Protokoll der Sitzung vom 15.07.2004

Mittlerweile werden neun Kompetenzzentren mit Nachdruck gefördert.

(Frank Gotthardt (CDU):Frau Kollegin,wann wurden sie denn eingerichtet? Da waren Sie nämlich noch in der Bundesregierung!)

Herr Kollege Gotthardt, sie wurden seit 1998 eingerichtet. Herr Kollege Gotthardt, mittlerweile wurde die Zahl der geförderten Zentren aber erhöht. Es wird entsprechend gefördert. Auch die Mittel für die Förderung wurden erhöht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Nur, wichtig ist dabei etwas anderes. Das ist auch mein Vorwurf an die Landesregierung. Das gilt zugegebenermaßen auch für den Bund. Es geht gar nicht so sehr um die finanzielle Förderung der Investitionen. Das sieht man,wenn man sich die Beträge anschaut.Es geht um den Rückhalt, den diese Projekte dadurch haben; und es geht um den Anschub, den solche Projekte brauchen. Von daher haben wir mit dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD überhaupt keine Probleme. Wir werden ihm zustimmen.

Sehr geehrter Herr Gotthardt, es ist doch bezeichnend, dass diese neuen Zentren in Dresden, Saarbrücken, Braunschweig, Münster, Hamburg, München, Berlin, Kaiserslautern und Karlsruhe, aber nicht in Kassel, nicht in Marburg,Wetzlar,Gießen,Hanau oder Darmstadt stehen.

(Frank Gotthardt (CDU): Frau Kollegin Beer, das ist 1998 eingerichtet worden!)

Hier haben wir in Hessen einen Nachholbedarf, Herr Kollege Gotthardt. Das ist doch nicht zu leugnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier braucht es das Engagement der Landesregierung, Engagement im Sinne von Einsatz, Herr Minister Rhiel und Herr Minister Corts.

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Gotthardt zu?

Ich würde gerne im Zusammenhang vortragen und komme dann gerne auf die Frage des Kollegen Gotthardt zurück.

Herr Gotthardt, vielleicht hören Sie erst einmal zu, bevor Sie ihre Einwände formulieren: Mir geht es um den Einsatz der Landesregierung. Ich meine damit zuvörderst nicht irgendwelche zwei- oder dreistelligen Millionenbeträge. Es geht nicht darum, irgendwo für Millionen ein überdimensioniertes Gebäude auf die grüne Wiese zu setzen und dann nichts mehr zu machen.Vielmehr sollte das Innovationszentrum, wie wir es verstehen, sinnvollerweise an eines der in Hessen bestehenden Gründerzentren angedockt werden,wo ein organisches Wachsen möglich ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist aber klar. Ein virtuelles Netzwerk alleine und auch eine Geschäftsstelle mit schmalbrüstigen 35.000 c in Kassel alleine bringen es in dieser Zukunftsfrage nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Diese internationalen interdisziplinären Teams brauchen Räume, in denen sie gemeinsam an Projekten arbeiten können.

(Frank Gotthardt (CDU): Was ist in den vergangenen vier Jahren in den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft dazu passiert? – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Im letzten Jahr ist nichts passiert!)

Diese Räume, Herr Kollege Gotthardt, haben weder unsere hessischen Hochschulen, noch haben sie die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Da muss die Landesregierung helfen.

Frau Abgeordnete, Sie müssen zum Schluss kommen.

Meine Damen und Herren, klar ist auch, dass wir für dieses Innovationszentrum ein finanzielles Engagement aus der Wirtschaft brauchen, um das zu erreichen.

(Frank Gotthardt (CDU):Wagner und Posch waren die Zuständigen in diesem Bereich!)

Aber es wäre Sache der Landesregierung, hier zu werben und mit einer Anschubfinanzierung zu helfen. Herr Minister Rhiel, was für eine tolle Aufgabe für Sie, an einem positiven Image Ihrer Person zu arbeiten.

Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wenn die Hessische Landesregierung die hessischen Chancen im Zukunftsmarkt der Nanotechnologie nicht verspielen will, sollte sie sich auf unsere Idee einlassen. Es tut mir wirklich Leid, Herr Gotthardt, aber parteipolitische Eifersüchteleien müssen an dieser Stelle hintanstehen,wenn es um Arbeitsplätze in Hessen geht. Es geht nicht entweder um ein Netzwerk oder um ein Zentrum, sondern es geht darum, beides zu tun und Hessen insgesamt voranzubringen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben die Redezeit völlig überzogen.Also müssen wir gerechterweise den anderen Kollegen auch noch etwas zugestehen. Das machen wir auch. – Frau Tesch, Sie haben für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Beer, Sie sprechen mir aus der Seele. Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Nanotechnologie erweist sich als eines der wichtigsten wissenschaftlichen Forschungsgebiete für die Lösung vieler Zukunftsfragen. Sie beinhaltet die Erforschung und Entwicklung technologischer Anwendungen in den Bereichen Chemie, Physik, Biologie, Pharmazie und Medizin. Es ist ein Markt ungeahnter Möglichkeiten, eine Chance für Deutschland, für unsere Unternehmen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze für unsere Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Durch neue medizinische Therapiemöglichkeiten wird es revolutionäre Veränderungen geben, die unser Gesundheitssystem massiv in positivem Sinne beeinflussen und extrem kostensenkend wirken werden, ganz zu schweigen davon, welche Chancen sich im Umweltbereich ergeben, wenn wir zur Reinigung verschiedenster Materialien und Oberflächen weniger oder gar keine Chemikalien mehr benötigen. Diese Beispiele sind selbst ein Nanoteilchen der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten dieser Technologie.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung behauptet von sich, sie sei innovativ, zukunftsorientiert und denke in wirtschaftlichen Dimensionen.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Die Wahrheit ist: Im Hinblick auf die Nanotechnologie entsprechen die oben genannten Attribute nicht der Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Im Vergleich zu anderen Bundesländern geben wir in Hessen diesbezüglich ein mehr als bescheidenes Bild ab. Ein Beispiel – Frau Beer hat es auch genannt –: In BadenWürttemberg gibt es 18 Kompetenzzentren,in Hessen nur neun.Wenn wir den rollenden Zug noch erreichen wollen,

