Protokoll der Sitzung vom 06.10.2004

Das wiederum wäre der Vorteil einer Härtefallkommission, denn hier spielt die Humanität, also die Menschlichkeit, die entscheidende Rolle.

(Frank Gotthardt (CDU): Wie im Petitionsausschuss!)

Das sieht übrigens Ihr Kollege und CDU-Mitglied,der Innenminister von Baden-Württemberg, Dr. Schäuble, genauso.

(Frank Gotthardt (CDU): Der ist doch jetzt Chef einer Brauerei!)

In der 66. Sitzung des Landtags von Baden-Württemberg sagte er Folgendes zum Thema Härtefallkommission:

... ich denke, gerade auch die Mitglieder des Petitionsausschusses wissen, wovon ich jetzt spreche –, dass wir eine Härtefallregelung bekommen werden... Ich würde empfehlen, dass wir einer solchen Härtefalllösung näher treten, wenn der Bundesgesetzgeber diese Möglichkeit schaffen sollte... Denn es gibt immer wieder Fälle, die mit den Buchstaben des Paragraphen einfach in keinen Rahmen hineinpassen.

Der Bundesgesetzgeber hat inzwischen eine solche Möglichkeit geschaffen.

Meine Damen und Herren, das Zuwanderungsgesetz in seiner geltenden Fassung wurde nach langem Ringen schlussendlich auch von CDU und FDP im Vermittlungsausschuss mitgetragen.

Der humanitäre Bereich und damit die Einrichtung einer Härtefallkommission in dem Sinne, in dem es § 23a beschreibt, war und ist ein zentraler Bestandteil des Zuwanderungsgesetzes. Aufgrund des § 23a kann nur und ausschließlich eine Härtefallkommission Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind und die alle gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, helfen.

Nach der neuen Gesetzeslage, die – wie gesagt – alle Parteien mitgetragen haben, kann das ein Petitionsausschuss mit noch so weit reichenden Rechten ziemlich dezidiert nicht.

Wenn Sie nun also wirklich humanitär handeln und den Menschen eine dauerhafte Perspektive geben wollen, müssen Sie die Einrichtung einer Härtefallkommission mittragen. Dazu fordere ich Sie heute hier auf.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Meine Damen und Herren, mit dem Antrag der SPDFraktion zum Abschiebemoratorium wollen wir erreichen, dass Menschen in Hessen, die nach dem neuen Zuwanderungsgesetz einen Anspruch auf einen gesicherten Aufenthaltsstatus hätten, bis zum 1. Januar 2005 – dem InKraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes – nicht mehr abgeschoben werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Länder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verfahren bereits so. Hierbei handelt es sich um zwei Gruppen von Ausländerinnen und Ausländern: erstens Flüchtlinge, die unter eine Härtefallregelung fallen – darüber haben wir schon gesprochen.

(Unruhe)

Frau Waschke, Entschuldigung. – Ich möchte doch sehr darum bitten, dass auf der rechten Seite des Hauses die Privatgespräche unterbrochen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Günter Rudolph (SPD): Das ist unglaublich, Herr Finanzminister!)

Das sehe ich genauso, danke. Da kann man auch gleich sehen, wie wichtig dieses Thema für diese Fraktion ist.

Zweitens Ausländerinnen und Ausländer, denen nach § 9 des Aufenthaltsgesetzes eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden kann. Hierbei handelt es sich beispielsweise um gut integrierte Flüchtlinge, die sich seit fünf Jahren legal bei uns aufhalten, deren Lebensunterhalt unabhängig von Sozialhilfe gesichert ist und die nicht straffällig geworden sind.

Nach unserem Dafürhalten hat es keinen Sinn, Menschen abzuschieben, die bereits lange bei uns sind, ihren Lebensmittelpunkt hier gefunden haben, deren Kinder hier die Schule besuchen und die die Sprache ihrer Eltern auch überhaupt nicht mehr beherrschen. Das können wir nicht tun, wenn sie in drei Monaten einen Anspruch auf einen gesicherten Status haben.

Meine Damen und Herren, in diesem Fall hat unser der Antrag nicht nur einen humanitären Aspekt, sondern es geht an dieser Stelle auch ein Stückchen um die Zukunft unseres Landes.Wir alle wissen, dass sich unsere Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten reduzieren wird und dass sich der Anteil der älteren und hochbetagten Menschen explosionsartig vergrößern wird. Das wird Auswirkungen auf unsere Sozialsysteme haben,

(Zuruf des Abg. Boris Rhein (CDU))

auf unsere kommunalen Strukturen und auf unsere wirtschaftliche Entwicklung. Nahezu alle Experten – Herr Rhein, hören Sie doch zu –, die sich mit dem demographischen Wandel befasst haben, sind sich einig, dass man diese Entwicklung nur durch zwei Faktoren beeinflussen kann: einmal durch die Steigerung der Geburtenrate und zum anderen durch Zuwanderung.Also hat es auch unter volkwirtschaftlichen Gesichtspunkten keinen Sinn,gut integrierte Menschen, die hier arbeiten, ihre Sozialversicherungsanteile zahlen und deren Kinder hier aufwachsen, abzuschieben. Schließlich ist diese Integrationsleistung auf beiden Seiten von hohem Engagement und nicht zuletzt auch durch Geld begleitet worden.

