Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Sprache eröffnet den Menschen Vergangenheit und Zukunft. Ein Versagen in Lesen und Schreiben bedeutet für den Betroffenen eine entscheidende Lernbehinderung, die nicht selten aufgrund der damit verbundenen Misserfolgserlebnisse auch Störungen im Bereich der Persönlichkeit und des Verhaltens nach sich zieht.

Meine Damen und Herren, nun zieht natürlich jeder unterschiedliche Schlüsse aus den IGLU-Ergebnissen. Die CDU ist überzeugt, dass die Landesregierung mit ih

rer Bildungspolitik auf dem richtigen Weg ist. Jetzt müssen die bereits umgesetzten Maßnahmen konsequent fortgeführt und das, was in Vorbereitung ist, umgesetzt werden. Frau Hinz, wir machen eben keine schnellen Schüsse, sondern das wird ordentlich vorbereitet.

Meine Damen und Herren, immer wieder hat die CDU deutlich gemacht – das haben wir mit Konsequenz getan, deshalb brauchen wir uns auch da nichts vorwerfen zu lassen –, welchen wichtigen Stellenwert die Grundschule für die Schullaufbahn der Kinder hat. Wir haben sehr früh und immer wieder die Kuschelpädagogik kritisiert. Das zeigen jetzt letztendlich auch mit Klarheit die Untersuchungsergebnisse.

Wir wissen, dass die Kinder im jungen Alter sehr lernwillig und sehr lernfähig sind, weil sie neugierig und experimentierfreudig sind. Deshalb ist die frühe Förderung, d. h. auch die Vorschulförderung, von so herausragender Bedeutung.

Daher begrüßt die CDU, dass die Landesregierung einen Bildungs- und Erziehungsplan für die Drei- bis Sechsjährigen vorlegen wird.Aber auch diese Förderung muss sehr differenziert gesehen werden,denn auch hier gilt gleichermaßen – ich bin froh, dass Sie inzwischen auch auf diesem Weg sind –, Kinder nach ihren individuellen Fähigkeiten, Begabungen und Neigungen zu fördern.

Falsch wäre hier wieder ein einheitlich vorgegebenes vorschulisches und damit starres Programm, denn es würde wieder der Unterschiedlichkeit der Kinder nicht gerecht. Wichtig ist auch, die Eltern mit einzubeziehen und auf Erziehungsarbeit aufzubauen. Eltern, Kindergarten und Grundschule tragen gemeinsam Verantwortung für Bildung und Erziehung.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Die IGLU-Ergebnisse legen nahe, dass es falsch war, den Fokus ausschließlich auf das Sozialverhalten zu legen und in den Kindergärten die altersgleichen Gruppen abzuschaffen.Wir begrüßen, dass SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN inzwischen, wenn auch spät, die Bedeutung des Bildungsauftrages im Kindergarten und damit auch im vorschulischen Bereich erkannt haben.

Meine Damen und Herren, eine weitere wichtige Säule für eine erfolgreiche Grundschulzeit ist die Sprachfähigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich darf hier an die eingangs zitierten Sätze erinnern. So war es der richtige Weg, den die Kultusministerin eingeschlagen hat, Kindern mit Migrationshintergrund durch das neue Einschulungsverfahren die Möglichkeit zum Erlernen der deutschen Sprache zu geben.

Meine Damen und Herren, mehr als 4.600 Kinder nehmen dieses neue Angebot an. Das sind über 93 % in 569 Vorlaufkursen. Die Eltern der ausländischen Kinder sind uns dankbar dafür. Diese Zahlen sprechen für sich.

Während die Opposition und die GEW dies kritisieren, machen sich andere Bundesländer auf den Weg, wie z. B. Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Niedersachsen, dieses erfolgreiche Konzept ebenfalls einzuführen.

Meine Damen und Herren, es muss aber auch unser Ziel sein, im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten die sprachliche Förderung auch auf deutschsprachige Kinder

mit Problemen in Sprach- und Wortschatz auszuweiten, denn leider nimmt auch die Zahl der deutschen Kinder mit sprachlichen Problemen zu.

