Protokoll der Sitzung vom 28.04.2005

Nach der Gründung des Staates Israel und der Bundesrepublik Deutschland gab es zunächst nur spärliche Kontakte zwischen den beiden Staaten. Ein erster Meilenstein war das Wiedergutmachungsabkommen im Jahre 1952. Ich erinnere auch an das historische Treffen zwischen Ben Gurion und Adenauer am 14.März 1960 in New York.Der millionenfache Mord an Jüdinnen und Juden,der im deutschen Namen begangen wurde,verbietet es,von normalen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu sprechen. Es werden immer besondere Beziehungen bleiben. Konrad Adenauer sagte 1966:

Wer unsere besonderen Verpflichtungen gegenüber den Juden und dem Staate Israel verleugnen will,ist historisch und moralisch, aber auch politisch blind.

Unser Bundespräsident Köhler äußerte am 2. Februar dieses Jahres vor der Knesset:

Zwischen Deutschen und Israel kann es nicht das geben, was Normalität ist. Aber wer hätte vor 40 Jahren gedacht, wie gut, ja wie freundschaftlich sich unser Verhältnis entwickeln würde.

Das demokratische Deutschland war sich seit seiner Gründung im Jahre 1949 immer seiner Verantwortung gegenüber dem Staat Israel bewusst. Das bereits erwähnte Wiedergutmachungsabkommen wurde schon drei Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik geschlossen. Dabei muss klar sein, dass keine wie auch immer geartete Wiedergutmachung über finanzielle Entschädigungen ausreichend sein kann, dieses Kapitel deutscher Schuld vergessen zu machen.

Aus Schuld ist Verantwortung erwachsen, der wir auch heute noch und in Zukunft gerecht werden müssen. Die Wiedergutmachung über Kopf und Herz wird stetiger und bedeutender Bestandteil Deutschlands in seinen besonderen Beziehungen zu diesem Land sein. Deshalb ist Bundespräsident Horst Köhler zuzustimmen, der bei seinem Besuch in Israel – wie schon zitiert – vor der Knesset ausführte:

Die Verantwortung für die Shoah ist Teil der deutschen Identität. Dass Israel in international anerkannten Grenzen und frei von Angst und Terror leben kann, ist unumstößliche Maxime deutscher Politik.

Damit wird klar, dass das deutsch-israelische Verhältnis durch zwei Elemente bestimmt ist – zum einen durch die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Terrors gegenüber den deutschen und europäischen Juden und die daraus folgenden Konsequenzen für unsere heutige und zukünftige Aufgabe bezüglich der Abwehr rechtsextremistischer Erscheinungsformen und zum Zweiten durch die fortwährende Unterstützung des Staates Israel im Kampf um sein Existenzrecht. 60 Jahre nach dem Kriege kann man sagen,dass Deutschland die Aufarbeitung seiner Vergangenheit angemessen gestaltet und alles darangesetzt hat, auch bei der jüngeren Generation ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nie mehr geschehen darf, was geschehen ist.

Der letztjährige Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Peter Esterhazy, hat dies in einer Rede in

der Paulskirche uns Deutschen in besonderer Weise konstatiert. Auch hier gilt, dass wir uns nicht zurücklehnen können, sondern dass dauerhafte Wachsamkeit ein Gebot jedes Tages ist,und dies im Besonderen,als uns in Zukunft die Aufgabe zuwächst, auch ohne das Zeugnis der Opfer des Nationalsozialismus und ohne Zeitzeugen die Erinnerung wach zu halten und in den jungen Menschen Bewusstsein zu erzeugen, welches sie in Zukunft stark macht, jeglicher populistischen rechtsextremen Verführung im Speziellen und jedwedem Extremismus im Allgemeinen zu widersprechen. Dies bleibt unsere gemeinsame Aufgabe.

