Protokoll der Sitzung vom 13.06.2004

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Jung, diese Aneinanderreihung von Sprechblasen, die wir gerade gehört haben, hat noch nicht einmal Ihre eigene Fraktion vom Hocker gerissen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen hören wir einmal auf mit den Sprechblasen.

(Lachen bei der CDU – Frank Gotthardt (CDU): Dann ist die Rede jetzt beendet! – Weitere Zurufe von der CDU)

Ganz nüchtern. Meine Damen und Herren, wir haben in der letzten Legislaturperiode, die vier Jahre gedauert hat, 30 Regierungserklärungen dieser Landesregierung hier in diesem Plenarsaal erlebt, davon acht des Ministerpräsidenten. Die allererste war natürlich vom Ministerpräsidenten, und darin hat er das skizziert, was die Regierung vorhat. Dann kam jedes Jahr in der März- oder Aprilsitzung eine Bilanz. 05.04.2000: Regierungserklärung „Die Chance nutzen – den Menschen dienen“, dann haben wir im Jahr 2001 die Regierungserklärung „Aus Chancen werden Erfolge“.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Volker Hoff (CDU))

Das war immer schon die Sprechblasen-Überschrift, damit gleich danach die Regierungserklärung als Broschüre gedruckt und auf Staatskosten an die CDU-Gliederungen verteilt werden konnte. Im Jahr 2002 haben wir eine weitere Bilanz gehabt: „Hier ist die Zukunft“.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Volker Hoff (CDU))

Wunderbar, Sie klatschen, Sie können sich daran erinnern. – Was haben wir jetzt? Wir haben ein Jahr nach dem Beginn der Legislaturperiode, und das Schweigen im Walde hat einen Namen: Roland Koch, und das hat einen Grund.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Dr. Jung, Sie haben hier einen strategischen Fehler gemacht. Sie sind ein Jahr zu spät. Sie haben die Wahlkampfrede von vor der letzten Landtagswahl hier gehalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Volker Hoff (CDU): Das zum Thema Sprechblasen!)

Dieses Schweigen im Walde hat einen Grund,und das mache ich jetzt ganz konkret an Ihren Versprechungen von vor der letzten Landtagswahl fest.

(Frank Gotthardt (CDU): Das ist gut so!)

Wenn eine Partei angetreten ist und gesagt hat,sie möchte gewählt werden, und leider – das füge ich hinzu, ich muss es akzeptieren – eine Mehrheit gefunden hat, dann muss man nach einem Jahr eine Bilanz ziehen. Hierfür gibt es ein sehr dankbares Medium. Das ist das Internet.

Ich kann allen nur „roland-koch.de“ empfehlen. Da hat irgendein Mensch, der nicht aufgepasst hat, die Wahlversprechen der CDU von vor der letzten Landtagswahl noch im Netz stehen gelassen. Hier ist das Internet ein sehr gefährliches Medium,denn was einmal im Netz steht, bekommen Sie nicht mehr heraus. Das ist genau das Problem. Insofern sollten Sie sich genau überlegen, ob Sie das, was Sie da versprechen, weiterhin ins Netz stellen.

Was finden wir da? Sie können sich daran erinnern. Die Überschrift war: „Bildungsland Hessen“. „Viel getan für die Bildung“, „2.900 Lehrer... eingestellt“, steht da. Herr Kollege Dr. Jung hat es noch einmal wiederholt. Was Sie vergessen haben: Von den 2.900 Lehrern sind schon über 1.000 wieder gestrichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Dummes Zeug! – Frank Gotthardt (CDU): Sprechblasen!)

Dann steht da: „1.600 zusätzliche Referendare eingestellt“. – Was ist die Realität in diesem Jahr? Diejenigen, die als Referendare in der Ausbildung waren,werden jetzt nicht übernommen, weil Sie die Stellen streichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Das ist der Unterschied zwischen Lesen und Verstehen, Herr Al-Wazir!)

Unten drunter steht: „Wir haben die Mittel, um Vertretungsunterricht... zu bezahlen, auf 32 Millionen c“ erhöht. – Was ist die Realität? 9 Millionen c wurden wieder weggestrichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Das ist immer noch dreimal so viel wie bei euch!)

Zum Stichwort Bildungsland Hessen steht auch etwas zu den Hochschulen; Sie erinnern sich: „Wir haben den Hochschulpakt beschlossen... finanzielle Planungssicher

heit und zusätzliche Mittel für die Hochschulen“. – Guten Morgen, Herr Dr. Jung, Hochschulpakt gebrochen, 30 Millionen c weggestrichen. – Ich sage Ihnen, das Internet ist sehr gefährlich, wenn man ein Jahr später einmal guckt, was übrig geblieben ist.

(Zuruf: Das ist schon einmal schief gegangen, lieber Herr Al-Wazir!)

Dann steht da etwas von „Sicherheitsland Hessen“.

