(Frank Gotthardt (CDU): Stellen Sie sich vor, alle Bürger wären Mitglied der SPD – das wäre auch unerträglich!)
Zweitens. Sämtliche kapitalgestützten Systeme sind irgendwann Umlagesysteme, denn Kapitalanlagen wollen wieder konsumiert und dazu an die nächste Generation verkauft werden. Was keiner kauft, ist dann auch nichts wert. Damit sind sie dann endlich genauso demographieanfällig – oder genauso wenig – wie die Gesetzliche. Mackenroth wusste das schon 1954: Die sozialen Lasten einer Zeit müssen in dieser Zeit bezahlt werden, sie können nicht in die Zukunft vertagt werden.
Eine andere, ganz einfache Rechnung hilft: Wollte man alle Hessinnen und Hessen kapitalgestützt alterssichern – ganz Hessen gehörte der Rentenversicherung. Denn es gibt gar nicht genug Anlagemöglichkeiten. Nur Vertreter eines Staats- oder eines sonstigen Monopolkapitalismus können das wünschen – oder Leute, die die Rente in Liberia anlegen wollen. Na, danke.
Erinnern wir uns: Auch die gesetzliche Rente war einmal kapitalgedeckt. Dreimal ist sie zusammengebrochen: während der Inflation,in der großen Depression und nach dem Zweiten Weltkrieg. Genau deshalb wurde das Umlageverfahren eingeführt – Geschichten von gestern.
Meine Damen und Herren, gerade erst musste privaten Lebensversicherungsunternehmen mit beachtlichen Steuermitteln unter die Arme gegriffen werden, weil Kapitalanlagen nun einmal kein ewiges Füllhorn sind. Die Gewinne privatisieren und die Risiken sozialisieren ist weder gerecht, noch ist es klug.
Leider bleibt die Landesregierung auch zum dritten wesentlichen Punkt außerordentlich holprig. Der Schutz der dort Versicherten vor Risiko bestehe in internen Anlagerichtlinien, detaillierten Liquiditätsplanungen, jährlichen Prüfungen und Prognoserechnung – na danke, sehr umsichtig. Kapitalgestützte Systeme sind nicht krisenfest. Sie sind deshalb auch nicht generationengerecht. Sie legen die junge Generation dauerhaft fest, und wenn etwas schief geht, ist alles futsch.Wer von Ihnen will behaupten, er könne sagen, was in den nächsten 50 Jahren passiert?
Umlagesysteme sind generationengerecht. Sie ermöglichen nach jeder Katastrophe den Wiedereinstieg. Kapitalsysteme funktionieren nur, wenn entweder ein kleiner Teil der Bevölkerung beteiligt ist, der sich damit Vorteile auf Kosten der anderen beschafft,
oder allenfalls als vorsichtige Ergänzung,wie sie der Bund mit der Riester-Rente gerade umgesetzt hat.
1950, in der Debatte des Deutschen Bundestages zur adenauerschen Rentenreform, sagte der Abg. Schüttler, CDU:„Wir möchten eine Versicherung haben,die sich auf
die wirklich unselbstständigen Arbeiter bezieht und es dabei auch belässt.“ Entsolidarisierung der Gesellschaft als Ganzes war Prinzip. Dass die freien Berufe eigene Kollektivsysteme entwickelt haben, kann diesen in keiner Weise vorgeworfen werden, schließlich wurden sie 1957 de facto aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen. Manch einer mag noch argumentieren, dass die Betroffenen sowieso nur ein knappes Prozent der Bevölkerung ausmachen, denen könne man ihre Bevorzugung an der Stelle doch gönnen – ganz sicher. Für das gesamte Volumen der Alterssicherung spielen diese Umsätze keine wesentliche Rolle. Ganz genauso sicher genießt das, was Bestand ist, auch Bestandsschutz.
Meine Damen und Herren, aber in einer Gesellschaft, die dringend mehr Risikobereitschaft,mehr Flexibilität,mehr Innovationsfreude braucht, müssen zwei Voraussetzungen geschaffen sein. Erstens müssen die Menschen die Gewissheit haben, dass die großen Lebensrisiken – Krankheit, Arbeitslosigkeit und Altersarmut – suffizient abgesichert sind. Zweitens müssen sie die Gewissheit haben, dass dies gerecht geschieht.
Das eine Prozent ständisch Versorgte mag das gerecht finden. Die anderen 99 % tun es sicher nicht. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Lieber Herr Gotthardt, Sie fragen wo die Landesregierung ist. Das fragen andere auch.Vielleicht sorgen Sie dafür, dass einige mehr kommen.
