Protokoll der Sitzung vom 25.11.2004

Soweit man in Hessen bis 1999 überhaupt von Integration sprechen kann, so ist das, was passiert ist, über den Arbeitsmarkt erfolgt. Wenn der Arbeitsmarkt künftig weiterhin seinen Beitrag leisten soll, wird kein Weg daran vorbeiführen, dass in unserem Land für jeden selbstverständlich sein muss, dass Deutsch die Alltagssprache ist. Für Migrantenkinder wird diese Voraussetzung zusätzlich erschwert, wenn dieser Gedanke von ihren Eltern nicht gelebt wird, was sich auch im Medienkonsum widerspiegelt.

Deswegen ist es das richtige Signal der Hessischen Landesregierung, die Deutschförderkurse festzuschreiben und Schulanfänger zurückzustellen, wenn sie nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen.

Jetzt ist die Kenntnis der deutschen Sprache zwar eine Grundvoraussetzung, aber sie alleine wird nicht genügen, die Integration zu verwirklichen.Auch bei Migranten mit deutschem Pass wird es nicht gelingen, wenn ihr geistiges und kulturelles Zentrum nicht in Deutschland ist. Da haben wir das Problem, dass sich leider Parallelgesellschaften entwickeln, in denen die persönlichen Bedürfnisse – Arzt, Kaufhaus, Frisör oder Fahrschule – entsprechend befriedigt werden. Diese Strukturen scheinen sich immer weiter zu verfestigen.

An dieser Stelle muss aber klar sein, dass für dieses gesellschaftliche Bild, das nicht wünschenswert ist, die deutsche Rechtsordnung genauso gilt wie überall außerhalb dieser gesellschaftlichen Entwicklungen und dass diese Rechtsordnung nicht mit zweierlei Maß angewendet wird.

In der Vergangenheit hat sich gezeigt,dass gerade die Entwicklung in Parallelgesellschaften Fehlentwicklungen begünstigt wie die Diskriminierung von Frauen durch Zwangsheirat oder durch Benachteiligung in schulischer Ausbildung. In der Parallelgesellschaft fällt die islamistische Propaganda eher auf fruchtbaren Boden als in der integrierten Gesellschaft. Eine Verstärkung des aggressiven Verhaltens ist zu erfahren.

Wir müssen darauf reagieren, dass der Integrationswille bestimmter Teile in unserer Gesellschaft nicht ausreichend ausgeprägt ist. Der Glaube, Integrationsangebote zu unterbreiten, und die Integration funktioniere dann schon von selbst, ist schlichtweg ein Irrglauben. Es muss durch deutliche Artikulation hinzukommen, dass eine Integrationserwartung in unserer Gesellschaft besteht und dass wir von einer Integrationspflicht ausgehen. Wer auf Dauer in diesem Land leben will, muss zunächst einmal aus eigener Initiative und eigener Verantwortung wesentliche Integrationsleistungen erbringen. Der Sozialstaat kann hier zwar unterstützend tätig werden, aber er kann nicht die künftigen Herausforderungen und Lasten den Betreffenden abnehmen.

Es gäbe hier sicherlich noch viel zu sagen. Aber ich möchte es erst einmal auf diese Ausführungen beschränken. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat die Frau Kollegin Ruth Wagner, FDP-Fraktion.

Meine Damen und Herren! Wir erleben in den letzten Tagen, wie ich finde, einen Wendepunkt in der Integrationspolitik in der Frage des Miteinanders von Kulturen. Das erleben vor allem SPD und GRÜNE. Es war über Jahrzehnte in einem geteilten Deutschland in einer kleinen westdeutschen Republik möglich, sozusagen im Windschatten der globalen Auseinandersetzung ein gesellschaftliches Experiment der so genannten multikulturellen Integration, wenn es denn eine war, oder einer multikulturellen Gesellschaft zu machen.

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der eine Mord in Holland hat eine Diskussion in Deutschland ausgelöst, die wir seit Jahren hätten haben können;

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

denn FDP und CDU haben mit unterschiedlichen Ansätzen, aber im Ziel einig, immer darauf hingewiesen, dass selbstverständlich – dabei sind wir in der Frage der Zuwanderung völlig anderer Meinung – –

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Hören Sie erst einmal zu, bevor Sie schreien.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sagt die Richtige! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Hessen hat auch heute schon pro Jahr 6.000 Einwanderer, die wir ohne große Probleme und ohne Gewalttätigkeiten integriert haben.

