Protokoll der Sitzung vom 13.06.2004

Das waren also genau die Mittel, mit denen die Landesregierung hätte gestaltend eingreifen können und nicht nur das mitgenommen hätte, was ihr zur Verfügung gestellt wird, ohne selber eigene Akzente zu setzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von daher schweigen Sie sich aus, was das für die jeweiligen Maßnahmen bedeutet. Sie sagen auch nicht, welche strukturellen Ziele durch die Kürzungen gefährdet sein könnten. Das können sie allerdings nicht tun, denn es wäre mir neu, dass es ein Gesamtkonzept für die strukturelle Entwicklung gibt.

Wir hatten heute Morgen schon das Thema Kassel-Calden. Da haben Sie von der EU eins auf die Nase bekom

men.Der erste Plan war nämlich,das gesamte Geld in den Beton für den Ausbau von Kassel-Calden zu stecken. Dazu hat die EU Nein gesagt. Jetzt bin ich gespannt: Man hat das Ganze erweitert, indem man den zusätzlichen Beton für das Logistikzentrum dazugenommen hat. Das heißt, das Strukturprogramm Nordhessen heißt: Viel Beton nach Nordhessen, und alles wird gut. – Das kann nicht sein. Das ist kein Konzept für eine Strukturpolitik. Das ist weder nachhaltig, noch setzt es an gewachsenen Strukturen an. Genau das wird aber bei einer EU-Förderung verlangt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie erwecken den Eindruck, so viel Geld abzugreifen, wie Sie nur können. Sie haben aber kein Gesamtkonzept. Das kennen wir von dieser Landesregierung. Das ist nicht das einzige Gebiet,wo das so ist.Sie haben gestern im Plenum bestätigt, dass die EU-Gelder teilweise genutzt wurden, um die Löcher zu stopfen, die Sie mit Ihrer „Operation düstere Zukunft“ gesprengt haben. Sie haben gestern beim Thema PTA-Ausbildung bestätigt, dass Sie Gelder aus dem ESF-Fond zum Stopfen der Löcher verwendet haben. Das Gleiche finden wir in der Landwirtschaft. Außerdem sind auch noch etliche EU-Mittel verloren gegangen.

Wenn es um den Blick in die Zukunft geht, müssen wir feststellen:Wenn es kein Konzept für die Gegenwart gibt, dann würde es uns wundern, wenn es ein Konzept für die Zukunft gäbe.Was will die Hessische Landesregierung eigentlich tun, wenn die Erweiterung um die zehn nicht gerade reichen Länder stattfindet und nicht mehr, sondern weniger Mittel nach Hessen fließen? Was passiert, wenn die EU-Mittel teilweise oder in manchen Bereichen ganz ausbleiben, weil Hessen im Vergleich zu anderen Regionen Europas nicht mehr als strukturschwach gilt? Ohne die EU-Mittel existiert doch in Hessen keine eigenständige Arbeitsmarktpolitik. Wie sorgen der Wirtschaftsminister und die Sozialministerin eigentlich vor?

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich zitiere noch kurz die einzige Maßnahme, die Ihnen einfiel. Auf der Besprechung der Regierungschefs der Länder hatten Sie folgende glorreiche Idee: Der Bund wird aufgefordert, wegfallende EU-Fördermittel angemessen finanziell auszugleichen. – Das ist doch LieschenMüller-mäßig, was Sie hier präsentieren. Das ist doch kein Konzept. Wir müssen in dieser Sache gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um Hessen weiterhin strukturell zu fördern.Wenn die Gelder weniger werden, müssen die Ideen besser werden. Davon ist bei der Hessischen Landesregierung bislang leider nichts zu sehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Wagner das Wort.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ist der Riebel schon in die PVS gemeldet worden?)

Ich möchte festhalten, dass heute Morgen amtlich festgestellt wurde, dass ein Entschuldigungsschreiben des Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigten des Landes Hessen beim Bund vorliegt, in dem er deutlich macht, dass er durch den Ständigen Beirat beim Deutschen Bundesrat in Berlin terminlich gebunden ist und einer Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses vorsitzt. Ich halte es für meine Pflicht, derartige Informationen mitzuteilen, damit hier nicht ständig ungerechtfertigte Kritik geübt wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war keine Kritik!)

Das Wort hat der Herr Justizminister.

Frau Präsidentin, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie diese Klarstellung vorgenommen haben.Auch ich will es an dieser Stelle nochmals ausdrücklich betonen:Es gibt in Berlin und auch in Brüssel Termine, die nicht auf Sitzungen des Hessischen Landtags Rücksicht nehmen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das sagt doch kein Mensch!)

