitik eine stärkere Selbstbeteiligung.
So weit Angela Merkel. – Wenn wir diesen Satz genauer betrachten, dann können wir sagen, gegen selbstverantwortliche Lebensführung haben wir GRÜNEN auch nichts einzuwenden. Sie setzt ein intaktes soziales Umfeld von der Geburt bis zum Erwachsensein zur Stärkung der Selbstverantwortung voraus und eben auch Hilfe, wenn sie nötig ist. Kinder aller Altersgruppen sind über die eigene Familie hinaus auf die Förderung selbstverantwortlicher Lebensführung angewiesen, d. h. durch den Kindergarten, die Schule, durch Sportvereine, durch Kinder- und Jugendparlamente usw.
Der merkelsche Satz, „bevor man Hilfen anderer in Anspruch nimmt“, ist doch entweder Unfug oder gewollt.
Denn hinter diesem abstrakten Freiheitsbegriff verbirgt sich praktisch die Entsolidarisierung von den schwachen Menschen in dieser Gesellschaft. Sie macht sich deutlich in Diffamierungskampagnen der Sozialhilfe durch CDULandräte, und sie setzt sich z. B. bei den Kürzungen der Erziehungs- und Familienberatung durch die Hessische Sozialministerin fort.
Frau Merkel schreibt weiter: „Dazu gehört beispielsweise in der Gesundheitspolitik eine stärkere Selbstbeteiligung.“ – Der Satz ist völlig absurd, weil sie natürlich das Gesundheitswesen und nicht die Gesundheitspolitik meint. Was macht das schon, wenn einem die Begriffe durcheinander geraten. Also, Frau Merkel meint eigentlich, dass beispielsweise in unserem Gesundheitswesen das eigene Leistungspotenzial aus der Selbstbeteiligung an den Kosten im Krankheitsfall bestünde, und nicht etwa, wie wir GRÜNEN sagen würden, in der Förderung von Gesundheit und der Vermeidung von Krankheiten.
Bei Frau Merkel ist Selbstbeteiligung gleich Leistung und Leistung gleich Geld. Wie sagt doch Heiner Geißler so schön: „Sozialbeziehungen werden monetarisiert.“
Meine Damen und Herren, dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen, wenn nicht unglücklicherweise ein ganzes Sammelsurium solchen Unfugs sich Herzogkommissionsbericht nennen würde und auf dem Leipziger Parteitag beschlossen worden wäre.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))
Ich weiß, dass Sie sich aufregen. Es ist im Prinzip eine interessante Diskussion, über die Zukunft des sozialen Staates zu sprechen.
Die CDU tritt dafür ein, das heutige System der gesetzlichen Krankenversicherungen in ein kapitalgedecktes einkommensunabhängiges und erheblich demographiefesteres System einer „Gesundheitsprämie“ zu überführen.
Diese Kopfpauschale,die jetzt Gesundheitsprämie heißen soll, weil sich das einfach besser anhört, und die ein bisschen gesenkt wurde, damit sie sich besser verkaufen lässt, besteht aus einem Grundbeitrag von 180 c und einem Vorsorgebeitrag für die kapitalgedeckte Altersrückstellung von 20 c. Heiner Geißler sagt völlig zu Recht zu diesem Vorschlag: Erst wird den Leuten mit exorbitant hohen Prämien das Geld aus der Tasche geholt, und dann werden offenbar Beamte angestellt, die dafür sorgen sollen, dass das Geld wieder in dieselben Taschen zurückfließt, aus denen es vorher herausgeholt wurde.
Auch hier hat Herr Geißler Recht. Die von der CDU vorgeschlagene Kopfpauschale ist nicht nur deshalb grundsätzlich unsozial, weil sie ohne jede Not die kleinen Leute zu Empfängern staatlicher Fürsorge machen wird, wäh
rend sie große Einkommen entlastet. Sie ist auch deshalb zutiefst unsozial, weil sie die Versicherungspflicht nach wie vor auf abhängig Beschäftigte begrenzt, während sich Bezieher hoher Einkommen sowie Beamte und Selbstständige dem Solidarprinzip entziehen können.
