Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eingangs möchte ich Ihnen kurz ein Bild skizzieren, das vor einigen Jahren bei Strafverfahren noch Realität war. Herr Müller, Zeuge und Opfer einer gefährlichen Körperverletzung, wurde von der Polizei vernommen und hörte dann ein halbes Jahr nichts mehr von seinem Fall,bis er eines Tages die Ladung erhielt.Seit der Tat kann Herr Müller nachts nicht mehr gut schlafen. Er hat Albträume und Angst. Dem Täter will er auf keinen Fall mehr begegnen.Trotzdem muss Herr Müller ein Dreivierteljahr nach der Tat im Gericht, eingeschüchtert durch die Präsenz des Angeklagten und des Verteidigers, als Zeuge aussagen.Als er als Zeuge den Gerichtssaal verlässt und zu seiner Arbeit geht, bleibt der Ausgang des Verfahrens für ihn völlig im Dunkeln.
Meine Damen und Herren, dieses Bild ist glücklicherweise heute nicht mehr Realität, denn in den letzten Jahren wurde viel für Zeugen- und Opferschutz getan,so z.B. durch das Opferschutzgesetz von 1986 und den Rahmenbeschluss der EU vom 15. März 2001. Mit dem nun im Bundestag verabschiedeten Opferrechtsreformgesetz sollen die Rechte von Verbrechensopfern im Strafverfahren weiter gestärkt werden.
Lassen Sie mich fünf zentrale Punkte des Gesetzes benennen. Erstens. Der Anwendungsbereich des Opferanwalts soll weiter ausgebaut werden und die Angehörigen eines getöteten Opfers einbeziehen.
Zweitens. Mehrfachvernehmungen der Opfer sollen verringert werden. Bei besonderer Schutzbedürftigkeit des Opfers soll es möglich sein, statt beim Amtsgericht gleich beim Landgericht Anklage zu erheben.
Drittens. Die Nebenklagebefugnis soll auf Delikte ausgeweitet werden, die in besonderer Weise in die Persönlichkeit des Opfers eingreifen, z. B. bei Zuhälterei.
Viertens. Die Voraussetzungen, unter denen Vernehmungen von Zeugen in der Hauptverhandlung per Videostandleitung zulässig sind, sollen auch erweitert werden.
Fünftens. Die Informationsrechte – das ist ein ganz zentraler Punkt dieses Gesetzes – sollen gestärkt und eine Hinweispflicht eingeführt werden, und der Verletzte soll im Verfahren immer Bescheid wissen, was der aktuelle Sachstand in seiner Angelegenheit ist.
Eines möchte ich ausdrücklich klarstellen: Auch mit diesem Gesetz bleibt der Angeklagte im Mittelpunkt des Verfahrens. – Aufgabe des Strafverfahrens ist und bleibt es,festzustellen,ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Mit diesem Gesetz wird auch klargestellt, dass ein wirksamer Opfer- und Zeugenschutz nicht im Widerspruch zu der Garantie eines rechtstaatlichen Verfahrens stehen muss.
Es ist sehr bedauerlich, dass sich die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestags einmal mehr als Bremsklotz erwiesen hat und diesem fortschrittlichen Gesetz nicht zugestimmt hat. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nämlich weitaus fortschrittlicher als das, was die CDU/CSU-Fraktion dazu vorgelegt hat. Dies betrifft beispielsweise das Adhäsionsverfahren, aber auch die Informationsrechte des Opfers.
Der Gesetzentwurf hatte bereits während der Anhörung der Sachverständigen, aber auch bei den Opferschutzverbänden breite Zustimmung erhalten.