Mit Blick auf die Förderung benachteiligter Kinder darf man nicht vergessen, dass wir uns gleichermaßen um Kinder mit besonderer Begabung kümmern müssen. 16 Grundschulen beteiligen sich bereits seit Beginn des Schuljahrs an einem Projekt zur Einrichtung von Förderangeboten für besonders begabte Schülerinnen und Schüler. Zu den entsprechenden Angeboten für begabte Kinder gehört auch die frühere Einschulung nach dem individuellen Entwicklungsstand des Kindes. Frau Hinz, da sind wir schon viel weiter. Es versteht sich von selbst, dass zur Durchführung all dieser Maßnahmen die Lehrerinnen und Lehrer mit Aus-, Fort- und Weiterbildung in die Lage versetzt werden müssen, frühzeitig die Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler zu erkennen, damit sie die entsprechenden Handlungskonzepte einsetzen können.

Alle Anstrengungen, in der Grundschule vergleichbare Grundlagen zu schaffen, auf denen dann auf den weiterführenden Schulen unmittelbar aufgebaut werden kann, sind aber nur sinnvoll, wenn für alle am Ende der Grundschulzeit gleiche Bildungsstandards definiert und Leistungsziele verbindlich festgelegt werden. Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, mir ist völlig unverständlich, wie Sie aus IGLU den Schluss ziehen können, wir bräuchten die sechsjährige Grundschule.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Nicola Beer (FDP) – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Frau Kölsch, ich hatte nichts anderes erwartet!)

Damit haben Sie wirklich gründlich in die Mottenkiste gegriffen.Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt.Frau Hinz hat immer sehr viel von Fördern und Fordern und In-die-Zukunft-Schauen gesprochen. Gestern tat dies auch Ihr Fraktionsvorsitzender. Hier sind Sie aber wirklich weit hinterher. Vielleicht erinnern Sie sich daran, wann zuletzt diese Diskussion geführt wurde. Sie wurde zuletzt geführt, als viele Beamte von Bonn nach Berlin umgezogen sind.Zu diesem Zeitpunkt kam die Studie,die einmal gemacht wurde, wieder zum Vorschein. Sie besagt klar, dass bei der sechsjährigen Grundschule die Leistungsrückstände gegenüber der vierjährigen Grundschule bis zu zwei Schuljahre betragen.Das wurde seinerzeit sehr zögerlich veröffentlicht. Vielleicht waren die betroffenen Bundesländer nicht sehr erpicht auf eine Veröffentlichung.

Gerade PISA hat gezeigt, dass die differenzierten Schulsysteme erfolgreicher sind. Oder wie können Sie sich sonst erklären, dass die Bundesländer, die die am stärksten gegliederten Schulsysteme haben, wie etwa Bayern oder Baden-Württemberg, bei PISA an der Spitze lagen? Wir halten deshalb eine Diskussion über die Struktur,also eine Strukturdebatte, für völlig überflüssig. Auf der Grundlage einer erfolgreichen Grundschule müssen wir den Blick auf die weiterführenden Schulen richten. Wir wollen Fortschritt statt Rückschritt. Wir investieren in eine erfolgreiche Bildungspolitik, die für unsere Kinder auf die Zukunft ausgerichtet ist.

Frau Hinz, so weit sind wir nicht voneinander entfernt. Mit den Punkten 1, 2 und 5 Ihres Entschließungsantrages fordern Sie letztendlich das Gleiche wie wir. Ich denke,

dann können Sie auch unserem Entschließungsantrag zustimmen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Frau Kölsch, vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Habermann das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kölsch, ich darf Sie zu Beginn erst einmal berichtigen. Sie haben vorhin begrüßt, dass wir endlich entdeckt hätten, dass der Kindergarten auch einen Bildungsauftrag habe. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir in der letzten Legislaturperiode ausführlich über ein Konzept der SPD-Fraktion diskutiert haben, das die frühkindliche Bildung betraf. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass Sie in dieses etwas intensiver hineingeguckt haben, als Sie uns das damals erzählt haben. Sie haben dabei nämlich gemerkt, dass da doch etwas Brauchbares drinsteht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Notwendigkeit, dass sich dieser Landtag mit den Ergebnissen von IGLU auseinander setzt, ist sicher unumstritten. Ich glaube aber, die Rede von Frau Kölsch hat sehr deutlich gezeigt, warum die CDU-Fraktion heute über IGLU diskutieren will. Es geht Ihnen gar nicht darum,die Ergebnisse zu interpretieren.Es geht darum,dass Sie sich attestieren wollen, was Sie bisher alles richtig gemacht haben, was Sie in Zukunft alles richtig machen wollen und dass es in Hessen eigentlich gar nichts zu ändern gibt.

