Protokoll der Sitzung vom 06.05.2003

(Frank Gotthardt (CDU): Ich dachte, du würdest dem Minister zu seiner Jungfernrede gratulieren!)

Herr Gotthardt, das tue ich selbstverständlich gerne, ich bin Ihnen dankbar für diesen Hinweis.

Herzliche Gratulation zu Ihrer ersten Rede.Auch das gehört zu den guten Gepflogenheiten in diesem Parlament, dass man dazu gratuliert. Ich wünsche Ihnen, auch über die Parteigrenzen hinweg, im Interesse des Landes eine gute Amtszeit.

(Allgemeiner Beifall – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt kommt die tausendste Rede von Evelin Schönhut-Keil! – Allgemeine Heiterkeit)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die tausendste Rede ist es wahrscheinlich nicht, aber in der Tat die erste Rede in meiner neuen Funktion, insofern ist das schon in Ordnung.

Meine Fraktion hat am 18.12.2001 der Novellierung des Ingenieurkammergesetzes zugestimmt. Mit der Einführung des § 3a wurde es den hessischen Ingenieuren ermöglicht, ein eigenes Versorgungswerk einzurichten, das ihre Altersversorgung sichern soll.

Wie Sie wissen, gibt es bereits Versorgungswerke für die so genannten klassischen freien Berufe.Als Beispiel seien die Rechtsanwälte, die Ärzte, die Architekten, die Stadtplaner und auch die Steuerberater genannt.

Aus unserer damaligen Zustimmung ergibt sich logisch, dass wir nun auch dem Staatsvertrag zwischen Hessen und Bayern zustimmen werden.Damit ermöglichen wir es den hessischen Ingenieuren, auf die Gründung eines Versorgungswerkes zu verzichten und sich schon der bestehenden Bayerischen Ingenieurversorgung – Bau – anzuschließen.

Speziell dieser Entschluss der hessischen Ingenieure findet aus zweierlei Gründen unsere Zustimmung:

Erstens.Wie wir von der Hessischen Ingenieurkammer erfahren haben – der Herr Minister hat bereits angedeutet –, werden zunächst voraussichtlich etwa 800 Ingenieure dem Versorgungswerk beitreten. Für diese geringe Zahl eine

neue eigenständige hessische Bürokratie aufzubauen wäre unwirtschaftlich.

Zweitens. Versicherungsmathematisch ist es sinnvoll, die Risiken von mehr als 800 Menschen in einer Versicherung zusammenzufassen.Auf eine größere Zahl von Versicherten können die Risiken einer Versicherung auch leichter verteilt werden.Starke Beitragsschwankungen können insofern auch vermieden werden.

Wie wir dem Vorblatt zum Gesetzentwurf entnehmen können, ist die Versichertengemeinschaft der Bayern bereits durch die Ingenieure aus Berlin, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen angewachsen. Meine Damen und Herren, an der Stelle, darauf lege ich Wert, nur in diesem Fall sollten wir Hessen den Bayern nachfolgen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die SPD hat, wie Sie wissen, bei den Beratungen des Ingenieurkammergesetzes 2001 grundsätzliche Einwände gegen das Versorgungswerk der Ingenieure vorgebracht.

Ich möchte an dieser Stelle einmal meinem Amtsvorgänger Rupert von Plottnitz eindeutig folgen, der die Vorteile und die möglichen Nachteile solcher berufsständischer Versorgungswerke abgewogen hat.

Als gewichtigster Einwand der Gegner wurde vorgebracht, Versorgungswerke führten zu einer Erosion der gesetzlichen Rentenversicherung. Meine Damen und Herren, dies sehen wir nicht so. Wir glauben, dass die wirklichen Gefahren in der demographischen Entwicklung liegen. Während sich die Zahl der arbeitenden Beitragszahler verringern wird, wächst die Zahl der Rentner. Die Bundesregierung hat daraus die Schlussfolgerung gezogen, die Eigenverantwortung der Menschen zu betonen. Eine zusätzliche private Säule soll die Altersversorgung stützen: die so genannte Riester-Rente.

Wenn Freiberufler, die in Deutschland traditionell nicht der gesetzlichen Pflichtversicherung unterliegen, sich eigenverantwortlich entscheiden, ein Versorgungswerk zu errichten, dann entspricht dies durchaus dem Appell, für das Alter selbst vorzusorgen. Wie Sie wissen, haben wir GRÜNE große Sympathien für eine staatliche Rentenversicherung, für eine Bürgerversicherung, die alle Menschen – also auch Millionäre und Freiberufler – nach dem Schweizer Modell in die Versichertenleistung einbezieht.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nicht jeder Freiberufler ist ein Millionär, und nicht jeder Millionär ist ein Freiberufler!)

Herr Kollege Hahn, schaut man in die Schweiz, dann wird man feststellen müssen, dass eine solche Volksversicherung auch dort keine Vollversicherung darstellt.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Wir sind hier doch nicht weit voneinander entfernt!)

So wird in der reichen und teuren Schweiz eine staatliche Grundrente von zwischen ca. 1.000 und 2.000 Schweizer Franken gewährt.

Meine Damen und Herren, damit wir im Bund wirklich in Richtung einer Volksversicherung gehen können, müssen wir uns erst einmal alle einig sein. Dann wird eine zusätzliche Altersvorsorge nötiger denn je.

(Axel Wintermeyer (CDU): Das hat aber die SPD noch nicht erkannt!)