Meine Damen und Herren, die zweite Angelegenheit ist, dass wir als Deutsche unverbrüchlich, wie Köhler es ausdrückte,an der Seite Israels in dem Kampf um sein Selbstbestimmungsrecht stehen. Dies ist kein Gegensatz zu unserer Auffassung, dass wir das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anerkennen, weil wir davon überzeugt sind, dass Israel nur in Frieden leben kann, wenn auch den Palästinensern ihr Recht zuteil wird.Aber alles leitet sich davon ab, dass diese Existenz Israels auch von seinen Nachbarn anerkannt wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute gilt, dass die deutsch-israelischen Beziehungen auf grundlegenden Gemeinsamkeiten basieren. Dies hat die Botschaft der Israelis in Berlin umschrieben. Der Hessische Landtag wird durch den heutigen Beschluss dieses Bewusstsein, von dem ich gesprochen habe, verstärken und in die Zukunft blickend das Ziel formulieren, das am Ende die allerbeste und einzige richtige Möglichkeit von Friedenssicherung grundsätzlich und im Speziellen ist – die Begegnung von Menschen.

Dies ist für mich und meine Fraktion ein zentrales Element dieses Antrags,dem wir nicht nur selbstverständlich, sondern aus der tiefen Überzeugung zustimmen werden, dass es zu den formulierten Inhalten und Zielen keine Alternative gibt. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Kollege Kartmann, vielen Dank. – Herr Kollege Kahl hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Hessische Landtag würdigt heute mit einem gemeinsamen Antrag den 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland. Dies sind diplomatische Beziehungen, die von herausragender Bedeutung für die deutsche Nachkriegsgeschichte sind, für den demokratischen Neubeginn nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und für die Wiederaufnahme unseres Landes in die demokratische Völkergemeinschaft.

Wir erinnern uns an das Kriegsende vor 60 Jahren, an die Befreiung der nur wenigen Überlebenden in den Vernichtungslagern, an die Ermordung von Millionen europäischer Juden und die vielen Opfer des verbrecherischen Kriegs.

Nach der Gründung des Staates Israels und der Bundesrepublik Deutschland schien es undenkbar, dass zwischen diesen beiden Staaten jemals eine Zusammenarbeit möglich werden könnte. Dennoch wurde aber die tiefe

Sprachlosigkeit im deutsch-israelischen Verhältnis, die nach der Shoah herrschte, aufgebrochen. Unter Konrad Adenauer und David Ben Gurion gelang eine vorsichtige Annäherung. Die ersten offiziellen Kontakte und die Verabschiedung des Wiedergutmachungsabkommens im Jahre 1952 waren schwierige und umstrittene Schritte. Dies waren Schritte, bei denen Adenauer im Übrigen voll auf die Unterstützung der Sozialdemokraten zählen konnte.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Ihr konsequenter Weg hin zu diplomatischen Beziehungen ist, rückblickend betrachtet, nicht nur mutig und wegweisend gewesen. Das hat auch eines deutlich gemacht: Nationalsozialismus und Antisemitismus mit all ihrer Verblendung und ihrem Schrecken durften nicht obsiegen und haben nicht obsiegt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nahum Goldmann, der langjährige Präsident des Jüdischen Weltkongresses,formulierte es in seinen Erinnerungen folgendermaßen: „Wäre der Holocaust das Schlusskapitel“ der deutsch-jüdischen Geschichte „geblieben, so wäre sie für immer auf Hass und Ressentiment basiert geblieben“.

Wir können heute mehr als dankbar feststellen, dass in den vergangenen 40 Jahren der deutsch-israelischen Beziehungen ein anderer, hoffnungsvoller Weg gegangen wurde. Dies geschah trotz aller Widrigkeiten und der Überwindungen, die es verständlicherweise dabei gegeben hat.

Dabei sind wir Deutschen uns einer Sache unmissverständlich klar: Die Verbrechen der Nazizeit sind ein bedrückender Teil der deutsch-israelischen Beziehungen und werden es bleiben.Wir sind uns bewusst, dass die Verantwortung für die Shoah und für ein anderes, demokratisches und friedliebendes Deutschland unverzichtbarer Teil der deutschen Identität geworden ist.

