Protokoll der Sitzung vom 14.12.2004

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie alle zu der heutigen Plenarsitzung recht herzlich begrüßen. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Plenums fest.

Erledigt sind die Tagesordnungspunkte 1, 2, 3, 5, 6, 7, 9 und 11. Tagesordnungspunkt 36 wurde zur abschließenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr und an den Innenausschuss überwiesen.

Von der Tagesordnung abgesetzt und für die Plenarsitzungen im Januar vorgesehen wurden die Tagesordnungspunkte 31, 41 und 54.

Auf Ihren Plätzen finden Sie 27 Änderungsanträge zum Haushalt 2005 vor, die dem Haushaltsausschuss zu seiner heutigen Sitzung im Anschluss an das Plenum überwiesen wurden. Außerdem finden Sie einen Dringlichen Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Zukunft der Universitätskliniken, Drucks. 16/3414, vor. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Dies ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 93 und wird zusammen mit den Tagesordnungspunkten 22, 62 und 91 aufgerufen.

Damit können wir in die Tagesordnung für die heutige Sitzung eintreten. – Ich rufe Tagesordnungspunkt 22, den Setzpunkt der SPD, auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Privatisierung des Klinikums Gießen – Drucks. 16/2595 –

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 62:

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Zukunft der hessischen Hochschulmedizin sichern und verantwortungsvoll gestalten – Drucks. 16/3326 –

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 91:

Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend zukünftige Entwicklung der Hochschulmedizin an den Standorten Marburg und Gießen – Drucks. 16/3374 –

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 93:

Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Zukunft der Universitätskliniken – Drucks. 16/3414 –

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Ministerpräsident eine Regierungserklärung angekündigt. Herr Ministerpräsident Koch, ich darf Ihnen das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der Tatsache,dass wir über einen sehr präzisen Ansatz des Antrags, über den die Landesregierung beraten hat, sprechen, und angesichts der Tatsache, dass morgen die Aufsichtsräte der beiden Universitätsklinika tagen und die Vertreter der Landesregierung dort eine untereinander abgestimmte Position vertreten werden, halte ich es für angemessen, Sie zu Beginn der Debatte über die Einschätzung der Landesregierung zu unterrichten.

Ich habe nach einer ausführlichen Beratung mit den Kabinettskollegen, auch mit denjenigen, die, wie der Finanzminister und die Sozialministerin, im Rahmen der Krankenhausplanung fachlich damit befasst sind, einem Vor

schlag meines Kollegen Corts zugestimmt. Demnach ist die Richtlinie der Landesregierung in dieser Frage, dass wir in den ersten Monaten des Jahres 2005, also in Kürze, einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Zusammenfassung der derzeitigen Universitätsklinika in Gießen und Marburg zu einer gemeinsamen Anstalt des öffentlichen Rechts regelt. Diese Anstalt des öffentlichen Rechts soll zum 01.01.2006 in eine private Betreiberschaft übergehen, die vorher ausgeboten wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Aus der Sicht der Landesregierung wird damit eine zentrale Zukunftsentscheidung getroffen. Wir werden mit dem hochschulmedizinischen Zentrum in Mittelhessen eine Klinik an zwei Standorten haben. Aber es wird ein gemeinsames wissenschaftliches und betriebswirtschaftliches Konzept geben, das dieses hochschulmedizinische Zentrum zu dem fünftgrößten in der Bundesrepublik Deutschland macht: attraktiv für die Wissenschaft und attraktiv für Forschung und Lehre. Zugleich erhält es eine betriebswirtschaftliche Struktur, die sicherstellt, dass wir die Herausforderungen, die in den nächsten Jahren in Form von Krankenversicherungssystemen, Fallpauschalen und DRGs – wie immer sie auch heißen mögen – auf uns zukommen, bewältigen können. Damit wird die zentrale Funktion, die die Kliniken in Mittelhessen sowohl für die Versorgung der Patienten als auch als Arbeitgeber haben, für die Zukunft gesichert.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Seit etwas mehr als einem Jahr wird an beiden Standorten diskutiert.Wir haben mit allen Beteiligten über alle denkbaren Konzepte ausführlich diskutiert, sodass kein Argument unerwähnt geblieben ist und alle Aspekte gegeneinander abgewogen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden konnten.Ich denke,jedem sind im Laufe dieser Diskussion, für die ich mich sowohl bei den Vertretern der Universitäten, die sich dort eine Meinung gebildet haben, als auch bei den Vertretern der betroffenen politischen Körperschaften zu bedanken habe, zwei Punkte klar geworden.

