Protokoll der Sitzung vom 23.02.2005

Verehrte Kollegen, das Wort hat der Ministerpräsident. Ich darf Sie um Ruhe bitten.

Es war eindrucksvoll zu hören, wie weit sich Frau Ypsilanti in ihrem Beitrag von allen anderen, die hier gesprochen haben, entfernt hat. Sie hat sich auch weit entfernt von dem, was alle Sozialdemokraten, die in den Gesprächen zwischen den Bundesländern eine Rolle spielen, jemals dazu gesagt haben.

Es gibt Punkte,über die man streiten kann,und es ist auch zu fragen, wie man das gegeneinander abwägt. Herr AlWazir hat dazu etwas gesagt. Das ist der Punkt, den man abwägen muss, und dazu will ich auch etwas vortragen.

Auf folgende Punkte will ich vorsichtshalber hinweisen. Erstens. Es ist richtig, dass wir uns in der Föderalismuskommission und in den Gesprächen, die dazu geführt worden sind, über sehr viel, was uns, der Hessischen Landesregierung, und, wie ich glaube, auch dem Hessischen Landtag, wichtig ist, geeinigt haben.

Zweitens ist kein einziger deutscher Ministerpräsident, egal welcher Partei er angehört, bereit gewesen, die Föderalismusreform ohne eine Einigung in der Bildungspolitik zu unterschreiben. Obwohl man sich über die vorgelegten Texte hätte einigen können, ist es nicht zu einer Einigung gekommen.

Es macht keinen Sinn, dass wir uns im Nachhinein darüber streiten. Es geht um einen grundlegenden Konflikt zwischen den Kompetenzen der Landesparlamente und den Kompetenzen des Bundes. Frau Kollegin Ypsilanti, ich bin sehr erstaunt darüber, dass Sie diese zwei Ebenen nicht auseinander halten. Es ist ein Unterschied, ob die Länder – die Landtage – mit der Souveränität ihrer Kompetenzen in Staatsverträgen oder in der Kultusministerkonferenz etwas miteinander verabreden oder ob wir uns das durch ein Bundesgesetz vorschreiben lassen. Darin liegt der Unterschied.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich gibt es in der Bildungspolitik eine Menge Vereinbarungen. Sie wird es auch in Zukunft geben.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Hoffentlich!)

Aber die Vereinbarungen, die wir in den letzten 50 Jahren immer wieder getroffen haben, beruhen auf der Souveränität der 16 Bundesländer, ihre Kulturpolitik verantwortlich zu definieren.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb handelt es sich lediglich um Gerede – das auch von den übrigen sozialdemokratischen Bildungspolitikern nicht zu hören ist –, wenn einer sagt: Wenn wir jemandem, der innerhalb Deutschlands umzieht, dadurch helfen wollen, dass er in den Schulen einigermaßen identische Bedingungen vorfindet, müssen wir die Bildungskompetenz der Länder und der Landtage einschränken und eine Bundeskompetenz einführen.

(Zuruf von der SPD: Das sagt doch keiner!)

Doch, Frau Ypsilanti hat es vorgelesen. Sie können es nachlesen. Das ist genau der Punkt. Frau Ypsilanti hat ganz klar gesagt: Wir wollen in der Bildungspolitik auf keinen Fall einen Wettbewerb zwischen den Ländern,sondern wir wollen eine einheitliche Bildungspolitik, die vom Bund gemacht wird.

Ich sage Ihnen: Ich habe den Beschluss des Hessischen Landtags anders verstanden, und solange ich Ministerpräsident bin, werde ich einer solchen Position nicht zustimmen, weil ich glaube, dass sie die Existenz der Länder gefährdet.

(Beifall bei der CDU)

In Abwägung der Punkte haben wir genau auf dieser Basis angesetzt. Möglicherweise war es ein Fehler – auch mein Fehler –, dass die Bundesregierung weiß, dass das die Gesprächsgrundlage ist. Auch während der Verhand

lungen der Föderalismuskommission, als der so genannte Kröning-Runde-Vorschlag aufkam und keine Sitzungen mehr abgehalten wurden, sondern alle möglichen Diskussionen stattfanden, musste jedermann klar sein, dass dies eine rote Linie ist, die kein Land, egal wie es regiert wird, überschreiten wird. Daran liegt es.

