Protokoll der Sitzung vom 24.11.2004

Man kann sagen: Okay, es ist das Schicksal von Oppositionsanträgen, dass sie abgelehnt werden. Irgendwann übernimmt die Regierung diese Anträge und setzt sie um, wenn sie sinnvoll sind. – Sie machen aber noch nicht einmal das. Ich habe meine Rede damit begonnen, dass ich Ihnen im Interesse des Landes Hessen Nachdenklichkeit wünschte. Ich denke, es sollte Sie wirklich nachdenklich machen, wenn SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP,die mal mehr,mal weniger Gemeinsamkeiten haben, mehr oder weniger seriöse Vorschläge machen – manche setzen nämlich auf Einmaleffekte, indem sie das Landesvermögen komplett verkaufen wollen – und gemeinsam sagen: So, wie diese Landesregierung, dieser Ministerpräsident und dieser Finanzminister hier Politik machen, kann es nicht sein. – Das sollte Sie zumindest nachdenklich machen. Ich glaube, in einer Zeitung die Überschrift gelesen zu haben: So einig war sich die Opposition noch nie. – Das stimmt. Einen so vermurksten und verkorksten Haushalt, der das Geld an den falschen Stellen ausgibt und viel zu viele Schulden macht, können die Oppositionsfraktionen nicht akzeptieren. Wenn die Regierungsfraktion ihre Kontrollfunktion gegenüber der Regierung ernst nehmen würde, dann könnte auch sie diesen Haushaltsentwurf nicht akzeptieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Anträge der Opposition sind mal mehr, mal weniger seriös. Das kommt auf den Standpunkt der Betrachtung an. Sie haben aber eines gemeinsam: Sie sind alle seriöser als die Politik von Roland Koch und Karlheinz Weimar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Angesichts dieser Situation, angesichts der Probleme, die von Ihnen nicht gelöst werden, angesichts der Schulden, die Sie in den letzten sechs Jahren aufgetürmt haben, und angesichts der Blockadepolitik, die Sie trotzdem immer noch betreiben, sollten Sie den Hochmut, der Sie kennzeichnet, die Arroganz der absoluten Mehrheit, die Arroganz der absoluten Macht, die Sie in jeder der Gesetzesberatungen der letzten Monate an den Tag gelegt haben, endlich einmal ablegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hochmut kommt nämlich vor dem Fall.

(Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Herr Hoff, da jede Oppositionsfraktion gerne an die Regierung kommen würde, müsste ich eigentlich sagen: Machen Sie so weiter.– Ich sage aber:Machen Sie bitte im Interesse des Landes Hessen nicht so weiter. – Vielen herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Al-Wazir. – Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Da der Herr Kollege Walter gelegentlich versucht, Minuten in andere Maßeinheiten umzurechnen, dachte ich mir, es sei richtig, die Rednerinnen und Redner von Rot-Grün, die sich gelegentlich als Alternative zu der amtierenden Landesregierung gerieren, hier im Zusammenhang vortragen zu lassen, damit die Öffentlichkeit die Darstellungen kennen lernen und zusammenfügen kann.

(Beifall bei der CDU)

Ich gebe zu, hinsichtlich der Kollegen der FDP habe ich einen differenzierten Eindruck.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Alle sind Opposition. Das führt zu unterschiedlichen Ansichten.Aber mit den einen ist es möglicherweise leichter, zu Konsensen zu kommen, als mit den anderen. Das bestreite ich nicht.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist durchaus spannend, im Zusammenhang zu hören, was Sie beide gesagt haben. In einer wesentlichen Frage sind Sie sich einig – nämlich darin, dass Sie dringend mehr Geld brauchen,das Sie den Bürgern abnehmen wollen,indem Sie Abgaben und Steuern erhöhen. Beide haben Sie das vorgetragen.

