Dass die generelle Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bei den Regierungspräsidien der falsche Weg ist, zeigen uns die Beispiele aus den benachbarten Bundesländern.
In Bayern hatte man das Widerspruchsverfahren abgeschafft, dann teilweise wieder eingeführt und jetzt in einem Pilotversuch in einem Regierungsbezirk wieder abgeschafft. In Rheinland-Pfalz ist eine Expertenrunde zu dem Ergebnis gekommen, dass die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens kontraproduktiv ist. Getreu dem Motto dieser Landesregierung „Wir wollen nicht aus den Fehlern anderer lernen, nein, wir machen lieber unsere Fehler selbst“, soll jetzt dass verwaltungsgerichtliche Vorverfahren gekippt werden, obwohl die Juristenstellen, die das Land bei den Widerspruchsverfahren einspart,bei den Verwaltungsgerichten aufgestockt werden müssen.
Die Widerspruchsverfahren dienen – das weiß man bereits ab dem zweiten Semester im Jurastudium – zum einen der Selbstkontrolle der Verwaltung und damit dem Rechtsschutz des Bürgers und der Entlastung der Verwaltungsgerichte. Umgekehrt bedeutet dies: Wenn Sie das Widerspruchsverfahren abschaffen, steigt die Belastung der Verwaltungsgerichte, wird der Rechtsschutz der Bürger geschmälert und ein wichtiges Kontrollinstrument für die Verwaltung beseitigt.
Mit der Abschaffung entlasten Sie somit die Verwaltung und belasten gleichzeitig die Verwaltungsgerichte. Dass Sie für die eingesparten Stellen im höheren Dienst bei den Regierungspräsidien neue Richterstellen in den Verwaltungsgerichten schaffen müssen,habe ich bereits erwähnt.
Wenden wir uns einem anderen Kriterium zu: Selbstkontrolle für die Verwaltung und Rechtsschutz für die Bürger. Eine Untersuchung aus dem Kreis Groß-Gerau zu Baurechtsangelegenheiten zeigt dies eindeutig: Viele Fälle, in denen die Bürgerinnen und Bürger mit der Baurechtsentscheidung nicht einverstanden sind, konnten vor dem Anhörungsausschuss oder im weiteren Widerspruchsverfahren so gelöst werden, dass die Bürgerinnen und Bürger entweder mit ihrem Vorbringen Erfolg hatten oder aber die Aussichtslosigkeit ihres Bauwunsches eingesehen haben. Wenn im Kreis Groß-Gerau im Jahr 2003 von 130 Widerspruchsverfahren lediglich 14 in das Klageverfahren gegangen sind, so belegt dies eindeutig, dass das Verfahren vor den Anhörungsausschüssen und bei den Regierungspräsidien ein äußerst erfolgreiches Instrument ist, um Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten herzustellen.
Wenn die Rechtsauffassung der oberen Bauaufsichtsbehörde als Widerspruchsbehörde von der der unteren Bau
aufsichtsbehörde abweicht, dann ist dies im Sinne einer fachaufsichtlichen Kontrolle der Verwaltung zu begrüßen und kein Übel, das abgeschafft werden muss.
Im Übrigen haben sich die Kommunalen Spitzenverbände und andere gesellschaftliche Gruppen, wie man hört, sehr, sehr dezidiert für die grundsätzliche Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens ausgesprochen. Wir als SPD-Landtagsfraktion können nur hoffen, dass die Landesregierung endlich auf diese vielen Stimmen hören wird. Ich glaube, dieser Wunsch wird, wie so viele andere auch, ein frommer Wunsch bleiben und nicht in Erfüllung gehen. Eigentlich schade.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Reuter, Sie haben Recht, das, was wir hier heute diskutieren, hat das Parlament noch nicht erreicht. Es ist noch in der Diskussion.
Ach, Frau Kollegin Beer, ich bin gerne bereit, Ihnen Weihnachtswünsche zu erfüllen, aber diesen mit Sicherheit nicht. – Mit dem Ersten Gesetz zur Verwaltungsstrukturreform vom 20.06.2002 sind in insgesamt 83 Rechtsbereichen in diesem Land die Widerspruchsverfahren abgeschafft worden. Heute können wir feststellen: Weder das Land Hessen noch die hessische Verwaltung ist daran zusammengebrochen.
Wir wollen heute diese Entwicklung fortführen, das ist jedenfalls die Absicht des Gesetzentwurfs, der sich zurzeit – wie bereits gesagt wurde – noch in der Regierungsanhörung befindet. Herr Dr. Reuter, ich möchte ganz gerne auf Ihre Argumente eingehen, die wir sehr wohl auch alle diskutieren.