Ich bin zuversichtlich, dass das Opferrechtreformgesetz die Lage der Opfer tatsächlich verbessern wird. Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung unseres Antrags. – Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich im Namen des Hauses Vorgänger von uns herzlich begrüßen. Es ist eine ganze Mannschaft aus allen Fraktionen da.Hoffentlich erweisen wir uns heute ihrer Taten würdig.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass wir auch ganz junge Kollegen haben. Sie können jetzt einen von ihnen beobachten und feststellen, ob er Ihnen gefällt.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf dann auch sagen: liebe Ehemalige! Frau Kollegin Hofmann hat vom großen Wurf gesprochen. Ihre Bundesjustizministerin spricht auch vom großen Wurf und der großen Zustimmung, die der Gesetzentwurf erfahren habe. Davon habe ich nichts gelesen. Ich glaube, der Gesetzentwurf ist am 5.März 2004 verabschiedet worden.Die Reaktionen sind folgende – ich zitiere jetzt –:enttäuschend, von Halbherzigkeit geprägt, die große Chance zur großen Koalition im Opferschutz wurde vertan. So
und noch weitaus vernichtender lauten die Reaktionen auf Ihr Gesetz. Frau Kollegin Hofmann, auch Sie wissen, dass es ein Fakt ist, dass die Union und die Liberalen Ihre Regierung und Ihre Bundestagsfraktion erst einmal zum Jagen tragen mussten, damit endlich etwas für die Opfer in diesem Land geschah.
Herausgekommen ist am Ende nichts anderes als ein Flickwerk und ein handwerklich unzulängliches Gesetz. Unsere Positionen unterscheiden sich nicht in vielen Punkten. Aber in den Punkten, in denen wir uns unterscheiden, unterscheiden wir uns erheblich.
Die Geschichte dieses Gesetzentwurfs ist lang. Sie hat wirklich viele Jahre gedauert.Es war die CDU/CSU-Fraktion, die im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der im Übrigen auch im Bundesrat behandelt wurde – dort vertrat ihn Ihre Senatorin von der SPD, Frau Peschel-Gutzeit –, dem sich die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestags und auch die Bundesregierung ausschließlich aus dem Grund nicht anschließen konnten, weil er von der CDU stammte. Das ist traurig und kleinkariert. Es ist aber insbesondere auch deshalb schlimm, weil wieder einmal die Opfer zum Opfer wurden. Mit Ihrer Blockadehaltung haben Sie einen Schaden angerichtet. Da Sie von Blockadehaltung der Opposition des Deutschen Bundestags sprechen, muss das schon gesagt werden.
Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, von dem Ihre Ministerin sagt, er unterscheide sich im Wesentlichen nicht von dem, was CDU und CSU vorgelegt haben.
Entschuldigen Sie bitte, inzwischen liegt das Gesetz vor. Da muss man genau sein. Da haben Sie natürlich Recht.
Frau Kollegin Hofmann, jetzt stellt sich aber schon die Frage, warum die Opfer so lange warten mussten, wenn sich das Gesetz und der Gesetzentwurf kaum voneinander unterscheiden.
Warum haben Sie sich nicht frühzeitig angeschlossen und damit für eine breite Koalition gesorgt, die die Opfer verdient hätten? Die Antwort liegt wirklich auf der Hand.Sie mussten abschreiben. Sie hatten keine eigenen Ideen. Sie waren nicht in der Lage, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen. Sie haben dann abgeschrieben. Sie haben dann aber auch noch schlecht abgeschrieben. Hätten Sie wenigstens gut abgeschrieben.
(Boris Rhein (CDU): Wenn er sich kurz fasst und meine Redezeit nicht allzu lange in Anspruch nimmt!)
Herr Kollege, ich hatte eben mit anderen zusammen ein Gespräch mit Schülern der Kestnerschule in Wetzlar. Die haben uns gefragt, warum wir ein so schlechtes Image haben. Hier geht es um ein Thema, zu dem Ihre Partei
16 Jahre lang relativ wenig gemacht hat. Wir haben vier Jahr gebraucht. Könnte das schlechte Image auch damit zusammenhängen, dass wir uns dann auf diese Art und Weise damit auseinander setzen?
Herr Kollege Bökel, Sie müssten jetzt eigentlich wissen, warum Sie die Landtagswahl nicht gewonnen haben. Denn diese Frage zeigt, dass Sie keine Ahnung von Opferschutzpolitik haben.
