Protokoll der Sitzung vom 06.10.2004

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Bouffier, vielen Dank. – Ich habe zwei Wortmeldungen zur Kurzintervention. Zunächst spricht Frau Schönhut-Keil.

Sehr geehrter Herr Innenminister Bouffier! Ich bedauere sehr, dass Sie fast Ihre gesamte Redezeit darauf verwandt haben,uns zu unterstellen,wir würden Alt- und Härtefälle als das Gleiche ansehen, das hätten wir so gemeint, und wir wollten über die Härtefälle gleichsam die Einwanderung durch die Hintertür erreichen. Das weise ich zurück.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bouffier, zu Beginn Ihrer Rede haben Sie eingefordert, es solle Sensibilität und Klarheit herrschen. Für die Fraktion der GRÜNEN sage ich dazu ganz klar: Wir hätten uns gewünscht, dass wir durch das Zuwanderungsgesetz eine Gnadenmöglichkeit bekommen. – Wie Sie nun alle wissen, hat sich das wegen der großen Koalition zu diesem Thema leider nicht umsetzen lassen.

(Zuruf von der CDU:Was für ein Glück!)

Wir bedauern das. Jetzt müssen wir also überlegen, wie wir mit diesen Härtefällen umgehen.

Ich will einfach einmal aus meiner eigenen Erfahrung zwei Fälle schildern. Wir wissen, dass das alte Ausländergesetz nur sehr wenige tatsächliche Abschiebungshindernisse gekannt hat.

Was wollen Sie mit einem Sikh machen, der aus Indien kommt, an der Dialyse hängt und der seinen Fall auf der Grundlage des Ausländergesetzes durch alle Gerichte durchgeklagt hat? Die Gerichte haben dazu eindeutig festgestellt: Dieser Ausländer ist transportfähig. – Jawohl, das ist er. Aber kurz nach der Landung in Delhi wird er nicht mehr leben. Denn als Sikh wird er die Dialyse in Indien schlichtweg nicht bezahlen können. Das war der erste Fall, den ich nennen wollte und den ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen über alle Fraktionen hinweg – auch mit welchen aus der CDU-Fraktion – gegen das Votum der Gerichte und auch gegen staatliche Behörden,die für die Abschiebung zuständig sind, und auch gegen meinen damaligen Landrat Riebel gewonnen habe. Es war mir wichtig, noch einmal zu sagen, dass man für solche Fälle eine Regelung haben muss.

Ich komme zum zweiten Fall. Dabei geht es um die geplante Abschiebung eines sechsjährigen türkischen Mädchens, dessen Eltern nicht mehr auffindbar sind. Hätte man die Abschiebung durchgesetzt, hätte sie in Istanbul alleine am Flughafen gestanden, ohne dass Mitglieder ihrer Familie auffindbar gewesen wären.

Frau Kollegin, Ihre zwei Minuten Redezeit sind um. Kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz.

Die Abschiebung hat dann nicht stattgefunden.

Wenn das Zuwanderungsgesetz das Papier wert sein soll, auf dem es steht, muss es die Möglichkeit geben, humanitäre Gründe zu berücksichtigen. Wir wollen deshalb eine Regelung, die parteifern ist.Wir wollen insofern auch den Mitgliedern des Petitionsausschusses Hilfestellung geben. Denn ich kann Ihnen sagen: Das kann der Petitionsausschuss überhaupt nicht bewältigen. – Deswegen ist der von uns aufgezeigte Weg der einzig mögliche.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Frau Schönhut-Keil, vielen Dank. – Frau Waschke, Sie haben das Wort für zwei Minuten.

Herr Minister Bouffier, Sie haben genau wieder das gemacht,was Sie bei solchen Debatten immer tun.Sie haben hier ein Bild gezeichnet, das ich Ihnen hier so nicht durchgehen lassen werde.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Wir haben in unserem Antrag, der das Abschiebemoratorium betrifft,ganz genau gesagt,um welche Gruppen Ausländerinnen und Ausländer es uns geht. Sie haben hier behauptet, es würde uns darum gehen, Einwanderung durch die Hintertür zu erzielen. Das ist dezidiert nicht gewollt. Das haben wir auch sehr klar gesagt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben sich hierhin gestellt und gesagt: 60 % der Petitionen, die im Landtag behandelt werden, sind Ausländerpetitionen. Ich hätte von Ihnen gerne dazu gehört, wie Ihre Einschätzung darüber ist, wie viele im Sinne der Petenten positiv beschieden werden könnten. Auf diese Frage habe ich leider keine Antwort bekommen.

Ich komme jetzt zum dritten Punkt. Das möchte ich hier noch einmal ganz klar sagen. Der Petitionsausschuss darf innerhalb der gesetzlichen Vorgaben ein befristetes Aufenthaltsrecht aussprechen. Das tun wir jetzt schon.

(Frank Gotthardt (CDU): Frau Waschke, Sie haben es nicht verstanden! Der Petitionsausschuss soll Härtefallkommission werden!)

Es geht uns aber darum, dass den Leuten, die alle nach dem Gesetz vorgesehenen Instanzen durchlaufen haben, ein unbefristeter Aufenthalt gewährt werden kann. Das

sind die Härtefälle. Um die geht es uns. Für diese Leute haben Sie mit Ihrem Änderungsantrag überhaupt keine Lösung angeboten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Hören Sie doch einfach einmal zu!)

Auf Antwort wird verzichtet.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Darauf kann man nicht antworten!)

Ich kann demnach jetzt Herrn Frömmrich das Wort erteilen. Herr Frömmrich, Sie haben fünf Minuten Redezeit.

