Protokoll der Sitzung vom 24.02.2005

Meine Damen und Herren, für uns sind die Fahrgäste von RMV, NVV und VRN im Süden von Hessen eben König Kunde und nicht nörgelnde Querulanten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben unseren Antrag bewusst sehr offen formuliert. Wir haben nicht genauer hineingeschrieben, welche Regelungen wir uns in der Kundencharta Nahverkehr wünschen, weil wir durchaus sehen, dass es einen Spielraum geben muss, wie man das mit den Verbünden verhandelt. Was wir allerdings wollen, ist, dass diese Landesregierung die Initiative zu dieser Kundencharta Nahverkehr ergreift, die Verhandlungen mit den Verkehrsverbünden in Gang setzt und eine solche Kundencharta Nahverkehr noch in diesem Jahr auf den Weg bringt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was muss in einer solchen Charta stehen? Wir müssen die Position der Fahrgäste klar und zeitgemäß definieren, eben nicht als Beförderungsfall, wie es so oft noch im Beamtendeutsch heißt, sondern als Kundinnen und Kunden. Wir müssen mit dieser Kundencharta Nahverkehr den ÖPNV in Hessen fördern. Allein die Verabschiedung einer solchen Charta, allein dieses Signal eines Qualitätsschubes für den ÖPNV in Hessen würde die Busse und Bahnen in Hessen voranbringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir leisten damit auch einen Beitrag zu einer nachhaltigen Verkehrs-, Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik. Wir tun das, was in der Kundencharta Fernverkehr ausdrücklich vorgesehen ist. In der Kundencharta Fernverkehr ist als einer der letzten Paragraphen ausdrücklich vorgesehen, dass sie für den Nahverkehr fortgeschrieben wird. In der Kundencharta für den Fernverkehr steht dies zwar nur für den Schienenpersonenverkehr. Aber warum sollen wir uns auf den Schienenpersonenverkehr beschränken? Die Bürgerinnen und Bürger unterscheiden nicht, mit welchem Verkehrsmittel sie von A nach B kommen, sondern sie wollen überall im Bereich der hessischen Verbünde die gleichen Rechte haben. Meine Damen und Herren, deshalb muss diese Kundencharta für Busse und Bahnen gleichermaßen gelten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie ist es heute? Ich möchte es am Beispiel des RMV beschreiben. Man geht als Kunde an einen Fahrkartenautomaten, man hat die Auswahl zwischen mehreren Hundert Zielen, guckt, dass man die richtige Nummer für sein Ziel findet, geht mit dem dann glücklich erworbenen Fahr

schein zu seinem Transportmittel, und – ich habe es schon gesagt – in aller Regel geht dann alles glatt. Aber es geht halt auch einmal etwas schief. Dann ist es doch nicht zu viel verlangt, dass sich die Verbünde dazu bekennen, dass sie, wenn etwas schief läuft, darüber informieren, was schief läuft, damit man eben nicht am Bahnsteig oder an der Bushaltestelle steht und gar nicht weiß, wie einem geschieht, und vor allem gar nicht weiß, wie es weiter geht. Meine Damen und Herren, dazu sollen sich die Verbünde in einer Kundencharta Nahverkehr verpflichten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir machen es der Landesregierung einfach. Wir haben das Ganze schon einmal formuliert. Wir haben es im Oktober letzten Jahres bereits vorgelegt. Es ist hier auf mehreren Seiten vorgelegt.Herr Minister Rhiel oder Herr Minister Dietzel, wer auch immer sich dafür zuständig fühlt – Hauptsache, es fühlt sich überhaupt jemand zuständig –,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

das können Sie als Grundlage nehmen. Sie müssen nicht alle Vorschläge der GRÜNEN teilen; aber wenn wir am Ende des Jahres so etwas Ähnliches hätten, das zwar nicht mehr so grün aussieht, das aber die Rechte von Verbrauchern definiert,dann wären wir einen guten Schritt weiter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Unser Vorschlag ist, dass allen Dauerkunden der hessischen Verkehrsverbünde bei einer Verspätung von 20 Minuten bis zu 15 c der Unkosten,

(Zurufe der Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU) und Michael Denzin (FDP))

die ihnen beispielsweise durch die Benutzung eines Taxis entstehen, ersetzt werden. Das ist unser Vorschlag.

