Protokoll der Sitzung vom 26.01.2005

Auch da muss man mutig sein.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Boddenberg, Sie sollten ein bisschen weiter nach vorne kommen. Dann würde ich Sie besser verstehen und könnte auf Ihre Zwischenrufe eingehen.

(Günter Rudolph (SPD): Das muss nicht sein!)

Ich komme zum nächsten Thema, nämlich Kreativität.Wo können wir die denn finden? Merken wir nicht alle so langsam in Gesprächen, die wir führen, wenn wir uns in Berlin aufhalten oder wenn wir mit unseren Parteifreunden – ihr sagt „Genossen“ – aus anderen Bundesländern sprechen, dass die Hessen nicht mehr überall vorne sind?

(Günter Rudolph (SPD): Das stimmt leider!)

Am 6. Januar 2005, also vor etwa drei Wochen, habe ich ein sehr langes Gespräch mit meinem Kollegen Philipp Rösler aus dem Landtag von Niedersachsen geführt.Er ist dort der Fraktionsvorsitzende der FDP, die sich in einer Koalition mit der CDU unter Christian Wulff befindet. Herr Ministerpräsident, was dort hinsichtlich der Umorganisation der Verwaltung und der Umorganisation der Polizei geschieht, geht weit über das hinaus, was in Hessen gemacht wurde. Es geht weit darüber hinaus. Es ist kreativer.

(Beifall bei der FDP)

Das ist nur ein einziges Beispiel – ich will jetzt nicht noch weitere aufzählen –, bei dem bei mir immer das Gefühl entsteht, dass irgendwie die Kreativität und Dynamik bei der Arbeit dieser Regierung verloren gegangen sind. Die Regierungserklärung und die Art, wie sie präsentiert wurde, sprechen da auch für sich.

Ich komme zum vierten Punkt. Er betrifft das handwerkliche Geschick. Ich glaube, wir alle in diesem Raum wissen, was ich meine. Man kann anderer politischer oder ideologischer Auffassung sein.Aber eines muss nun wirklich klappen, nämlich die handwerkliche Umsetzung. Das klappt bei manchen Dingen nicht.Manchmal klappt es sogar bei gravierenden Sachen nicht. Ich möchte jetzt nur ein Beispiel anführen. Der arme Christean Wagner muss da jetzt wieder herhalten. Aber es ist das am schnellsten erzählte Beispiel.Es betrifft die Reduzierung der Zahl der Amtsgerichte. Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen, das Justizministerium hat das Thema Reform bei den Amtgerichten handwerklich wirklich schlecht behandelt. Mir ist jedenfalls kein weiteres Beispiel für einen solchen Missstand in dieser Republik bekannt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Eine derartige Abweichung zwischen Ankündigung und Umsetzung darf es in einer ordentlichen und modern geführten Verwaltung nicht geben. Herr Ministerpräsident, das gilt gerade auch angesichts der Hilfsmittel, von denen Sie hier gesprochen haben.

Das Amtsgericht Butzbach ist mein klassisches Beispiel. Denn es liegt in dem Wahlkreis des Herrn Landtagspräsidenten, des Herrn Jürgen Walter und in meinem. Ich will es noch einmal sagen,damit Sie wissen,was ich meine.Zunächst wurde gesagt, die Zuständigkeit des Amtsgerichts Butzbach gehe auf das Amtsgericht Gießen über. Das war die erste Stufe der Rakete. Die zweite Stufe der Rakete bestand darin, dass gesagt wurde, die Zuständigkeiten sollten aufgeteilt werden, teilweise solle das Amtsgericht in Gießen, teilweise das in Friedberg zuständig werden. Die dritte Stufe der Rakete, die dann auch zündete – so steht es jetzt im Gesetz –, besagt, dass die gesamte Zuständigkeit für die Region auf das Amtsgericht Friedberg übergeht. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungsmannschaft, das hat nun wirklich nichts mit handwerklichem Geschick zu tun. Ich möchte dafür kein anderes Wort benutzen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Die Erklärungen des Wirtschaftsministers, die er im Zusammenhang mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens gemacht hat,waren zumindest gefährlich.Ich sage:Sie waren zumindest gefährlich. – Dieter Posch hätte so etwas nie gemacht. Darin besteht halt der Unterschied des handwerklichen Könnens zwischen der alten Regierung Koch/Wagner und der neuen Alleinregierung unter Koch.