(Beifall bei der SPD)

Die deutsch-israelischen Beziehungen werden von vielen ganz persönlichen Kontakten in Kultur und Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft und zwischen Parlamentariern und Gewerkschaften getragen. Rund 120 Städtepartnerschaften und ein reger Jugendaustausch sind Beispiele für die gute und lebendige Zusammenarbeit, die es weiter auszubauen gilt.

Die deutsch-israelischen Beziehungen waren dabei in den letzten Jahrzehnten sicherlich nicht immer einfach. Denn wir müssen dabei auch an das komplexe Verhältnis zur arabischen Welt und die Kontakte zu den Palästinensern denken, die wir Hessen auch intensiv pflegen. Auch die Hoffnung und das Streben nach einer politischen Lösung für den Nahen Osten und auf eine gute und friedvolle Zukunft für Israelis und Palästinenser gehörten zu den deutsch-israelischen Beziehungen.

Das starke Band der deutsch-israelischen Beziehungen trägt. Gott sei Dank trägt es auch in Zeiten wieder zunehmender rechtsextremer und antisemitischer Tendenzen und Übergriffe in Deutschland. Wir verstehen und teilen die Sorgen und das Entsetzen angesichts der Bilder aufmarschierender Mitglieder der NPD und angesichts verbaler und tätlicher Übergriffe gegen Menschen anderen Glaubens, anderer Hautfarbe oder anderer Lebensweise.

Wir sind uns der besonderen Verantwortung bewusst. Dies ist eine Verantwortung gegenüber den Überlebenden des Holocaust. Es ist auch die Verantwortung für den Erhalt unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung in Deutschland.

Deshalb können die Bildungsarbeit und die Arbeit zur Ermöglichung von Begegnungen der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und die Arbeit vieler anderer Bildungsträger und Vereine nicht hoch genug bewertet werden. Das ist auch entsprechend zu fördern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Michael Denzin (FDP))

Die SPD-Fraktion begrüßt ebenso ausdrücklich die Ankündigung der Kultusministerkonferenz, die sie nach ihrem Gespräch mit dem israelischen Botschafter vor sechs Wochen gemacht hat, derzufolge dem 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen eine besondere Bedeutung beigemessen wird, die zu intensiveren bildungspolitischen und kulturpolitischen Beziehungen führen soll, die sich dann auch im Unterricht niederschlagen sollen.

Gerade bei der jungen Generation müssen wir die Erinnerung und die Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung wach halten. Wir müssen das Verständnis für Aussöhnung und Verständigung bei unseren Bürgerinnen und Bürgern weiter fördern.Wir müssen die unterschiedlichen Bereiche der deutsch-israelischen Zusammenarbeit, insbesondere der hessisch-israelischen Zusammenarbeit, weiter ausbauen.

Lassen Sie mich mit folgender Hoffnung und folgendem Wunsch schließen: Wir wollen die kommenden Jahrzehnte der deutsch-israelischen Beziehungen mit wichtigen hessischen Beiträgen in der Art und Weise lebendig und vielfältig fortführen, wie es gerade in den letzten Jahren zunehmend gelungen ist.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Herr Kollege Kahl, vielen Dank. – Frau Kollegin Schönhut-Keil hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann nahtlos an das anschließen, was meine beiden Vorredner bereits ausgeführt haben.

Das Leid, das das nationalsozialsozialistische Unrechtsregime über Europa gebracht hat und das mit dem Holocaust an den europäischen Juden seinen grausigen Tiefpunkt gefunden hat, wird auf immer unauslöschlicher Teil der deutschen Geschichte sein,der wir uns stellen müssen. Genauso unauslöschlich werden diese Ereignisse auch immer die Beziehungen zwischen Deutschen und Israelis prägen.

Neben der Erinnerung müssen wir mit unserem Handeln aber auch immer wieder dafür sorgen, dass in Deutschland nie wieder rassistischer, religiöser oder politischer Wahn als Basis für eine Politik gebraucht werden kann, mit der die Menschenrechte dann außer Kraft gesetzt werden. Dabei reicht es bei weitem nicht aus, immer wie

der auf unser gutes Grundgesetz und die bestehenden demokratischen Institutionen zu verweisen. Auch im Vorfeld organisierten politischen Handelns gibt es in der Gesellschaft eine Wirklichkeit,in der wir als Demokraten immer wieder Flagge zeigen müssen. Das ist z. B. der Fall, wenn es zu ausländerfeindlichen oder antisemitischen Äußerungen kommt.

