Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

Herr Kollege Schmitt, regen Sie sich doch nicht so auf. Sie müssen doch sehen, dass Sie gleichzeitig für die Steigerung des jetzigen Rentenbeitrags, die Ihre Ministerin bzw. der Staatssekretär jetzt schon wieder angekündigt hat, ein Wachstum von 0,7 % angenommen haben. Das ist noch relativ optimistisch. Im Übrigen hat auch die Ökosteuer an dieser Stelle nicht gewirkt.

(Norbert Schmitt (SPD): Jetzt reden wir gleich über den Haushalt!)

Die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze zum 01.01. dieses Jahres – all dies hat nichts bewirkt,und wir sind nun wieder auf dem nächsten Schritt zur Steigerung. Es gibt noch überhaupt kein Konzept, nur Kommissionen und Sonderparteitage und eine Opposition im Hessischen Landtag, die noch nicht einmal weiß, in welche Richtung sie gehen will.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich denke, an dieser Stelle muss man sich das schon noch einmal genauer anschauen, wenn es um die Reformen des Arbeitsmarktes geht. Da spielt natürlich auch die Frage der Ausbildungsplätze eine Rolle. Wenn Sie sich aber bei wiederum geschätzten 10.000 Insolvenzen – wahrscheinlich mehr – in diesem Jahr wundern, dass noch weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen,dann müssen Sie allein diese Rechnung einmal aufmachen und dabei auch das vergangene Jahr einbeziehen.

(Norbert Schmitt (SPD): Jetzt reden wir über Hessen!)

Dann ist es natürlich eine Kraftanstrengung, die gerade wir in Hessen mit allen gesellschaftlichen Gruppen – sowohl dem DGB als auch den Wirtschaftsverbänden – beschlossen haben, ganz konkrete Punkte. Darüber reden wir auch heute Mittag noch einmal. Damit wird auf den Lehrstellenmangel aufmerksam gemacht.

(Zurufe der Abg. Norbert Schmitt (SPD) und Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber die Frage einer Abgabe, einer Sozialisierung des Problems, führt dazu, dass derjenige, der heute ausbildet, sich sagt:Dann brauche ich vielleicht auch nicht mehr auszubilden. – Das ist genau der falsche Weg. Es ist typisch, dass Sie auch an dieser Stelle wieder in die falsche Richtung entscheiden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, ganz spannend an dieser Frage ist natürlich auch – da empfehle ich, den SPD-Antrag noch einmal genauer anzuschauen –, wie ein Konsens mit den gesellschaftlichen Gruppen geschaffen werden kann.

(Dr. Judith Pauly-Bender (SPD): Ja, genau! – Norbert Schmitt (SPD): Den wollen Sie nicht?)

Der Kanzler hat sein Programm vorgelegt. Die Opposition in Berlin und wir hier in Hessen als Regierung sagen, wir können über die Probleme reden, denn wir wissen, dass wir endlich Lösungen brauchen. Der DGB hat sich gestern von Ihren Gesprächen verabschiedet. Sie sind noch nicht einmal auf dem Weg zu einem Konsens mit den gesellschaftlichen Gruppen – weil Sie selbst nicht wissen, was Sie wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, ich finde es ein bisschen goldig – wenn ich das einmal so sagen darf –, wenn ich den Punkt 4 Ihres Antrags lese:

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, ihre bisherige Blockadehaltung im Bundesrat aufzugeben...

(Demonstrativer Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gebe zu: Mit „goldig“ ist das meinerseits schon nett umschrieben.

(Volker Hoff (CDU): Das ist ypsilantig!)

Herr Kollege Hoff, ich wollte nicht auf die SPD-interne Debatte eingehen,die ich ein bisschen unfreundlich finde: ob man da über XY oder anderes spricht. Ich denke, auf dieses Niveau der SPD müssen wir nicht kommen.

Aber die Frage lautet an dieser Stelle ganz klar: Wer macht denn was im Bundesrat? Wer zwingt seinen Kanzler zu Sonderparteitagen,anstatt endlich Gesetze vorzulegen, über die wir verhandeln können?

(Volker Hoff (CDU): Herr Grumbach!)

Diese Gesetze sind noch nicht im Bundesrat. Meine Damen und Herren, gerade bei der Hartz-Gesetzgebung hat Hessen den Weg zum Kompromiss aufgezeigt. Ministerpräsident Koch und Ministerpräsident Steinbrück haben gerade eben erst wieder gemeinsam einen Kompromiss für den Bundesrat ausgehandelt. Beim 12. Änderungsgesetz zum SGB V konnte ich mich selbst wieder einmal an einem Kompromiss im Bundesrat beteiligen. Es ist doch wirklich ein Ammenmärchen, wenn Sie immer noch glauben, Hessen würde blockieren. Wir haben in diesem Bereich schon seit langem eher die Impulse gegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP) – Lachen des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie sagen, wir müssten mehr tun, um bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe Löhne zu ergänzen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht ergänzen, hinzuverdienen!)

Hinzuverdienen? Herr Al-Wazir, seit zwei Jahren diskutieren wir hier die Zusammenlegung der Arbeitslosenund Sozialhilfe. Hessen hat mit dem OFFENSIV-Gesetz den ersten Vorschlag eingebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben beim Ifo-Institut das Gutachten zum Thema Niedriglöhne und Hinzuverdienst, Lohnergänzungen, Lohnsteuergutschrift in Auftrag gegeben. Wir haben dieses Thema auf die Tagesordnung der Bundesregierung und überall in Deutschland gesetzt.

(Norbert Schmitt (SPD): Du lieber Gott!)