Ich komme zum fünften Punkt. Er betrifft den Stil. – Frau Vizeministerpräsidentin,dass Sie darüber lachen,verwundert mich. Denn ich weiß, dass Sie in der Kirche sehr engagiert sind.Als Beispiel will ich den Umgang der von der CDU geführten Landesregierung mit den Kirchen im Zusammenhang mit der so genannten „Operation sichere Zukunft“ herausheben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Die Kirchen begleiten viele Themen engagiert. Das reicht von den Kindergärten bis zur Schuldnerberatung. Das hat nichts damit zu tun, ob da abgebaut wurde oder nicht. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Union, das hat etwas damit zu tun, dass man das nicht macht, dass sich die Kirchenführer Ihre Entscheidungen aus dem Internet herunterladen mussten.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

So macht man das einfach nicht. Ich kritisiere nicht das Ergebnis. Sie wissen genau, dass wir in diesem Bereich bei Ihrer „Operation sichere Zukunft“ bis auf zwei Ausnahmen hinter Ihnen gestanden haben.

(Michael Boddenberg (CDU):Ach, hören Sie doch auf!)

Aber man muss, wenn man so etwas macht, das zuvor in einem Diskussionsprozess mit den Betroffenen erörtern.

Es kann nicht sein, dass man die Betreffenden am Montagabend anruft und sagt: „Schaut im Internet nach“, und dann von ihnen verlangt: „Tanzt am Dienstagmorgen an“. – Das ist jedenfalls kein Stil, den wir Liberale gut finden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist auch kein guter Stil, wie teilweise mit uns, den Mitgliedern dieses Parlaments, umgegangen wird. Auch dazu will ich wieder nur ein Beispiel nennen. Man kann zwar sagen, es sei modern, das Internet zu nutzen, es sei modern,E-Mails zu verschicken.Ich finde es stillos,dass noch nicht einmal 24 Stunden vor einer Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses auf einmal eine E-Mail ankam, die 25 Seiten umfasste und einen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes enthielt, das am nächsten Tag in der Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses zur Beschlussfassung anstand. Das hat mit Modernität nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Vielmehr zeigt dies, dass Sie mit der Technik umgehen können.Aber die Technik,mit den Menschen angemessen umzugehen, wurde zumindest in diesem Punkt nicht zu 100 % erfüllt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich deshalb zum Abschluss meiner Rede feststellen, dass wir offensichtlich noch nicht weiter auf dem Weg sind, der entsprechend dem Titel der Regierungserklärung lautet: „moderne Strukturen für ein leistungsfähiges Hessen“. Vielmehr befinden wir uns auf der Bremsspur bzw. jedenfalls nicht auf der Überholspur. Vielmehr befinden wir uns da ganz rechts.Von der Technik sind wir da noch nicht geleitet.

Mit „ganz rechts“ meinte ich jetzt übrigens nur das Bild mit der rechten und der linken Seite der Autobahn. Ich habe das nicht ideologisch gemeint. Ich sage das, damit das auch jeder richtig versteht.

(Jürgen Walter (SPD): Das haben wir auch so verstanden!)

Wir sind der festen Überzeugung, dass ganz offensichtlich ist, dass es gut wäre, wenn eine FDP in der Landesregierung wäre, die ideologiefrei und kreativ und an Recht und Gesetz gebunden ist. Solche Aussagen hören wir immer mehr und immer wieder.

(Günter Rudolph (SPD): Wir wollen jetzt nicht übertreiben!)

Herr Ministerpräsident, nehmen Sie die Worte der drei Sprecher der Oppositionsfraktionen ernst. Denn über diese Tatsache hilft die brutalstmögliche propagandistische Metzelei aus der Staatskanzlei nicht hinweg. – Vielen herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Hahn. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ende der Aussprache zur Regierungserklärung des Hessischen Ministerpräsidenten be

treffend „Moderne Strukturen für ein leistungsfähiges Hessen“, denn weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Ich darf Tagesordnungspunkt 6 aufrufen:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU für ein Drittes Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes zum Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen – Drucks. 16/3520 –

Wer bringt den Gesetzentwurf ein? – Herr Milde, bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir bringen den Gesetzentwurf für ein Drittes Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes zum Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen ein. Das ist ein komplizierter Begriff, aber in der Sache, im Inhalt ist es gar nicht so kompliziert. Dieses Gesetz ist ein Stück Vereinfachung und Flexibilisierung.

Wer sich in den letzten Jahren mit dem Thema Fehlbelegungsabgabe beschäftigt hat, der hat eine sehr unterschiedliche Debatte in Deutschland erlebt. Bis weit in die Strukturen der SPD hinein, in Frankfurt Herr Vandreike, aber auch anderer Parteien, auch der CDU, wurde über die Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe diskutiert. In Zeiten, in denen wir darüber reden, Subventionen abzubauen, sage ich ganz deutlich, muss die Überlegung sein, dass eine fehlinvestierte Subvention doch in jedem Fall dort zurückgeholt wird, wo man es vertreten kann. Das ist der Sinn dieser Fehlbelegungsabgabe, der einmal von allen mitgetragen wurde. Deswegen sollten wir alle dabei bleiben, dass in den Zeiten, in denen die Kassen knapp sind, nicht dort Geld belassen wird, wo es wirklich falsch angebracht ist.

