Protokoll der Sitzung vom 16.06.2004

Wer den Punkten 1 bis 6 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist geschlossen die Fraktion der CDU.Wer ist dagegen? – Geschlossen die Fraktionen der FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD. Damit sind Punkt 1 bis 6 des Antrags angenommen.

Ich lasse über Punkt 7 abstimmen. Wer ist für Punkt 7? – Geschlossen die Fraktionen der CDU und der FDP. – Wer ist dagegen? – Geschlossen die Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist auch Punkt 7 angenommen und der Antrag insgesamt angenommen.

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Flughafendebatte und kommen zum Setzpunkt der FDPFraktion.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 44 auf:

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend Abschaffung der gesetzlichen Krankenversicherung und Einführung einer privaten Versicherungspflicht für jeden Bürger – Drucks. 16/2351 –

gemeinsam mit Tagesordnungspunkt 83:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Bürgerversicherung für eine solidarische und gerechte Zukunft – Drucks. 16/2380 –

und Tagesordnungspunkt 88:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend solidarische Bürgerversicherung – zukunftsfähig und gerecht – Drucks. 16/2385 –

Die Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Ich darf Herrn Rentsch das Wort erteilen und möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, einigermaßen diszipliniert hier zu bleiben oder für weitere Gespräche den Plenarsaal zu verlassen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheit des Menschen ist das höchste Gut. Wir Liberale wollen, dass auch in Zukunft jeder Mensch in Deutschland eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung bekommt.

Wir haben heute eine Zweiklassenmedizin und eine Rationierung medizinischer Leistungen.Ein Beispiel kennen Sie alle: Regelmäßig steht am Ende des Jahres in den Zeitungen, dass Kliniken Operationen auf das nächste Jahr verschieben müssen, weil ihre Budgets nicht mehr ausreichen.

Die Politik der Kostendämpfung, die durch Rot-Grün seit Jahren forciert wird, ist gescheitert. Sie ist deshalb gescheitert, weil das Herumdoktern an Symptomen diesem System nicht mehr weiterhilft.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Unsere berechtigte Hauptkritik in dieser Frage zielt eindeutig auf die Systematik der Umlagefinanzierung ab.Wir müssen weg von einer Umlagefinanzierung, wir müssen hin zu einer Kapitaldeckung.

(Beifall bei der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ach, du liebe Zeit!)

Die Umlagefinanzierung macht unsere Systeme abhängig von der Konjunktur, von der hohen Arbeitslosigkeit, die wir in Deutschland haben, und sie demontiert unsere sozialen Sicherungssysteme. Hinzu kommt die Ihnen allen bekannte demographische Entwicklung in Deutschland. Einem hohen Anteil alter, nicht erwerbstätiger Menschen steht ein sinkender Anteil von jungen, erwerbstätigen Menschen – wenn sie erwerbstätig sind – gegenüber.Verschärfend wirkt sich der medizinische Fortschritt aus. Wir wollen ihn alle, wir freuen uns darüber, dass sich die Medizin weiterentwickelt. Das führt zu einem längeren Leben der Menschen in Deutschland, zu einem gesünderen Leben, aber der medizinische Fortschritt ist kostenträchtig, und er wird es auch in Zukunft sein.

Das sind die Ausgangsbedingungen von heute, über die wir diskutieren müssen. Die Umlagefinanzierung ist aber zugeschnitten auf die Ausgangsbedingungen von gestern. Genau das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP-Fraktion schlägt Ihnen an dieser Stelle ein Modell vor – ein Modell, über das Sie vielleicht schon in den letzten Tagen in der Zeitung gelesen haben. Es handelt sich um ein Modell der privaten Versicherungspflicht für

jeden Bürger in Deutschland.Wir wollen die gesetzlichen Krankenversicherungen mit ihrer Pflichtmitgliedschaft abschaffen. An ihre Stelle soll eine Pflicht zur Versicherung treten, die jeder Bürger bei einer Versicherung seiner Wahl realisieren kann. Dabei hat der Einzelne die Freiheit, den Umfang seines Versicherungsschutzes selbst zu wählen und seinen individuellen Bedürfnissen anzupassen.

(Zuruf der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD))

Entweder beschränkt er sich auf den Basistarif, oder er hat die Möglichkeit, das Ganze aufzustocken und nach seinen individuellen Bedürfnissen weiteren Schutz hinzuzuerwerben. Er kann bestimmte Bereiche herauslassen oder versichern. Meine Damen und Herren, den Basistarif muss er abschließen. Dieser Basistarif entspricht ungefähr dem Leistungskatalog der jetzigen gesetzlichen Krankenversicherung.

(Beifall bei der FDP – Dr. Thomas Spies (SPD): Zwangsversicherung!)

Für den weitergehenden Versicherungsschutz eignen sich z. B. Leistungen für den Zahnersatz oder Ähnliches, diese kann er freiwillig absichern.

(Michael Siebel (SPD):Der gehört also nicht dazu!)

Der Wahlbereich kann beliebig und nach individuellem Ermessen gestaltet werden. Das bietet genau das, was wir wollen: einen Anreiz für die Versicherten, sich eigenständig, gesund und bewusst zu verhalten.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Was ist der Unterschied zu heute?)

Wer regelmäßig Sport treibt, sein Gewicht in Grenzen hält und Vorsorgeuntersuchungen konsequent wahrnimmt – und, Herr Dr. Spies, sich im Plenarsaal nicht so aufregt –, hat weitaus geringere Krankheitsrisiken.