Leider müssen wir feststellen,dass wir da alle miteinander in der Vergangenheit nicht immer so wahnsinnig erfolgreich waren. Herr Kollege Kahl hat eben das Erstarken rechtsextremer Parteien und den Einzug der NPD z. B. in den Sächsischen Landtag angesprochen.

Welchen Schaden diese Leute innerhalb kürzester Zeit anrichten können, hat ihr unsägliches Auftreten beim Gedenken an die Bombardierung Dresdens bereits gezeigt. Dies lehrt uns, dass Demokraten bei diesen Fragen nicht relativieren dürfen. Vielmehr müssen sie die Feinde der Demokratie deutlich benennen und diese auch angehen. Deshalb ist es auch geradezu blauäugig und fatal, zu sagen: Es muss doch irgendwann einmal Schluss sein.

Diese Debatte ist leider immer wieder neu und aktuell zu führen. Wenn man sich anschaut, welche Ereignisse es im Sächsischen Landtag gegeben hat, dann muss man feststellen: Hier hat die Politik insgesamt versagt.

An der Fähigkeit Deutschlands zur Aufarbeitung seiner Vergangenheit und auch an der Einstellung seiner Repräsentanten gab es in der Vergangenheit auf israelischer Seite große Zweifel. Gerade hierbei ist herauszuheben, dass wir Hessen viel Vertrauen aufgebaut haben. Durch das Wirken des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, der mit seiner Arbeit den Auschwitz-Prozess in Frankfurt ermöglichte, wurde deutlich, dass es Vertreter des Nachkriegsdeutschlands gab, die die Verbrechen, die während der Nazizeit begangen wurden, nicht verschwiegen, sondern konsequent geahndet sehen wollten.Das war in den Fünfzigerjahren leider keineswegs selbstverständlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und des Abg. Michael Denzin (FDP))

Teile der Funktionsträger des Dritten Reichs waren bereits wieder in den Staatsdienst aufgenommen worden. Über deren vorhergehendes Wirken wurde der sanfte Mantel des Schweigens gelegt, während es die Männer und Frauen aus dem Widerstand sehr schwer hatten, in der Nachkriegsgesellschaft Fuß zu fassen.

Gleichzeitig wurde von den Justizbehörden die Verfolgung nationalsozialistischer Täter oft nur halbherzig oder gar nicht betrieben. Juristen wie Fritz Bauer, die sich an die konsequente Aufarbeitung heranmachten, mussten sehr viele Anfeindungen erleben.

Dass es trotzdem gelang, die Beziehungen zu Israel Stück für Stück aufzubauen und zu verbessern, ist auch vielen persönlichen Begegnungen in dieser Zeit zu verdanken. Insbesondere Jugendliche haben durch Aufenthalte in Israel, beispielsweise mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, als lebendiges Beispiel für ein neues Deutschland gewirkt. Diese zwischenmenschlichen Begegnungen und das beispielhafte Handeln einzelner Menschen können ein Vertrauen schaffen, das von keinem noch so ausgefeilten Kommuniqué erzielt werden kann.

An dieser Stelle will ich einmal etwas einschieben.Wir erleben im Moment, dass es immer wichtiger wird, das Vergangene lebendig zu halten. Denn sehr viele Zeitzeugen sind inzwischen verstorben. Das heißt, junge Menschen

bekommen die Problematik nicht mehr direkt in einem Dialog mit den Menschen, die das Ganze erlebt haben, vermittelt.Vielmehr müssen sie sich das entweder anlesen oder durch Institutionen wie Schule oder andere Bildungseinrichtungen darauf hingewiesen werden. Das heißt, wir müssen langsam darangehen, zu überlegen, wie wir das, was geschehen ist, den jungen Menschen transparent verdeutlichen.