Stichwort: Mehrbelastung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ich gehe einmal davon aus, dass es keine 1 : 1Mehrbelastung für die Verwaltungsgerichte gibt,was es an Entlastung für die Regierungspräsidenten gibt. Für einen Bereich kann man das sehr deutlich sagen, nämlich das Ausländerrecht.
Zwischen 80 und 90 % dieser Verfahren enden doch letztendlich vor den Verwaltungsgerichten. Wir haben auch sehr wohl die Erfahrungen in Bayern zur Kenntnis genommen. Dort hat man vor einiger Zeit die Widerspruchsverfahren abgeschafft. Ich möchte dann doch auf eines hinweisen: In der Tat ist es so, dass in Bayern die Klageverfahren in ausländerrechtlichen Angelegenheiten zugenommen haben.
Dazu muss man aber auch wissen, dass es sich um die nackten Zahlen handelt. Außerdem muss man wissen, dass wir es in den allermeisten Fällen im Ausländerrecht mit vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu tun haben – zwangsweise –,weil der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat. In meinem früheren Leben hatte ich eine Zeit lang die Gelegenheit, diese Fälle bearbeiten zu dür
fen. Wir haben eine Situation gehabt, bei der es zu einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts kam. Darauf wurde der Widerspruchsbescheid erlassen, und dann kam keine Klage mehr.Wenn das Widerspruchsverfahren wegfällt, ist es zwangsläufig notwendig, eine Klage einzureichen. Die Mehrarbeit wird sich aber in überschaubaren Grenzen halten.
Ich habe den Eindruck, dass wenigstens SPD und GRÜNE in diesem Haus die Auffassung vertreten,dass es in Deutschland keine Probleme gibt und deswegen alles so bleibt, wie es ist. Das kann für uns kein Weg sein. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass dieser Gesetzentwurf auf zwei Jahre befristet ist. Es ist beabsichtigt, dies zwei Jahre lang zu erproben, anschließend gründlich zu evaluieren und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Man sollte es probieren.
Ich komme wieder zu Bayern zurück. Sie haben richtigerweise gesagt, dass man dort den Weg teilweise wieder zurückgenommen hat. Man hat aber gleichzeitig – das finde ich dann schon bemerkenswert – im Regierungsbezirk Mittelfranken einen Pilotversuch gestartet, übrigens mit den Stimmen aller im Bayerischen Landtag vertretenen Fraktionen. Warum wollen wir das hier nicht ausprobieren? Warum wollen wir in Hessen nicht versuchen, diesen Weg zu gehen, den uns die Regierungspräsidien vorgeschlagen haben? – Ich kann das,ehrlich gesagt,nicht nachvollziehen und kann die Aufregung nicht wirklich verstehen.
Ich möchte noch auf eine hessische Besonderheit hinweisen, die in der Tat eine hessische Besonderheit ist, nämlich das Anhörungsverfahren bei der Ausgangsbehörde. Das ist auch ein Grund dafür, weshalb der Gesetzentwurf den Landtag noch nicht erreicht hat: weil wir nach wie vor in der Diskussion sind, ob es möglicherweise andere Regelungen geben könnte.
Ein denkbarer Weg, den wir noch diskutieren, wäre, die Ausgangsbehörde zur zuständigen Widerspruchsbehörde zu machen.Die Mehrbelastung würde dort auch nicht 1 :1 bedeuten, weil die Ausgangsbehörde ohnehin das Anhörungsverfahren durchführt. Der Aufwand, letztendlich einen Widerspruchsbescheid zu erlassen, dürfte sich in überschaubaren Grenzen halten.
Damit wäre dann auch die von Ihnen angeführte Selbstkontrolle der Verwaltung garantiert. Ich möchte mit Nachdruck an die Kolleginnen und Kollegen appellieren: Lassen Sie uns lieber zusehen, wie wir Verwaltung schneller, bürgernäher und bürgerfreundlicher machen können, anstatt hier alles einfach abzulehnen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Zeimetz-Lorz, ich bin immer auf Ihrer Seite, wenn es darum geht, Behörden effektiver zu organisieren, sie bürgernäher zu machen und zu schnelleren Verwaltungsentscheidungen zu kommen. Das Problem, das wir jedoch bei den bekannt gewordenen Plänen ha
ben, die Widerspruchsverfahren bei den Regierungspräsidien komplett abzuschaffen, ist doch, dass gar nicht die Sinnhaftigkeit dieser Widerspruchsverfahren diskutiert wird, das Für und Wider, die Filterfunktion, die Vereinfachungsfunktion. In Wirklichkeit erleben wir hier doch einen internen Machtkampf um Geld, nämlich um das Geld des Innenministeriums oder des Justizministeriums.
