Bisweilen ist es hilfreich – ich habe es ungern getan, ich gebe es zu,aber ich habe es getan –,ich habe mir die Mühe
gemacht und habe mir die Regierungserklärung von Herrn Koch vom 22.April 1999 angeschaut. Da heißt es in den Passagen, die die Landesverwaltung und das Personal betreffen:
Meine Damen und Herren, wir wollen das Potenzial, das in der hessischen Verwaltung steckt, gemeinsam mit den dort Bediensteten voll zur Entfaltung bringen. Das ist nur mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesverwaltung möglich, nicht gegen sie.
Wenn es irgendwo nicht klappt, dann liegt das zumeist an organisatorischen Mängeln, an Doppelarbeit und an mangelnder Motivation, nicht aber an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst.... Die neue Landesregierung bekennt sich zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Personalvertretungen, Gewerkschaften und Berufsverbänden.
Lieber Herr Koch, dann kann ich Ihnen nur zurufen: Warum haben Sie denn dann im letzten Jahr genau das Gegenteil von dem gemacht, was Sie angekündigt haben?
Man könnte natürlich jetzt zu der Feststellung gelangen, da hat jemand einmal nicht die Wahrheit gesagt.Das ist so, das ist Heuchelei pur. Das sage ich an dieser Stelle auch deswegen noch einmal sehr deutlich, auch wenn Sie das nicht hören wollen: Das, was Innenminister Schily mit dem BKA getan hat, war keine Ruhmestat.Aber dass sich ausgerechnet Herr Koch hinstellt und von Heuchelei und Arroganz redet, das schlägt dem Fass den Boden aus. – In Hessen wird es mit dem Personal viel schlimmer getrieben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den hessischen Verwaltungen herrscht seit Monaten ein unerträgliches Klima der Verunsicherung. Durch die Einstellung in die Personalvermittlungsstelle und die damit verbundene Personalisierung fühlen sich viele Mitarbeiter diskriminiert und gebrandmarkt. Diese beabsichtigten Maßnahmen führen zu Neid, Missgunst und Vertrauensverlust. Bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist ein Gefühl von Wertlosigkeit der bisher geleisteten Arbeit entstanden.Viele Mitarbeiter fühlen sich aber auch durch die Art der Personalpolitik von ihrem Arbeitgeber, der Hessischen Landesregierung, gemobbt. Leider müssen wir hinzufügen: Das ist die Wahrheit, die bittere Realität in Hessen.
Bis zum heutigen Tag, wir haben heute den 18. Februar, wissen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der hessischen Landesverwaltung noch nicht, ob sie zukünftig der PVS angehören oder nicht. Ein großes Klima der Verunsicherung, verbunden mit einer hohen Demotivierung, ist die Folge. Wer sich Strukturveränderungen in Verwaltungen, aber auch in Betrieben, anguckt, weiß, dass natürlich der Ablauf in den Verwaltungen gelähmt ist, weil Mitarbeiter darüber diskutieren, wo sie zukünftig ihren Arbeitsplatz haben und was mit ihnen geschieht. Das sind sehr konkrete Ängste und Nöte, und deswegen kann nicht
die effektive Arbeit von hoch motivierten Mitarbeitern geleistet werden, wenn sie so demotiviert werden, wie es diese Landesregierung und diese CDU-Fraktion tun.
Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, im Einzelnen dazu Stellung zu nehmen,welche Landesbehörden ihrer Meldepflicht nachgekommen sind, wie viele Stelleninhaber der einzelnen Behörden in die PVS gemeldet wurden und wie viele Versetzungs- und sonstige Änderungsanträge von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gestellt wurden.
Nach unserem Kenntnisstand – Sachstand heute, 18. Februar – gab es bisher kaum Mitarbeiter,die gemeldet wurden. Es herrschen nämlich eine große Verunsicherung über die Kriterien und eine große Verunsicherung darüber, wie man mit dem Personal, den Menschen dort umgeht.Wie wenig professionell die Landesregierung mit der wichtigsten Ressource ihrer Verwaltung,nämlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,umgeht,zeigt die Art und Weise, wie Dienststellenleiter Gespräche mit Betroffenen führen sollen. Es gibt einen netten Leitfaden „PVS-Auswahlgespräch“ mit acht Seiten. Es ist richtig rührend, was darin steht.
Die Aus- und Fortbildung ist generell ein Problem von Verwaltungen, das nicht erst in den letzten Jahren entstanden ist. Dies ist ein generelles Problem und keines von einer Partei. Dort heißt es dann: „Soziale Bindung ist ein Grundbedürfnis, die Unterbrechung stellt für die Betroffenen und die Dienststellen eine neue Situation dar“ – eine Binsenweisheit, wie tief, wie wahr.