Während sich Bildungsforscher und Experten ernsthaft bemühen, der Politik Handlungsperspektiven an die Hand zu geben und neue Fragestellungen aufzuwerfen, sitzen Sie in Ihrem so genannten Bildungsland Nummer eins und beharren auf einer konservativen, rückwärts gerichteten Bildungspolitik, die vorgibt, durch immer schärfere Auslesemechanismen ein Mehr an Förderung für alle Kinder zu erreichen. Ich glaube, da sind Sie auf dem Holzweg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

IGLU hat in der Tat Erkenntnisse gebracht, die es verdienen, ohne ideologische Scheuklappen angeguckt zu werden. Erfreulich ist sicherlich, dass unsere Grundschulkinder hinsichtlich der Lesekompetenz wesentlich besser abgeschnitten haben als Schüler und Schülerinnen der Sekundarstufe I in PISA. Wir nehmen in der Rangfolge einen guten Platz im oberen Mittelfeld ein. Ich denke, dieser Ländervergleich zeigt, dass die pädagogische Konzeption der Grundschulen und der Unterricht in heterogenen Lerngruppen die bessere Förderung aller Kinder ermöglichen.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Er zeigt auch, dass die Grundschule und die vorschulische Arbeit von zentraler bildungspolitischer Bedeutung für die Entwicklung der Schüler und Schülerinnen sind. Ich glaube, an dieser Stelle sind wir uns, zumindest was die verbale Aussage betrifft, alle in diesem Hause einig. Alle Konzepte zur Qualitätsentwicklung in der Grundschule,

die das Ziel haben,soziale Ungleichheiten abzubauen und gleiche Startchancen für die Kinder herzustellen, finden deshalb unsere Unterstützung.

Leider finden wir hier in den vergangenen Jahren wenig Vorzeigbares an Innovationen in hessischen Grundschulen. Statt die Förderung auszubauen und den Grundschulen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, orientiert sich die hessische Schulpolitik inzwischen fast nur noch an der Erfüllung der Stundentafel. Dies ist ein Begriff, den die Kultusministerin wie ein Feigenblatt ständig als Beweis ihrer angeblich so fortschrittlichen Schulpolitik vor sich herträgt.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ressourcen für Fördermaßnahmen im Unterricht werden dagegen abgebaut.So werden die Vorlaufkurse für Kinder mit Migrationshintergrund vor dem Schuleintritt,die Frau Kölsch auch erwähnt hat, zum Teil mit dem Personal durchgeführt, das bisher den Schulen mit einem hohen Anteil an Migrantenkindern für eine zusätzliche Förderung in den Grundschulklassen zur Verfügung gestellt wurde. Das ist ein Verschiebebahnhof. Das geht zulasten der Grundschulkinder. Es ist keine Maßnahme zur Verbesserung der gesamten Situation. Wenn es überhaupt Vorlaufkurse geben soll, dann brauchen wir dafür zusätzliches Personal und zusätzliche Ressourcen, damit diese ordentlich durchgeführt werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein wirkungsvollerer Baustein zur Qualitätsverbesserung wäre hier – ich weiß, dass Sie das von uns langsam schon nicht mehr hören können –, den Grundschulen die Möglichkeit zu geben, sich zu Ganztagsschulen zu entwickeln und diese pädagogische Konzeption in ihre Arbeit einzubauen.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Stattdessen werden jetzt auch in der Grundschule weitere Auslesemechanismen eingeführt, die das Ziel haben, die Kinder nach vier Jahren in das richtige Töpfchen zu stecken. Ein verbindliches Übergangsprofil auf die nächste Schulform soll entwickelt werden. Frau Hinz hat schon darauf hingewiesen, dass aber gerade ein Ergebnis von IGLU ist, dass die bisherigen Auswahlmechanismen für den Übergang auf eine andere Schulform weitgehend versagt haben. Nicht die Bildungsfähigkeit, sondern die soziale Herkunft entscheidet noch allzu oft über die schulische Karriere eines Kindes. Das ändern Sie nicht, indem Sie versuchen, die Auswahlkriterien noch mehr zu standardisieren.