Wenn wir eine Entflechtung vornehmen – das gilt vielleicht mehr für die Ministerpräsidenten als für die Landesparlamente –, müssen wir Rechte abgeben. Nehmen wir einmal das Zuwanderungsgesetz – ein Thema, das diesen Landtag, dieses Land und auch mich ziemlich beschäftigt hat. Beim Zuwanderungsgesetz gibt es keine Kompetenz des Landtags, sondern allein das Kabinett entscheidet, ob wir zustimmen oder nicht. Aber es stellt eine erhebliche bundespolitische Verflechtung dar, dass nicht allein der Bundestag, sondern auch der Bundesrat für die Frage zuständig sein soll, wie man die Zuwanderung regelt.

Nehmen Sie die Gesundheitsreform in allen ihren Aspekten. Teile von ihnen bedürfen der Zustimmung des Bundesrats, weil wir eine AOK verwalten. Andere Teile wiederum bedürfen nicht der Zustimmung des Bundesrats. Keine Bundesregierung kann allein mit ihrer Bundestagsmehrheit in Deutschland eine Gesundheitsreform machen.

Wir haben klar gesagt, dass wir in einer ganzen Reihe von Politikfeldern zugunsten einer Entflechtung der Kompetenzen verzichten, damit die Menschen, wenn ihnen irgendetwas bei einem Thema nicht passt, wissen, bei welcher Wahl sie das ändern können. Man kann nicht mehr dauernd den einen für das Handeln des anderen verantwortlich machen.

(Beifall bei der CDU)

Meiner Ansicht nach kommen die Länder dem Bund damit ziemlich weit entgegen. Wir haben dem Bund gesagt, dass es gar nicht so viele Kompetenzen gibt, die wir unbedingt zurückhaben wollen. Über diese Liste ist, wenn man das unter vernünftigen Gesichtspunkten betrachtet, gar nicht so einfach zu diskutieren, weil heutzutage vieles mit europa- und bundespolitischen Aspekten zusammenhängt.

Man kann – Herr Al-Wazir hat das gesagt – über einige Bereiche streiten. Ich war der Meinung, dass wir den Strafvollzug in die Obhut der Landtage zurückgeben können, wenn wir in Deutschland ein einheitliches Strafrecht haben. Das ist ausschließlich eine Angelegenheit der Landtage; denn auch der Gesetzesvollzug obliegt uns heute.Das würde eine Chance darstellen,Strafvollzugsgesetze der Länder zu machen.

Man kann dafür oder dagegen sein. Das beschreibt aber nur, dass die Frage, welche Materien man übernehmen kann, nicht ganz einfach zu lösen ist. Wir haben endlos lange über ein Umweltgesetzbuch diskutiert. Es macht keinen Sinn, die Standards allein auf Länderebene zu setzen und zu sagen: her mit dem Kram.

Es macht einen Sinn, dass bestimmte Verwaltungsverfahren auch von uns beeinflusst werden können.Darüber,wo die Grenze liegt, kann man diskutieren. Aber eine gewaltige Verschiebung nach dem Motto „Der Bund macht gar nichts mehr, und die Leute wissen, dass sich bei der Landtagswahl alles entscheiden wird“ wird das nicht sein.

Deshalb muss sich ein Landesparlament Folgendes überlegen – das haben sich auch alle überlegt –: In einem Bereich wie der Bildungspolitik, in dem, wenn etwas nicht

läuft,zum gegenwärtigen Zeitpunkt eindeutig klar ist,wer daran schuld ist, ist es Unsinn, auf die Bundesregierung zu zeigen. Vielmehr geht es darum – führen wir diese Debatte von Schleswig-Holstein bis Hessen so, dass sie der wesentliche Gegenstand von Wahlauseinandersetzungen und Nützlichkeitserwägungen der Wähler ist –, dass hier keiner sagen kann: Tut uns leid, da mussten wir die Bundesmittel abrufen, und dann mussten wir dies und jenes machen. – Nein, er muss sich dazu bekennen: Ich wollte diese Bildungspolitik.

Genau an dieser Stelle hat die Bundesregierung im Rahmen der Föderalismusdiskussion zum Schluss unter dem Motto „Wir wollen eine Kompetenz zur Förderung von Zukunftsprojekten in der Bildung haben – egal, wo und wie“ eine neue Verfassungskompetenz des Bundes gefordert. Das war der Schlusspunkt der Verhandlungen. Damit hätte sie es geschafft, dort zu entflechten, wo es die Bundesregierung interessiert, aber die Landtage wären in Zukunft mit massiven Verpflichtungen an Bundesrecht gebunden. Da habe ich Nein gesagt, genauso wie Edmund Stoiber und die anderen Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Zöllner trägt als Koordinator der Bildungspolitik der Bundesregierung dazu vor, man könne keine Verfassungslage schaffen, in der ein Hineinregieren der Bundeskompetenz in die Länder möglich sei. Wir in den Ländern haben die Verantwortung, und uns darf der Spielraum nicht genommen werden, den wir z. B. für eine optimale Hochschullandschaft brauchen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): So ist es!)