Die Universitätsklinika in Gießen und in Marburg haben eine besondere Funktion sowohl für den Ausbau der Spitzenmedizin an diesen beiden Standorten als auch für die wirtschaftliche Entwicklung und damit einhergehend für die Sicherung der Arbeitsplätze in Mittelhessen. Das ist in dieser Dimension durchaus ungewöhnlich. Die beiden Kliniken sind mit ihren insgesamt fast 10.500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 600 Millionen c der dominante Arbeitgeber und sorgen damit für eine Konzentration der Wirtschaftskraft in der mittelhessischen Region.Sie gehören zu den zentralen, attraktiven Anziehungspunkten in dieser Region.

Es ist die Aufgabe der Landespolitik, sicherzustellen, dass dies auch in Zukunft gewährleistet ist. Das kann aber nur gewährleistet werden, wenn wir ebenfalls erreichen, dass die beiden Universitätsklinika, gemeinsam mit den Fachbereichen, an den Standorten in Gießen und Marburg in der Lage sind,d.h.groß genug sind,die wissenschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen und in kürzerer Zeit wissenschaftliche Ergebnisse auf den unterschiedlichsten Feldern hervorzubringen. Dazu müssen die Einheiten groß genug sein.

Auf der anderen Seite muss sichergestellt sein, dass daraus eine Betriebswirtschaft entsteht, die sicherstellt, dass die Kliniken ohne dauerhafte Betreiberzuschüsse geführt

werden. Das Land Hessen und andere Betreiber wären dazu nicht in der Lage.

Diese beiden Dinge zusammen bedeuten schlicht und ergreifend auch: Wir müssen in Zukunft dafür sorgen, dass Wachstum im medizinischen Sektor stattfindet. In Deutschland ist normalerweise eine Universitätsklinik für einen Einzugsbereich von 2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern definiert. In Mittelhessen haben wir die Situation, dass wir mit beiden Klinikstandorten 1 Million Einwohnerinnen und Einwohner versorgen. Wir haben also dort eine ungünstige Konstellation in Verhältnis von medizinischem Spitzenangebot zu der Zahl von Einwohnern.Wir werden das nur dann wirtschaftlich beherrschen können, wenn wir dafür sorgen, dass Menschen weit über diese Region hinaus diese Kliniken aufsuchen werden – wegen ihrer speziellen Möglichkeiten und Fähigkeiten sowohl in einer qualifizierten Krankenversorgung als auch in der Forschung und Entwicklung.

Wir sind überzeugt davon, nach allem, was wir diskutiert haben, dass die wichtigste Vorbedingung jeder Antwort ist, dass wir in Zukunft ein gemeinsames Konzept der beiden Standorte in Marburg und in Gießen entwickeln müssen. Beide Standorte müssen so verzahnt werden, dass sie eine gemeinsame Leistung erbringen.

Die medizinischen und die kaufmännischen Leitungen der beiden Kliniken haben in den vergangenen Monaten dafür bereits vorbildliche Arbeit geleistet. Mehr als 80 % aller Fragen der Aufteilung der zukünftigen Aufgaben sind bereits gelöst. Unabhängig davon, wie man in einer Frage der Trägerschaft entscheiden würde, müssen die übrigen, noch vorhandenen Fragen – ich bin sicher, das wird aufgrund der Gespräche auch geschehen – in den nächsten Wochen gelöst werden.

Diese beiden Klinika werden nicht alleine stehen. Das Universitätsklinikzentrum Mittelhessen wird in ein hochschulmedizinisches Konzept in Hessen eingebunden sein. Das bedeutet auch, dass eine Aufgabenteilung zwischen dem Schwerpunkt in Frankfurt und dem Schwerpunkt in Mittelhessen weiterhin Hauptbestandteil des Konzepts ist, so wie etwa die Frage der Ausbildung der nichtärztlichen Berufe mit der Konzentration in Gießen und einige andere Fragen bereits entschieden sind.

Wir können uns an vielen Stellen in der wissenschaftlichen Unterstützung – die Staatsaufgabe bleiben wird – nicht leisten, Dinge zweimal so zu machen, dass sie nicht wettbewerbsfähig sind, anstatt sie einmal so zu machen, dass sie internationale Exzellenz hervorrufen und damit Wachstum und Arbeitsplätze in unserem Land schaffen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dort haben die Verantwortlichen der drei Universitätsklinika in Gießen, Marburg und Frankfurt in den vergangenen Monaten Beachtliches geleistet. Wenn man bedenkt, was vor zwölf Monaten noch nicht möglich war und uns heute selbstverständlich als Konsens von allen, die Hochschulmedizin in Hessen betreiben, unterschrieben wird, dann sind wir schon ein gewaltiges Stück in die richtige Richtung vorangekommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es kann überhaupt kein Zweifel sein, dass diese Vereinbarungen und Grundlagen Bestandteil auch jeglichen Gesprächs und jeglicher vertraglicher Verabredung mit denjenigen werden, die als potenzielle Betreiber eines solchen Klinikums infrage kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind davon überzeugt, dass in dieser Konzeption sowohl die wissenschaftlichen als auch die betriebswirtschaftlichen Fragen in einer Weise gelöst werden, wie wir sie als Land Hessen alleine mit unserem Wissen, unseren Verbindungen und unseren finanziellen Ressourcen nicht lösen könnten.