Deshalb ist es für die Außenvertretung und für die Vertretung der Interessen Hessens wichtig, dass Herr Riebel, der hierfür Verantwortung trägt, auch dort unsere Interessen vertritt und Sie es jetzt einfach hinnehmen, dass ich als Vertreter von Herrn Riebel hier vor Ihnen stehe und zu diesem Tagesordnungspunkt spreche.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Antwort der Landesregierung macht deutlich, dass die von der Europäischen Union und vom Land Hessen kofinanzierten Maßnahmen durch die Sparmaßnahmen, die im Rahmen der „Operation sichere Zukunft“ notwendig waren,nur in marginalem Umfange betroffen sind. Die überwiegende Anzahl der Ressorts und der Programme wird von den Kürzungen sogar überhaupt nicht betroffen. Daher läuft die Absicht, die hinter dieser Großen Anfrage steckt, ins Leere. Dies zeigt auch, dass die Landesregierung verantwortungsvoll gehandelt und sichergestellt hat,dass die zur Verfügung stehenden EU-Mittel auch in den Jahren knapper Kassen in vollem Umfange genutzt werden können.

Gleichzeitig zeigen die vorgelegten Zahlen die Bedeutung der Strukturförderung für Hessen. Sie machen deutlich, dass durch die europäische Förderung in vielen Bereichen Aktivitäten in erheblich weiterem Umfange angestoßen werden.

Exemplarisch zeigt sich das am hessischen Ziel-2-Programm. Hier werden die Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung in Höhe von 183,5 Millionen c für die gesamte Laufzeit der Förderperiode durch nationale öffentliche Mittel in Höhe von 123,5 Millionen c und durch private Mittel in Höhe von 235,5 Millionen c kofinanziert. Das heißt, durch 1 c eingesetztes EU-Geld wird der Einsatz von anderen Finanzmitteln in doppelter Höhe angeregt.

Auch die Bedeutung der EU-Fördermittel für die hessische Beschäftigungspolitik und die Förderung des ländlichen Raums wird durch die Antwort auf die Große An

frage nachhaltig belegt. Meine Damen und Herren, wie Sie alle wissen, hat die Europäische Kommission am 18. Februar 2004 mit dem dritten Kohäsionsbericht ihre Vorschläge für die Ausgestaltung der Strukturpolitik der nächsten Förderperiode von 2007 bis 2013 vorgelegt.

Positiv bewertet die Landesregierung die stärkere Konzentration der Mittel auf die Ziel-1-Gebiete sowie die Möglichkeit, auch weiterhin außerhalb von Ziel-1-Gebieten die Regionen, die sich im Strukturwandel befinden, sowie die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu fördern. Deshalb wird sich die Landesregierung in den anstehenden Verhandlungen dafür einsetzen,dass diese Vorschläge auch in die konkreten Verordnungsentwürfe übernommen werden.

Meine Damen und Herren, ich möchte das abschließend nochmals ausdrücklich betonen, weil das angezweifelt wurde: Die Landesregierung wird natürlich entsprechende Programme ausarbeiten.Sie wissen alle,dass diese Programme einer Kontrolle und Überprüfung durch die Europäische Union unterliegen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. – Damit ist die Große Anfrage der SPD zur Kofinanzierung der Europäischen Strukturfonds in Hessen, Drucks. 16/1909, besprochen.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 14:

Große Anfrage der Abg. Fuhrmann, Dr. Spies, Eckhardt, Habermann, Dr. Pauly-Bender, Schäfer-Gümbel (SPD) und Fraktion betreffend ständische Versorgungswerke in Hessen – Drucks. 16/1963 zu Drucks. 16/456 –

Als erster Redner für die SPD hat Herr Dr. Spies das Wort. Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst meinen herzlichsten Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung für die Mühe, die sie sich mit dieser Antwort gemacht haben. Das war sicher eine Fleißarbeit.

Meine Damen und Herren, Alterssicherung betrifft alle. Deshalb haben die Mütter und Väter der Hessischen Verfassung uns eine Aufgabe mitgegeben, nämlich „eine das gesamte Volk verbindende Sozialversicherung zu schaffen“. Sie bezogen das auf sämtliche sozialen Sicherungssysteme.Meine Damen und Herren,heute nennt man dieses Modell Bürgerversicherung.

