Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der erste Schritt wäre, dass alle Schulen erst einmal die Kinder behalten, die sie haben, keine Querversetzungen mehr durchführen und auch das Sitzenbleiben durch eine Etablierung von Förderkultur vermeiden. Dann wären wir schon einmal einen ganzen Schritt weiter.Als Zweites müsste unserer Ansicht nach das Programm zum Ausbau der Ganztagsschulen sehr wohl forciert werden, damit Kinder mehr Zeit zum Lernen haben, was auch andere Formen des Lernens zulässt, sodass Projekte, fächerübergreifendes Arbeiten und Arbeitsgemeinschaften kultureller, musischer und sportlicher Art möglich sind.

Wir brauchen Schulen, die wirklich selbstständig werden. Sie loben sich in Ihrem Antrag wieder selbst. Es geht doch nicht nur darum, wie in Groß-Gerau, im Main-TaunusKreis, jetzt auch im Wetteraukreis und demnächst im Hochtaunuskreis, dass die Schulleiter ein kleines Budget erhalten. Es geht bei der Selbstständigkeit von Schule darum, dass sie schrittweise Personalhoheit erhalten und über ihre pädagogische und organisatorische Arbeit selbst bestimmen können.Warum muss man Schulen vorschreiben, wenn es Bildungsstandards gibt, nach welchem Stundenplan und nach welchem Lehrplan sie ganz genau in den nächsten drei Monaten in der 7. Klasse allen Kindern etwas Bestimmtes vermitteln müssen?

Wichtig ist, dass man Standards einzieht, dass an diesen Standards das System gemessen wird und dass man den Schulen frei gibt, je nach Entwicklungsfortschritt der Kinder, je nach Zusammensetzung der Schülerschaft diese Ziele zu erreichen. Das wäre echte Selbstständigkeit. Das wäre auch,die Schule in anderer Art und Weise in die Verantwortung zu nehmen, weil Lehrerinnen und Lehrer anders erweisen müssten, dass sie diese Förderkultur ernst nehmen und etablieren können, da sie an dem Ergebnis gemessen würden. Das ist aus unserer Sicht der richtige Ansatz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann könnten Schulen entscheiden, z. B. die Grundschule mit Förderstufe, ob sie sich zu sechsjährigen Grundschulen entwickeln wollen. Dann könnten sie entscheiden, ob sie statt äußerer lieber zu einer echten Binnendifferenzierung übergehen.Aber das sollen die Schulen, bitte schön, selbst entscheiden.Weil sie dafür natürlich Unterstützung brauchen – auch eine andere Lehrerweiterbildung –, kann man das nicht von heute auf morgen machen. Aber wenn man diese Art von Selbstständigkeit ernst nimmt, kann man Schulen Spielräume eröffnen. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit der Zuversicht, dass Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie diagnostische und pädagogische Kompetenzen haben und sie ernst nehmen,ihre Kinder so fördern, dass sie die bestmöglichen Bildungsziele erreichen und so mehr Kinder zu besseren Schulabschlüssen kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Hinz, Sie müssen zum Abschluss kommen.

Das müsste uns allen ein Anliegen sein. Ich schließe mit einem Zitat. Die GEW hören Sie nicht so gern. Den Landeselternbeirat hören Sie neuerdings auch nicht mehr so gern. Deswegen schließe ich mit einem Zitat von Herrn

Feuchthofen von der VhU. Er sagte in der „FAZ“ auf die Frage, wie lange das dreigliedrige Schulsystem eigentlich noch hält, das die VhU früher immer verteidigt habe:

Richtig, aber das ist heute im internationalen Qualitätsvergleich als Königsweg nicht mehr haltbar. Wir stehen als Wirtschaft im Wettbewerb und sind damit in eigenen Positionen lernfähig. Die PISASiegerstaaten wie Finnland, Schweden und Schottland setzen offensichtlich auf andere Erfolgssysteme. Dort überwiegt der integrative Unterricht.

Und als letzter Satz:

Es kommt auf die Einzelansprache an, auf das individuelle Fördern und Fordern jedes einzelnen Schülers. Diese Erkenntnis hat sich in der hessischen Schulpolitik leider noch nicht durchgesetzt.

Damit kann ich doch gut schließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat der Kollege Irmer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident,meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, die Ergebnisse der Studie, die jetzt vorliegt, bieten insgesamt gesehen sicherlich keinen Anlass zu irgendwelchen Jubelmeldungen.Aber sie bieten auch keinen Anlass,irgendwelche Horrormeldungen zu verbreiten. Man muss das insgesamt etwas differenzierter betrachten. Ich teile, was Prof. Dr. Mayer von der Justus-Liebig-Universität Gießen gesagt hat, dass im Grunde genommen der Erhebungszeitraum von der letzten bis zur jetzigen Erhebung, nämlich drei Jahre, zu kurz gewesen ist, um insgesamt entscheidende signifikante Veränderungen erzielen zu können.