(Beifall bei der FDP)

Er kann effektiv einsparen. Dieses Leitbild vom mündigen Patienten schlagen wir vor und setzen es um. RotGrün träumt nur davon.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Michael Sie- bel (SPD))

Wichtig bei unserem Modell – das ist auch wichtig für die Zuschauer hier im Plenarsaal – ist, dass der Basistarif einheitlich ist und von allen Versicherungen gleichermaßen angeboten wird.

(Dr.Thomas Spies (SPD): Einheitszwangsversicherung! – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Beim Auto ist das auch so! – Gegenruf der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD))

Die Versicherungen werden kein Recht haben, einen Versicherungsnehmer abzulehnen. Wir schlagen einen Kontrahierungszwang vor. Darüber hinaus macht der Basistarif keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern und gewichtet auch keine Krankheitsrisiken in Form von Risikozuschlägen. Er bietet damit einen bezahlbaren Versicherungsschutz im Krankheitsfall. Zusätzlich schlagen wir vor, den Arbeitgeberanteil direkt an die Versicherten auszuzahlen. Wenn der Bürger damit immer noch finanziell überfordert sein sollte,wird er durch staatliche Transferleistungen unterstützt. Die staatliche Regulierung beschränkt sich in unserem System auf den Basistarif. Meine Damen und Herren, alles andere ist Sache der Vertragspartner.

Wenn Sie heute mit Menschen aus dem Gesundheitssystem reden, wird Ihnen als Erstes gesagt – egal, mit wem Sie reden, mit Patienten, mit Apothekern, mit Ärzten, mit Krankenhausverwaltungen –, dass dieses System momentan an dem übermäßigen Bürokratiewahn scheitert.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt Regulierungen bis ins kleinste Detail, die die eigentliche Arbeit am Patienten nahezu unmöglich machen. Die FDP macht Schluss mit dieser Überregulierung. Wir haben wieder Zeit für die Patienten und für das wirklich Wichtige im Gesundheitssystem.

(Zuruf der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD))

Der Bürger soll sich seine Versicherung aussuchen können. Er soll sich seinen Arzt aussuchen und sich dafür entscheiden können, welche Therapie er wirklich will. Wir wollen keine Bevormundung der Patienten. Wir wollen den Menschen ein Stück Freiheit zurückgeben und ihnen nicht die Freiheit nehmen.

(Beifall bei der FDP – Frank Gotthardt (CDU): Ich finde, wir sollten uns auch die Freiheit der Redezeit nehmen!)

Ein weiterer ganz zentraler Punkt in unserem Gesundheitssystem ist die Bildung von Altersrückstellungen, wie sie heute ganz allein von privaten Krankenversicherungen praktiziert werden.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist volkswirtschaftlich falsch!)

Sie ist der entscheidende Schlüssel für einen moderaten Beitragssatz. Etwa zwei Jahre vor dem Tod entstehen 80 % der Kosten in der medizinischen Versorgung eines Menschen. In den Lebensjahren davor verbraucht der Mensch ca. 20 %. Diese Kosten werden mit der Altersrückstellung abgefedert, die im Übrigen individuell ist und beim Wechsel der Versicherung mitgenommen werden kann.

Ich möchte auf die beiden Anträge eingehen, die die Kolleginnen und Kollegen der CDU und der SPD hier eingebracht haben. Das Kopfpauschalenmodell ist uns nicht neu, Frau Kollegin Oppermann. Die Weiterentwicklung ist in diesem Antrag leider nicht zu erkennen. Ihr Modell sieht einen einheitlichen Kassenbeitrag kombiniert mit einem steuerfinanzierten Solidarausgleich vor. Einheitliche Kopfprämien sollen nach Ihrer Ansicht für jeden Versicherten gelten. Sie erfordern, wie Sie wissen, Steuermittel als Ausgleich in Milliardenhöhe, wenn der versprochene Ausgleich sozial realisiert werden soll.

Leider ignorieren die Verfechter der Kopfpauschale – das ist mittlerweile auch aus Ihren eigenen Reihen zu hören –, dass hohe Einkommen, d. h. über 60.000 c im Jahr, deutlich finanziell entlastet werden, während alle anderen draufzahlen müssen, insbesondere Familien mit Kindern.

Herr Rentsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Schulz-Asche?

Momentan nicht. – Deshalb sieht sich beispielsweise auch der Hessische Ministerpräsident genötigt, an dieser Stelle auf die Bremse zu treten.Es ist interessant,wie in der letzten Zeit nicht nur im Hintergrund zu sehen ist, wie der

Hessische Ministerpräsident versucht, das Ganze etwas abzuschwächen. Die Kopfpauschale ist, wenn man ihm glauben darf, seiner Meinung nach nur möglich, wenn es dank neuen Wirtschaftswachstums finanzielle Spielräume gibt. Dass wir in der nächsten Zeit neues Wirtschaftswachstum bekommen, wage ich zu bezweifeln. Ich sehe nichts am Horizont, die Bundestagswahl ist schließlich noch zwei Jahre entfernt.

(Beifall bei der FDP)

In dieser Woche ist ebenfalls zu lesen, dass so genannte Vordenker in der CDU sogar auf den Aufbau eines Kapitalstocks verzichten wollen.Wenn es überhaupt ein Argument gibt, das für Ihr System spricht, dann ist es der Aufbau eines Kapitalstocks,um die Kostengefahr im Alter abzumindern.Sehr geehrte Frau Kollegin Oppermann,wenn Sie darauf verzichten, dann ist dieses überhaupt nicht demographieunabhängig, was Sie eigentlich mit Ihrem System erreichen wollten.