Protokoll der Sitzung vom 14.12.2004

(Wortmeldung der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Wollen Sie auch zur Geschäftsordnung sprechen? – Bitte sehr.

(Frank Gotthardt (CDU): Sie darf aber nur zur Geschäftsordnung sprechen!)

Zur Geschäftsordnung spricht Frau Kollegin Fuhrmann.

Meine Damen und Herren, ich möchte nachdrücklich den Antrag des Herrn Kollegen Jürgens und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen. Mitglieder der SPD-Fraktion haben an der Anhörung und der Demonstration, die heute stattgefunden hat, und auch an dem Gespräch, das es gegeben hat, teilgenommen.

Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Das Bundesgleichstellungsgesetz sieht vor, dass bis zum Jahr 2002 Ländergleichstellungsgesetze verabschiedet sein müssen. Dies hat die Regierung nicht getan. Wir haben jetzt das Ende

des Jahres 2004.Nunmehr kommt es wahrlich auf ein oder zwei Monate mehr nicht mehr an. Dann könnte ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, der den Anforderungen genügt. Das bayerische Gesetz oder das Gesetz in Rheinland-Pfalz etwa genügen diesen Anforderungen. Wir plädieren deshalb dafür, die Gesetzentwürfe von der Tagesordnung abzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Fuhrmann, herzlichen Dank. – Meine Damen und Herren, es wurde beantragt, beide Gesetzentwürfe abzusetzen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Dies sind die Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN. Gegenstimmen? – Dagegen gestimmt haben die Mitglieder der CDU und der FDP. Damit ist dieser Geschäftsordnungsantrag abgelehnt.

Ich rufe somit Tagesordnungspunkt 17 auf:

Dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Hessisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze – Drucks. 16/3355 zu Drucks. 16/3198 und zu Drucks. 16/1746 –

Dies erfolgt zusammen mit Tagesordnungspunkt 18:

Dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Hessisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze (Hessi- sches Behinderten-Gleichstellungsgesetz – HessBGG) – Drucks. 16/3356 zu Drucks. 16/3199 und zu Drucks. 16/2607 –

Berichterstatter zu beiden Gesetzentwürfen ist Frau Kollegin Dörr. – Frau Dörr, ich darf Ihnen hiermit das Wort erteilen.

Zu den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen gibt es Beschlussempfehlungen.

Ich fange mit der Beschlussempfehlung und dem Zweiten Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Hessisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze an.

Der Sozialpolitische Ausschuss empfiehlt dem Plenum, den Gesetzentwurf in dritter Lesung abzulehnen.

Der Gesetzentwurf war dem Sozialpolitischen Ausschuss in der 52. Plenarsitzung am 25. November 2004 nach der zweiten Lesung zur Vorbereitung der heute stattfindenden Lesung zurücküberwiesen worden.

Der Sozialpolitische Ausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 9. Dezember 2004 behandelt und ist mit den Stimmen der CDU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu dem zuvor genannten Votum gelangt.

Ich komme damit zu der Beschlussempfehlung und dem Zweiten Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Hessisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze.

Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, Drucks. 16/3241, einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 16/3282, und einen Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, Drucks. 16/3337.

Der Sozialpolitische Ausschuss empfiehlt dem Plenum, den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung der Änderungsanträge Drucks. 16/3241 und 16/3337 sowie des folgenden mündlich eingebrachten Änderungsantrags der Fraktion der CDU – die sich daraus ergebende Fassung ist aus der Anlage zu Drucks. 16/3356 ersichtlich – in dritter Lesung anzunehmen:

In Art. 2 Nr. 2.2 und Art. 4 Nr. 2 werden die Worte „behinderten und andere Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen“ durch die Worte „Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen“ ersetzt.