Der Mitarbeiter soll motiviert werden. Das Gespräch soll in einer netten Atmosphäre, möglichst einem Vormittag, stattfinden. Dann kommt eine Arbeitsanleitung, die zynisch zu nennen ist, weil man mit Menschen so nicht umgehen darf. Ich zitiere wörtlich aus Seite 3 dieses Papiers:
Es bietet sich an, das Gespräch an einem Vormittag zu führen, damit die/der Beschäftigte Zeit und Gelegenheit hat, die Botschaft zu verarbeiten
und sie auch im Kreise der Kolleginnen und Kollegen zu erörtern. Bei Bedarf kann ein zweites zeitnahes Gespräch angeboten werden.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich folgende Situation vor. Ein Mitarbeiter des RP Kassel bekommt von seinem Abteilungsleiter gesagt: „Du bist an die PVS gemeldet.Deine Stelle und deine Person sind beim RP überflüssig. Gehe jetzt zu deinen Kollegen zurück.“ – Der Mitarbeiter kommt in den Kreis seiner Kollegen zurück. Die sind froh, dass es nicht sie getroffen hat. In einer solchen Atmosphäre soll der Mitarbeiter die Neuigkeit verarbeiten? Zynischer als die Landesregierung kann man Personalpolitik nicht betreiben.
Es geht nämlich nicht um Materialverwaltung, um die Beschaffung von Bleistiften, Radiergummis oder Laptops, sondern es geht um menschliche Schicksale. Es sind ja nicht nur die Schicksale der Mitarbeiter, sondern auch die ihrer Familien. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel. Eine Mitarbeiterin der Katasterverwaltung in Witzenhausen, die vormittags arbeitet, zwei Kinder zu betreuen hat und nach BAT VI oder BAT VII bezahlt wird, bekommt
gesagt:Ab irgendwann in den nächsten Wochen oder Monaten steht dein Arbeitsplatz in Homberg (Efze).– Das ist von Witzenhausen rund 80 km entfernt. Da kann die Frau im Grunde genommen nur sagen: Ich schaffe es nicht mehr, arbeiten zu gehen und meine Kinder zu betreuen. – Die logische Konsequenz ist, dass sie kündigen muss.Vielleicht ist das gewollt. Das weiß ich nicht.Aber das Ergebnis kann nur so lauten. Es ist unglaublich, wie Sie mit dem Personal umgehen.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rudi Hasel- bach (CDU): Unglaublich!)
Herr Haselbach, wenn Sie „Unglaublich!“ rufen und dabei grinsen, dann zeigt das, dass für Sie das Personal offensichtlich eine Verfügungsmasse der Politik darstellt. Nein, das Personal ist die wichtigste Ressource der Landesverwaltung. Mit den Mitarbeitern muss anständig und fair umgegangen werden. Das fordern wir schlicht und ergreifend von dieser Landesregierung ein.Wenn Sie an der Stelle lachen, ist das Ihr Problem. Wir nehmen das im Gegensatz zu Ihnen sehr ernst.
Ein Letztes zu den PVS-Auswahlgesprächen und den Auswahlkriterien. Sie geben auch noch Literaturhinweise und steigern damit das Ausmaß Ihres Zynismus.Ich meine z. B. das Buch von Laurenz Andrzejewski mit dem Titel „Handbuch für ein professionelles, wirtschaftliches und faires Kündigungsmanagement“. Angeblich soll es doch kaum betriebsbedingte Kündigungen geben. Das Buch kostet 49 c. Sie können es über amazon.de bestellen. Es enthält liebliche Hinweise, wie man den Mitarbeitern schlechte Botschaften möglichst angenehm überbringt.
Meine Damen und Herren, das ist eine unglaubliche Art und Weise, wie Sie mit dem Personal umgehen. Das ist auch deshalb unglaublich, weil man im Vorfeld der gesamten Aktion die Mitbestimmungsrechte konsequent und zielorientiert abgebaut hat, damit die Personalräte bei diesen Weichenstellungen nicht mitreden können. So führt man keine Umorganisation in Behörden durch.
Das ist Politik nach Gutsherrenart, nach Befehl und Gehorsam. Sie ist sehr konsequent in die Palette weiterer Maßnahmen eingepasst, die die Mitarbeiter demotivieren.Es ist ja nicht allein die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder vor einer Umsetzung, sondern es sind auch die Einkommenseinbußen aufgrund der Streichung des Urlaubs- und des Weihnachtsgeldes, die Verlängerung der Arbeitszeit und die wachsende Unsicherheit.Es ist die Summe der Maßnahmen, die dazu führt, dass in den hessischen Verwaltungen ein unerträgliches Klima herrscht, das ausschließlich Sie zu verantworten haben.