Es mag doch absurd erscheinen, dass bei einer einheitlichen Prämie der Ministerpräsident – oder sollte ich vielleicht besser „der Vorstandsvorsitzende von Fraport“ sagen? – die gleiche Prämie zahlt wie der Pförtner.
Aber wenn man den Beschluss der CDU genau liest,dann stellt man fest, dass der Ministerpräsident oder der Fraport-Vorsitzende diese Prämie überhaupt nicht zahlen muss, weil sein Einkommen über der Pflichtversicherungsgrenze liegt und er deshalb privat versichert ist.Deswegen steht für uns völlig außer Zweifel, dass heutzutage Umlageverfahren allein nicht zukunftssicher sind. Aber die Gesundheitssicherung ausschließlich durch ein kapitalgedecktes System ersetzen zu wollen ist angesichts der Erfahrungen, die man sieht, wenn man sich die USA anschaut, und angesichts der spekulationsbedingten Finanzierungsschwierigkeiten der privaten Krankenversicherungen in Deutschland nahezu absurd.
Ich hätte jetzt auch Norbert Blüm zitieren können. Aber folgendes Zitat von Heiner Geißler gefällt mir bei diesem Thema einfach besser:
Der Vorschlag der CDU ist ein Versicherungssystem nach Art des russischen Rouletts, bei dem die Leute darauf warten können, bis es zum nächsten Crash, zum nächsten Einbruch der Aktienkurse kommt. Sie können doch heute dem normalen Menschen nicht mehr weismachen, dass er in Zukunft seine Krankenversicherung und seine Pflegeversicherung durch Aktien finanzieren soll.
Wenn man sich ansieht, was nach dieser allgemeinen Einleitung in Ihrem Beschluss folgt, liest man Folgendes. Da wird vorgeschlagen, den jetzigen Arbeitgeberanteil zu deckeln. Was heißt denn das gegenüber einer einheitlich zu zahlenden individuellen Prämie? Später heißt es, der Wettbewerb zwischen den Kassen sollte sich über unterschiedliche Tarife anbieten. Das ist doch ein Widerspruch zu einer einheitlichen Prämie. Dann geht es weiter bei der Prävention. Da sollen dann – wörtliches Zitat – „Elemente der Beitragsrückerstattung“ eingebunden werden. Wie verträgt sich das alles denn mit einer einheitlichen Prämie? Das, was Sie hier als einheitliche Prämie verkaufen, stellt sich bei genauem Hinsehen als hoch bürokratischer Unsinn heraus.
So geht es die ganze Zeit weiter: über die Pflege bis zur Rente.Statt Deutschland zu verändern,handelt es sich um einen Angriff auf den sozialen Staat.
Es ist sozusagen die theoretische Grundlage der hessischen Kahlschlagpolitik mit den gleichen Kennzeichen.
Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren die Gesellschaft verändert. Die Nachfrage nach bestimmten Leistungsangeboten des Sozialstaats ist auch deshalb sprunghaft gestiegen, weil traditionelle gesellschaftliche Ressourcen nicht mehr vorhanden sind. Dazu gehört der Verlust der relativen Sicherheit von Hilfe im verwandtschaftlichen Umfeld ebenso wie der Verlust von so genanntem Volkswissen.
Tatsächlich ist man heute bei der Komplexität vieler Bereiche auf professionelle Hilfe und Beratung angewiesen – vom Anlageberater bis zum Schuldnerberater. Deshalb hat Frau Merkel auch nicht Recht, wenn sie behauptet, der deutsche Sozialstaat sei vor allem deshalb in Problemen, weil die Bürgerinnen und Bürger weniger zur Übernahme von Eigenverantwortung und Eigeninitiative bereit seien. Tatsächlich geht die soziale Arbeit ebenso wie die GRÜNEN seit Jahren von der optimistischen Sichtweise aus – und einige Ihrer Fachkollegen wissen das auch –, dass Menschen insbesondere dadurch geholfen werden kann, dass ihre eigenen Potenziale sowie ihre soziale Integration und gesellschaftliche Partizipation gestärkt werden.