Protokoll der Sitzung vom 14.07.2004

(Beifall bei der SPD)

Wer im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ 30 Millionen c im Sozialbereich einspart, weil es angeblich keine Alternative gibt, Frau Sozialministerin, handelt fahrlässig für die Zukunft.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Wer sozialen Kahlschlag beim Abbau von Beratungsangeboten und die Schließung von Einrichtungen zum Schutz vor Gewalt betreibt, gefährdet den sozialen Frieden und ruiniert die präventiven Strukturen zur Verhinderung von Kriminalität.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man bei der Justiz 108 Richterstellen streicht und bei den Staatsanwaltschaften 5-prozentige Stellenkürzungen vornimmt,macht man diese nahezu handlungsunfähig und verhindert gleichzeitig die Durchsetzung des Strafanspruches des Staates für den Rechtsfrieden in unserem Land. Wenn bei der Überbelastung im Strafvollzug 120 Stellen nicht besetzt sind, dann ist das ein deutliches Signal: Das ist der falsche Weg, das ist die falsche Politik.

(Beifall bei der SPD)

Durch die Streichung werden die Resozialisierung von Straftätern und deren Rückkehr in ein ordentliches Leben erschwert.Die Gefahr,dass dieser Personenkreis wieder kriminell wird, ist dann deutlich höher.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Nein, Herr Klee, das ist nicht die Rede von gestern. Das sind die Tatsachen von heute und morgen. Das ist der entscheidende Punkt. Sie nehmen die Realität nicht zur Kenntnis.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die personellen Einschnitte im Strafvollzug führen zu einer weiteren Verschärfung der ohnehin angespannten Personalsituation. Der beabsichtigte Personalabbau, etwa im Bereich der Gerichtshilfe, wird dazu führen, dass immer mehr wegen Zahlungsunfähigkeit Verurteilte durch die Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen kriminalisiert werden und dass sich die Überbelegung in unseren Haftanstalten nochmals verschärft.

Innere Sicherheit und sozialer Frieden sind nur miteinander zu haben. Sozialer Frieden ist ohne innere Sicherheit nicht zu gewährleisten. Innere Sicherheit ist ohne den sozialen Frieden nicht zu garantieren.Das sind nämlich zwei Seiten derselben Medaille.

(Beifall bei der SPD)

Vielen sozialen Einrichtungen, die wir für die Bürgerinnen und Bürger brauchen,droht das Aus.Ihre Arbeit muss reduziert oder eingestellt, und das Personal muss entlassen werden.Arbeiterwohlfahrt oder Caritas, Drogenberatungs- und Erziehungsstellen, Frauenhäuser und viele andere Organisationen, die sich insbesondere um die Randgruppen unserer Gesellschaft kümmern, die nicht im öffentlichen Fokus stehen, können die finanziellen Kürzungen alleine nicht mehr verkraften. Die Ergebnisse nach sechseinhalb Monaten „Operation düstere Zukunft“ sind verheerend. Dafür gibt es Zeugen, nämlich diejenigen, die die Arbeit vor Ort machen. Überall kommt es zu Entlassungen, Umsetzungen und Reduzierungen der Beschäftigungsstunden. Andere Einrichtungen mussten sogar schließen. Überall kommt es zu einer Reduzierung des Leistungsangebots durch kürzere Sprechzeiten, längere Wartezeiten oder die Streichung neuer Termine.

Meine Damen und Herren, teilweise konnten diese Auswirkungen unter größten finanziellen Anstrengungen der Kommunen, die selbst in höchster Finanznot sind, kompensiert werden. Für das Jahr 2004 hat das hier und da geklappt. Für die Zukunft ist das aber ungewiss. Deshalb ist das der falsche Weg. Das ist bei diesen Fragen der falsche Politikansatz.

(Beifall bei der SPD)

Was haben die Kürzungen im Sozialbereich mit dem Thema innere Sicherheit zu tun? Auf kaltem Weg will die CDU-Landesregierung das soziale Gleichgewicht in unserer Gesellschaft kippen.

(Zurufe von der CDU)

Wer heute nicht das Geld ausgibt, Bedürftige zu unterstützen, der treibt viele Menschen in die Armut. Mit Sicherheit wäre es besser, jetzt etwas dagegen zu tun, präventiv tätig zu sein, als sich später darüber zu beklagen, dass die Polizei ihre Aufgaben nicht erfüllen kann, wenn z. B.die Kriminalitätsquote steigt.Das kann man aber erst hinterher anhand der Zahlen belegen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Beispiele nennen, wo Sie im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ Mittel gekürzt haben: In der ambulanten Hilfe für Drogenabhängige und Suchtkranke gibt es 1,6 Millionen c weniger, für vorbeugende Maßnahmen bei Sucht- und Drogenabhängigen ein Minus von 127.000 c. Zum Vergleich: Diese Summe müssen Sie auch für die Unterbringung von vier Personen für ein Jahr im Gefängnis bei Kosten von etwa 90 c am Tag aufbringen.