Da sprechen Sie davon, das müsste endlich einmal aufgenommen werden. Ich habe von Ihnen bisher noch nichts zu diesem Thema gehört,

(Norbert Schmitt (SPD): Das glauben Sie selbst nicht!)

dass Sie das irgendwo mit unterstützen, dass Sie etwas mittragen, wenn es um die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe geht.Wir könnten schon zwei Jahre weiter sein und dort besser vermitteln und bessere Angebote machen, wenn Sie nicht selbst intern an dieser Stelle so viele Diskussionen zu führen hätten. Das ist doch das Problem, vor dem wir in Deutschland stehen. Es liegen überhaupt keine Lösungskonzepte der Bundesregierung vor. Und wenn vom Kanzler einmal Ansätze vorhanden sind,dann brauchen Sie Sonderparteitage und legen keine Gesetze vor. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können sehr gut und gelassen in diese Diskussion mit der Bundesregierung gehen – wenn wir im Bundesrat einmal so weit sind.

Das Thema Kündigungsschutz: Wie kommen wir denn endlich wieder zu Einstellungen und dazu, dass junge Leute wieder die Chance haben, in Betrieben eingestellt zu werden? Es gibt heute sogar junge Leute, die eine Ausbildung haben und auf der Straße stehen, weil die Frage des Kündigungsschutzes so hoch gehängt wird, dass er denen, die draußen sind, die Aufnahme in ein aktives Arbeitsverhältnis versperrt. Das ist ein Problem, bei dem es ein klares Konzept gibt. Dabei geht es um mehr Flexibilität in den Betrieben.

Bei den Existenzgründern gehen Sie jetzt auch endlich einen Schritt auf uns zu – okay, damit kann man leben.Aber es gibt natürlich noch wesentlich mehr Fragen: der Kündigungsschutz bei Neueinstellungen in Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern, die Frage der Betriebsgröße und die Verhandlungen über Abfindungen. Zu Abfindungen haben wir ein klares Konzept, jeder soll das ausmachen können.

(Norbert Schmitt (SPD): 80 % der Arbeitnehmer fallen aus dem Kündigungsschutz raus!)

Dann die Frage der Tarife: Wie können wir endlich betriebliche Bündnisse für Arbeit ermöglichen? Darüber können Sie mit uns verhandeln. Aber Sie müssen an dieser Stelle endlich einmal ein eigenes Konzept vorlegen.

Bei der Gesundheitsreform wird es ganz besonders spannend, was Sie vortragen. Sie reden ganz blumig davon, das Monopol der Kassenärztlichen Vereinigung aufzuheben.

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Aber genau dort enthält der Gesetzentwurf ein neues Monopol. Das ist doch das Problem dieses Gesetzentwurfs; einen wirklichen Gesetzentwurf haben wir hierzu überhaupt noch nicht, um mit Ihnen darüber verhandeln zu können. Ihre Konzepte liegen hier noch gar nicht vor. Sie reden dann von einer Bürgerversicherung und wollen

damit die Probleme der heutigen Krankenversicherung lösen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, langfristig!)

Zuerst einmal müssen Sie die heutigen Probleme in den Griff bekommen, bevor Sie weitere Einkunftstatbestände dazunehmen, um Löcher zu stopfen. Damit werden Sie der demographischen Herausforderung der Zukunft wieder nicht gerecht. Dann fragen sich junge Menschen wieder, in welches System sie eigentlich einbezahlen, ob sie überhaupt mitsteuern können, um welche Selbstbeteiligung es geht. All dies spielt bei Ihnen überhaupt keine Rolle. Es geht Ihnen nur darum, Löcher zu stopfen, anstatt endlich ein echtes Reformkonzept vorzulegen.

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion,es wäre schon ganz gut,wenn Sie vielleicht im Hessischen Landtag eine gemeinsame Linie finden wollten. Als Landesregierung sind wir bereit, mit der Bundesregierung zu verhandeln, um endlich etwas für den Arbeitsmarkt zu tun. Das OFFENSIV-Gesetz liegt vor. Zum Niedriglohnsektor haben wir Vorschläge vorgelegt, die wir noch weiter ausbauen werden. Zu der Frage der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes haben wir eine klare Haltung.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Sonntag!)

Uns fehlt an dieser Stelle Ihre klare Haltung. Sie müssen sich dort endlich einmal intern einigen, ob Sie bereit sind, Reformen mitzutragen, oder ob Sie neue Sonderparteitage brauchen, ob Grün oder Rot. Wir wollen Reformen, aber tragfähige Reformen, die tatsächlich die demographischen Probleme aufnehmen, anstatt wieder nur kurzfristige Lösungen zu präsentieren.

Meine Damen und Herren, bei den demographischen Problemen bitte ich wirklich, auf die schon vorliegenden Urteile etwa des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung einzugehen. Wo diskutieren Sie denn die Frage der Entlastung der Familien? Wo haben Sie denn die tatsächlichen Probleme, die Frage der Generationen, gelöst? Wo sprechen Sie denn heute mit uns darüber, wie es mit der Lebensarbeitszeit weitergehen soll – in einer Zeit,in der wir immer Ältere haben,immer mehr Rentner und immer weniger Beschäftigte im Arbeitsmarkt? Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen, einem neuen Höchststand gegenüber dem Vorjahr, schieben Sie alle Reformen auf

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum ruft der Stoiber sofort Nein?)

und greifen nicht tatsächlich in den Arbeitsmarkt ein, machen Sie keine flexibleren Bündnisse möglich. – Herr AlWazir, ich vertrete hier die Hessische Landesregierung, und ich mache sehr deutlich, dass die Union ein klares Konzept vorgelegt hat.