Wenn man diese Entscheidung trifft, müssen einige verbindliche Grundbedingungen als verbindliche Zusage auch an die beiden Standorte Gießen und Marburg klar bleiben.

Das Erste ist: Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen bis zum Jahre 2010, wie sie die beiden Aufsichtsräte in Gießen und Marburg beschlossen haben,bleibt uneingeschränkt bestehen und wird in jedem Fall Vertragsbestandteil mit jedem Anbieter, mit dem wir in Verhandlung treten.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Es wird eine vertragliche Garantie der Sicherung der beiden Universitätsklinikastandorte in Gießen und in Marburg in der engen Kooperation mit den jeweiligen Fachbereichen der Medizin an beiden Universitäten geben.

Drittens. Wir werden vertraglich sicherstellen, dass sich die Betreiber bei Vertragsübernahme zu den notwendigen Investitionen zur Verbesserung und Herstellung von Wirtschaftlichkeit in Gießen, aber auch zu den notwendigen weiteren Investitionen zur Verbesserung der Wettbewerbssfähigkeit in Marburg – bei denen zwar im Augenblick ein großes Klinikumprojekt in der Endphase der baulichen Ausgestaltung ist, aber dies keineswegs das Ende der Investitionen in Marburg sein kann – in absehbarer Zeit verpflichten und damit schnellstmöglich ein Zustand hergestellt wird, der alle zufrieden stellt.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Meine Damen und Herren, in dem Zusammenhang will ich Ihnen klar sagen: Wir als Landesregierung erkennen den Investitionsbedarf am Universitätsklinikum Gießen ausdrücklich an.

(Petra Fuhrmann (SPD): Sie können es ja verkaufen!)

Man muss fairerweise sagen, dass dieser Investitionsbedarf unter anderem dadurch entstanden ist, dass in den Jahren 1993 bis 1996 jegliche weitere Zukunftsplanung für die Universität Gießen im baulichen Bereich des Klinikums eingestellt worden ist.

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD) – Clemens Reif (CDU):Aha!)

Meine Damen und Herren, dies steht übrigens in einem ziemlich engen Zusammenhang mit einer von der damaligen Wissenschaftsministerin vorgelegten Untersuchung, mit dem Versuch, aufgrund eines Gutachtens des Wissenschaftsrats, die beiden Standorte Gießen und Marburg zusammenzuführen. Daran ist damalige Regierungskoalition gescheitert, weil sie sich nicht zugetraut hat, dieses Projekt durchzusetzen.Am Ende hat sich in den Büchern gefunden, dass beide Kliniken formal selbstständig geblieben sind, aber eine faktische Austrocknung einer der beiden Universitätsklinika begonnen hat. Das ist der Zustand, den all diejenigen kennen müssen, die heute mit Krokodilstränen in Gießen herumlaufen und über den Investitionsstau reden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Deshalb schaffen wir unter den nicht einfachen wirtschaftlichen Bedingungen, die wir heute haben, an allen drei Standorten mit ausreichenden Investitionen, sowohl in Marburg als auch in Gießen, als auch in Frankfurt, Universitätsklinika, mit denen wir in den nächsten Jahrzehnten wettbewerbsfähig bleiben können.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Keiner dieser drei Standorte hat einen Nachteil.Alle drei Standorte haben in Zukunft davon einen Vorteil, was die Hochschulmedizin in Hessen angeht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dies betrifft selbstverständlich auch unsere Verpflichtungen. Die Investitionszusagen, die den Bio- und Lebenswissenschaften gemacht wurden,müssen eingehalten werden, um die Schwerpunkte der Universität abzusichern. Wir werden selbstverständlich mit jedem Betreiber die Frage des so genannten L4-Labors, also der Möglichkeiten der wissenschaftlichen Arbeit an den Schwerpunkten der Universität Marburg, erörtern. Wir müssen klären, was davon öffentlich-rechtliche Nutzung ist, die wir teilweise brauchen werden, und was privatrechtlich unter dem Gesichtspunkt von Forschung und Investition möglich ist.Wir werden in der Verpflichtung bleiben, sicherzustellen, dass die notwendigen Investitionen, die zum wissenschaftlichen Profil einer Universität beitragen,getätigt werden.