Ich will einmal darstellen, dass die Streichung in solchen Bereichen ein volkswirtschaftlicher Unsinn ist.

(Beifall bei der SPD)

Bei den Maßnahmen für straffällig gewordene junge Menschen wurden die Mittel in Höhe von 285.000 c komplett gestrichen. Für diese Summe können Sie die Kosten decken, die acht Personen verursachen, die ein Jahr lang im Gefängnis sind. Die Eltern- und Erziehungsberatung wird mit der kompletten Streichung der Zuschüsse in Höhe von 4 Millionen c bestraft. Die offene Erziehungshilfe in sozialen Brennpunkten: ebenfalls 1 Million c gestrichen; Betreuung von Aussiedlerkindern und Jugendlichen in Wohnsiedlungen: über 700.000 c weniger. Selbst die Schulsozialarbeit an drei Standorten in Hessen war Ihnen nicht zu schade. Hier haben Sie die Mittel um 20.000 c gekürzt. Dazu muss man wissen: Für diese Summe können Sie später einen Jugendlichen acht Monate lang im Gefängnis unterhalten. Auch hier zeigt sich, volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich gesehen rechnen sich Investitionen in die Zukunft.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Schuldnerberatung 2 Millionen c weniger, für die Frauenhäuser 900.000 c weniger.Alle diese Maßnahmen – ich könnte die Aufzählung problemlos fortführen – belegen, dass die Hessische Landesregierung bei den präventiven Maßnahmen massiv kürzt. Die Folge wird möglicherweise ein Anwachsen der Beschaffungskriminalität sein.Dabei hatten wir in Hessen in den letzten beiden Jahren einen Anstieg der Kriminalität um über 11 % zu verzeichnen.

Die Verstärkung der Präventionsarbeit ist die beste und wirkungsvollste Methode, Kriminalität zu bekämpfen. Das ist aber in aller Regel nicht messbar und kann deshalb möglicherweise nicht als Produkt im Sinne der neuen Verwaltungssteuerung bewertet und verkauft werden. Prävention genießt deswegen bei dieser Landesregierung offensichtlich nicht den Stellenwert, der ihr gesellschaftspolitisch gebührt.

(Beifall bei der SPD)

Weniger Prävention bedeutet ein Mehr an Kosten für die stationäre Unterbringung in Heimen, Kliniken und Gefängnissen. Ihre Politik, die Sie vonseiten der CDU und der Regierung zu verantworten haben, ist das glatte Gegenteil von nachhaltiger Sozialpolitik und deswegen völlig falsch.

(Beifall bei der SPD)

Aber auch betriebswirtschaftlich gesehen ist das Verhalten der Landesregierung an dieser Stelle kurzsichtig und falsch, obwohl Sie immer behaupten, Sie verfügten über wirtschaftspolitischen Sachverstand, was bei dieser Landesregierung eigentlich ein Widerspruch in sich ist. Die gesellschaftlichen Folgekosten werden in den nächsten Jahren um ein Vielfaches höher sein als die durch die Kürzungen erzielten Einsparungen. Ich habe die Beispiele eben genannt. Ein Tag Unterbringung in einem Gefängnis kostet etwa 90 c.

Wenn man sich anschaut, was Sie mit Ihren Kürzungen im Sozialbereich an ehrenamtlichem Engagement derjenigen, die sich um sozial Benachteiligte kümmern, kaputtmachen, sieht man, dass es Ihnen nicht um die Menschen, sondern um den ideologisch motivierten Abbau gewachsener Strukturen geht.Auch das ist ein völlig falscher Ansatz.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Herr Dr. Lübcke, dass Sie das inhaltlich nicht nachvollziehen können, weiß ich. Deswegen wird ja Ihre Politik an der Stelle auch nicht besser.

Wenn Sie sich mit Vertretern betroffener Organisationen, z. B. der Diakonie, der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt, unterhalten, erfahren Sie, mit welcher Wut und Betroffenheit die Leute erleben, wie Sie ihre Arbeit zerstören. Frau Sozialministerin, Herr Innenminister, Sie reden immer über den Stellenwert des Ehrenamtes und des bürgerschaftlichen Engagements in unserer Gesellschaft. Dann kürzen Sie diesen Organisationen die Mittel und schlagen ihnen praktisch die Füße weg,auf denen sie stehen.Hören Sie auf, Placebopreise zu vergeben, sondern erkennen Sie den Wert dieser Arbeit an.