(Beifall bei der FDP)

Das ist auch ein Verdienst aller vier Faktionen z. B. im Frankfurter Stadtparlament. Wir haben zum Glück keine gewalttätigen Situationen wie in anderen Ländern gehabt. Verehrter Herr Al-Wazir und Frau Waschke, wenn aber plötzlich der deutsche Bundeskanzler davon spricht, dass es ein Verbot für Lehrerinnen geben soll, Kopftücher im Unterricht zu tragen, wenn der EKD-Vorsitzende Wolfgang Huber fordert, dass Imame in deutscher Sprache in den Moscheen predigen sollen – das hätte auch die EKD vor Jahren nicht gesagt; ich weiß, wovon ich rede –, wenn Herr Trittin in der letzten „Frankfurter Sonntagszeitung“ erklärt, Multikulti sei gescheitert, dann sind das doch alles keine FDP- oder CDU-Mitglieder. Frau Beck spricht davon – ich erinnere mich an eine Diskussion vor fünf Jahren –, dass der muttersprachliche Unterricht gescheitert ist, der in Hessen 600 Lehrerstellen verbraucht hat, die für Deutschunterricht ab dem Kindergarten besser verwendet worden wären.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir haben das doch schon vor Jahren eingesehen. Sie erklären, Sie hätten jetzt etwas gelernt. Meine Damen und Herren, wir sind kein Experimentierfeld für GRÜNE und SPD. Das will ich deutlich sagen.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Anerkennung von Verschiedenheit setzt doch voraus, dass ich Toleranz und Achtung vor einer anderen Religion habe.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Al-Wazir, deshalb habe ich größten Respekt,

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn die größte nicht christliche Minderheit eine Riesendemonstration alleine in Köln am letzten Wochenende durchgeführt hat, die bekundet:Wir gehören in diese Gesellschaft. – Es ist nicht zu kritisieren, dass sie das alleine getan haben. Das ist ein Beitrag zu ihrem Bekenntnis zum deutschen Verfassungsstaat.

Meine Damen und Herren,darüber sollte man sich freuen und nicht wieder sagen: Multikulti wäre uns lieber, es wäre besser,wenn noch ein paar Christen mitgelaufen wären.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU – Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, der Ansatz ist falsch gewesen, und SPD und GRÜNE sollten das endlich zugeben. Was Herr Al-Wazir vorgetragen hat, trifft genau das Thema: „Haltet den Dieb“. Das ist falsch. Wir müssen die Verschiedenheit der Religionen und der Kulturen anerkennen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, genau!)

Dann wird es auch allen einleuchten, die daran Interesse haben, sei es der „Focus“, seien das die berühmten Damen, die uns jeden Sonntag im deutschen Fernsehen erklären, wie Politik geht, seien das auch Sprecher der christlichen Religionen, ich sage das ganz bewusst, und andere. Am Ende muss man sagen: Die deutsche Verfassung, die Hessische Verfassung, das ist unsere Leitkultur. Verfassungspatriotismus, das ist es, was wir einfordern.

(Beifall der Abg. Hans-Jürgen Irmer und Clemens Reif (CDU))

Das ist nichts Neues, das sind keine neuen Werte, sondern die, die wir uns nach der Nazidiktatur in Hessen und auf Bundesebene erkämpft haben.

Meine Damen und Herren, jeder Gewaltbereite, ob er ein Nazi ist oder ein Islamist, ist einer zu viel in Deutschland.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU – Zu- rufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen als Liberale ganz genau: Wir sind uns der Last der Geschichte sehr wohl bewusst. Ich finde es unerhört, dass nicht nur die NPD in den Sächsischen Landtag eingezogen ist, sondern dass auch anders gewählte demokratische Abgeordnete diesen Menschen als Ministerpräsidentenkandidaten gewählt haben.

(Zurufe der Abg. Ursula Hammann und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Frömmrich, woher wissen Sie eigentlich, wer das war? Ich will Ihnen etwas sagen: Wer immer es war, aus welcher Fraktion auch immer, hat von der Demokratie nichts verstanden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Frau Kollegin Wagner, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. – Ich will es zusammenfassen. Ich finde, es ist an der Zeit, dass ehrlich umgegangen wird mit einem Land, das ein Einwanderungsland ist, in dem wir aber auch erwarten, dass die Einwanderer, die hierher kommen, unsere Kultur, unsere Geschichte, unsere Tradition und die Verfassung anerkennen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, ich bitte, auch bei den notwendigen Zwischenrufen etwas auf die Wortwahl zu achten.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber wenn die FDP mit Liberalität nichts mehr zu tun hat! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat die Frau Kollegin Habermann, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist bedauerlich, aber nicht verwunderlich, dass die hessische CDU die dumpfen Parolen der bayerischen Welle begierig aufgreift und dazu heute eine Aktuelle Stunde zur Integration beantragt hat.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ei, ei, ei!)

Neu ist allerdings, dass die hessische FDP sich auf ähnliches Niveau begibt – Frau Wagner, so in Teilen Ihrer Rede.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)