Das kommt in unterschiedlicher Gestalt daher. Es gibt die Forderung nach einer Mehrwertsteuererhöhung bei Herrn Walter. Es gibt die Forderung nach Wiedereinführung der Hessensteuer, der Grundwasserabgabe, bei Herrn Al-Wazir. Beiden gemeinsam ist die Zustimmung zu Gesetzgebungsverfahren im Bund, die weitere Steuererhöhungen oder Zuwendungen auslösen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus unserer Sicht ist das nicht die richtige Alternative.

(Petra Fuhrmann (SPD): Ihre Alternative ist Schulden machen!)

Jeder muss wissen, bei Rot-Grün wird es teurer. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist durchaus eine Botschaft.

(Beifall bei der CDU)

Ganz spannend finde ich die unterschiedlichen Formen der Staatsintervention, die uns die beiden Herren vorgetragen haben.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Der eine möchte eine neue Industriepolitik machen, à la Sarkozy – solche Allianzen gibt es in Europa, schau mal einer an. Verehrter Herr Kollege Walter, nur müssen Sie sich dann einen Satz gefallen lassen. Ich weiß nicht, ob Sie mit Herrn Clement telefonieren,aber wenn Sie ihn am Telefon haben, dann tun Sie mir den Gefallen und sagen Sie ihm, aus der Sicht der Hessischen Landesregierung hätte man beim Thema Sanofi manches tun können.

(Beifall bei der CDU)

Es hilft mir nichts, dass der deutsche Wirtschaftsminister dem französischen anschließend sechs Wochen lang das gemeinsame Joggen verweigert, indem er immer wieder die Termine verschiebt – nachdem der Deal abgeschlossen ist. Möglicherweise wäre dabei eine Wahrnehmung deutscher Interessen möglich gewesen. Aber das hätte anders ausgesehen. Seien Sie also so freundlich, und hören Sie auf, hier Krokodilstränen zu weinen.

(Beifall bei der CDU)

Aber um die Industriepolitik schlüssig zu machen, ist die Fraktion der GRÜNEN nach wie vor dabei – darauf wird noch zurückzukommen sein –, die Infrastruktureinrichtungen infrage zu stellen. Der eine will das Geld für Kassel-Calden wegnehmen, an einer anderen Stelle ist es die Verkehrsinfrastruktur beim Straßenbau. Der Frankfurter Flughafen war es Ihnen beiden nicht wert, in Ihrer Rede erwähnt zu werden, aber auch dort haben die GRÜNEN eine schöne Blockadeposition, mit der man noch 40.000 Jobs vernichten kann.

(Beifall bei der CDU – Zurufe der Abg.Jürgen Wal- ter (SPD) und Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist die Ausgangsposition. Wenn das Wort, das ich aufnehme, richtig ist – „Generalabrechnung“ –, dann muss eine Regierung in der Tat damit leben, dass eine Opposition eher mit einer Regierung abrechnet, als dass wir einen Anlass haben, das umgekehrt zu tun. Ich glaube aber, dass die Unterschiede in den politischen Fragestellungen an dieser Stelle sichtbar werden.

Ich verstehe, dass die Oppositionskollegen sehr konzentriert darauf bedacht sind, Hessen zu einer Insel zu machen. Jede Erwägung, das habe etwas mit dem zu tun, was um uns herum geschieht, lehnen Sie ab. Deshalb hat es keiner für nötig gehalten, irgendeine der Zahlen zu nennen, die unser Bundesland mit den Finanzentwicklungen um uns herum vergleicht. Sie haben auch die Zahlen nicht in Zweifel gestellt, die zeigen, an welcher Stelle wir uns im Konzert der ökonomischen Entwicklung der Bundesländer befinden. Das ist dankenswert, denn darüber besteht

dann wohl kein Streit.Wenn man Ihnen zuhört,stehen wir unmittelbar vor dem Verfall.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch im ersten Halbjahr 2004 ist das Wirtschaftswachstum dieses Bundeslandes Hessen, nach Bayern, wieder das zweithöchste in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wer sich das über den Verlauf der letzten fünf Jahre anschaut, sieht: Wir sind die Zweitbesten in Deutschland – während der gesamten Regierungszeit, die unter meiner Ministerpräsidentschaft zu verantworten ist. Ich habe nicht die Absicht, mich dafür zu entschuldigen, sondern wir sind stolz darauf.