In der „HNA“ ist über die Mitarbeiter des RP Kassel zu lesen: „Jeden Tag atmet man auf, wenn wieder ein Tag um ist, und man ist nicht angesprochen worden, ob man in die PVS kommt oder nicht.“ Da kann man nicht einfach sagen, die verfehlte Politik der Bundesregierung sei an der Situation schuld, dass wir kein Geld haben. Es gibt vielmehr zwei Tatsachen. Zum einen fehlen Hessen die Steuereinnahmen – das ist der erste Teil der Wahrheit –, zum anderen haben Sie eine verfehlte Ausgabenpolitik
Sie bieten als Alternative ein konzeptionsloses Schließen von Behördenstandorten an, eine Alternative, die viel Geld kostet. Da werden Amtsgerichte geschlossen. Gleichzeitig baut man für 6 oder 7 Millionen c an anderer Stelle neue Gerichtsgebäude. Man mietet z. B. in Darmstadt und in Dieburg neue Räume für die Katasterverwaltung für 500.000 c an. Dann wird gesagt, das Amt wird nach Heppenheim verlagert, weil man dort einen Zehnjahresvertrag geschlossen hat. Das heißt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zahlen die Zeche für die falsche Sachpolitik des Landes.Auch das ist ungeheuerlich.
Aufgabenkritik kann man nicht gegen die Menschen machen, sondern man muss sie mit ihnen machen. Zuerst muss eine Aufgabenkritik stattfinden. Dann werden die Aufgaben definiert, und dann legt man fest, wie viel Personal man braucht, und stellt es ein. Sie machen es genau umgekehrt. Sie legen fest: Wir wollen 9.703 Stellen in der hessischen Verwaltung abbauen. – Danach legen Sie die Organisationsstruktur und die Aufgaben fest. Das ist ein völlig falscher Ansatz. Modernes Management sieht anders aus.
Herr Kollege Reißer, Sie behaupten immer, es gebe keine Alternativen. Man muss die Alternativen aber zur Kenntnis nehmen.Unser Angebot steht nach wie vor.Wir sagen: Lassen Sie uns in Verhandlungen mit den Gewerkschaften und mit den Personalräten eintreten, um einen so genannten Beschäftigungspakt zu schließen, der den Anstieg der Personalkosten auf 1 % begrenzt.Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber wenn wir die Arbeitsplätze dauerhaft sichern wollen,dann müssen die Mitarbeiter ihren Beitrag leisten. Sie müssen aber auch in die Prozesse einbezogen werden. Das fordern wir an dieser Stelle sehr deutlich von der Landesregierung.
Ein weiteres Beispiel – auch wenn Sie es nicht hören wollen, Sie bekommen es so lange gesagt, bis Sie es kapiert haben –: die Einführung von SAP. Nach Berechnungen der Gewerkschaft der Polizei kostet allein die Eingabe sinnloser Statistiken im Zuständigkeitsbereichs des Innenministeriums 20 Millionen c pro Jahr. Wenn man dieses Geld einsparen würde, dann brauchte man nicht so katastrophal mit den Mitarbeitern umzugehen und möglicherweise keine Kündigungen auszusprechen.
Es gibt also Einsparmöglichkeiten. Wir haben schon sehr den Eindruck, dass auch die Mitarbeiter in der Landesverwaltung wissen, dass sich etwas ändern muss, dass wir die Landesverwaltung umorganisieren und umbauen müssen. Das wissen die Menschen. Viele Gespräche in den letzten Wochen und Monaten haben das gezeigt. Die Änderungen müssen aber für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachvollziehbar sein. Die Abläufe müssen stimmen. Es kann nicht sein, dass man die Häuptlinge ungeschoren lässt. Man richtet bei den Forstämtern Doppelspitzen ein, wo Mitarbeiter des höheren Dienstes eine Stelle bekommen, während man gleichzeitig Hunderten Waldarbeitern mit Kündigung droht. So kann man keine
sinnvolle Politik machen – immer wieder zulasten der Menschen,die nicht über entsprechende Einkommen verfügen. Das ist eine unsoziale und falsche Auswahl beim Personal.
Herr Kollege Bökel, ob Herr Minister Grüttner da ist oder nicht: Was hilft Sachverstand, wenn man sich für „Augen zu und durch“ entschieden hat? Herr Grüttner hat in der letzten Wahlperiode als parlamentarischer Geschäftsführer im Untersuchungsausschuss gesagt: Mehrheit ist Wahrheit. – Die Mehrheit kann beschließen, dass die Sonne scheint und dass alles schön ist. Das kann man zwar beschließen, aber die Menschen in diesem Land haben gemerkt, dass sie von der Landesregierung getäuscht und gedemütigt worden sind. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf: Ändern Sie Ihre Personalpolitik, reden Sie mit den Menschen über die vorhandenen Einsparpotenziale. Dann werden auch unpopuläre Maßnahmen mitgetragen. Wir sind bereit, diesen Weg zu begleiten, und fordern Sie daher zur Umkehr auf.