Es ist gut, dass sich nach TIMSS der Unterricht in Mathematik und in den Naturwissenschaften anscheinend verändert hat. Das hängt eng mit dem BLK-Programm SINUS zusammen.
Im Übrigen:TIMSS wurde 1997 veröffentlicht.Also auch Rot-Grün war damals schon für Schulvergleichsstudien. Dann wurde auch SINUS noch begonnen und auf den Weg gebracht, ebenfalls unter Rot-Grün – nur, damit nachher nicht wieder Geschichtsklitterung betrieben wird.
Trotzdem sind viele Befunde von PISA doch so auffällig, dass sie uns alle zum Nachdenken zwingen sollten.
Einmal ist die Streuung der Leistungen von den Schwachen zu den Starken in Deutschland gegenüber anderen Ländern nach wie vor sehr hoch. Die Risikogruppen in Deutschland betragen mit 21,6 bis 23,6 % – je nachdem, welchen Bereich Sie nehmen – fast ein Viertel der Schülerschaft. Das heißt, sie haben kaum Chancen, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen.Nach wie vor bestimmt die soziale Herkunft den Bildungserfolg. Nach wie vor sind Migrantenkinder besonders häufig in Risikogruppen zu finden. Das ist doch die Dramatik dieser Ergebnisse, nicht dass wir in Mathematik jetzt im Mittelfeld liegen. Der Maßstab politischen Handelns muss es sein, dies zu verändern.
Es muss darum gehen, dass wir Kinder nicht systematisch abhängen, weil sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft nicht von zu Hause aus die besten Bedingungen für das Lernen haben,und dass wir sie nicht noch durch das Sitzenbleiben und die Querversetzungen zusätzlich demotivieren. Auch zum Sitzenbleiben hat PISA wieder etwas gesagt, nämlich dass unsere Streuung über die Jahrgänge im Vergleich zu den anderen Nationen viel zu hoch ist. Bei uns bleiben Kinder außergewöhnlich häufig sitzen, d. h. sie werden nicht so gefördert, wie das notwendig wäre.
Wir GRÜNE wollen nicht akzeptieren, dass fast 45 % der Hauptschülerinnen und Hauptschüler aus Elternhäusern der untersten sozialen Schicht kommen, aber nur 6,9 % aus der obersten Schicht, während im Gymnasium 52 % aus der obersten Schicht und nur 5,6 % aus der untersten Schicht stammen. Wir GRÜNE wollen auch nicht akzeptieren, dass es z. B. für den Kompetenzzuwachs in Mathematik von großer Bedeutung ist, welche Schulform Schülerinnen und Schüler besuchen, und das wiederum von den Merkmalen der sozialen Herkunft abhängig ist – und
Die CDU jedoch will diesen Zustand anscheinend akzeptieren und ausbauen. Sonst hätten Sie nicht das Schulgesetz so beschlossen, wie Sie das vor drei Wochen getan haben. Denn das Schulgesetz mit seinen Verschärfungen zur Querversetzung und der einseitigen Verkürzung der gymnasialen Schulzeit wird dazu führen, dass es für Kinder noch schwieriger wird, ihre Bildungspotenziale auszuschöpfen. Die Ausgrenzung ist durch das neue Schulgesetz vorprogrammiert.
Frau Wolff, Sie sagen, dass Hauptschule nicht als Restschule gelten soll, oder laut Ihrer Aussage aus der „FAZ“ vom 13.12. dieses Jahres sogar, dass sie als „Sprungbrett in die Berufsausbildung oder auf eine höhere Schule“ gelten soll. Da müssen Sie sich doch einmal anschauen, was in den Hauptschulen stattfindet, wer dort ist und wie das Lernen dort stattfinden kann. Wenn Sie jetzt noch ausweislich dieses „FAZ“-Zitates sagen: „Ich habe überhaupt keine Lust, es weiterführenden Schulen zu erleichtern, Schüler auf die Hauptschule zurückzuschicken“, dann haben Sie anscheinend das Gesetz nicht verstanden, das Sie selbst auf den Weg gebracht haben.
