Protokoll der Sitzung vom 25.03.2004

(Beifall des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Bei den Schließungsvorhaben der Landesregierung fehlt, entgegen den Empfehlungen des Rechnungshofs, das Amtsgericht Bad Arolsen. Dafür will das Justizministerium das Amtsgericht in Bad Vilbel schließen, das der Rechnungshof erhalten wollte. Der Rechnungshof will das Amtsgericht in Lauterbach schließen, das die Landesregierung als Außenstelle des Amtsgerichts Alsfeld erhalten will.

Summa summarum: Der Rechnungshof macht neun Schließungsvorschläge. In drei Fällen weicht die Landes

regierung davon ab. Dazu sagt das Justizministerium, „dass man mit den Vorgaben einer aktuellen Empfehlung des Rechnungshofs gefolgt sei“.

Die Landesregierung will sparen. Sie kürzt an den falschen Stellen und dazu noch nach dem Rasenmäherprinzip. Jetzt spart sie auch schon an Worten. In der Presseerklärung fehlt zumindest das Wort „überwiegend“. „Weitgehend gefolgt“ hätte es besser geheißen.

Auch daran sieht man, dass die geplante Neuordnung überstürzt erfolgt. Wie so oft handelt es sich um einen Schuss aus der Hüfte. Wir kennen das: In einem Western trifft man vielleicht das Ziel, im wirklichen Leben gehen die Schüsse jedoch meistens vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Landtagsfraktion möchte, dass man das Rechnungshof-Gutachten auswertet, sich dann mit den Expertinnen und Experten zusammensetzt und die entsprechenden Schlüsse für die Anforderungen an die Amtsgerichte der Zukunft daraus zieht.

Wichtig für die weitere Beratung sind folgende Punkte: Bei der Zuordnung einzelner Amtsgerichte sind Fehler gemacht worden. Ich erinnere daran, dass das Amtsgericht Hochheim zunächst dem Landgericht Frankfurt zugeschlagen wurde, bis man gemerkt hat, dass es eigentlich zum Landgerichtsbezirk Wiesbaden gehört.

Es gab Ungereimtheiten hinsichtlich der zukünftigen Verwendung der Liegenschaften in den aufzugebenden Standorten. Können wirklich alle Liegenschaften verwertet werden?

Ferner ist nach der Unterbringung von Personalakten zu fragen. Diese Frage hat Herr Dr. Jürgens aufgeworfen. Reicht die räumliche Kapazität des Amtsgerichts Fritzlar überhaupt dafür aus, oder muss gebaut werden?

Die Kommunen werden belastet, wenn ein Amtsgerichtsstandort aufgegeben wird. Es geht aber auch um die Belastung derjenigen Kommunen,die die Gerichte dann aufzunehmen haben.

Gefragt wird nach der Neuordnung der Zuständigkeiten bei Familien- und Insolvenzsachen sowie bei den Handelsregistern.Dazu gehört – auch das ist für uns eine wichtige Frage – die Nichtberücksichtigung der Verfahrensabläufe: gleich bleibende Qualität bei gleichzeitigem Personalabbau.

Wir sind mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Auffassung, dass schleunigst über die Schließung der Amtsgerichte gesprochen werden muss.– Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Dr. Reuter. – Es liegt noch eine Wortmeldung von Herrn Wintermeyer, CDU-Fraktion, vor. Bitte sehr.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt einmal die drei Abweichungen erklären!)

Wir erklären alles. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Al-Wazir, was wir hier vonseiten der GRÜ

NEN zu diesem Thema gehört haben, war völlig realitätsfremd. Sie machen bei der wichtigen Frage der Justizstrukturreform wieder Klamauk, anstatt sich dazu bereit zu erklären, mit uns zusammen eine zukunftsfähige Justiz für die Bürgerinnen und Bürger in Hessen zu formen, so, wie Herr Dr.Wagner es hier deutlich und auch sehr sachlich dargestellt hat.

Die historische Struktur unserer Amtsgerichte und der gesamten Gerichtsstruktur in der Bundesrepublik stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Das müssen Sie sich vergegenwärtigen. Das heißt, damals ist man noch zu Fuß zum Gericht gegangen, oder man ist mit der Pferdekutsche gefahren.Das hat sich gewandelt.Diese Entwicklung müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Herr Minister Wagner hat bereits darauf hingewiesen. Schon lange bietet nicht mehr jedes Amtsgericht einen vollständigen Justizservice an, sondern es sind im Laufe der letzten Jahrzehnte Aufgabenkonzentrationen vorgenommen worden, die nun die entsprechenden Standorte betreffen. Sie wissen, dass Insolvenz- und Familiengerichte sowie Handelsregister nicht mehr von jedem Amtsgericht angeboten werden.