(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo ist die Landesregierung? Es ist kein Minister da! – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es sind alle in der PVS gemeldet!)
Danke, Frau Präsidentin. – Ich gebe die Frage gerne weiter, die mir auf dem Weg hierhin aufgetragen wurde: Wo ist eigentlich die Landesregierung? – Trotzdem möchte ich jetzt zum Thema der Großen Anfrage kommen.
Meine Damen und Herren! Wir haben in Hessen sechs ansässige Versorgungswerke mit insgesamt 50.000 Personen, d. h. bezogen auf die Gesamtanzahl von Rentnern und Pensionsbezieher in Hessen ein verschwindend geringer Anteil. Ebenfalls deutlich ist, dass diese Versorgungswerke besonders gehobenen Berufen zur Verfügung stehen.
Versorgungswerke als Alternative zur Rentenversicherung sind keine Erfindung der Neuzeit, sondern haben eine lange Geschichte. Deswegen sind die Probleme, die die Versorgungswerke jetzt haben, auch ein Problem der langen Geschichte.
Wir haben erstens die reine Kapitaldeckung der meisten Versorgungswerke, die eine hundertprozentige Abhän
gigkeit von wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen impliziert. Wir haben dieses reine, ausschließlich kapitalgedeckte Versorgungssystem, das sowohl von der Herzog- als auch von der Rürup-Kommission diskutiert und als alleinige Lösung einhellig abgelehnt worden ist.
Zweitens. Die Versorgungswerke sind vereint in einer Problematik mit den gesetzlichen Sozialversicherungssystemen, dem demographischen Wandel. Daran kommen auch die Kammern und ihre Versorgungswerke nicht vorbei.
Wenn es vielleicht möglich ist, dass in den ersten Reihen wenigstens nicht so laut geredet wird, dass ich mich weiter auf meine Rede konzentrieren könnte, wäre ich Ihnen sehr dankbar. – Danke schön.
Erst ist die Landesregierung nicht da. Dann ist sie da und redet so laut dazwischen, dass man selber nicht zu Wort kommt. Das ist auch seltsam.
Das dritte Problem der Versorgungswerke ist die Exklusivität, die auf der Berufsständischkeit beruht.Anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung, wo sich durch die Entwicklung und die Anzahl der dort versicherten Menschen manche Probleme ausgleichen,gibt es,wenn Berufe aussterben oder sich strukturell verändern, in diesen Versorgungswerken keine Ausgleichsmöglichkeiten. Das gilt auch für weitere Berufe; z. B. wird gerade zu dem Rechtsanwaltsberuf auf EU-Ebene diskutiert, was sicher auch zu Problemen führen wird.
Lassen Sie mich einen vierten Problempunkt nennen. Das ist das Nichtwahrnehmen oder die unzureichende Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion. Seit über zehn Jahren – eigentlich noch viel länger – diskutieren wir über den demographischen Wandel. Ein Versorgungswerk, das sich erst im Jahre 2001 dazu entschließt, seine Alterssicherung dieser Entwicklung anzupassen, hat natürlich gravierende Auswirkungen auf die Einzahlung und die zu erwartenden Renten in diesem System. Die Ideologie einer Ständevertretung, die außerhalb einer gesetzlichen Rentenversicherung sozusagen aus eigenen Mitteln dafür sorgt, dass ihre Mitglieder ein sorgenfreies Leben genießen können, ist eine Fiktion, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, dass ein Arzt mit einer durchschnittlichen Rente von 3.000 c sehr viel mehr Rente als ein – in Amtsdeutsch so genannter – deutscher Eckrentner erhält.
Es lässt sich aus den Antworten der Landesregierung – das finde ich eigentlich das Hauptproblem – gar nicht herauslesen, ob sie bereit ist, ihre Aufsichtsfunktion in diesem Bereich wahrzunehmen. Die Formulierung, es gebe keinen Handlungsbedarf oder dieser Handlungsbedarf würde im Moment nicht gesehen, lässt mich doch einigermaßen verwundert sein. Sie wissen doch, dass z. B. die Landesärztekammer seit Jahren eine Veränderung des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung und die Zahnärztevereinigung fordert, weil sich die Berufssituation von Ärzten und Ärztinnen sehr verändert hat und eigentlich nicht mehr der Versorgungslage aus den Versorgungswerken entspricht. Daher ist in meinen Augen das Fazit: Wir brauchen auch in der Rente eine Bürgerversicherung.