(Zuruf des Abg. Rudi Haselbach (CDU))

Der RMV hat jetzt eine ähnliche Entschädigungsregel auf den Weg gebracht, allerdings nur für die Besitzer von personifizierten Zeitkarten. Warum sollten wir nicht für alle Zeitkartenbesitzer dieses Angebot schaffen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass Reklamationen innerhalb von zehn Arbeitstagen bearbeitet werden und die Kundinnen und Kunden innerhalb von zehn Tagen eine Rückmeldung bekommen, woran es gelegen hat und wie man das, was schief gegangen ist, abstellt. Das wollen wir in einer solchen Kundencharta festlegen. Wir wollen etwas sehr Wichtiges: Wir wollen die Reisekette verlängern. Wenn also jemand aus dem Fernverkehr in den Nahverkehr übergeht und sich für die Stammgäste die Verspätung aus dem Fernverkehr und dem Nahverkehr auf über 20 Minuten addiert, sollte ein Entschädigungsanspruch entstehen. Den Leuten ist es doch herzlich egal, ob sie sich im Fernverkehr oder im Nahverkehr bewegt haben.Wenn sie zu spät kommen, wollen sie, dass sie dann eine Entschädigung für eine nicht erbrachte Leistung bekommen. Meine Damen und Herren, so einfach ist das.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Sagen Sie nur, Sie meinen das ernst! – Zuruf des Abg. Rudi Haselbach (CDU))

Ich wundere mich, dass es Widerspruch aus der CDU gibt. Herr Minister Dietzel erklärte am 17.02.2004 – ich zitiere –:

Zehn Jahre nach der Privatisierung der Deutschen Bahn ist es den Verbrauchern nicht mehr zumutbar, dass gesetzliche Rechte der Bahnkunden nach wie vor durch die Eisenbahnverkehrsordnung von 1938,die auch noch Regelungen aus dem Jahre 1908 enthält, ausgeschlossen sind.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Wo hat Herr Dietzel das gesagt?)

In der Presseerklärung vom 17.02.2004.

In keinem anderen Bereich des Verbraucherrechts müssen Verbraucher für eine schlechte Leistung voll bezahlen.

Das sagt Herr Minister Dietzel in der Presseerklärung vom 17.02.2004.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da hat er etwas Richtiges gesagt!)

Da hat er etwas Richtiges gesagt. Daraus müssen jetzt aber auch Konsequenzen entstehen. Deshalb würde ich es mir sehr wünschen, dass die Mehrheit dieses Hauses gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unserer Kundencharta Nahverkehr zustimmt.

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Dietzel treibt es noch etwas weiter. Er sagt in der gleichen Presseerklärung zu der Kundencharta Fernverkehr, von Renate Künast vorgelegt – ich zitiere noch einmal –:

Die neuen Kulanzregeln der Bahn können klare gesetzliche Regelungen, wie sie in anderen Bereichen des Verbraucherschutzes gang und gäbe sind, nicht ersetzen.

(Beifall des Abg. Roland von Hunnius (FDP))

Er bezeichnete es als „Verbrauchertäuschung, wenn Bundesministerin Künast die neuen Entschädigungsregelungen der Bahn für vorbildlich und eine gesetzliche Regelung für nicht notwendig halte“.Jetzt frage ich mich,seit wann die CDU glaubt, dass gesetzliche Regelungen in Verhältnissen mit der Wirtschaft besser sind als freiwillige Regelungen. Das ist die erste Frage, die ich der Union hierzu stellen will.