(Beifall bei der SPD)

Für uns besteht der Wert des Ehrenamts auch darin, dass man sich um die Benachteiligten und die Schwachen in der Gesellschaft kümmert. Darin zeigt sich eine starke Gesellschaft. Wir finden, auch das gehört zum Rechtsstaatsgebot, das in der Verfassung des Landes Hessen niedergelegt ist. Das sollten Sie zum Maßstab Ihres politischen Handelns machen.

(Zurufe von der CDU)

Herr Klee, dass Sie das nicht hören wollen, ist mir klar. Es ist zwar schön und gut, dass Sie sich im Bereich des Sportes z. B. um die Integration von ausländischen Jugendlichen kümmern. Das ist ein guter und richtiger Ansatz.Aber viele stehen im täglichen Leben nicht im Blickpunkt. Die brauchen Unterstützung. Deshalb ist es falsch, hier die Mittel zu kürzen, wie Sie es tun.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Die angebliche neue Sicherheitsarchitektur, von der der Innenminister dieses Landes immer redet, entpuppt sich einmal mehr als eine große Bauruine. Die hessische Polizei ist unter Ihrer Verantwortung in den letzten fünf Jahren deutlich auf nur noch knapp 14.000 Beamte reduziert worden. Das heißt, wir hatten vor fünf Jahren einen höheren Personalbestand. Die Folge wird sein, dass sich die innere Sicherheit in Hessen immer mehr verschlechtert. Mit Placebomaßnahmen wie Wachpolizei, freiwilligem Polizeidienst, Videoüberwachung und all den technischen Hilfsmitteln, die Sie einsetzen zu können meinen, wird die innere Sicherheit in Hessen um keinen Deut besser. Sie suggerieren ein Maß an Sicherheit, das nicht erfüllt werden kann. Deshalb ist das der falsche Ansatz.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Kürzungsorgie, Ihre finanzpolitische Rasermähermethode ist eigentlich ein Ausdruck Ihrer Hilflosigkeit. Polizei und innere Sicherheit müssen Ihre finanzpolitisch falschen Weichenstellungen nunmehr ausbaden. Ihre Politik stellt auch eine große Wählertäuschung dar. Was haben Sie den Menschen vor dem 2. Februar 2003 nicht alles versprochen. Nach den Wahlen gilt das alles nicht mehr. Wenn sich dann die Herren Koch und Bouffier auch noch erdreisten, zu behaupten, die eingeschlagenen Maßnahmen würden die Polizei, die Justiz und andere Einrichtungen gar nicht betreffen, dann muss man sagen: Sie leiden entweder unter Realitätsverlust,oder Sie täuschen die Öffentlichkeit bewusst. Das ist der eigentliche Skandal, den diese Landesregierung an der Stelle zu verantworten hat.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen brauchen wir auch zukünftig eine gut ausgebildete, aber auch gut motivierte Polizei, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger genießt. Dabei ist die hessische Polizei massiven Belastungen ausgesetzt. Die Einführung von SAP hat die Polizei massiv belastet. Die aufwendige Zeiterfassung, die Erfassung dessen, was ein Polizeibeamter den ganzen Tag lang macht, ist jetzt heimlich eingestellt worden, weil offensichtlich selbst der hessische Innenminister erkannt hat, dass es einfach unsinnig ist, dass Polizeibeamte mit solchen Dingen beschäftigt werden. Das ist wenigstens ein kleiner Fortschritt.

(Beifall bei der SPD)

Am besten wäre es, Sie reduzierten den Einsatz von SAP im Bereich der Polizei auf ein Mindestmaß.Das dabei eingesparte Geld könnten wir z. B. im Sozialbereich wunderbar einsetzen.Auch das wäre ein wunderbarer Deckungsvorschlag.

Meine Damen und Herren, dass die Polizei in Hessen so gut arbeitet – trotz dieser Landesregierung –, ist ein Verdienst der dort tätigen Polizeibeamtinnen und -beamten. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich unseren Dank aussprechen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb gefährdet diese Politik der Landesregierung den sozialen Frieden und ruiniert die innere Sicherheit. Sie tun das nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern ausschließlich aus ideologischen. Sie verbrämen das mit finanzpolitischen Erwägungen. Das ist falsch.