Bei der Fehlsubventionierung ist das in der Tat der Fall. Wenn jemand in eine Wohnung einzieht, die durch Objektförderung verbilligt wurde,und dadurch eine vergünstigte Miete hat, kann das nur gerechtfertigt werden, solange er in den Einkommensgrenzen bleibt, die ihn in die Lage versetzt haben,in dieser Wohnung zu wohnen.Wenn aber jemand deutlich mehr verdient, dann ist nicht mehr zu rechtfertigen, dass er, vom Staat subventioniert, weniger Miete bezahlt als ein anderer in einer frei vermarkteten Wohnung. Deswegen versuchen wir mit diesem Gesetzentwurf, mehrere Ziele zu erreichen.

Als Erstes wollen wir eine stärkere Flexibilisierung vor Ort erreichen. Die Diskussion, die auch in Frankfurt oder in Wiesbaden sehr stark stattgefunden hat, hat immer bedeutet: Es gibt Quartiere, in denen die sozialen Brennpunkte so schwierig geworden sind, dass genau diejenigen Mieter, die inzwischen über den Einkommensgrenzen verdienen, die so genannten sozialen Stabilisatoren sind. Die braucht man vor Ort. Dann haben wir gesagt: Wenn man in einigen Quartieren nachweisen kann, dass die Menschen, die wegen ihrer zu hohen Einkommen dort nicht wohnen dürften, dafür sorgen, dass die sozialen Strukturen besser werden, dass sie in diesen Quartieren quasi Sozialarbeit leisten, eine soziale Durchmischung gewährleisten, wenn das zu einem Erfolg führt und die Wohnungsbaugesellschaft und die Kommune das auch so sehen, dann kann ein Antrag gestellt werden, dass die Wohnungen von der Belegungsbindung freigestellt werden und damit in diesen Quartieren keine Fehlbelegungsabgabe erhoben wird. Das ist ganz wichtig.

Das Zweite bei diesem Gesetz ist:Wir hatten vor drei Jahren einige Freibeträge geändert, auch für Schwerbehinderte. Diese Diskussion kommt alle drei Jahre wieder, weil dann die Bezugszeiträume neu beginnen. Wir haben damals Bundesrecht umgesetzt. Dadurch ist eine ganze Menge Rentner,gerade schwerbehinderte Rentner,deren Einkommen genau in der Größenordnung von 20 bis 40 % Überschreitung des maßgeblichen Einkommens liegt, mit hineingerutscht. Das ist die Gruppe von Leuten, die wir mit der Fehlbelegungsabgabe gar nicht erreichen wollen.Wir haben gesagt, wer die maßgeblichen Einkommen um über 40 % überschreitet, die dazu berechtigen, eine Wohnung zu belegen, soll etwas bezahlen; wer weniger verdient, den stellen wir frei. Das heißt, wir nehmen eine ganze Gruppe heraus,das macht etwa 19 bis 20 % der Fehlbelegungspflichtigen aus.

In einer Zeit, in der wir in manchen Bereichen über 500.000 c Einsparung reden, geht es hier um 20 bis 25 Millionen c im Jahr an Fehlbelegungsabgabe in ganz Hessen, die ausschließlich wieder dem sozialen Wohnungsbau zugute kommen müssen und die wir nicht einfach wegstreichen können. Durch die Anhebung der Einkommensgrenzen haben wir einen Wegfall von etwa 20 % dieser Summe. Das heißt, dass die Kommunen in Zukunft nur noch bei 16 bis 20, vielleicht 21 Millionen c liegen werden. Aber das ist verdammt viel Geld, um vor Ort etwas zu machen, und es ist das einzige Geld, das die Kommunen im Moment in den sozialen Wohnungsbau investieren.Wenn Sie sehen, wie wenig Geld Bund und Länder auch in diesem Bereich haben – da nehme ich uns nicht aus –, dann ist das Geld, auf das wir nicht verzichten sollten, zumal es Leute trifft, die es sich leisten können und nicht in den Genuss von Subventionen kommen sollten.

Zum Dritten haben wir mit diesem Gesetzentwurf den Kommunen einen größeren Spielraum vor Ort eingeräumt, auch bei den Zeiträumen, die die Kommunen haben, um das Geld für den sozialen Wohnungsbau auszugeben. Wir bleiben aber fest dabei, dass die Kommunen auch in Zukunft das Geld wieder in den sozialen Wohnungsbau investieren müssen, allerdings sehr breit gefächert und sehr flexibel einsetzen können.

Damit haben wir zumindest für die nächsten drei Jahre – wir wissen nicht, wie es in Zukunft mit der Anzahl der fehlbelegten Wohnungen weitergeht – eine sehr moderne Antwort gegeben und einen vernünftigen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Ich bitte um Zustimmung aus allen Fraktionen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Milde. – Als Erster hat sich Herr Denzin von der FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Fünf Minuten Redezeit.