(Ministerpräsident Roland Koch: Jawohl!)

Jawohl, ruft Roland Koch dazwischen. – Als allererster Punkt steht dort: „Wir haben in Hessen einen Rückgang der Kriminalität“.

Meine Damen und Herren, wir haben 2002 ein Plus von 5 % und 2003 auch noch einmal 5 % Zuwachs an erfasster Kriminalität in Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dann steht da: „Wir haben den Stellenabbau bei Polizisten, Richtern und Staatsanwälten gestoppt“.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist die Realität? 360 Beamtenstellen werden gestrichen, 608 Angestelltenstellen bei der Polizei werden gestrichen, Richter- und Staatsanwaltsstellen ebenfalls. – Ein sehr gefährliches Medium ist das Internet, Herr Ministerpräsident.

(Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Dann steht da, ebenfalls alles auf „roland-koch.de“ zu finden:Wirtschaft Spitze, „... im Jahr 2001 in Hessen erstmals wieder das stärkste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer erreicht“. Damals haben Sie gesagt, Sie sind dafür verantwortlich. Wenn Hessen jetzt allerdings abrutscht und nur noch im Mittelfeld zu finden ist,dann ist natürlich Gerhard Schröder schuld. – Herr Kollege Jung, was Sie hier machen, merkt doch jeder.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dann steht dort: „Wir haben die Arbeitslosenzahlen 2001 um 6,5 % und somit am stärksten in Deutschland gesenkt“. – Wissen Sie, was die Realität auf dem Arbeitsmarkt ist, gerade im Rhein-Main-Gebiet? Wir haben seit einem Jahr bei jeder Monatsmeldung über die Arbeitslosenstatistiken den traurigen Spitzenplatz als Bundesland mit dem höchsten Zuwachs an Arbeitslosigkeit. Das ist die Realität ein Jahr nach der Landtagswahl.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Ministers Dr.Alois Rhiel)

Der nächste Punkt ist „Hessen: Eine aktive Bürgergesellschaft!“. Die CDU sagt:

Unter dem Titel „Beispielhaftes Bürgerengagement in Hessen“ wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der innovative Formen bürgerschaftlichen Engagements prämiert und durch öffentliche Anerkennung honoriert.

Meine Damen und Herren, was ist das für ein Hohn für alle die Initiativen, für alle die freien Träger, die das Ehrenamt in Hessen organisiert haben und denen Sie im Vergleich zu dem Gesamtkonsolidierungsbetrag Klecker

lesbeträge gestrichen haben, die aber für viele dieser Organisationen das Aus im letzten Herbst bedeutet haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Bei einem einzigen Punkt bin ich sehr dankbar, dass die CDU ihre Wahlversprechen nicht eingehalten hat, nämlich bei der Umwelt. Da steht: „Wir haben mit der Ausweisung der Kellerwaldregion als Naturpark den Bürgerwillen umgesetzt“. Ich bin froh, dass Sie sich eines Besseren haben belehren lassen und inzwischen einen ordentlichen Nationalpark daraus machen. Aber der muss dann auch ordentlich ausgestattet werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren,wissen Sie,das Grundproblem ist doch, dass man inzwischen gemerkt hat, dass man alleine mit den Überschriften und den Sprechblasen die Realität im Lande nicht verändern kann. Es ist doch kein Zufall, dass wir hier im letzten November nach dem, was Sie mit der „Operation sichere Zukunft“ gemacht haben, die größte Demonstration gegen die Hessische Landesregierung seit 1981 erlebt haben. Die fast 50.000 Menschen, die auf dem Dernschen Gelände standen, sind doch ein Beweis dafür, dass Sie mit Ihrem Sprechblasenlatein am Ende angekommen sind und die Realität im Lande Hessen inzwischen eine ganz andere ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident,wenn Sie sich auf einem Parteitag hinstellen und dort ernsthaft als Neuigkeit verkaufen, Sie wollen sich in Zukunft wieder mehr um Hessen kümmern, dann frage ich mich: Was haben Sie eigentlich im letzten Jahr gemacht, Herr Ministerpräsident? Ich habe es immer so verstanden, dass Ihr Hauptberuf als Hessischer Ministerpräsident ist, sich um das Land Hessen zu kümmern. Wenn Sie ein Jahr nach der Wahl ankündigen, Sie wollten sich in Zukunft wieder verstärkt um Hessen kümmern,geben Sie indirekt zu, dass Sie im letzten Jahr, was Ihre Hauptaufgabe anbetrifft, Arbeitsverweigerung betrieben haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Schlimme an dieser Regierung. Es gibt in Deutschland kaum eine Landesregierung, die insgesamt, unterm Strich, so wenig gemacht hat, sich aber gleichzeitig so toll dabei fühlt. Das ist das Grundproblem.

(Zurufe der Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU) und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))