Protokoll der Sitzung vom 25.11.2004

Viele Beratungsstellen in Hessen mussten deshalb schließen. Wir brauchen also ein Umdenken in den Köpfen. Es ist unserem Land gegenüber unverantwortlich, dass Christdemokraten aus ideologischen Gründen Feindbilder stellen und Ängste schüren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, seien Sie sehr vorsichtig: In Deutschland haben schon einmal Asylantenwohnheime gebrannt. – Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie damit auf.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Al-Wazir, der Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf die CDU ist Verlass. Man kann sich sicher sein, dass die hessische CDU, sobald eine Debatte beginnt, die irgendetwas mit den Worten „fremd“ – besser ist aber noch „Ausländer“ oder „Muslime“ – zu tun hat, sofort eine Aktuelle Stunde beantragt. Bitte sehr.

(Volker Hoff (CDU): Diese Aktuelle Stunde hat doch die FDP-Fraktion beantragt!)

Ja, die FDP-Fraktion hat dazu auch eine Aktuelle Stunde beantragt. Herr Kollege Hoff, die beiden Aktuellen Stunden wurden aber gemeinsam aufgerufen.

Ich glaube, wir sollten zu diesem Thema ernsthaftere Diskussionsbeiträge liefern, als es Herr Kollege Jung getan hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie haben die Weisheit mit Löffeln gefressen!)

Herr Kollege Hahn, momentan erleben wir, dass es geradezu – so würde ich das sagen – eine Hysterie der Medien zum Thema Islam gibt. Wir müssen uns doch fragen, wie wir damit umgehen wollen,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): So wie Herr Trittin und Herr Ströbele!)

ob wir diese Hysterie verstärken wollen oder ob wir uns um das kümmern wollen, was eigentlich unsere Aufgabe ist. Eigentlich sollten wir auf der einen Seite sagen, wo es keine Probleme gibt.Auf der anderen Seite sollten wir sagen, wie man die Probleme lösen kann, die es gibt. Das ist die ehrenvollste und beste Aufgabe der Politik.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Dann fangen Sie einmal damit an!)

Herr Kollege Hahn, ich glaube, wir sollten in diesem Zusammenhang aufpassen und uns einmal anschauen, was für Bilder wir eigentlich stellen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Genau,das ist sehr richtig! – Frank Gotthardt (CDU): Da müsst ihr aufpassen!)

Zum Beispiel hat das Wort „Parallelgesellschaften“ etwas Ausgrenzendes.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Multikulti!)

Das Wort „Parallelgesellschaften“ wurde von einem Sozialwissenschaftler namens Wilhelm Heitmeyer 1996 erfunden.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Herr Schröder hat den Begriff übernommen!)

Meinetwegen hat Herr Schröder den Begriff übernommen.Auch ich spreche jetzt davon.

Ich sage aber: Die spannende Frage dabei ist, was für ein Bild wir damit eigentlich nach außen produzieren. In Deutschland bekennen sich 3,2 Millionen Menschen zum muslimischen Glauben. Über 14 % der Bürgerinnen und Bürger Hessens haben keinen deutschen Pass. Da stellt sich doch die Frage: Glauben wir ernsthaft, 14 % der Bevölkerung Hessens oder – ich nehme jetzt einmal nur die Muslime – 3,2 Millionen Menschen in Deutschland lebten in Parallelgesellschaften? – Nein, das tun sie nicht.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das hat auch keiner vorgetragen!)

Ich finde,das muss in dieser Debatte noch einmal deutlich gesagt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich glaube auch ich, dass wir bei der Integration noch viel zu tun haben. Auch darüber besteht kein Streit: Natürlich ist das Beherrschen der Sprache eine Voraussetzung für die Integration. Es muss also entsprechende

Sprachkenntnisse geben. – Machen Sie sich aber doch nichts vor: Es gibt Menschen, die können perfekt Deutsch und werden in dieser Gesellschaft trotzdem Schwierigkeiten haben. Denn diese Gesellschaft hat es bis heute nicht verstanden – hier war immer von Fremden die Rede –, dass der Islam inzwischen ein Teil dieser Gesellschaft ist. Das wird er auch bleiben.