Aber wenn Herr Minister Dietzel der Auffassung ist, dass gesetzliche Regelungen besser sind, um die Verbraucher im Personennahverkehr zu schützen, dann wäre es doch nur logisch gewesen,dass sich in dem Gesetz,das Herr Minister Rhiel zum ÖPNV vorlegt, solche Regelungen finden würden – wenn man der Meinung ist, man müsse es gesetzlich regeln. Aber auch dazu: Fehlanzeige. – Das zeigt, dass hier ein eklatanter Widerspruch zwischen Worten und Taten dieser Landesregierung besteht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Wagner.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Weil jetzt bestimmt das Argument kommt, das sei alles nicht finanzierbar: In einigen Verkehrsverbünden gibt es diese Regelungen. Die Verbünde haben sehr positive Erfahrungen gemacht. Der Imagegewinn für den ÖPNV ist ungleich größer als die Kosten. Deshalb wollen wir die Kundencharta Nahverkehr endlich auf den Weg bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Herr Abg. Posch für die FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wagner, um bei dem anzufangen, was Sie zu der Presseerklärung von Herrn Dietzel gesagt haben: Wir können dem, was in der Presseerklärung steht, nur zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben daraus auch die Konsequenzen gezogen. Wir haben nämlich einen entsprechenden Antrag eingebracht, in dem gefordert wird, dass der berühmte § 17 EVO geändert werden soll.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch schon im Bundesrat!)

Er ist nicht geändert. – Wenn Sie die Frage stellen, ob es in diesem Fall notwendig ist, eine Gesetzesänderung vorzunehmen, oder ob man auf eine Kundencharta abstellt, dann stellen Sie insoweit auf das Prinzip der Freiwilligkeit ab und darauf, dass gesetzlicher Zwang nur dort notwendig ist, wo es unabweisbar ist. Sie wissen aber auch, dass der Haftungsausschluss in der EVO auf die Monopolstellung der DB zurückzuführen ist,als die Deutsche Bundesbahn noch ein hoheitliches Unternehmen war und im Grunde genommen Wettbewerb nicht stattgefunden hat.

Hier haben wir es aber in der Tat mit der Einführung von Wettbewerb und einem völligen Systemwandel innerhalb des Schienenpersonennahverkehrs und des -fernverkehrs zu tun, sodass es notwendig ist, die grundsätzliche Frage zu stellen: Wie behandele ich künftig die Bahn? Behandele ich sie wie einen Dienstleister, der bei Schlechterfüllung genauso wie jedes andere Unternehmen Schadensersatz leisten muss, oder nicht? – Dazu sagen wir, dass sich nicht die Frage nach einer Charta stellt,in der irgendetwas postuliert wird, sondern dass es darum geht: Wenn wir Wettbewerb im Schienenverkehr haben, müssen alle gleich behandelt werden. Meine Damen und Herren, dann kommt ein Haftungsausschluss, wie er in einer uralten Vorschrift einmal geregelt war, nicht mehr infrage. Das ist der Kernpunkt.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Hildegard Pfaff (SPD))

Lassen Sie mich einmal ausreden. Das ist so ein bisschen wie „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Wenn wir den Wettbewerb wollen – mit all den Folgen; ich weiß, welche Schwierigkeiten mit der Umstellung des Wettbewerbs verbunden sind –, müssen wir den Haftungsausschluss beseitigen.Wenn der Haftungsausschluss

im Moment gesetzlich kodifiziert ist, dann muss ich genau diese Regelung ändern. Es geht also nicht darum, freiwillig etwas zu machen, sondern es geht darum, klare Regeln aufzustellen, auf welche Art und Weise dies zu erfolgen hat. Die sozialdemokratische Fraktion hier im Hause hat jetzt einen Antrag nachgeschoben, in dem man sich mit der Frage der Gesetzgebungsinitiative in NordrheinWestfalen auseinander setzt. Da sage ich sehr offen, darüber sollten wir noch einmal im Einzelnen diskutieren, weil da schon sehr weitreichende Änderungen vorgesehen sind.Mich interessiert auch,wie der Diskussionsstand hierzu mit den anderen Ländern aussieht.