Protokoll der Sitzung vom 13.05.2004

Vielen Dank, Herr Kollege Beuth. – Das Wort hat Frau Kollegin Waschke für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn ich Kolleginnen und Kollegen hier reden höre, bin ich doch immer wieder erstaunt, was für Wahrnehmungsprobleme in diesem Haus vorhanden sind. – Aber nun zur Sache.

Deutschland ist praktisch seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Das wird heute von niemandem mehr ernsthaft bestritten. Aber diese Tatsache wurde unter der CDU-geführten Bundesregierung von Helmut Kohl über 16 Jahre lang verleugnet und verdrängt. Dann endlich geht die rot-grüne Bundesregierung einen mutigen Schritt voraus und legt vor drei Jahren ein modernes Zuwanderungsgesetz vor. Bei drei Jahren kann man wirklich nicht von einem Schnellschuss reden, Herr Kollege Beuth.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Nein! Vor fünf!)

Diese Gesetzesvorlage wurde von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit, der Wirtschaft, dem Mittelstand, den Gewerkschaften, den Kirchen und den Wohlfahrtsverbänden mitgetragen und als das eingeschätzt, was sie ist, nämlich ein zukunftsweisendes Gesetz.

Erstmals wurde die Integration neuer Mitbürgerinnen und Mitbürger als Recht, aber auch als Pflicht festgeschrieben. Kernpunkte humanitärer Fragen sind die Abschaffung der Kettenduldung, die Einführung einer Härtefallklausel – darüber durften wir erst gestern in diesem Haus diskutieren – und die Anerkennung von nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund.

Ein drittes und sehr wesentliches Argument war die Regelung der Arbeitsmigration und dabei das so genannte Auswahlverfahren bzw. das Punktesystem. Hiermit sollte die Möglichkeit geschaffen werden, zukünftig bedarfsabhängig qualifizierten Erwerbspersonen die Zuwanderung auf der Grundlage zuvor festgelegter Höchstzahlen zu ermöglichen. Damit wäre es erstmals gelungen, eine kontrollierte Zuwanderung zu organisieren. CDU und CSU auf Bundesebene haben diesen Teil des Gesetzentwurfs

jedoch benutzt, um das Horrorszenario der Überfremdung aufzubauen, das wirklich jeder Grundlage entbehrte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir alle wissen, dass in der Bundesrepublik die Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten zurückgehen wird. Eine geregelte und qualifizierte Zuwanderung von Arbeitskräften könnte helfen, die Auswirkungen dieses demographischen Prozesses abzuschwächen. Das könnte im Interesse unserer wirtschaftlichen Weiterentwicklung wirken.

Zur ablehnenden Haltung der CDU/CSU sagte HansOlaf Henkel, der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, der nachweislich kein Anhänger der SPD ist, in einem Interview des „Spiegel“:

Das ist reiner Populismus. Da steckt nichts anderes dahinter.

Vor allen Dingen ist nur schwer nachvollziehbar, dass CDU und CSU in den Vermittlungsgesprächen jede Art der Zuwanderung boykottieren und auf einer Beibehaltung des Anwerbestopps aus dem Jahre 1972 bestehen, während auf der anderen Seite die Hessen-CDU einen Vorstoß im Bundesrat gemacht hat, mit dem sie eine gesetzliche Sonderregelung für ausländische Pflegekräfte gefordert hat. Deswegen hat ihre Kollegin Rita Süssmuth ihre Partei zu Recht aufgefordert, mehr Ehrlichkeit zu zeigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist abscheulich, dass dieses zukunftsweisende Zuwanderungsgesetz, das eines der modernsten in Europa hätte werden sollen, zu scheitern droht, und zwar einzig und allein aufgrund politischen Kalküls und taktischer Manöver der CDU/CSU auf Bundesebene. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gerne noch einmal an die überragende schauspielerische Leistung unseres Ministerpräsidenten im Bundesrat erinnern, von der selbst sein Kollege Müller aus dem Saarland sagte, sie sei im Vorfeld abgesprochen gewesen.

(Günter Rudolph (SPD): Unglaublich!)

Deshalb hat der Christdemokrat Christian Schwarz-Schilling die Haltung seiner Partei als eine völlig überflüssige Blockadehaltung gebrandmarkt

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und die Einhaltung der bereits im Jahr 2001 gefassten Parteibeschlüsse angemahnt. So viel wollte ich zum Thema Wahrnehmung einer Blockadehaltung sagen.

Bei der Diskussion um den Entwurf des Zuwanderungsgesetzes geben Politiker von CDU und CSU vor der Bevölkerung ein Bild ab, das der Politikverdrossenheit weiter Vorschub leisten wird.

(Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Diese taktischen Manöver und politischen Spielchen bei einem so wichtigen Gesetzentwurf sind der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Spitzenpolitiker nicht würdig. Ich möchte meine Rede mit einem Zitat Ihres Parteikollegen Ole von Beust schließen, der sagte:

Für Blockade haben die Leute kein Verständnis.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Das ist richtig! Die GRÜNEN blockieren, niemand anderes!)

Meine Damen und Herren der rechten Seite dieses Hauses, daran sollten Sie denken, wenn die Verhandlungen über den Entwurf des Zuwanderungsgesetzes weitergehen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Waschke, danke schön. – Herr Staatsminister Bouffier, Sie haben das Wort.

Herr Präsident,meine Damen und Herren! Die Hessische Landesregierung hat diesen Prozess immer verantwortungsvoll begleitet und wird das auch weiterhin tun.

(Beifall des Abg.Armin Klein (Wiesbaden) (CDU) – Lachen des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Im Rahmen einer Aktuellen Stunde lassen sich eigentlich nur wenige Bemerkungen dazu machen. Insofern bedauere ich es ein bisschen, dass dies innerhalb einer Aktuellen Stunde abgehandelt wird. Denn Sie wissen, dass ich bei dem Thema hoch engagiert bin.

Ich will zwei Bemerkungen dazu vortragen. Hier werden ganz unterschiedliche Dinge miteinander vermengt. Rhetorik und formelhafte Beschwörungen helfen in der Sache nicht weiter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die einen sagen, sie wollen ein Einwanderungsgesetz haben. Die FDP spricht aber von einem Einwanderungsbegrenzungsgesetz. Die GRÜNEN haben nie und nimmer die Absicht gehabt, die Einwanderung zu begrenzen. Sie haben gesagt: Wir wollen das regeln, wie auch immer. – Dabei lag die Betonung ganz stark auf dem Aspekt der Ausweitung bei den humanitären Gründen. Das sind völlig unterschiedliche Dinge.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jede Regelung ist doch eine Begrenzung! Ich bitte Sie!)

Man bräuchte auch mehr Zeit, um das auseinander zu nehmen, was Frau Waschke zur demographischen Entwicklung gesagt hat.

Ich will auf Folgendes hinaus: Sie versuchen hier, am untauglichen Objekt in untauglicher Weise ein Problem bei der Union abzuladen,

(Lachen des Abg. Günter Rudolph (SPD))

dass die CDU aber erst in zweiter Linie betrifft. Worum geht es eigentlich? Wir konnten das doch alle im Fernsehen als Zeugen beobachten. Die Bundesregierung ist sich nicht einig.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): So ist es!)

Der Bundesinnenminister hat doch vor Millionen Zuschauern zu erkennen gegeben, dass das, was die Fraktion der GRÜNEN bzw. ihr Verhandlungsführer will, aus seiner Sicht – ich formuliere das jetzt vorsichtig – grob daneben ist.

(Beifall der Abg. Clemens Reif (CDU) und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das muss man doch einmal sagen.Wer in diesem Land regieren will, der sollte, bevor er sich bei denen beklagt, die an der Gesetzgebung auch mitzuwirken haben, doch wenigstens in der Lage sein, sagen zu können, was er denn eigentlich überhaupt will.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Gesetzentwurf liegt doch auf dem Tisch!)

Was will den Rot-Grün? Rot-Grün beschwört formelhaft dieses Projekt und ist sich in nahezu keiner einzigen Frage einig.Wenn Bundesinnenminister Otto Beckstein – –

(Beifall und Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Otto Beckstein!)

Ich bitte um Nachsicht. Ich nehme das gerne auf.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat Otto Beckstein gemacht!)

Bleiben wir einmal bei diesem Sprachspiel. Ich nehme das gerne auf.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau das ist das Problem, dass der Gesetzentwurf von Otto Beckstein gemacht wird!)

Ich nehme das gerne auf. Bleiben wir bei dem Sprachspiel „Otto Beckstein“. Man könnte sagen, das sei lustig. Das ist aber überhaupt nicht lustig. Wissen Sie, warum? Ich stehe nicht im Verdacht, Otto Schily Kränze flechten zu müssen.Vielleicht ist es für den einen oder anderen erstaunlich, aber die Innenminister sind sehr fest zu der Überzeugung gekommen, was jetzt getan werden müsste. Es gibt keinen Grund, das unbeachtet zu lassen.

Worum geht es eigentlich? Lassen wir jetzt einmal das mit den Projekten und mit dem formelhaften Geschwätz außen vor.Wir müssten ernsthaft miteinander die Frage diskutieren, wer unter welchen Bedingungen in unser Land kommen soll. Das ist die Frage, um die es geht. Wer soll kommen? Wie können wir die Integration derer,die schon da sind, verbessern? Gegebenenfalls geht es dann noch um weitere humanitäre Fragen.