Das, was CDU und FDP während der 16 Jahre, die sie regierten, vorgelegt haben, waren beim Opferschutz nun wirklich bahnbrechende Reformen. Die Frage, die Sie gestellt haben, richtet sich also an Sie.
Ob es um die Information oder um den Schutz des Opfers als Zeugen geht, ob es um die Teilnahme des Opfers am Verfahren geht oder ob es um das Adhäsionsverfahren geht, zu alledem war in dem Gesetzentwurf, den unsere Partei vorgelegt hat, längst etwas enthalten. Das, was darin enthalten war, war besser. Das ist die Wahrheit.
Ich finde, was Sie aus dem Adhäsionsverfahren gemacht haben, ist für die Opfer wahrlich eine Katastrophe. Es wird für Opfer gerade eben nicht leichter, Ansprüche durchzusetzen. Sie sind schon am Rechtsmittelproblem gescheitert. Erlauben Sie es mir, zu sagen: Das ist erbärmlich.
Sehr geehrter Herr Bökel, insbesondere auch die Frage des Opferschutzes bei Jugendstrafverfahren hat Ihre Partei nur unzulänglich geregelt. Das hat übrigens fatale Folgen für die Opfer.
Bei einem Anwalt für die Opfer auf Staatskosten sind Sie auf halben Weg stecken geblieben. Dort verhält es sich genauso wie bei der gesamten Reform, die Sie gemacht haben. Ich frage Sie: Warum gibt es einen Anwalt auf Staatskosten für die Mehrzahl der Hinterbliebenen der Opfer, aber nicht für Opfer bei Geiselnahme oder für Hinterbliebene der Opfer von Raub oder Körperverletzung mit Todesfolge? Das ist eine Frage, die gestellt werden muss.
Frau Kollegin Hofmann, ich finde es völlig unakzeptabel, dass auch weiterhin Kopien von Bild- oder Tonaufzeichnungen von Vernehmungen des Opfers an Verteidiger herausgegeben werden können. Opfer müssen sich in diesem Land und Rechtsstaat darauf verlassen können, dass ihre persönlichen Daten sicher sind. Denn sie haben oft Angst, dass ihnen der Beschuldigte auflauert oder sie weiter belästigt. Das Videoprotokoll eines Kindes, das weinend von der Tat berichtet, darf an niemand anderen als an Staatsanwälte herausgegeben werden. Nur bei der Staatsanwaltschaft dürfte eigentlich in solche Aufzeichnungen Einblick genommen werden.
Ich glaube, meine Redezeit von fünf Minuten lässt das nicht mehr zu. – Ich finde es genauso unakzeptabel, dass Sie sich nach wie vor gegen die Einführung des so genannten „Mainzer Modells“ sträuben. Dies würde insbesondere eine Verbesserung für Kinder darstellen, die Opfer wurden. Ich finde, es ist beschämend, dass es Kindern, die Opfer von Sexualstraftaten wurden, in Deutschland schlechter geht als in Österreich. Dort hat das „Mainzer Modell“ endlich durch Gesetz Anwendung gefunden.
Ich finde es darüber hinaus grotesk, dass Sie mit Ihrem Gesetz eine Regelung eingeführt hat, die lautet – ich muss das nachschauen –: Kooperationsgespräch. So heißt diese Regelung. Das ist eine Verhöhnung der Opfer. Glauben Sie im Ernst, dass sich das Opfer einer Straftat wirklich zu einem gemütlichen Plausch mit seinem Peiniger zusammensetzen wird? Ich finde, es ist eine bodenlose Frechheit, dies in ein Gesetz eingeführt zu haben.
Folgendes will ich nur am Rande erwähnen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihrem Antrag kann man entnehmen, dass Sie sich für die großen Schützer der Opfer halten. Ich frage Sie: Wie verhält es sich mit den Opfern des SED-Regimes? Wer hat sich denn gegen eine Verlängerung der Antragsfrist gesperrt?
Ich frage Sie weiterhin:Was ist denn mit der völligen Aufweichung des Sanktionssystems? Wer hat denn den Gesetzentwurf dazu eingebracht? Das war Ihre Bundesjustizministerin.