Meine Damen und Herren, die Schweiz hat es uns vorgemacht. Wir brauchen eine umfassende, gerechte und demographiefeste Neustrukturierung des gesamten Sozialsystems bei Krankheit, Pflege und im Alter.Wir brauchen eine eigenständige Alterssicherung für jeden Bürger und jede Bürgerin. Unser derzeitiges Rentensystem geht nach wie vor davon aus, dass wir einen allein verdienenden Mann und dauerhafte Ehegemeinschaften haben. Das trifft sicher für viele derzeitige Rentner und Rentnerinnen zu. Aber bei den jüngeren Jahrgängen entspricht das nicht mehr der Realität.
Wir haben glücklicherweise eine zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und neue Familienmodelle. Wir haben aber auch sehr hohe Scheidungsraten. Wir haben zunehmend nicht eheliche Lebensgemeinschaften. Und wir haben eine steigende Zahl von allein stehenden Personen. Wir brauchen eine Vereinheitlichung von Rentensystemen aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die abhängig Beschäftigten über die Beamtenversorgung bis hin zur Versorgung von Selbstständigen.
Wegen der Versorgungswerke gehe ich gesondert auf die Situation von Selbstständigen ein. Diese finden sich in der Alterssicherung in verschiedensten Systemen – sei es freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung, in berufsständischen Versorgungswerken oder privat versichert. Aber die Einkommensverteilung, die wir im Alter vorfinden, haben wir schon im Erwerbsleben. Das heißt, große Einkommensunterschiede in jüngeren Jahren setzen sich bis ins Alter fort.
Daraus ergibt sich nicht nur die Notwendigkeit, horizontal für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, sondern wenn wir das Augenmerk auf die Selbstständigen lenken, dann wird deutlich, dass für die Alterssicherung Selbstständiger die Problematik weit über die der Versorgungswerke hinausgeht.Wir haben bereits heute ein überproportional hohes Armutsrisiko von Selbstständigen während der Erwerbsphase.
Dieses Risiko – ich habe es schon gesagt – setzt sich in der Alterssicherung fort. Die durchaus gewollte und wünschenswerte Förderung der Selbstständigkeit, die IchAGs und die zur Normalität gewordenen Patchworkbiografien dürften das Armutsrisiko von selbstständigen Menschen weiter erhöhen.
Da wir hier in den nächsten Jahren sicher noch die Gelegenheit haben werden, sehr umfassend über die Reformen der sozialen Sicherungssysteme zu diskutieren, möchte ich mich zum Abschluss auf die Eckpunkte unserer Bürgerversicherung, so, wie wir sie im Moment diskutieren und andenken, beschränken. Nach unserer Ansicht müssen alle Erwachsenen, auch Nichterwerbspersonen, beitragspflichtig in die Rentenversicherung einzahlen. Die Beiträge sind abhängig von der Einkommenshöhe. Es gibt einen Mindestbeitrag und keine Beitragsbemessungsgrenze.
Es gibt eine Mindestgrenze und eine Höchstgrenze bei der Rente. – Meine Damen und Herren, das sind die Kernelemente der Rentenversicherung in der Schweiz, die dort eine der drei Säulen des Sozialversicherungssystems bildet. Vielleicht kann man dieses System aus der Schweiz nicht 1 : 1 übertragen. Vielleicht hat es Schwächen, die es nicht zu übernehmen gilt. Aber es zeigt, dass
ein Land, nicht weit entfernt von uns, in dem die Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt der Sozialversicherung stehen, auf allgemeiner Solidarität und Gerechtigkeit aufbauen kann.
Meine Damen und Herren, wir GRÜNEN treten seit den Achtzigerjahren für ein modernes, geschlechtergerechtes und demographiefestes Rentensystem ein. Es wird sicher kommen, hoffentlich nur nicht zu spät für viele, wie die Mitglieder in den Versorgungswerken, die dem Spruch, die Rente sei sicher, Glauben geschenkt haben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Diejenigen, die in unserem Land tätig sind, haben einen Anspruch darauf, im Alter, wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können, eine Absicherung zu erfahren. Das System der Umlagefinanzierung, das wir in der Alterssicherung haben, ist ein System, das darauf Rücksicht nimmt, dass diejenigen,die im aktiven Erwerbsleben stehen,einen Teil ihres wirtschaftlichen Erfolges haben, weil es eine Generation vor ihnen gab, die die Grundlagen dafür geschaffen hat. Deswegen ist diese soziale Struktur der Altersversicherung außerordentlich wichtig. Es ist auch wichtig, dass die Menschen darauf vertrauen können.