Stattdessen finden wir heute einen Flickenteppich höchst unterschiedlicher Konzepte. Das könnte durchaus eine Chance sein, unterschiedliche Ansätze und Strukturen zu vergleichen, etwas über ihre Wirkungen zu erfahren und zu prüfen, welche Wirkungen gewünscht und welche vielleicht unerwünscht sind, welche gerecht und welche ungerecht sind, welche sinnvoll und welche weniger sinnvoll sind.

Leider bleibt die Landesregierung an genau diesen Punkten reichlich fade und schwammig in ihren Antworten. Zitat: Ein Vergleich zwischen gesetzlicher Rente und Versorgungswerken „ist wegen der Unterschiede der beiden Systeme nicht sachgerecht“.– So die lapidare Antwort der Landesregierung zur sozialpolitischen Bedeutung der Versorgungswerke.

Angesichts zweier Pflichtsysteme höchst unterschiedlicher Provenienz ist diese Frage allerdings nicht nur sachgerecht, sondern außerordentlich brisant. Man fragt sich also: Kann sie nicht, oder will sie nicht?

Meine Damen und Herren,Vergleiche machen überhaupt nur dann einen Sinn, wenn man Unterschiede hat. Es ist die Antwort der Landesregierung, die an dieser Stelle nicht sachgerecht ist.

Ein weiteres Zitat: „Familienpolitische Förderung gehört... nicht zu“ dem Auftrag der Versorgungswerke. – So die lapidare Antwort auf die Frage nach der frauen- und gleichstellungspolitischen Bedeutung.

Erstens. Liebe Landesregierung, Gleichstellungspolitik ist ein bisschen mehr als Familienpolitik, mit Verlaub.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Alterssicherungssysteme haben natürlich eine frauen- und eine familienpolitische Bedeutung.Vielleicht sollte die Landesregierung doch gelegentlich einmal ihren „Wiesbadener Entwurf“ zur Familienpolitik lesen – dann wäre ihr dieser Zusammenhang möglicherweise geläufig.

Die erste Erkenntnis, die man aus dieser Antwort ziehen kann, um sie in größere Zusammenhänge einzuordnen, ist:Pseudoprivatrechtliche Strukturen sind nicht geeignet, den unterschiedlichen Lebensentwürfen von Männern und Frauen Rechnung zu tragen. Solche Systeme folgen dem Bild des männlichen Alleinverdieners mit Heimchen am Herd. Das macht gerade einen Teil ihres Erfolges aus.

Gerade deshalb haben wir vor gar nicht allzu langer Zeit beim Heilberufsgesetz die Quotierung der Kammerdelegierten diskutiert – denn dort sitzen vor allem Männer, während nach den Mitgliedern doch gleichermaßen Männer und Frauen betroffen sind.

(Florian Rentsch (FDP): Nicht jeder Mann ist auch ein Mann!)

Gerade bei den Pflichtsystemen wie den Versorgungswerken muss darauf geachtet werden, dass sämtliche Betroffenen angemessen berücksichtigt werden.

Meine Damen und Herren, die zweite Erkenntnis aus dieser Antwort der Landesregierung ist, dass solche ganz oder überwiegend kapitalgestützten Systeme, wie es die Versorgungswerke sind, für die Alterssicherung dann erfolgreich sind, wenn sie so neu sind, dass ein Gleichgewichtszustand zwischen nachwachsenden Einzahlern und profitierenden Empfängern noch lange nicht erreicht ist. Das ist bei allen der Fall. Sie sind dann erfolgreich, wenn immer mehr Versicherte nachwachsen – das ist z. B. gerade bei den Heilberufen zu erwarten, da der demographische Wandel die Zahl der Einzahler wachsen,nicht sinken lassen wird – und wenn sie ausschließlich eine kleine, hoch selektierte und besonders solvente Zielgruppe erfassen, ohne jeglichen gesellschaftlichen oder sozialen Ausgleich.

Die Versorgungswerke in Hessen versichern 50.000 Menschen, von rund vier Millionen, die von Rentenversicherungssystemen betroffen sind.

Der Umkehrschluss: Für alle ist dieses Konzept als Regelsystem nicht geeignet.

Zum gleichen Ergebnis führen auch drei einfache Überlegungen:

Erstens.In den letzten 50 Jahren war die durchschnittliche Rente gleich hoch – ob kapitalgedeckt oder im Umlageverfahren.Wohlgemerkt, nicht für alle, Gutverdiener fahren mit Kapitalsystemen besser, Geringverdiener mit der gesetzlichen Rentenversicherung.

(Frank Gotthardt (CDU): Stellen Sie sich vor, alle Bürger wären Mitglied der SPD – das wäre auch unerträglich!)