Denn mit der Querversetzung erleichtern Sie es Schulen natürlich, Kinder auf die Hauptschule zu schicken, wenn ihre Eltern nicht die Möglichkeit haben, sie zu unterstützen, ihnen Nachhilfe zu finanzieren, wenn das Fördersystem – das wir an unseren Schulen leider nicht haben – ihnen nicht helfen kann. Das ist doch das Hauptproblem.
In den Hauptschulen sind doch in hohem Maße Kinder und Jugendliche konzentriert, die Lerndefizite haben, weil sie von zu Hause aus keine Förderung erfahren. Zusätzlich haben sie oft schlechte Lernerfahrungen gemacht. Das heißt, in diesen Schulen kann keine anregende Lernkultur entstehen, und es häufen sich die Probleme. Wenn es aber keine anregende Lernkultur gibt, dann gibt es natürlich auch keine Unterrichtskultur, die Leistungen fördern kann. Dann gibt es keine Kinder, die andere mitziehen können.Ich weiß nicht,ob das Ihnen nicht geläufig ist; aber viele Wissenschaftler sagen – das ist auch wieder aus verschiedenen Schulstudien herauszulesen –, dass es natürlich notwendig ist, dass Kinder andere Kinder mitziehen, dass sie auch Kinder als Vorbilder haben und Kinder manchmal bessere Lehrer sind als die Lehrer selbst, wenn sie sich in einer solch anregenden Gruppe befinden.
In diesem Zusammenhang scheint mir auch die Aussage aus der Zusammenfassung der neuesten PISA-Studie wichtig zu sein, dass es im internationalen Vergleich bemerkenswert ist, dass eine Entkoppelung von sozialer Herkunft und erreichter Kompetenz keineswegs mit Einbußen im durchschnittlichen Leistungsniveau der Staaten verbunden ist. In einer ganzen Reihe von Staaten werden bei einer im Vergleich zu Deutschland deutlich schwächeren Kopplung von sozioökonomischem kulturellem Status und mathematischer Kompetenz ausgezeichnete Bildungsergebnisse erreicht.
Das heißt,man kann die Kinder aus sozial benachteiligten Familien fördern, ohne dass das auf Kosten der Stärkeren geht und ohne dass es auf Kosten der Kinder geht, die von Anfang an andere Fähigkeiten mitbringen.
Interessant ist, dass die CDU in ihrem Antrag heute wieder nur das begrüßt, was Sie sowieso schon beschlossen haben und was bereits stattfindet.Damit begrüßen Sie vor allen Dingen auch eine strengere Sortierung. Da komme ich zu dem Stichwort, das Frau Henzler eben anführte – die Rede von den Kampfbegriffen und davon, wer hier wieder den Schulkampf führt.
Ja. Ausweislich aller Studien und so, wie Sie das Schulgesetz beschlossen haben, wird es nach wie vor so sein, dass das Gymnasium für die Akademikerkinder – also für die Kinder aus der oberen sozialen Schicht – da ist,
die Hauptschule – klassisch – für die Arbeiter- und Migrantenkinder. Der Rest ist dann für die Realschule geeignet. Das ist das alte Ständewesen, das hier fröhliche Urständ feiert.
Sie gehen nach wie vor von dem Glauben aus, dass man Kinder früh nach vermeintlichen Begabungen sortieren kann und sie dann – weil die Kinder in einheitlichen Schulformen sitzen – mit einheitlichen Lehrplänen nach einheitlichen Methoden in einheitlicher Zeit zu einem einheitlichen Ziel kommen können.
Dem setzen wir etwas entgegen, weil wir sagen, dass das nicht unser Weg von Schule ist.Wir wollen diese strengen Einheitsschulen in diesen Einheitsbildungsgängen nicht haben, weil wir glauben, dass damit Bildungspotenziale verschüttet werden und nicht Bildungspotenziale und Leistungsfähigkeit von Kindern als Schätze gehoben werden.Wir setzen auf die Individualförderung von Kindern.