(Beifall des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen noch etwas anderes sagen. Das Titelbild des in dieser Woche erschienenen „Focus“ zeigt das Problem auf. Da steht: „Unheimliche Gäste“. Das ist genau das Problem. Diese Gesellschaft hat nicht verstanden, dass es inzwischen Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gibt, die sich auch dazu bekennen, Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu sein, die muslimischen Glaubens sind. Das sind keine Gäste mehr. Sie sind Teil dieser Gesellschaft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen sage ich Ihnen: Ja,Terror und Gewalt, egal wer das ausübt, dürfen in dieser Gesellschaft keinen Platz haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Ja, das ist völlig unstreitig. Das gilt unabhängig davon, wer das ausüben will. Ich bin froh darüber, dass es am letzten Wochenende eine Demonstration der Muslime gab. Ich hätte es besser gefunden, wenn diese Demonstration gegen Terror und gegen Gewalt auch Integration und Zusammenleben zum Thema gehabt hätte. Denn ich weiß, dass es natürlich viele Muslime gibt, die sich fragen: Warum soll ich mich dauernd von irgendetwas distanzieren, was ich gar nicht unterstütze? – Herr Kollege Hahn, wenn in Nordirland ein Katholik einen Bombenanschlag begeht, fordert auch niemand Bischof Kamphaus auf, sich zu distanzieren.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Irische Terroristen sind auch nicht in Deutschland!)

Frau Kollegin Wagner, nein, wir müssen darauf achten

Herr Kollege Al-Wazir, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss meiner Rede –, dass wir hier nicht eine Religion unter Generalverdacht stellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Denn das würde das Gegenteil von dem bewirken, was wir alle gemeinsam wollen.

Herr Präsident, ich komme zu meinen letzten Sätzen. – Ich bin dafür, dass wir den Islam im wahrsten Sinne des Wortes einbürgern. Die hessische CDU tut seit sechs Jahren aber alles, um zu verhindern, dass es in deutschen Schulen Islam-Unterricht gibt, weil sie sich Herrn Irmer als bildungspolitischen Sprecher leistet. Meine Damen und Herren, Sie sollten deswegen hinsichtlich der Integration schweigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Vielen Dank.– Das Wort hat Herr Kollege Lenhart für die CDU-Fraktion.

(Clemens Reif (CDU): Herr Präsident, hier wird ein neues Feindbild aufgebaut!)

Es ist schwierig, in den verbleibenden Minuten ein solch komplexes Thema wie Integration der Migranten und der Deutschen mit Migrationshintergrund zu behandeln. Das ist schon ein komplexes Thema. Aber ich denke einmal, diese Aktuelle Stunde gibt die Gelegenheit – –

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Herr Präsident!)

„Herr Präsident, meine Damen und Herren“ war an dieser Stelle der Rede vorgesehen.

(Beifall des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP) – Heiterkeit der Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU) und Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Ich muss doch ein bisschen die Aufmerksamkeit erhöhen. – Diese Aktuelle Stunde gibt sicherlich die Gelegenheit, die in der Vergangenheit nicht offene und sachbezogene Behandlung des Themas hier zu besprechen. Geboten wäre das Gegenteil gewesen. Es ist bedauerlich, dass erst ein Vorfall, wie er in Holland geschehen ist, uns die Augen öffnet, wie denn in unserem Lande die Situation hinsichtlich der Integration tatsächlich ist und wie sich die Situation und auch die Chancen auf Integration darstellen. Das mussten auch wir hier erfahren.

Was ist die Ausgangslage? Man hat Gastarbeiter, ungelernte Arbeitskräfte,gesucht und in unser Land geholt.Sie wurden vorwiegend in der Schwerindustrie, in der industriellen Massenfertigung und in der Automobilindustrie eingesetzt.

Jetzt brechen seit geraumer Zeit im industriellen Sektor die einfachen Arbeitsplätze weg. Für viele ausländische Arbeitnehmer bedeutet dies mittel- und langfristig die Abkopplung vom Arbeitsmarkt. In der Konsequenz besteht das Problem darin, dass die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft Gastarbeiter und ihre Nachkommen nicht mehr aufnehmen kann, weil über die Jahre hinweg die notwendigen Qualifikationen nicht erworben wurden.

Soweit man in Hessen bis 1999 überhaupt von Integration sprechen kann, so ist das, was passiert ist, über den Arbeitsmarkt erfolgt. Wenn der Arbeitsmarkt künftig weiterhin seinen Beitrag leisten soll, wird kein Weg daran vorbeiführen, dass in unserem Land für jeden selbstverständlich sein muss, dass Deutsch die Alltagssprache ist. Für Migrantenkinder wird diese Voraussetzung zusätzlich erschwert, wenn dieser Gedanke von ihren Eltern nicht gelebt wird, was sich auch im Medienkonsum widerspiegelt.