Es geht darum, dass im Rahmen der Einsparmaßnahmen, die vorgegeben wurden, beim RP 40 Stellen einzusparen sind. Die Abschaffung der Widerspruchsverfahren beim RP erbringen 35 Stellen. Deswegen sollen die Widerspruchsverfahren abgeschafft werden. Seien Sie mir nicht böse: Das ist der falsche Weg. Das kann man begründen. Man kann daran vor allem sehen, dass Sie sich die Inhalte nicht angeguckt haben.
Sie sind gerade darauf eingegangen, es gebe keine 1 : 1Übersetzung bei der Verteilung der Belastung vom RP auf die Verwaltungsgerichte. Das stimmt nur in sehr begrenztem Maße. Im Ausländerrecht ist es insofern richtig, als bislang zwischen 50 und 60 % der Fälle ins Klageverfahren gehen.Allerdings haben wir im Ausländerrecht die Situation, dass es hier sehr, sehr große Ermessensspielräume gibt.Diese Ermessensspielräume können Sie nachher im Klageverfahren nicht mehr wieder einholen.
Frau Kollegin Zeimetz-Lorz, ich selbst bin sehr vielfältig im Ausländerrecht tätig.Ich weiß,dass,wenn ich für meine Mandanten im Verwaltungsverfahren keine entsprechenden Regelungen erreiche, sie ganz große Schwierigkeiten bei Gericht haben, dass sie großartige Gutachtertätigkeiten brauchen, die das Verfahren verlängern und vor allem auch verteuern.
Herr Kollege Jung, noch witziger wird es dann im Baurecht. Gerade im Baurecht haben wir eine ganz extreme Filterfunktion des Verwaltungsverfahrens.
(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Durch den Anhörungsausschuss, genau, und nicht durch das RP!)
Herr Kollege Jung, gerade an dieser Stelle werden nur 8 % der Widersprüche nachher durch ein verwaltungsgerichtliches Klageverfahren verfolgt. Das heißt, dass über 90 % der Verfahren, bevor sie zu den Gerichten kommen, erledigt werden.
Wir können an dieser Stelle – das muss von der Materie her betont werden – vor allem die Nachbarschaftsstreitigkeiten, also die Nachbarschaftswidersprüche, gar nicht einbinden. Wir zwingen die Nachbarn dann in das Klageverfahren, wenn wir so vorgehen, wie Sie das tun.
Das heißt, ich lasse die Fragen der Komplexität des Umweltrechts und auch der versorgungsrechtlichen Ansprüche von Beamten einmal beiseite. Meines Erachtens klärt man auch diese entsprechend komplizierten Sachverhalte
besser im Verwaltungsverfahren,als damit die Gerichte zu behelligen, die das wesentlich teurer machen als der Sachbearbeiter beim Regierungspräsidium oder in den entsprechenden Behörden. Das heißt, man muss als Fazit sagen, dass Sie sich nicht angeschaut haben, wozu dieses Widerspruchsverfahren eigentlich dient,nämlich um dann eine entsprechende Abwägung zu machen. Frau Kollegin Zeimetz-Lorz, Sie legen das Prinzip der Selbstkontrolle der Behörden beiseite.
(Birgit Zeimetz-Lorz (CDU): Glauben Sie mir, Frau Kollegin, ich habe sehr genau hingeschaut! Das müssen Sie mir abnehmen! Ich weiß, dass Sie alles besser wissen! Manchmal wissen auch andere ein bisschen was! Manchmal haben auch andere ein bisschen Ahnung sowie die Fähigkeit, zu lesen! Manchmal regt es mich wirklich auf!)
Vielleicht lassen Sie mich ausreden.Ich habe Ihnen auch zugehört, obwohl ich mit Ihren Ausführungen nicht übereingestimmt habe.
Es geht doch hier darum, in diesem Verfahren etwas zu tun, was die Gerichte nicht machen können, nämlich nicht nur die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, sondern vor allem auch die Zweckmäßigkeit einer Entscheidung zu überprüfen. Das heißt, dass gerade im Widerspruchsverfahren Tatbestandsermittlungen vielfältig noch einmal erweitert werden,