Bei uns steht das Individuum,das Kind,im Mittelpunkt aller Bemühungen. Das sollte auch schon im vorschulischen Bereich so sein.
Sie haben es bis heute noch nicht geschafft, Ihren Bildungs- und Erziehungsplan vorzulegen. Heute begrüßen Sie in Ihrem Antrag schon wieder, dass einer erarbeitet wird. Aber immer wieder zu begrüßen nutzt den Kindertagesstätten und auch den Kindern,die sich dort befinden, überhaupt nichts.
Ja, wir waren schneller.Wir haben Ihnen vor drei Jahren schon ein Konzept vorgelegt. Das hätten Sie einmal umsetzen sollen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer und Rudi Haselbach (CDU))
Meine Damen und Herren, in den Schulen muss eine andere Förderkultur etabliert werden. Es geht nicht nur darum, wie Sie in Ihrem Antrag formulieren, dass Kinder spüren müssen, dass es um Leistungen und Anstrengungen geht. Wenn Sie Kinder im Kindergarten sehen, wenn Sie Erstklässler sehen, dann müssen Sie doch merken, dass sich Kinder anstrengen wollen, dass sie etwas leisten wollen, dass sie etwas lernen wollen. Es geht darum, eine individuelle Förderung in den Schulen zu etablieren, damit diese Leistungsbereitschaft nicht verschüttet geht, dass Kinder nicht demotiviert werden.
Deswegen ist es notwendig, in den Schulen Förderkurse zu haben, Unterrichtsassistenten in die Schulen hineinzubringen, aber auch anderes Personal wie Sonder- und Sozialpädagogen, damit Kinder, gemessen an ihren Fähigkeiten, auch individuell gefördert werden. Das funktioniert nur, wenn man an dem einzelnen Kind ansetzt und nicht immer einheitliche Lehrpläne, einheitliche Stundenpläne, einheitliche Bildungsgänge im Kopf hat.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Differenzierung – das haben Sie nicht begriffen!)
Ja, die Differenzierung. Differenzierung ist notwendig. Ich habe mir vorhin Ihre Presseerklärung herausgesucht. Herr Irmer, die ist auch schon wieder bezeichnend: Am schlechtesten haben immer die Länder mit undifferenzierten Schulsystemen abgeschnitten.
Herr Irmer, leider muss ich Ihnen sagen, dass Sie anscheinend bis heute nicht begriffen haben, dass wir in der ganzen Bundesrepublik Deutschland überhaupt keine undifferenzierten Schulsysteme hatten.
Es gab keine undifferenzierten Systeme. Auch die integrierten Gesamtschulen haben differenziert nach Leistung in A-, B- und C-Kurse. Manchmal waren die Stufungen schlimmer als im mehrgliedrigen Schulsystem.
Das sagen Ihnen alle möglichen Studien bis hin zu Herrn Klemm, der wirklich nicht als Gesamtschulgegner bezeichnet werden darf.
Doch. Wir wollen Differenzierung, und zwar Differenzierung gemessen an den Entwicklungsständen und Bildungspotenzialen der Kinder. Das muss nicht immer nach Bildungsgängen funktionieren. Das kann auch, wie es in Schweden, in Schottland und in Finnland, teilweise auch in anderen Ländern stattfindet, durchaus in kleinen Lerngruppen je nach Bildungsstand der Kinder passieren, aber ist nicht festgelegt nach der 4. Klasse für sechs oder acht Jahre, nach dem Motto: Da kommst du nie wieder heraus, wenn du da einsortiert bist.
Das ist doch die eigentliche Herausforderung, die wir haben:dass wir Kinder nach ihren Entwicklungsständen und ihren Potenzialen immer wieder neu diagnostizieren und ihnen dann die Förderung geben, die sie tatsächlich brauchen.