(Beifall bei der CDU)

Entgegen dem, was der Kollege Walter gesagt hat, haben wir eine sehr präzise Vorstellung davon, wo unsere ökonomischen Quertreiber sind: in der Logistik, in der Automobilindustrie, am Finanzplatz, in der Chemie, in der pharmazeutischen Industrie, in der Telekommunikationsund Informationstechnologie. Ich bedauere es sehr, dass wir im Augenblick bei dieser Vielfalt in einigen Bereichen Branchen haben, die uns Probleme bereiten. Ja, bei den Banken und Versicherungen und dem, was dahinter hängt, haben wir massiv Arbeitsplätze verloren – richtig. Im Augenblick kämpfen wir bei der Automobilindustrie mit einem unternehmensbezogenen Problem – dafür kann die Hessische Landesregierung wirklich nichts –, das ein hessisches Unternehmen stärker betrifft als ein bayerisches oder ein baden-württembergisches. Das zeigt sich in der Zahl. Deshalb ist diese Zahl richtig. Wir haben im Augenblick Sorge um die Arbeitsplätze.

Aber bei aller Freundschaft: Nach wie vor sind wir – unterschiedlich je nach Monat – der Dritt- oder Viertbeste bei der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und der geringsten Arbeitslosenrate in Deutschland. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht so, dass wir hinten sind, sondern wir sind bei den Vorderen dabei. Das ist gut für dieses Land, und Sie sollten wenigstens erlauben, dass wir das sagen.

(Beifall bei der CDU)

Aber all dieses Lob und dieser Stolz darauf, in welcher Verfassung wir sind, ändern nichts an den gigantischen Problemen, die wir haben. Das wollen wir gar nicht bestreiten. Wir haben eine extreme Verschuldenssituation, und wir schlagen vor, im nächsten Jahr Vermögen zu veräußern – im vergangenen Jahr haben wir das im geringeren Umfang schon getan. Das sind doch keine Äußerungen der Freude und der Zufriedenheit.Worüber wir reden – und das lohnt sich auch –, sind doch die Alternativen: Was wird vorgetragen? Ich werde etwas zu Ihren Anträgen sagen. Welche Folgen hätte das? Welchen konzeptionellen Ansatz haben wir?

Aber auch dort gilt: Bevor man das macht, muss man sich die Frage stellen: Welches Problem managen wir eigentlich gerade? Ist das ein Problem – das war Ihr Ansatz –, dass wir sagen, wir nehmen den Leuten zu wenig ab, und deshalb geht es dem Staat zu schlecht?

(Reinhard Kahl (SPD):Ach, Unsinn!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist grundfalsch. Die richtige Analyse ist: Das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist viele Jahre lang in einer Art und Weise zusammengebrochen, dass bei einer Fortsetzung dieser Entwicklung – die Erfahrung der letzten zwei Jahre hat

das bereits gezeigt – der Wohlstand dieses Landes, auch sein öffentlicher Wohlstand, nicht erhalten werden kann.

Manche Wirtschaftweisen sagen es, und man kann es auch in mancher Nachrichtensendung am Abend hören: Deutschland kann optimistisch vorausschauen – auch im nächsten Jahr gibt es ein Wirtschaftswachstum von 1,4 %.

1,4% Wirtschaftswachstum ist für dieses Land eine Katastrophe, eine schlichte Katastrophe.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Das wird zu dramatischen weiteren Einschnitten in die öffentliche Leistungsfähigkeit führen. Ich sage Ihnen gleich, wie diese Katastrophe in Geld aussieht. Aber als Erstes muss man fragen: Muss das sein?

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie hoch muss es denn sein? – Zuruf des Abg. Jürgen Walter (SPD))