Protokoll der Sitzung vom 27.01.2005

Genau diese Menschen hat der Gesetzentwurf aber in seinen Schutzbereich einbezogen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, Sie von CDU und FDP haben gegenüber den Behindertenverbänden, den Frauen- und Seniorengruppen Erklärungs- und Erläuterungsbedarf, warum Sie sie nicht mit einem Gesetz schützen wollen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ich glaube, es geht los! So ein Unsinn!)

Ebenso ärgerlich ist in diesem Zusammenhang, wie populistisch Stimmung gegen das Gesetz gemacht wird, wie man wiederum Ängste schürt. Ich denke hier daran, wie von interessierter Seite aufgrund der Pressemitteilung der beiden Ministerien behauptet wird, wenn das Gesetz in Kraft trete, müsse man als Vermieter an jeden Ausländer vermieten.

Dass dem nicht so ist,erschließt sich für jeden Gutwilligen aus dem Gesetzestext. Lediglich bei so genannten Massegeschäften, wo die Person des Mieters eine nachgeordnete Rolle spielt, etwa bei Wohnungsgesellschaften, greift das Gesetz.Wo es um den persönlichen Kontakt zwischen Mieter und Vermieter geht,greift das Gesetz gerade nicht.

Lassen Sie mich am Beispiel der Frauen in der Erwerbsarbeit die Notwendigkeit von gesetzlichen Regelungen begründen. Wie meine Frau Kollegin Dr. Pauly-Bender bereits in einer Presseerklärung zutreffend festgestellt hat, ist die Anzahl von Frauen in Führungspositionen beschämend gering, ebenso die Tatsache, dass Frauen vielfach bei gleicher Arbeit nicht den gleichen Lohn bekommen, und die Schwierigkeiten von Frauen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Genau dies begründet die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Dr. Reuter, Sie müssen schnell zum Schluss kommen.

Wir müssen einen Schritt nach vorne gehen. Wir brauchen, wie in anderen Industrieländern schon lange der Fall, eine Antidiskriminierungskultur. Deswegen stimmen wir für den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und lehnen den CDU/FDP-Antrag ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Kollege Dr. Jürgens, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rhein, es ist nicht verboten, sich vor einer Rede im Hessischen Landtag einmal sachkundig zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie hätten sich ohne weiteres den rot-grünen Gesetzentwurf anschauen können und auf der anderen Seite die EU-Richtlinien daneben legen können. Die sind alle aus dem Internet zu erhalten. Dann hätten Sie festgestellt: Zu 90 bis 95 % wird mit dem, was dort gemacht wird, allein EU-Recht umgesetzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Boris Rhein (CDU) und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Auch wenn es eine CDU-geführte Bundesregierung gäbe, müsste sie zu 90 bis 95 % genau das machen, was RotGrün jetzt macht.Alles andere ist Unsinn.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Boris Rhein (CDU): Aber in den entscheidenden Punkten gehen Sie darüber hinaus! – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Es sind mehr als 10 %!)

Zu den Aspekten, gegen die Sie am meisten polemisieren, gehören z. B. die Nichtdiskriminierung im Arbeitsleben, die Regelung zum Verbot der Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft oder Rasse beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen, auch beim Zugang zu Mietwohnungen. – Das sind keine Erfindungen von Rot-Grün, sondern das ist europäisches Recht, das jetzt zwingend umgesetzt werden muss und das in anderen Ländern der Europäischen Union auch gilt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wenn Sie hier so gegen das Antidiskriminierungsgesetz polemisieren und solche wortreichen Sprechblasen aufbauen, dann sagen Sie den Leuten gleichzeitig: „Wir sind nicht nur gegen das Antidiskriminierungsgesetz. Wir sind gegen die europäische Einigung. Wir sind gegen die Rechtsvereinheitlichung,die stattfinden muss.Wir wollen, dass engstirnige Rückschrittlichkeit regiert und nicht europäisches Denken.“ – Darum geht es doch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Boris Rhein (CDU): Ich lache mich kaputt!)