Wir können feststellen, dass die Leistungen in Mathematik mittlerweile im Durchschnitt der getesteten Staaten sind. Das Gleiche gilt für das Lesen und für Naturwissenschaften. Eine Verbesserung ist damit einhergetreten, aber sicherlich – da sind wir uns vermutlich einig – kein Anlass,in irgendeiner Form in Jubelstürme auszubrechen. Dennoch sage ich:Die Tendenz ist insgesamt durchaus positiv. Wenn wir feststellen, dass wir im Bereich des Problemlösens im internationalen Vergleich auf Platz sieben gelandet sind, dann ist das sicherlich eine herausragende Leistungen, auf die sich lohnt, weiter aufzubauen.

Was aus unserer Sicht insgesamt durchaus schmerzhaft ist und einen Problembereich darstellt, das ist zum einen die Tatsache, dass die Leistungen relativ weit gestreut sind. Das heißt, es gibt einen relativ großen Prozentsatz von Jugendlichen, die im unteren Kompetenzbereich angesiedelt sind.

Das Zweite ist, dass es natürlich auch Aussagen darüber gibt, dass der Bildungserfolg auch vom sozialen Status abhängig ist.

Das sind zweifellos zwei Analysen, die wir bei dem zu berücksichtigen haben, was wir in Zukunft tun werden.

Wenn wir über die Streuung der Leistung sprechen, dann müssen wir auch festhalten, dass es bei den Kindern, die sich im unteren Leistungsbereich befinden, einen über

proportional hohen Anteil gibt,der aus Familien mit niedrigem sozialen Status kommt. Auf der anderen Seite findet sich dort ein relativ hoher Anteil junger Menschen nicht deutscher Herkunft. Der Anteil der Ausländer ist dort also relativ hoch. Das macht beispielsweise schon einen Unterschied etwa zu Finnland. Dort gibt es diese Problematik in dieser Form nicht.

Heute wird leider immer wieder eines vergessen. Das gehört aber zur Wahrheit.Da sollte man ehrlich miteinander sein.Auch das ist ein Ergebnis der PISA-Studie. Ein Ausländeranteil in einer Klasse von 20 % und mehr führt zu signifikanten Leistungseinbußen. Ich glaube, darüber muss man ehrlich miteinander reden und sich die Frage stellen:Was können wir tun, um dieses Problem zu lösen? – Man darf das nicht verschweigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage deshalb: Das, was unter Federführung der Kultusministerin eingeführt wurde,nämlich die Sprachvorlaufkurse,ist ein Erfolgsmodell.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Andere Bundesländer schauen sich mittlerweile an, was wir in Hessen gemacht haben.

Ich will mich jetzt nicht groß mit der Vergangenheit auseinander setzen. Aber auch das gehört zur Wahrheit. Es waren doch gerade die Roten und die GRÜNEN,die über viele Jahre massiv daran festgehalten haben,dass der muttersprachliche Unterricht verpflichtend erteilt wird. Sie wollten ihn ausbauen. Es wurde damals überhaupt nicht gewollt, dass zusätzlicher Deutschunterricht angeboten wird. Wir haben da in der Tat eine Kehrtwende vorgenommen und die Bedingungen verändert. Ich bin froh, dass Sie heute sagen: Das war richtig. – Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das war, als wir vor drei oder vier Jahren darüber diskutierten. Damals haben Sie uns vorgeworfen, wir wollten eine Zwangsgermanisierung.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Wort käme mir nie über die Lippen!)

Denn wir haben gesagt: Diese Kinder müssen Deutsch lernen. – Denn das ist die Grundvoraussetzung, um beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg haben zu können.

(Beifall des Abg. Rudi Haselbach (CDU))

Wir sehen uns in dieser Frage mittlerweile bestätigt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte auch nur wenige Sätze zum Thema Zuwanderungsgesetz sagen. Es enthält positive Aspekte; und es enthält negative Aspekte. Einen positiven Aspekt hat das Zuwanderungsgesetz sehr wohl. Es gibt jetzt nämlich die so genannte nachholende Integrationspflicht. Das halte ich für richtig. Im Klartext heißt das: Ab dem 1. Januar 2005 müssen nicht nur die, die neu hinzukommen, entsprechende sprachliche Kompetenzen erwerben. Vielmehr gibt es dann auch eine Verpflichtung für diejenigen, die schon hier sind, den Erwerb der sprachlichen Kompetenz nachzuholen, sofern sie noch nicht vorhanden ist. Das ist richtig. Denn es nützt nichts, wenn wir in der Schule oder im Vorfeld der Schule etwas machen, die Kinder dann aber nach Hause kommen und zu Hause praktisch – ich sage es jetzt einmal etwas überspitzt – nur Türkisch oder eine andere ausländische Sprache sprechen. Denn damit wird der schulische Erfolg zumindest infrage

gestellt. Deshalb ist das, was das Zuwanderungsgesetz im Zusammenhang mit der nachholenden Integrationspflicht vorsieht, aus unserer Sicht richtig.