(Zuruf von der CDU: Warum hat er noch fünf Mi- nuten Redezeit?)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß gar nicht, warum schon Stimmung aufkommt, nur weil ich nach hier vorne trete.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Das ist nur wegen der fortgeschrittenen Uhrzeit!)

Herr Kollege Hahn, wissen Sie, vielleicht sollte man bei einem – –

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Es ist klar: Für eine so wichtige Sache muss man sich Zeit nehmen!)

Das kann ich unterstreichen. Erstens, das ist richtig. Zweitens hat der Minister angemahnt, in der Sache Sensibilität und Klarheit walten zu lassen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das hat Evi doch schon gemacht!)

Ich finde,dafür sollte man sich ein paar Minuten Zeit nehmen. Dafür kann man schon einmal die Mittagspause um fünf Minuten nach hinten schieben.

Herr Innenminister, Sie haben hier nicht zur Klarheit beigetragen. Sie haben überhaupt nicht zur Klarheit beigetragen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben hier einen Ritt durch die Problemfälle des Asylrechts gemacht, ohne darauf einzugehen, dass es mittlerweile ein neues Zuwanderungsgesetz gibt, das am 1. Januar 2005 in Kraft treten wird. Sie haben hier einen Ritt über Fälle hinweg gemacht, die die von uns geforderte Härtefallkommission überhaupt nicht betreffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das habe ich bei meiner Einbringungsrede des Gesetzentwurfs versucht deutlich zu machen. Wir wollen eine Härtefallkommission, die Einzelfälle regelt. Das steht so auch im Gesetz. Es soll um Einzelfälle gehen. Sie haben hier aber etwas anderes an die Wand gemalt. Sie meinten, es gehe darum, dass auf einmal vielen Ausländern dauerhaft Aufenthalt gewährt werden solle. Es geht aber darum, Einzelfälle zu regeln. Das steht ausdrücklich in § 23a Aufenthaltsgesetz. Es geht darum, aus humanitärer Sicht Fälle zu lösen.

(Frank Gotthardt (CDU):Warum kann das der Petitionsausschuss nicht machen?)

Herr Kollege Gotthardt, so viel Redlichkeit traue ich Ihnen zu. Lesen Sie einfach einmal § 23a Aufenthaltsgesetz durch. Sie werden dann sehen, dass da ausdrücklich steht: Die oberste Landesbehörde richtet eine Härtefallkommission ein. – Sie wollen doch nicht allen Ernstes, dass ich, ein Abgeordneter des Hessischen Landtags, mich von einer obersten Landesbehörde mit einer Aufgabe betrauen lasse. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Gotthardt (CDU): Oh! Sie können unserem Änderungsantrag zustimmen!)

Sie machen hier Folgendes. Wir beziehen uns ganz eindeutig auf die Regelung des Gesetzes, nämlich auf § 23a Aufenthaltsgesetz. Sie hingegen beziehen sich auf § 25 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz, in dem es ausdrücklich um den vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland geht. Mit diesem Paragraphen begründen Sie den Inhalt des Änderungsantrags, den Sie hier vorgelegt haben. Ich finde, das greift wirklich zu kurz. Das passt auch nicht ins System.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Bei dieser Debatte erinnern Sie mich an den Geisterfahrer, der im Radio hört, dass sich auf der Autobahn ein Geisterfahrer befindet, und der erschrocken sagt:Wie, das soll nur einer sein? Das sind Hunderte.

In allen anderen Bundesländern wird das so geregelt.Alle anderen Bundesländer, die eine Härtefallkommission haben, verfahren so, wie wir es vorschlagen. Es gibt nirgendwo eine andere Regelung. Nordrhein-Westfalen hat diese Regelung. Berlin hat diese Regelung. Die Länder, die angekündigt haben, Härtefallkommissionen einzurichten, richten sie auch entsprechend diesem Motto ein. Die Einzigen, die angekündigt haben, das nicht so zu tun, sind die Fraktionen der CDU und der FDP im Landtag von Niedersachsen.Sie wollen das genauso regeln wie Sie. Ich habe vorhin schon gesagt: Die FDP ist darauf eingegangen und hat das sozusagen übernommen.

Ich würde mir wirklich wünschen, dass man einmal über die Möglichkeiten nachdenkt,wie man diese Fälle am besten regeln kann. Ich wünsche mir, dass eine Lösung gefunden wird, die mit dem neuen Zuwanderungsgesetz in Einklang zu bringen ist.

Der Herr Staatsminister hat hier viele Fragen gestellt. Er hat hinter viele Vorschläge,die wir hier in die Debatte eingebracht haben, Fragezeichen gesetzt. Herr Staatsminister, da Sie noch so viele Fragen haben, würde ich mir wünschen, dass Sie für Beratung wirklich offen sind. – Im Moment berät er wohl erst einmal den Finanzminister. – Ich würde mir wünschen, dass Sie für Beratung offen sind und dass Sie auch dafür offen sind, dass wir eine Anhörung dazu machen und uns einmal anhören,was die dazu sagen, die in diesem Bereich tätig sind, die sich also tagtäglich mit Flüchtlingsangelegenheiten befassen.

Was sagen die zu unserem Gesetzentwurf, und was sagen sie zu dem Vorschlag der CDU- und der FDP-Fraktion? Darauf würde ich mich im Innenausschuss sehr freuen. Ich hoffe, dass wir dort einen Erkenntnisgewinn haben, der Sie dazu führt,darüber nachzudenken,ob der Weg der richtige ist, den Sie hier vorschlagen.