Frau Wagner, ich teile mit Ihnen die Einschätzung und die Forderung danach, sich in seiner Gesellschaft unter einem gemeinsamen Dach von Grundwerten zusammenzufinden. Toleranz, Humanität und das Bekenntnis zu einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind solche Werte, auf denen unser Land aufbaut.
Unter diesem Dach muss es aber möglich sein, Verschiedenheit zum Ausdruck zu bringen. Die Freiheit muss bestehen, die eigene Kultur in diese Gesellschaft mit einzubringen.Meine Damen und Herren von der CDU,die Forderung nach einer christlichen Leitkultur fördert nicht die Integration, sondern vertieft Gräben und spaltet dieses Land.
Sie sollten endlich akzeptieren, dass das Zusammenleben verschiedener Kulturen unser Land bereichert und keine Bremse für die Entwicklung unserer Gesellschaft ist. Die Bremse ist einzig und allein die Angst vor Fremden, vor Anderssein. Dabei besteht die Gefahr, dass Integration misslingt. Herr Jung hat vorhin gesagt, die multikulturelle Gesellschaft sei gescheitert.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Da hat er Recht! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Helmut Schmidt hat das auch gesagt!)
Frau Wagner hat sich zu ähnlichen Äußerungen verstiegen. Die multikulturelle Gesellschaft existiert jedoch in diesem Land, und das seit Jahrhunderten.
(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Herr Schily warnt vor der multikulturellen Gesellschaft! Wissen Sie, was Sie reden?)
Wir sind seit Jahrhunderten ein Zuwanderungsland. Wir haben gemeinsam mit diesen Zuwanderern ein weltoffenes Land aufgebaut.
Herr Kollege Hahn, ich habe eben mit den Kolleginnen und Kollegen der CDU geredet. Das hätten Sie auch zur Kenntnis nehmen können. Es ist immer schlecht, wenn zwei Aktuelle Stunden sich in dieser Kürze mit zwei verschiedenen Strömungen auseinander setzen sollen.
Herr Lenhart, ich will Ihnen mit auf den Weg geben: Integration ist keine Einbahnstraße. Es geht darum, den Willen zur Integration zu fördern, aber nicht nur bei den Zuwanderern, sondern auch bei denen, die hier in diesem Land leben.
Das geht nur gemeinsam.Wir können nur gemeinsam ein Land entwickeln, in dem verschiedene Kulturen und verschiedene Wertevorstellungen friedlich zusammenleben können.
Letzter Punkt: die Sprache. Die Sprache ist eine notwendige Voraussetzung für Integration, aber sie ist keine hinreichende Voraussetzung.Hier brechen Ihre so genannten Integrationsmaßnahmen ab.
Sie verkaufen Sprachkurse und Vorbereitungskurse als Weg zu einer gelungenen Integration. Danach kommt nichts mehr.
Frau Wagner, ich will Ihnen noch etwas sagen: Die Zerstörung des herkunftssprachlichen Unterrichts in diesem Land,ihm keine Chance zu geben,einen neuen Weg zu gehen, gemeinsam mit anderen Kindern die eigene Sprache zu erhalten und weiterzuentwickeln, war ein falscher Weg in diesem Land.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Ruth Wagner (Darm- stadt) (FDP) und Hans-Jürgen Irmer (CDU))
Die eigene Identität kann man nur dann aufbauen, und man kann sich auch nur dann einbringen, wenn man noch über seine eigene Sprache verfügt.
Auch das ist eine Bereicherung für ein weltoffenes Hessen: hier viele Menschen zu haben, die in der Lage sind, auch viele Sprachen gut zu sprechen.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt in dieser Diskussion zu viele schrille, zu viele falsche und zu viele gefährliche Töne – das hat Krista Sager gestern zur Lage der Nation gesagt.
Frau Wagner, Ihr Beitrag ging genau in diese Richtung. Da fragt man sich, was Sie eigentlich 16 Jahre lang für die Integration gemacht haben.
Es ist eine fatale Diskussion zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in einer Lage, in der sich die Deutschen verunsichert fühlen, in der sie sich wirtschaftlich verunsichert fühlen und in der sie von Zukunftsängsten geprägt sind.
In diesem Klima pflegt die Hessen-CDU dieses Thema wieder intensiv, das sie mit ihrer Ausländerkampagne aufgebracht hat, dieses Jahr durchgehend, um von eigenem Versagen und von eigenen Schwächen abzulenken.
Wir hatten das Thema im Europawahlkampf, wir hatten das Thema über den Beitritt der Türkei, wir haben heute die Aktuelle Stunde. Ich kann Ihnen nur sagen:Wir leben in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, und dieser hat die Möglichkeiten, sich gegen alle Formen – aus welcher Richtung sie auch immer kommen – des gewaltbereiten und Gewalt predigenden Extremismus zu wehren.
Das Gleiche gilt auch für die Rechte von Frauen.Ich finde es immer lächerlich, wenn sich die CDU als Anwalt der Frauen darstellt, auf der anderen Seite aber die Frauenhäuser und Beratungsstellen für Migranten schließt, sich aber dann hinstellt und sagt, Sie tue etwas für Integration.
(Axel Wintermeyer (CDU): Das können Sie doch gar nicht vergleichen! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist in Ihren Augen das gleiche Niveau?)
Herr Lenhart, ich nehme an, dass Sie begeistert das Gesetz der rot-grünen Bundesregierung gegen die Zwangsheirat begrüßt haben.
Ich weiß nicht,ob Sie es überhaupt kennen.Das Gesetz ist verabschiedet worden. Da, wo rechtliche Möglichkeiten fehlen, werden sie geschaffen.