Herr Zöllner sagt weiter, er hoffe nicht, dass die Reform scheitere, da sie von zentraler Bedeutung sei. Allerdings seien Bildung und Wissenschaft das wichtigste politische Zukunftsfeld überhaupt, und deswegen könne man sich auf keine faulen Kompromisse einlassen. – Meine Damen und Herren, genau das ist es.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Kollege Beck – den ich heute schon gesehen habe – sagt,trotz Galopp sei die Föderalismusreform gescheitert. Franz Münteferings Aussage, es habe allein an den unionsgeführten Ländern gelegen, muss man ergänzen: Der Bund war hinsichtlich der bildungspolitischen Fragen zu wenig beweglich.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Steinbrück sagt, der Bund müsse akzeptieren, dass die Kulturhoheit bei den Ländern liege und er deshalb nicht freihändig agieren könne. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, hören Sie auf, aus der Bildungsfrage in den Länderparlamenten eine CDU-SPD-Frage zu machen, obwohl wir bisher in dieser Angelegenheit unter allen deutschen Bundesländern, ob CDU- oder SPD-regiert, einer Meinung sind. Es handelt sich um eine Frage, die eine durchaus nicht unerhebliche Bedeutung hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Jetzt zum Praktischen. Frau Ypsilanti sagt: Das sind vielleicht Leute in der Regierung, die lehnen Geld ab. – Wenn das das oberste Prinzip ist: „Wenn einer Geld gibt, muss ich es nehmen, egal welche Bedingungen er für das Geld stellt“,dann kommt genau diese Kultur auf,dass jeder,der das Geld nicht nimmt, egal, was dafür gefordert wird, der Dumme ist.

(Gernot Grumbach (SPD): Das kommt mir bekannt vor!)

Das ist doch das Problem. Das Wesen von Länderkompetenzen in der Bildungspolitik muss sein, dass die Länder auch mit Selbstbewusstsein sagen können: Wir machen das, was die anderen machen, gerade nicht. – Noch einmal praktisch gesagt, ob es einem gefällt oder nicht: Hätten wir die Ergebnisse der PISA-Studie von Bayern, würden wir weltweit auf Platz 10 stehen;so stehen wir auf Platz 21.

Es ist doch gut, dass es im eigenen Land stattfindet. Man muss doch nicht alles übernehmen, was aus Bayern ist. Man muss nur wissen, dass Platz 21 nicht gottgewollt ist. Dieser Platz 21 ist durch Arbeit veränderbar, und es gibt Profile, mit denen man zu anderen Ergebnissen kommen kann als denen, die man im Durchschnitt erreicht hat.

Wenn wir das in Deutschland nicht mehr haben wollen, dann können wir eine Bundeskompetenz machen. Wenn wir das aber weiter haben wollen, dürfen wir dem Bund nicht immer weiter das Recht einräumen, durch den goldenen Zügel parlamentarische Diskussionsprozesse zu korrumpieren. Das ist die eine oder die andere Frage.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vor dem Hintergrund sage ich Ihnen ganz klar: Dann muss man bei der Verfassung auch darüber reden,dass der Bund dort, wo er keine Kompetenz hat, auch kein Recht zum goldenen Zügel hat.

(Hartmut Holzapfel (SPD):Warum überweist Bayern das Geld dann nicht zurück, das es vom Bund für die Bayreuther Festspiele bekommt?)

Herr Kollege,wir waren im Kompromiss immer der Auffassung, dass es in der Forschung und in bestimmten Bereichen der Kultur eine Kooperation zwischen Bund und Ländern geben muss.

(Zurufe von der SPD)

Aus meiner Sicht ist das nicht wichtig, weil jedes Land das selbst machen kann; aber es ist für die kleineren Länder hilfreich.

(Hartmut Holzapfel (SPD): Für die Bayern!)

Es ist für die kleineren Länder hilfreich. Wenn die kleineren Länder es bekommen, bekommen es alle, z. B. auch wir für die Bad Hersfelder Festspiele oder für die Finanzierung der Blauen Liste. Es ist übrigens nie ein Streit gewesen, dass die Forschungsfinanzierung gemeinsam sein kann und muss. Wir würden ansonsten die Forschungsfinanzierung auf der Ebene der Länder zu einer blödsinnigen Kleinstaaterei degenerieren lassen. Darüber besteht überhaupt kein Streit.