(Beifall des Abg. Rudi Haselbach (CDU))

Liebe Frau Kollegin Henzler, Sie haben aus meiner Sicht zu Recht darauf hingewiesen, dass wir die Ganztagsangebote weiter ausbauen müssen. Daran arbeiten wir sukzessiv. Sie wissen genauso gut wie ich und eigentlich wie wir alle,wie die finanzielle Situation ist.Wir werden aber auch im neuen Jahr wieder zusätzlich etwas für die Ganztagsangebote machen. Wir haben da auch in den letzten Jahren konsequent etwas gemacht.

Ich gebe zu: Man kann darüber streiten, ob das Tempo schnell genug ist.Aber ich denke, wir haben eine Gesamtverantwortung, die auch den Haushalt betrifft. Sie sprachen von den Siebenmeilenstiefeln. Das wird aber leider sicherlich nicht in der Form machbar sein, wie wir uns das vielleicht sogar gemeinsam wünschen, sofern es sich um freiwillige Angebote handelt.

Auch in einem anderen Bereich will ich Ihnen ausdrücklich zustimmen. Dabei geht es um ein Thema, das ich vom Grundsatz her seit langer Zeit genauso sehe wie Sie. Es geht dabei um das Thema Schulassistenten. Deren Einführung ist in der Tat notwendig. Das sehe ich genauso. Das ist völlig unstrittig. Durch das neue Lehrerbildungsgesetz werden wir die Möglichkeit bekommen, dass die jungen Leute, die ihre Zwischenprüfung mit Erfolg absolviert haben, anschließend auf freiwilliger Basis in die Schulen gehen,um dort die Funktion der Schulassistenten zu übernehmen.Ich halte das für eine riesengroße Chance für beide Seiten, sowohl für die Schule als auch für die angehenden Referendare und Pädagogen. Sie haben dann die Möglichkeit, schon mal während des Studiums in die Schule hineinzuschnuppern, und können dort entsprechende zusätzliche Dienste versehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich füge hinzu:Als ich Student war, habe ich sogar regulären Schulunterricht erteilt. Denn damals gab es keine Englischlehrer. Trotzdem ist die Schule stehen geblieben. Ich glaube, dass das, was wir heute machen, in die richtige Richtung weist.

Allerdings müssen wir den Vorschlag der Bundesbildungsministerin, Frau Bulmahn, sehr scharf kritisieren, die Hauptschule ersatzlos abzuschaffen. So kann man mit der Hauptschule und den Kindern, die sich in der Hauptschule befinden, deren Eltern und den Lehrern an der Hauptschule nicht umgehen.

(Beifall bei der CDU)

Was sollen eigentlich die Schüler einer Hauptschule denken, wenn sie in der Zeitung lesen müssen, dass die oberste Bildungsministerin der Bundesrepublik Deutschland erklärt: „Eigentlich seid ihr überflüssig. Das, was ihr macht, ist alles Unfug. Das brauchen wir nicht“? Was sollen eigentlich die Lehrer denken, die ohnehin den schwierigsten Job in der Schule haben,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

wenn sie gesagt bekommen: „Euch brauchen wir nicht“?

Es gibt in der SPD ein klein wenig eine Tradition, gegen die Hauptschule anzugehen. Es waren in diesem Bundesland die Sozialdemokraten, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren viele Hauptschulen geschlossen haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang an Herrn Kollegen

Holzapfel erinnern, der am 24. Mai 1993 noch erklärt hat, die Hauptschule sei eines der strukturellen Probleme im dreigliedrigen Schulsystem. Was für Ergebnisse soll eigentlich eine Hauptschule erbringen,wenn der zuständige Bildungsminister die Hauptschule,für die er eigentlich die Verantwortung tragen sollte, so schlechtmacht und erklärt, sie sei ein Problem.

(Beifall des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Wenn es da ein Problem gibt, erwarte ich von einem Kultusminister, dass er versucht, das Problem zu lösen. Er hätte dann etwas für diese Schulart, die er als Problem ansieht, tun müssen. Das wäre konsequent gewesen.