Wir führen jetzt eine behutsame Konzentration durch, sodass Amtsgerichte von einer überlebensfähigen Größe entstehen, die eine bürgernahe Justiz anbieten können.

Ich zitiere aus einem Positionspapier des ASJ zur Justizmodernisierung und Selbstverwaltung in der Justiz – Frau Hofmann, Sie haben sich auch noch zu Wort gemeldet –:

Die Haushaltsprobleme in Bund und Ländern sind legitimer Anstoß für die Analyse gerichtlicher Rechtsschutzgewähr. Sie sind geeignet, Reflexionsprozesse zu befördern, die Veränderungsbereitschaft zu erhöhen und sachlich angezeigten oder zumindest vertretbaren Maßnahmen zum Durchbruch zu verhelfen.

Dem kann ich nichts hinzufügen. Dieser Arbeitskreis hat den Zug der Zeit erkannt, aber die Opposition im Hessischen Landtag offensichtlich nicht.

Wir haben technische Verbesserungen eingeführt.Wir haben das Elektronische Grundbuch und das Elektronische Handelsregister, und die Justiz in Hessen ist in den letzten fünf Jahren bürgernäher – im wahrsten Sinne des Wortes näher am Bürger –, denn die Bürger können inzwischen bei jedem Notar, z. B. auch beim Kollegen Dr. Jung, Einsicht in das Grundbuch nehmen und brauchen nicht mehr extra zum Amtsgericht zu gehen. Sie alle wissen, Einsichtnahmen in das Grundbuch und Nachlasssachen – die man übrigens ebenfalls beim Notar erledigen kann – sind die häufigsten Gründe dafür, dass Bürger zu Gericht gehen. Wann geht ein Bürger zu Gericht? Durchschnittlich ungefähr einmal im Leben hat jeder Bürger bei Gericht zu tun, als Zeuge oder als Partei.

Wir haben eine behutsame Strukturreform gemacht. Sie wissen, jeder Hesse hat eine Wegstrecke von maximal 35 km zu seinem Amtsgericht. Das Gericht ist also näher als mancher Großmarkt, den viele Familien mindestens einmal in der Woche aufsuchen.

(Beifall bei der CDU)

Zu dem Rechnungshofbericht und der Kienbaum-Studie aus dem Jahre 1991 hat der Herr Minister Stellung genommen. Ich darf dazu sagen: Prof. Eibelshäuser hat im Rechtsausschuss klar und deutlich Stellung zu dem Bericht bezogen.Wir haben das auch so umgesetzt.

Herr Kollege Dr. Reuter, wenn Sie sagen, wir hätten uns nicht um das Amtsgericht Bad Arolsen gekümmert und dieses Amtsgericht nur deshalb nicht aus der Streichliste herausgenommen, weil es im Rechnungshofbericht steht: Wir haben geprüft, ob dieses Amtsgericht in der Struktur unseres Landes notwendig ist. Sie wissen selbst:Wäre das Amtsgericht in Bad Arolsen geschlossen worden, dann wären die dort lebenden Bürger zum nächsten Amtsgericht 50 km unterwegs gewesen. Unser Justizminister hat gesagt: Der weiteste Weg zu einem Amtsgericht ist 35 km lang. – Deshalb ist das Amtsgericht Bad Arolsen nicht geschlossen worden.

(Zurufe von der SPD)

Ich will ein weiteres Beispiel nehmen,wo Sie von „Chaos“ gesprochen haben. Es kam der Vorschlag, das Amtsgericht Hochheim zu schließen und die zwei dortigen Richterstellen dem Amtsgericht Frankfurt zu geben. Die Bürgerinnen und Bürger in Hochheim, die Stadtverordnetenversammlung und auch die dort ansässigen Anwälte haben den Justizminister angeschrieben und angeregt, darüber nachzudenken, ob das Amtsgericht Hochheim dem Amtsgericht Wiesbaden angegliedert werden kann, weil bereits das Hochheimer Handelsregister und das Familiengericht in Wiesbaden sind, also ein Bezug nach Wiesbaden gegeben ist.Ich finde es absolut richtig und sehr nobel, dass das Justizministerium in Person des Herrn Justizministers gesagt hat: Ich gehe auf diese Anregungen ein, ich lasse mich davon überzeugen, dass wir dies so machen sollten. – Somit wird das Amtsgericht Hochheim zwar geschlossen, aber in das näher gelegene Amtsgericht Wiesbaden eingegliedert.Alle vor Ort sind zufrieden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Wintermeyer, die Redezeit ist abgelaufen.

Ich möchte nur noch sagen: Der Erfolg der Stimmungsmache, die die SPD hier betreibt, hat sich sehr deutlich beim Amtsgericht Bad Wildungen gezeigt. Sie sind dort hingefahren und wollten hören, dass vor Ort Ärger herrscht. Ich zitiere aus der „Waldeckischen Landeszeitung“ folgende Sätze:

Von der Belegschaft des Amtsgerichts Bad Wildungen wird, so der Personalrat, die Auflösung zu 90 % begrüßt. Für fast alle ist das Anlass zu einem Freudenfest.

Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf Herrn Hahn für die FDP-Fraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Abgeordneten der FDP-Fraktion waren die Ersten in diesem Hause,die im Rahmen ihres 45-Punkte-Programms zur Sanierung des hessischen Haushalts, das auf besondere Veranlassung und mit viel, viel Arbeit und

Schweiß vom Kollegen von Hunnius zusammengestellt worden ist, auch eine Zusammenlegung der Amtsgerichte angeregt haben. Wir sind der Auffassung, wenn man eine effiziente und effektive Verwaltung aufbauen will, dann muss man alles auf den Prüfstand stellen. Aus diesem Grunde haben wir in mehreren öffentlichen Erklärungen einer Neustrukturierung der Amtsgerichte vom Grundsatz her unsere Zustimmung gegeben.

Ich sage etwas salopp und flapsig: Auf der anderen Seite hat Justizminister Dr.Wagner mit der Art der Umsetzung dieser Zusammenlegung sicherlich keinen Schönheitspreis gewonnen.

(Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Er hat nicht den Preis gewonnen, den man bei dem Wettbewerb „Wie führe ich eine Umorganisation so durch, dass alle Beteiligten sie verstehen und mitmachen und sie nachher auch noch plausibel zu erklären ist?“ erringen könnte.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Dr. Wagner, ich habe es Ihnen auch schon persönlich gesagt: Schon allein die „Geschichte“ des Amtsgerichts Butzbach macht deutlich, dass in der Regierungsrunde offensichtlich Vorgaben gemacht worden sind, die zum Exekutieren nach unten weitergeleitet wurden, ohne dass man bei den Entscheidungen genau wusste, was man tat.

Das Amtsgericht Butzbach ist vom Rechnungshof in die Liste derjenigen Gerichte aufgenommen worden, die nicht mehr notwendig sind, um eine bürgernahe „Versorgung“ zu gewährleisten.Auf der anderen Seite – das muss man wissen – ist das Amtsgericht Butzbach schon lange nur noch ein Rumpf-Amtsgericht, weil das Handelsregister und das Familiengericht bereits beim Amtsgericht Friedberg ressortieren. Das hat man offensichtlich nicht beachtet. Staatsminister Stefan Grüttner hat deshalb bei seiner Verkündigung hier im Dezember-Plenum erklärt, das Amtsgericht Butzbach würde vollständig in das Amtsgericht Gießen eingegliedert.

Das ist offensichtlich nicht besonders klug gewesen,um es höflich auszudrücken, weil wenige Tage später vor Ort eine Diskussion begann. Man sagte: Nein, das geht nicht, wir müssen das Gebiet aufteilen. – Es gab dann die zweite Lösungsvariante, dass Ober-Mörlen und Rockenberg dem Amtsgerichtsbezirk Friedberg, und Butzbach und Münzenberg dem Amtsgerichtsbezirk Gießen zugeteilt werden. Das wäre ein vernünftiger Schritt gewesen, weil, wie gesagt, eine Vielzahl von Tätigkeiten, die die Menschen betreffen, die im Amtsgerichtsbezirk Butzbach wohnen, sowieso schon in Friedberg angesiedelt sind.

Jetzt hat man – das mag man begrüßen oder nicht – eine dritte Variante gewählt und das Amtsgericht Butzbach dem Amtsgericht Friedberg eingegliedert. Ich will gar nicht bewerten, ob die Entscheidung richtig oder falsch ist. Ich wollte Ihnen an diesem Beispiel nur deutlich machen, dass es hier ein wenig Durcheinander gegeben hat. So plant man eigentlich nicht. Dann braucht man sich nämlich nicht zu wundern, dass es eine große Verwirrung und Verärgerung in der Anwaltschaft gibt, dass es eine große Verwirrung und Verärgerung bei den Mitarbeitern gibt und dass die Bürger uns sowieso nicht mehr abnehmen, was wir tun.

Herr Kollege Dr. Jürgens, ich bitte aber, in der Diskussion auch auf der anderen Seiten nichts falsch zu machen. Sie

haben ungeprüft eine Äußerung übernommen, von der nicht klar ist, wer sie geprägt hat, und die offensichtlich falsch ist. Sie haben hier gesagt, pro Jahr gebe es 350 Vorführungen aus den Justizvollzugsanstalten Butzbach und Rockenberg. Das ist schlicht falsch. Es existiert die Behauptung, diese Zahl habe ein Richter am Amtsgericht Butzbach ermittelt; er habe sich irgendwann einmal hingesetzt und Strichlisten gemacht.