Wir fordern Sie daher auf, diesem Antrag zuzustimmen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Waschke. – Ich darf Herrn Staatsminister Bouffier das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Themenkreis, um den wir uns gerade bemühen, bedarf neben viel Sachkunde der Sensibilität, vor allen Dingen auch der Klarheit. Deshalb möchte ich Gelegenheit nehmen, ein

paar Dinge deutlich zu machen, von denen ich überzeugt bin, dass man sie dem Hause nicht vorenthalten soll.

Generell gilt der Grundsatz: Wer in diesem Lande kein Aufenthaltsrecht hat, muss das Land verlassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das gilt immer. Das war bei der vorherigen Rechtslage so, das ist auch bei dieser Rechtslage so. Das ist auch keine Besonderheit des deutschen oder hessischen Rechts – das gilt in allen Ländern der Welt.

Warum ist das so? – Gerade in dem Zusammenhang, in dem hier diskutiert wurde – teilweise sehr emotional –, steht Staatsräson versus Mitmenschlichkeit.

(Sabine Waschke (SPD): Es ist so!)

Auf den ersten Blick, Frau Waschke. Es ist aber nur vordergründig so.

Die Staatsräson ist kein Zweck für sich selbst. Was ist denn der Grund, welches sind die Fälle, um die wir uns hier so mühen? Das ist in dieser Diskussion noch gar nicht gesagt worden.

Wir sind uns doch einig, dass wir sagen – und das ist auch eine Verpflichtung für uns alle –: In der Not helfen wir; wenn die Not vorbei ist, dann gilt wieder der Grundsatz. – Oder stellt das irgendjemand infrage?

Meine Damen und Herren, wenn das so ist, dann sieht ein Großteil der Fälle, um die Sie sich auch hier so bemühen – was ich durchaus anerkenne –, in praxi so aus: 1990 eingereist, 1991 eingereist, 1992 eingereist – ausreisepflichtig bereits im Jahr 1993 oder manchmal im Jahr 1994. Sie sind aber nicht ausgereist. Sie haben Rechtsmittel in Anspruch genommen: im Schnitt aller Verfahren ungefähr ein Dutzend Gerichtsverfahren. In der Zwischenzeit hat sich ihr Aufenthalt verfestigt, weil die Familie gewachsen ist.

(Sabine Waschke (SPD): Das ist anscheinend schwierig!)

Ja, natürlich. Ich will nur darlegen, worum wir hier eigentlich ringen. – Dann sind diese Personen zehn, zwölf Jahre hier, obwohl sie eigentlich vor zehn Jahren nach der Gesetzeslage hätten ausreisen müssen. An dieser Gesetzeslage hat sich nichts geändert, überhaupt nichts.

Der Kompromiss des Zuwanderungsgesetzes – wie bei jedem Kompromiss mag sich dort jeder wieder finden oder nur zum Teil – hat genau diese Frage nicht beantwortet. Die Härtefallkommission – egal, wie man dazu im Einzelfall steht – und eine Härtefallentscheidung sind jedenfalls nicht der Ersatzriemen dafür, dass es keine Altfallregelung gegeben hat.

Alles das,was Sie vortragen,ist im Grunde genommen der Versuch, eine Regelung zu treffen, die viel breiter ist als eine Härtefallregelung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb sage ich, diese Debatte braucht Klarheit.

Sie schaffen Erwartungen, die niemand erfüllen kann. Denn wenn Sie Härtefall nicht als Regelfall definieren, werden Sie allen Erwartungen nicht entsprechen können, die Sie selbst vorgetragen haben. Die Masse der Fälle sind nämlich genau diejenigen, die lange hier leben. Ich erwarte von Ihnen,dass Sie dann nicht mit „Härtefall“ kommen, sondern sagen: Jawohl, ich bin der Auffassung, wer zehn Jahre hier lebt,bleibt hier.– Das kann man vertreten. Aber dann muss man es auch richtig vertreten.

Ich warne davor. Ich habe das immer wieder gesagt: Eine Härtefallregelung betrifft immer Ausnahmen. Sie kann nicht die Regel sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das haben wir auch gesagt! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wer sagt etwas anderes?)

Herr Kollege Frömmrich, was Sie vorgetragen haben, ist der Regelfall.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist doch unglaublich!)

Herr Kollege Frömmrich, ich habe Ihnen auch zugehört. Machen Sie sich die Mühe, einfach einmal geistig mitzugehen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Du liebe Zeit!)