Auch insofern würden die Versorgungswerke in Zukunft ihre Rolle wandeln, aber bestimmt nicht überflüssig wer

den. Wie wir alle wissen, sind wir von dem so genannten Schweizer Modell noch ein wenig entfernt. Das haben nicht wir zu verantworten. Aber in der gegenwärtigen Situation werden wir dem Hessischen Ingenieurkammergesetz zustimmen und damit den Ingenieuren ein Versorgungswerk ermöglichen. Es ist richtig, mit dem hierzu diskutierenden Staatsvertrag diesen Weg frei zu machen,und dies ist ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg.Jörg-Uwe Hahn (FDP) und Axel Wintermeyer (CDU))

Das Wort hat Herr Milde für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schönhut-Keil, man kann dem fast nichts hinzufügen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Ich muss nur sagen, Ihre neue Aufgabe in der Wirtschaftspolitik steht Ihnen inhaltlich sehr gut.

Wir können dem inhaltlich in der Tat nichts hinzufügen. Sie haben es erwähnt: Im Jahre 2001 haben wir die Vorraussetzungen dafür geschaffen und auch den Kampf dafür geführt, dass es überhaupt möglich wird, in ein Versorgungswerk einzutreten und aus der gesetzlichen Rentenversicherung auszuscheiden. Diese Debatte ist gelaufen. Heute geht es wirklich nur um die Frage, ob sich die hessischen Ingenieure dem bayerischen Versorgungswerk anschließen oder ein eigenes einrichten. Da es ihr eigener Wunsch war – und das auch gut so ist –, in das bayerische Versorgungswerk einzutreten, werden wir dem selbstverständlich zustimmen.

Wenn man diese Diskussion einmal sozialpolitisch betrachtet – ehrlich gesagt, Frau Kollegin Schönhut-Keil, ich dachte, dass Sie hier als Sozialpolitikerin sprechen –, dann müsste man darauf eingehen,wie die SPD vor zwei Jahren argumentiert hat. Aber wir reden hier über ein Mengengerüst von 300 bis 400 Ingenieuren in Hessen.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): 800 wurde uns genannt!)

Mir wurde gesagt: 300 bis 400. Vielleicht trifft es sich in der Mitte. Das wird die Sozialversicherung nicht durcheinander bringen.

Im Übrigen ist es, wie Sie gesagt haben, so, dass alle anderen Bundesländer das haben, dass alle anderen freien Berufe im Prinzip das Gleiche haben. Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten das den hessischen Ingenieuren ebenso zugestehen. Wir werden dem Staatsvertrag zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das Wort hat Herr Schäfer-Gümbel für die SPD-Fraktion. – Herr Denzin, ich habe es mir erlaubt, etwas zu mischen. Ich nehme an, das findet auch Ihre Zustimmung.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das darf der Präsident auch!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde ein bisschen Dissens in den sich hier abzeichnenden Konsens bringen müssen. Das, worüber Herr Rhiel hier eben gesprochen hat, betrifft im Prinzip nur die Technik. Das gilt auch für Frau Schönhut-Keil und Herrn Milde. Denn an den grundsätzlichen Problemen dieses Staatsvertrags in seiner Konsequenz aus dem Hessischen Ingenieurkammergesetz ändert sich nichts.

In der Ausschussberatung werden wir sicherlich genügend Zeit haben,über die Details zu reden.Deshalb möchte ich mich auf zwei sehr grundsätzliche Bemerkungen zu diesem Staatsvertrag konzentrieren.

Erstens. Ich will mit etwas sehr Grundsätzlichem beginnen. Im Kern gibt es fünf Gründe für die Belastungen von abhängig beschäftigten Menschen – Stichwort: Höhe der Lohnnebenkosten –: erstens die anhaltend hohe Massenarbeitslosigkeit, zweitens die demographische Entwicklung, drittens die Kostenstruktur in bestimmten Bereichen, viertens die Flucht aus den Sozialversicherungssystemen durch flexible Beschäftigungsformen und fünftens – das ist der Punkt, der uns heute zu beschäftigen hat – die organisierte Flucht durch die Herausnahme bestimmter Berufsgruppen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dies halten wir für falsch. Denn damit gehen Sie letztlich an die Struktur der solidarischen Sozialsysteme. Damit fördern Sie nur die Instabilität dieser Systeme,und Sie leisten keinen Beitrag dazu, dieses Land durch eine nachhaltige Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sehr verehrte Frau Schönhut-Keil, deswegen verstehe ich Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz nicht. Ich habe sehr aufmerksam Ihre Ausführungen der letzten Woche aus der GRÜNEN-Progammdiskussion zum Thema Bürgerversicherung gelesen.Wenn Sie den Weg zu einer Bürgerversicherung gehen wollen, dann werden Sie bei uns sicherlich offene Türen einrennen. Wenn Sie diesen Weg konsequent zu Ende denken, dürfen Sie aber diesem Staatsvertrag eigentlich nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Wir organisieren hier Zersplitterung, die Sie über komplizierte Verfahren anschließend wieder zurückholen wollen.

(Zuruf der Abg. Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, allen Lippenbekenntnissen in öffentlichen Sozialstaatsdebatten auf Bundesebene zum Trotz treiben Sie die Lohnnebenkosten de facto in die Höhe, und damit setzen Sie in diesen Debatten ein falsches ökonomisches und soziales Signal.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)