Immerhin hat die CDU inzwischen auch die Bedeutung der Vorschulerziehung entdeckt. Ich kann Ihnen damit Ihre Anmerkung wieder zurückgeben. Frau Kölsch, wir begrüßen die Absicht, einen Bildungs- und Erziehungsplan zu erstellen.Wir erwarten aber auch, dass er uns vorgelegt wird. An allererster Stelle erwarten wir aber, dass mit diesem Bildungs- und Erziehungsplan auch Umsetzungsstrategien entwickelt werden, die besagen, wie man die Inhalte des Bildungs- und Erziehungsplanes dann auch den Kindern vermittelt.

Wir sind weiterhin der Auffassung, dass über ein verbindliches Vorschuljahr, wie wir es vorgeschlagen haben, das personell mit der Grundschule verzahnt wird, sowohl Spracherwerb als auch die Entwicklung von grundlegenden Kompetenzen und Arbeitstechniken besser gefördert werden können.

Frau Kölsch, Sie haben es vorhin schon angesprochen. Das, was bisher nur für Migrantenkinder passiert, ist völlig unzureichend, nicht nur beim Spracherwerb, sondern auch bei der gesamten Vorbereitung auf Schule; denn deutsche Kinder haben auch vermehrt Probleme beim Übergang in die Schule.Ich glaube,das muss ich hier nicht noch näher erläutern.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Erforderlich wird es auch sein, die Ausbildung der Erzieher und Erzieherinnen zu reformieren und vor allen Dingen aufzuwerten. Ein Blick zu den Spitzenländern von IGLU und PISA zeigt, dass die Ausbildung von Lehrern an Schulen und Vorschuleinrichtungen in anderen Ländern auf gleichem Level stattfindet. Dieser Punkt fehlt mir übrigens im Antrag der GRÜNEN, die zwar zu Recht die Reform der Lehrerausbildung ansprechen, aber den Vorschulbereich aussparen.

Meine Damen und Herren, Vorschulerziehung, mehr Ressourcen in der Grundschule und Ausbildungsreform sind, wenn man es richtig macht, sicherlich Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und deswegen auch gut und notwendig.Aber sie genügen nicht, um das Ziel der bestmöglichen Förderung aller Kinder zu erreichen; denn wir brauchen auch eine Erklärung dafür, dass nach Klasse 4 laut PISA-Studie ein Einbruch besteht.Ich möchte an dieser Stelle den Essener Bildungsforscher Klaus Klemm zitieren, der im „Zweiwochendienst der Kulturpolitik“ gesagt hat:

Die Politikempfehlung nach PISA, den Vorschulund Grundschulbereich zu stärken, ist auch nach IGLU nicht falsch. Aber dass man darüber den Einbruch in der Sek.I spürbar aufhalten kann,halte ich für eine Illusion.

Meine Damen und Herren, Weiterdenken ist deshalb gefragt. Deshalb ist auch für uns ein Ergebnis von IGLU, über das bestehende Schulsystem neu nachzudenken. Unser Ziel ist eine längere Periode gemeinsamen Lernens für alle Schüler. Von den meisten unserer europäischen Nachbarn können wir lernen, dass heterogene Lerngruppen die Bildungschancen starker Schüler nicht schmälern, sondern die Chancen aller erhöhen. Frühe Auslese führt dagegen nicht zu höheren Leistungen, sondern bestenfalls zur Mittelmäßigkeit. Ich denke, auch das haben uns die Ergebnisse der Studien gezeigt.

Wir werden deshalb in den folgenden Jahren einen Diskussionsprozess mit Fachleuten,mit Verbänden,mit Schulen, mit der Öffentlichkeit organisieren, an dessen Ende ein Schulmodell stehen soll, das in der Lage ist, die von PISA und IGLU aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

An dieser Stelle möchte ich auf den Antrag der GRÜNEN eingehen. Liebe Priska Hinz, der Vorschlag einer sechsjährigen Grundschule ist für uns in der Form ein Schnellschuss.