Der Gesetzentwurf sowie der Änderungsantrag Drucks. 16/3241 waren dem Sozialpolitischen Ausschuss in der 52. Plenarsitzung am 25. November 2004 nach der zweiten Lesung zur Vorbereitung der dritten Lesung zurücküberwiesen worden. Die Änderungsanträge Drucks. 16/3282 und 16/3337 waren dem Sozialpolitischen Ausschuss am 2. bzw. am 8. Dezember 2004 vom Präsidenten überwiesen worden.

Der Sozialpolitische Ausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 9. Dezember 2004 behandelt und ist mit den Stimmen der CDU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu dem zuvor genannten Votum gelangt.

Zuvor waren Nr. 1 des Änderungsantrags Drucks. 16/3241 mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP bei Stimmenthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, Nr. 2 und 3 mit den Stimmen der CDU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, Nr. 4 und 5 mit den Stimmen der CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP bei Stimmenthaltung der SPD und Nr. 6 einstimmig angenommen worden.

Der Änderungsantrag Drucks. 16/3282 war mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der FDP abgelehnt worden.

Der Änderungsantrag Drucks. 16/3337 war einstimmig angenommen worden, der von mir wiedergegebene mündliche Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP bei Stimmenthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN.

Mit den Stimmen der CDU und der FDP gegen die Stimmen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN war der Antrag der SPD abgelehnt worden, die Beschlussfassung über den Gesetzentwurf so lange zu vertagen, bis dem Ausschuss das Ergebnis der interministeriellen Arbeitsgruppe sowie ein oder zwei noch in Auftrag zu gebende Gutachten darüber vorliegen, inwieweit die Konnexität in Zusammenhang mit diesem Gesetz wirkt.

Das war die Berichterstattung zu den vorliegenden Gesetzentwürfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Volker Hoff (CDU): Das war eine sehr gute Berichterstattung! Sie war sehr sachlich!)

Frau Berichterstatterin, ich bedanke mich. – Als Erster hat Herr Kollege Dr. Jürgens das Wort. Ich weiß nicht, wie die Abstimmung war. – Es ist also doch so: Herr Dr. Jürgens hat das Wort.

Mit zur Beratung aufgerufen ist der Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucks. 16/3360.

Die Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Seid euch einig.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den die Mehrheit des Landtags heute verabschieden will, ist und bleibt ein Torso. Nach wie vor haben wir weder im Plenum noch während einer Ausschusssitzung eine nachvollziehbare Begründung dafür gehört,warum die Vorschläge der interministeriellen Arbeitsgruppe, die im letzten Jahr gemacht wurden, in keiner Weise umgesetzt werden sollen. Dort wurde ein ganzes Bündel an Vorschlägen unterbreitet, und eine Reihe davon haben wir in unseren Gesetzentwurf aufgenommen.

Wie wichtig es wäre, hier tatsächlich Regelungen zu treffen, konnten wir aktuell der Zeitung heute entnehmen; jedenfalls ich habe das getan. Es ist nämlich geplant, den Campus der Universität Frankfurt erheblich umzubauen. Dort gibt es bei der Herstellung der Barrierefreiheit unter anderem Probleme mit dem Denkmalschutz.

Wir hatten vorgeschlagen, in das Denkmalschutzgesetz eine Regelung aufzunehmen, in der Barrierefreiheit und Denkmalschutz miteinander abgewogen werden können. Das haben Sie verweigert, und deswegen gibt es jetzt diese Probleme.