dann müssen wir dringend aufspringen, sonst schauen wir ihm in Hessen sehnsüchtig hinterher.

Einer Technologie, die das 21. Jahrhundert beherrschen wird, muss auch in Hessen eine größere Priorität eingeräumt werden. Hier wird eine einmalige Chance verschlafen, eine Chance für Neugründungen, für Forschung, Lehre, Ausbildung und für ein herausragendes Potenzial an Arbeitsplätzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier in Mittelhessen haben wir Wissenschaftler, die weltweit anerkannt sind, die weltweit forschen, sich austauschen, die Netzwerke von Südafrika über Australien, Israel bis zu den USA betreiben.Auch in anderen Regionen unseres Landes weist die Forschung in dieser Technologie hervorragende Leistungen auf. In Darmstadt sind es die Materialwissenschaften, in Kassel ist es z. B. die Nanostrukturtechnik. In Marburg fließen alle fünf genannten Nanobereiche zusammen: Biologie, Pharmazie, Physik, Chemie, und im Bereich der Medizin ist die Krebsforschung auf dem Vormarsch.

Das Einzige, was der Regierung dazu einfällt, ist ein Netzwerk. Netzwerke sind fein, sie sind auch nötig. Aber sie haben an dieser Stelle eine Alibifunktion. Wenn sonst nichts passiert, kann man mit den 30.000 c, die die Landesregierung zur Verfügung stellt,noch nicht einmal einen leistungsfähigen Server erwerben, Herr Corts.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Für viele Tätigkeiten benötigen Menschen räumliche Nähe.Wir müssen Zentren schaffen, die eine Zusammenarbeit der Forschung und der Anwender ermöglichen. Dies ist für Erfolge unabdingbar, und da reicht es nicht, wenn sich Forscher und Unternehmer per E-Mail austauschen. Sie benötigen eine leistungsfähige Ausstattung zur gemeinsamen Nutzung. Der alleinige Austausch von Gedanken und Ideen führt nicht zwangsläufig dazu, dass marktfähige Produkte entstehen.

Kleine Unternehmer und Neugründer können sich keine technische Ausstattung leisten. Die Anschaffungskosten sind zu hoch, ganz abgesehen von der Tatsache, dass an dieser Stelle die Banken ohnehin nicht mitspielen würden. Sie würden eine Kreditaufnahme in Millionenhöhe nicht ermöglichen. Wir kennen eine Vielzahl von Forschungen, in die sehr viel Geld gesteckt wird, aber aus denen am Ende wenig volkswirtschaftlicher Nutzen entsteht, sprich: bei denen am Ende keine marktfähigen Produkte zu sehen sind.

Wir haben in Mittelhessen zielgerichtete strategische Geschäftsfelder, in denen die Region mit mehr als 300 Patenten, 100 Projekten und 50 marktfähigen Produkten internationale Alleinstellungsmerkmale aufweist. Wollen wir warten, bis unsere Wissenschaftler Hessen oder Deutschland verlassen, weil sie in anderen Ländern bessere Bedingungen vorfinden? Jeder siebte Wissenschaftler sucht seinen Erfolg nicht mehr in Deutschland. Wir brauchen keine Zuwanderung von Intelligenz in diesem Bereich, sondern eine Rückwanderung qualifizierter deutscher Wissenschaftler und vor allem das Halten vorhandener Kompetenzen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Dass man hier in Hessen einen Investor, der Millionenbeträge zur Verfügung stellen will, hinhält und die Gelegenheit nicht beim Schopfe packt, ist der Gipfel des Desinteresses und der Unkenntnis der Landesregierung bei Innovation und Forschung.

(Beifall bei der SPD – Minister Dr.Alois Rhiel:Wie heißt der Investor?)

Herr Dr. Rhiel, Sie wissen, dass man Investoren nicht in der Öffentlichkeit nennt.

(Minister Dr.Alois Rhiel: Unter vier Augen!)

Gerne, unter vier Augen, ich erinnere Sie dran. – Ich begreife Ihre Zögerlichkeit nicht, Herr Wirtschaftsminister. Ich hätte dem Investor, der Sie vor Monaten angesprochen hat, den roten Teppich ausgerollt.