Das gilt ganz besonders für die Beweiserleichterung. Herr Reuter hat vollkommen Recht. Es ist eins zu eins das übernommen, was in Art. 8 der Europäischen Richtlinie steht. Es ist auch wortidentisch – schauen Sie einmal nach – mit einer Vorschrift in § 611a BGB,die seit 1980,also bereits seit 25 Jahren, im Bürgerlichen Gesetzbuch steht. Sie steht bereits darin, und sie wurde auch unter 16 Jahren Regierung Kohl nicht geändert.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Die Vorschrift zur Beweiserleichterung, die es schon seit 25 Jahren gibt, hat nicht dazu geführt, dass das Abendland untergegangen ist. Sie hat nicht dazu geführt, dass die Rechtsordnung zusammengebrochen ist. Sie hat auch

nicht dazu geführt, dass die Arbeitsgerichte mit einer Flut von Klagen überschwemmt worden sind. Ihr Geschrei gegen die wortidentische Regelung zeigt die ganze Verlogenheit Ihrer Argumentation.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben aber natürlich in einem Recht. Jawohl, richtig, der Gesetzentwurf von Rot-Grün geht in einem Teil – wie gesagt, nach meiner Einschätzung sind es 5 bis 10 % – über die Vorgaben der Europäischen Richtlinien hinaus. Es gilt, beim Abschluss von zivilrechtlichen Verträgen darf künftig niemand mehr aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Dieses Diskriminierungsverbot gilt bei allen Rechtsgeschäften, die üblicherweise in einer Fülle gleich gelagerter Fälle ohne Ansehen der Person zustande kommen. Was soll daran falsch sein?

Warum soll ein Restaurantbetreiber bestimmte Personengruppen willkürlich ausschließen dürfen, wenn er doch die Gäste auffordert: „Kommt zum Essen und zum Trinken zu mir, ich bediene alle, die sich an meine Tische setzen“? Das ist doch völliger Unsinn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Warum soll derjenige, der eine Vielzahl von Wohnungen vermietet, das Recht haben, zu sagen: „Schwule und Lesben nehme ich nicht“? Warum soll jemand, der einen florierenden Gebrauchtwagenhandel betreibt, möglicherweise weiterhin sagen dürfen: „Ich verkaufe nur an Weiße“?

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Nach meiner Überzeugung ist das, was wir in diesen Gesetzentwurf schreiben, eine pure Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist längst überfällig, dass sich das Recht auf die Seite der Diskriminierten stellt.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das, was Sie wollen, bedeutet doch nichts anderes, als dass das Recht weiterhin aufseiten der Diskriminierer bleibt.

(Dieter Posch (FDP): Das ist ja unglaublich!)

Es geht natürlich um Vertragsfreiheit. Aber es geht auch darum, wie die Vertragsfreiheit derjenigen zu verwirklichen ist, die von einer selbstverständlichen Teilhabe bisher willkürlich ausgeschlossen werden können. Sie wollen, dass unter dem Deckmantel der Vertragsfreiheit weiterhin folgenlos diskriminiert werden kann.

(Zuruf der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Aber ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Die im Grundgesetz verankerte Freiheit ist nicht nur die Freiheit derjenigen, die es sich leisten können. Sie ist auch nicht nur die Freiheit derjenigen, die die Marktmacht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die im Grundgesetz verankerte Freiheit ist auch die Freiheit der diskriminierten Minderheiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den Gipfel geistiger Verwirrung hat Herr Kauder Anfang dieser Woche erreicht.

(Petra Fuhrmann (SPD):Allerdings!)

Er hat sich nicht entblödet, das Antisdiskriminierungsgesetz in die Nähe der totalitären Naziherrschaft bzw. totalitärer Regime überhaupt zu rücken.

Bei allem Streit in der Sache – darüber kann man sich auseinander setzen – ist eines klar: Das, was wir machen, soll dem Schutz diskriminierter Minderheiten dienen. Im Dritten Reich – ich muss vielleicht einmal daran erinnern – wurden Minderheiten verfolgt, ausgegrenzt, gefangen gehalten, eingesperrt, umgebracht und vernichtet. Beides – das Antidiskriminierungsgesetz und totalitäre Regime – in einem Atemzug zu nennen, ist nicht nur geschichtslos und infam, sondern auch eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Dr. Jürgens, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Ich freue mich auf die Fortführung der gesellschaftspolitischen Diskussion, mit der wir jetzt begonnen haben. Die Alternativen sind klar: Soll das Recht weiterhin den Diskriminierer schützen, oder soll es sich auf die Seite der Diskriminierten stellen? Das sind die Alternativen, über die ich mit Ihnen jederzeit gern weiterreden möchte.