Frau Dörr hat in der zweiten Lesung zu unserem Gesetzentwurf gesagt, wir präsentierten dort einen ganzen Wunschkatalog, und es handele sich hierbei – ich zitiere wörtlich – um „unerfüllbare Wünsche“. Frau Dörr, ich finde es nicht unerfüllbar,dass auch behinderte Menschen irgendwann einmal die Möglichkeit haben, völlig selbstständig den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ich halte es nicht für einen unerfüllbaren Wunsch, dass auch blinde Menschen eines Tages öffentliche Einrichtungen völlig selbstständig aufsuchen oder das Internet nutzen können. Ich halte es nicht für einen unerfüllbaren Wunsch, dass auch gehörlose Menschen an allen wichtigen Stellen auf andere treffen, mit denen sie sich mit oder ohne die Hilfe eines Gebärdensprachdolmetschers in ihrer eigenen Sprache – nämlich der Gebärdensprache – unterhalten können. Ich halte es auch nicht für einen unerfüllbaren Wunschtraum, dass so genannte geistig behinderte Menschen mit Lernschwierigkeiten eines Tages durch Verwendung einfacher Sprache und unter Ersetzung von Schrift durch Symbole gleichberechtigt am Leben der Gemeinschaft teilnehmen können. Alles das, was wir dort hineingeschrieben haben, sind keine unerreichbaren Wunschträume.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meine Damen und Herren, natürlich haben alle Menschen Träume, behinderte wie nicht behinderte Men

schen. Sie träumen dabei sehr oft – wahrscheinlich in der Regel – von Dingen, die zu gestalten jedem Gesetzgeber der Welt entzogen ist. Sicherlich wird es auch so sein, dass die meisten behinderten Menschen vielleicht von ein bisschen anderen Dingen träumen als die meisten nicht behinderten. Niemand weiß das, denn jeder hat nur seine eigenen Träume.

Die Möglichkeiten aber, unter denen Menschen ihre Träume wahr machen können oder eben nicht, können wir als Gesetzgeber beeinflussen.

Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf dabei auf halber Strecke stehen bleiben. Sie haben nicht den Willen, die Kraft oder den Mut, das jetzt Machbare tatsächlich anzupacken. Das ist der Unterschied, vor dem wir stehen.

Frau Dörr hat in der zweiten Lesung weiter gesagt, man könne nur schrittweise vorgehen und nicht alles auf einmal machen. Völlig richtig, Frau Dörr, genau das finden wir auch.Wir meinen, dass wir in unserem Gesetzentwurf die notwendigen Schritte beschrieben haben. Denn auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt, und der muss in die richtige Richtung führen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben beispielsweise vorgeschlagen, einen Stichtag im öffentlichen Personennahverkehr einzuführen,ab dem die neu in Betrieb gestellten Fahrzeuge barrierefrei sein müssen. Dann dauert es immer noch 30 Jahre, bis der gesamte öffentliche Personennahverkehr barrierefrei ist. Denn so lange dauert es, bis die letzten Fahrzeuge ausgemustert werden. Aber wir müssen mit diesem Schritt erst einmal beginnen.Wenn wir ihn – wie Sie – verweigern, bedeutet das, dass wir den Endpunkt noch weiter hinausschieben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Der Knackpunkt, der wesentliche Fehler in Ihrem Gesetzentwurf ist für uns weiterhin, dass die kommunale Familie – also die Gemeinden und die Gemeindeverbände – von allen Gleichstellungsregelungen freigestellt werden sollen. Darüber haben wir schon in der zweiten Lesung ausführlich diskutiert. Seitdem hat sich dieses Problem aber noch verschärft. Morgen werden wir über Ihren Gesetzentwurf zur so genannten Kommunalisierung der Landräte und der Oberbürgermeister debattieren. Dabei wollen Sie bisher staatliche Aufgaben – also Landesaufgaben – der Landräte auf die Kommunen verlagern. Das bedeutet natürlich gleichzeitig, dass Sie das Anwendungsgebiet Ihres Gleichstellungsgesetzes weiterhin einschränken. Es wird noch weiter an Bedeutung verlieren.

Sie selbst haben im Ausschuss einen Änderungsantrag eingebracht – dem haben wir dann auch zugestimmt –, womit Sie den ursprünglichen Grundsatz, dass ältere behinderte Menschen nicht gegen ihren Willen aus der gewohnten Umgebung herausgerissen werden dürfen, auf Behinderte jeden Alters erweitern. Das ist ein vernünftiger Grundsatz. Das ist nachvollziehbar, und das haben wir auch unterstützt.